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 Amish meets Asian upbringing

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BeitragThema: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Fr Jun 17, 2022 9:42 am

Amische trifft Asiatische Elternschaft

Je näher wir dem Dorf kommen, desto mehr fühlen wir uns in die Vergangenheit versetzt: Wir überholen immer öfter schwarze geschlossene Kutschen, die von einem Pferd gezogen werden. Ein neonfarbenes Dreieck am Heck zeigt den nachfolgenden Fahrzeugen an, dass es sich um ein langsames ‚Buggy‘ handelt.
Unser Busfahrer hält mitten im Ort und lässt uns und ein junges Paar aussteigen, bevor er zum nächsten Ort weiterfährt. Das Paar geht auf das Haus zu, neben dem der Bus gestoppt hat. Über dessen Tür hängt ein Schild, auf dem ‚Olde Amish Inn‘ steht. Sie werden sicher in einem Gästezimmer über der Gaststätte übernachten.

Wir schauen uns weiter um und witzeln:
„Jetzt stehen wir ganz allein in der Fremde.“

Plötzlich hält ein etwa 5jähriger Junge auf einem Roller neben uns.

„Are you Miss Oosawa -großer Sumpf-?“ fragt er mich.

Ich bestätige es ihm freundlich lächelnd. Er meint nun:
„Please wait a little!“

Dann dreht er um und verlässt uns wieder. Kurz darauf kommen uns zwei Jugendliche aus der Richtung entgegen, in die der Junge verschwunden ist. Sie gehen barfuß und ziehen einen Handkarren. Es ist ein Junge und ein Mädchen.

Die beiden Jungen, der an der Deichsel und der auf dem Roller, tragen schwarze Hosen mit Hosenträgern und himmelblaue Hemden. Auf den Köpfen sitzen breitkrempige gelbe Strohhüte. Das etwa 16jährige Mädchen, das ebenfalls den Karren zieht, trägt ein weites langes Kleid aus demselben himmelblauen Stoff mit einem schwarzen Überwurf. Auf ihrem Hinterkopf sitzt eine weiße Haube, unter der sie ihr Haar versteckt.

Der etwa 14jährige Junge vergewissert sich noch einmal bei mir:
„Are you Miss Oosawa?“

„Yes, I am,“ bestätige ich ihm.

Der Junge nickt.
„May we put your package on the handcart?“

„Yes, please!“ bitte ich ihn und übergebe ihm meine Tasche.

Er legt sie vorsichtig auf die Ladefläche. Meine Kommilitonin Akiyama -Herbstberg- gibt nun auch ihre Tasche ab.

Der Junge fordert uns danach auf:
„Please follow us!“

Ich deute eine Verbeugung an und lächele. Meine Begleiterin macht es mir nach. Die Beiden wenden den Handkarren und ziehen ihn ein Stück die Dorfstraße vor uns her. Wir folgen ihnen erwartungsvoll. Wir sind zwei japanische Studentinnen, die neugierig auf die Kultur der Amish sind, von der wir auf der New York University gehört haben.

Wir haben uns dort für das Fach Psychologie eingeschrieben und wollen später als Therapeuten arbeiten. Heute ist Freitag und wir haben vor, eine Woche lang das Leben in einer amischen Familie kennenzulernen. Unser Professor hat etwas von einem ‚weichen Patriarchat‘ gesagt. Das hat mich neugierig gemacht und ich konnte meine Kommilitonin dazu bewegen, mich zu begleiten, damit ich nicht alleine bin.

Der kleine Junge mit dem Roller stößt sich mit seinen nackten Füßen vom Boden ab. Er beschleunigt auf diese Weise und fährt voraus. Das Geschwisterpaar, das den Karren zieht, führt uns hinter dem Jungen her in eine Nebenstraße hinein, die im Winkel von etwa 90 Grad von der Country Road wegführt. Wir folgen der Straße bis wir den Ortsrand erreichen.

Vor einem Haus stoppen sie und stellen die Deichsel senkrecht. In diesem Moment öffnet sich die Haustür und eine Frau in den Fünfzigern tritt heraus. Sie begrüßt uns herzlich. Wir grüßen scheu mit leichten Verbeugungen zurück. Währenddessen sehe ich die beiden Jugendlichen, wie sie unsere Taschen ins Haus tragen. Die Hausfrau nickt uns zu und meint:

„Please come in. We'll show you your room.“

Wir folgen ihr ins Innere des Hauses und stehen sofort im Livingroom. Bei uns in Nihhon steht man zuerst in einem kleinen Raum, indem man sich der schmutzigen Straßenkleidung entledigen kann, zuvorderst der Schuhe. Seitlich voraus erkenne ich eine Treppe. Mrs. Stoltzfus geht darauf zu. Wir folgen ihr ins Obergeschoß. Hier öffnet sie uns einen bestimmt 25 Quadratmeter großen Raum.

„This is your guestroom!“ stellt sie ihn uns vor.

Es ist ein Sleeping-Room mit zwei Einzelbetten und einem breiten Schreibtisch. Unsere Gastgeberin öffnet eine weitere Tür, die seitlich aus dem Raum führt. Hier finden wir unsere Taschen stehen. Bei diesem Raum handelt es sich um einen Durchgang mit Regalen und Kleiderstangen. Mrs. Stoltzfus schlüpft an uns vorbei und öffnet eine weitere Zimmertür im Hintergrund. Sie wendet sich uns lächelnd zu, als wolle sie uns dessen Einrichtung präsentieren. Neugierig schauen wir auch in dieses Zimmer. Wir finden dort eine Badewanne, ein WC und zwei Waschbecken.

„This is your bathroom!“ kommentiert sie das Bild, dass sich uns bietet.

„Thanks a lot!“ bedanken wir uns lächelnd und verbeugen uns leicht.

Hier ist alles irgendwie überdimensioniert für japanische Vorstellungen.

„Our Children are married,“ meint sie, verschmitzt lächelnd. „Only the youngsters live with us now. So we are able to give you a guestroom for rent.“

„Okay, thank you,“ bedanke ich mich schüchtern.

Bevor sie sich zurückzieht, macht sie uns noch auf das Abendessen aufmerksam. Anschließend sind wir allein. Wir tragen unsere Taschen in den Sleepingroom zurück und räumen sie aus, während sie die Treppe ins Erdgeschoss hinuntergeht. Unsere Kleidung verteilen wir in den Regalen und an den Kleiderstangen im Ankleidezimmer. Unsere Hygieneartikel platzieren wir im angeschlossenen Badezimmer.

Danach gehen wir über die Treppe in den Livingroom hinunter. Er ist mit dem übergangslos angrenzenden Diningroom bestimmt doppelt so groß, wie unser Gästezimmer.

Ich verhalte im Schritt und halte Akiyama-San zurück, denn der Jüngste kommt aus einem angrenzenden Raum gestürmt und läuft an uns vorbei. Er ruft im Laufen:

„De Daidi! De Daidi is zrick!“

Schon ist er durch die Haustür, die er offenstehen lässt. Die beiden Jugendlichen kommen aus dem gleichen Raum und gehen schnell hinter ihrem Bruder her. Auch sie wenden sich mit frohen Gesichtern zur Haustür, sind dabei aber wesentlich weniger ungestüm als ihr vielleicht 5jähriger Bruder. Als Mister Stoltzfus schon in der Tür steht, umlagert von den Kindern, kommt auch Mrs. Stoltzfus heran. Der Hausherr, ein Mann wie ein Schrank mit muskulösen Armen, füllt den Eingang fast ganz aus. Er ist genauso gekleidet wie seine Söhne. Auch er trägt eine schwarze Hose, die von Hosenträgern gehalten wird, ein himmelblaues Hemd und einen gelben breitkrempigen Strohhut.
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1So Jun 19, 2022 9:50 am

In seinen Armen hält er seinen glücklich strahlenden Jüngsten. Mir kommt unwillkürlich der Gedanke, wie die Szene wohl früher ausgesehen haben mag, als die Kinder noch kleiner waren. Mister Stoltzfus hängt seinen Strohhut an einen Haken neben die Tür, wo schon die Hüte seiner Söhne hängen. Er setzt seinen Jüngsten ab und umarmt die älteren Kinder. Zum Schluss nimmt er auch seine Frau in den Arm. Danach kommt er auf uns zu, um uns zu begrüßen.

"Welcome to the Stoltzfus!" lächelt er und streckt uns die riesige Hand hin.

Ich fürchte, dass er meine Hand aus Versehen zerquetschen könnte und verbeuge mich deshalb leicht. Akiyama-San tut es mir gleich.

"Thank you, Sir!" antworte ich und schenke ihm ein neugieriges Lächeln.

"Please sit down!" fordert er uns nun auf und geht zu einem Sessel am offenen Kamin.

Dort stehen noch weitere Sessel an einem kleinen runden Tisch. Die Tochter nähert sich mit offenen Hausschuhen und einer Tasse Tee. Sie stellt den Tee ohne ein Wort zu sagen auf den Tisch vor ihren Vater ab und kniet sich vor ihn. Mister Stoltzfus ist derweil aus seinen Stiefeln gestiegen und nimmt seiner Tochter die Schlappen ab. Das Mädel nimmt im Gegenzug die Stiefel, erhebt sich und entfernt sich damit. Kurz darauf ist sie mit zwei Tassen Tee zurück, die sie vor uns platziert. Der Hausherr fragt uns nun:

"What made you decide to book a guestroom with an amish family -Was hat Sie bewogen, ein Gästezimmer bei einer amischen Familie zu buchen-?"

Ich beuge mich wieder leicht vor und berichte dem Mann, dass wir in New York Psychologie studieren und unser Professor uns geraten hat, einmal die Amische Kultur kennenzulernen. Es entwickelt sich ein kurzes Gespräch, indem Mister Stoltzfus erklärt, dass die Amische ein Leben nach der Bibel leben. Ich erkläre ihm, dass es auch in Nihhon Christen gibt. Ja, selbst Koogoo Masako, die Frau des ehrwürdigen Tenno ist Christin. Bei Nennung des Namens unserer Kaiserin, verbeuge ich mich wieder und schlage kurz die Augen nieder.

Mister Stoltzfus ist erstaunt und fragt, wie die japanischen Christen leben. Er interessiert sich, ob sie nach der Bibel leben oder eher wie die 'Englischen' um die Amische herum. Ich finde, das ist ein interessanter Ansatz und frage ihn, wie denn die 'Englischen' in seinen Augen leben. Er antwortet:

"Wir leben in einer festgefügten Welt, kümmern uns umeinander, wie es uns die Bibel vorgibt. Bei den 'Englischen' sehe ich dagegen ein Versagen der Religion beim Formen der persönlichen Moral, einen Verfall des Glaubens. Sie haben eine nachlässige Art der Kindererziehung, die nichts gegen den mutwilligen Konsum von Drogen unternimmt. Sie zucken die Schultern, wenn sie mit Armut und Obdachlosigkeit konfrontiert werden, als gingen sie ihre Mitmenschen nichts an. Ihr Gesundheitssystem versinkt im Chaos. Es werden riesige Geldbeträge für Dinge ausgegeben, die niemand braucht."

"Die Menschen in Japan," versuche ich ihm ein Fenster zu öffnen, "erziehen ihre Kinder zu Respekt vor den Älteren. Wenn ich auf meine Erziehung zurückblicke, kann ich keine Vernachlässigung erkennen. Die Mutter gibt die Richtung vor und wir Kinder folgen ihren Ratschlägen. Sie versteht es, uns immer wieder auf den richtigen Weg zu bringen, wenn wir abzuweichen drohen."

Der 14jährige Junge beginnt nun Geschirr und Besteck aus einem seitlichen Buffet auf dem Esstisch zu verteilen. Kurz darauf bringt der Rest der Familie Platten und Schüsseln mit Speisen auf den Tisch. Mister Stoltzfus erhebt sich nun und lädt uns ein, uns ebenfalls an den Tisch zu setzen.

Er zieht an einer Längsseite des Tisches zwei Stühle für uns heraus. Uns gegenüber nehmen die Söhne am Tisch Platz. An der rechten Schmalseite setzt sich Mister Stoltzfus und die Hausfrau Mrs. Stoltzfus setzt sich auf den freien Stuhl zwischen uns und ihren Mann.

Nun stimmt der Hausherr das 'Vater unser' auf Pennsilvania Dutch an. Alle Familienmitglieder neigen den Kopf. Wir neigen unsere Köpfe respektvoll und warten ab.

"Unsah Faddah im Himmel,
die Nohma loss heilich sei,
Die Reich loss kumma.
Die Villa loss gedu sei,
uf di Eaht vi im Himmel.
Unsah tayklich Broht gebb uns heit,
Un fagebb unsah Shulda,
vi miah dee fagevva vo uns shuldich sinn.
Un fiah uns naett in di Fasuchung,
avvah hald uns fu’m Eevila.
Fa die is es Reich, di Graft un di Hallichkeit in Ayvichkeit.
Amen."

Anschließend werden wir aufgefordert, unsere Teller anzureichen. Mrs. Stoltzfus bedient zuerst ihren Mann, dann werden auch wir von ihr bedient. Nun sagt Mister Stoltzfus:

"Enjoy your meal!"

Wir antworten lächelnd "Thank you!" und die anderen sagen "Danki!"

Nachdem wir satt sind und auch die Anderen ihr Dinner beendet haben, erhebt sich die Hausfrau und auch die Kinder. Sie räumen den Tisch ab. Währenddessen bittet uns der Hausherr in den angrenzenden Livingroom auf die Sitzgruppe. Er fragt uns:

"Wie haben Sie sich vorgestellt, die Woche bei uns zu verbringen?"

"Wir wollten das Leben der Amish studieren. Was tun die Männer, was die Frauen. Wie interagieren Männer und Frauen miteinander. Was ist es, das die Gemeinschaft am Leben hält."

"Okay," meint der Hausherr und schaut uns lächelnd an. "Ich kann Ihnen einiges erzählen, wenn ich abends zuhause bin. Während ich tagsüber arbeiten bin, können Sie sich gerne im Ort umschauen, sich sportlich betätigen, oder Urlaub machen... Oder Sie helfen meiner Frau bei der Erledigung der Arbeiten rund ums Haus und erhalten so einen noch tieferen Einblick in unser Leben. Welche Option sagt Ihnen eher zu?"

Ich schaue Akiyama-San an. Sie nickt, also antworte ich:
"Wir würden uns gerne in ihren Tagesablauf einbinden, soweit das geht."

Mister Stoltzfus nickt lächelnd. Er sagt:
"Unser Tagesablauf richtet sich weitgehend nach der Sonne. Wir stehen mit Sonnenaufgang auf und legen uns mit Sonnenuntergang schlafen. Nur wenn die Tage kürzer werden, ändert sich daran ein wenig. Ich kann mir meine Arbeitszeit nicht aussuchen, bin an Arbeitsbeginn und -ende meines Arbeitgebers gebunden."

"Sie haben selbst kein Farmland?" fragt Akiyama-San.

Der Hausherr schüttelt den Kopf.
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Di Jun 21, 2022 9:31 am

"Farmland steht nicht unbegrenzt zur Verfügung. Wenn der Vater stirbt, wird das Land auch nicht auf die Kinder aufgeteilt, sondern der jüngste Sohn erbt das Land. Seine älteren Schwestern heiraten und die älteren Söhne haben bis dahin eine eigene Farm gegründet oder eine Arbeit bei den ‚Englischen‘ angenommen, die eine Familie ernähren kann."

"Ah, dann arbeiten Sie also in einer Fabrik?"

"Das ist richtig. Wir stellen Fenster her. Okay, wenn Sie während ihrem Aufenthalt bei uns also mitarbeiten wollen, dann würde ich vorschlagen, Sie gehen bald zu Bett. Meine Frau beginnt um 4:30 in der Küche. Um 5 Uhr frühstücken wir und um 6 Uhr holt mich ein Arbeitskollege ab. Darf ich Ihnen als Bettlektüre das Buch 'The Life of the Amish' anbieten? Darin finden Sie weitere Informationen. Was Sie nicht verstehen, erfragen Sie einfach. Wir sind offen für alle Ihre Fragen! Wir haben ja eine ganze Woche Zeit," bietet er an und erhebt sich.

"Gerne," sage ich und nicke.

Auch wir erheben uns. Der Rest der Familie Stoltzfus ist auch schon in der Küche fertig. Die Jungs und die junge Frau gehen nach oben in ihre Zimmer und unsere Gastgeber verabschieden sich in ihr Schlafzimmer neben dem Livingroom mit "Good Night! Sleep well in God's Arms!"

Während wir die Treppe hinaufsteigen, schaue ich auf meine Armbanduhr. Wir haben gerade erst 19 Uhr! Herr Stoltzfus hat eben ein Buch aus dem Regal geangelt und mir in die Hand gedrückt, bevor wir uns getrennt haben. Ich lege das Buch in unserem Zimmer auf den Nachttisch. Anschließend gehen wir ins Bad und ziehen danach unsere Nachtwäsche an. In etwa neun Stunden ist die Nacht vorbei. Dafür aktiviere ich die Weckfunktion meiner Armbanduhr.

Wir legen uns in unsere Betten und ich schalte meine Nachttischlampe ein. Anschließend lese ich Akiyama-San aus dem Buch vor und lege dünne Papierstreifen zwischen die Seiten, wo uns etwas unklar ist oder wir Näheres erfahren möchten. Bald sind wir so müde, dass ich das Buch zur Seite lege und die Lampe ausschalte.

Am nächsten Tag wachen wir erst um kurz nach sechs Uhr auf.

'Oh,' denke ich. 'Da haben wir gleich am ersten Tag verschlafen!'

Wir beeilen uns im Bad, kleiden uns an und gehen die Treppe ins Erdgeschoss hinunter. Auf dem großen Esstisch finden wir zwei Gedecke und Kaffee. Mister Stoltzfus ist schon zu seiner Arbeitsstelle unterwegs und die Jungs bereiten sich auf die Schule vor. Sie sitzen am Esstisch und machen irgendwelche Hausaufgaben.

Als wir hinzutreten, grüßen sie uns freundlich und schauen dann wieder in ihre Hefte. Das Mädchen kommt nun mit zwei Tellern 'Haystack' -Heuhaufen- an den Tisch. Dabei handelt es sich um verschiedene gestiftelte Gemüse mit einer Rühreihaube. Sie wünscht uns lächelnd ein "Good morning! Enjoy your meal."

Ich entschuldige mich für unser Zuspätkommen, aber Frau Stoltzfus, die hinzugetreten ist, wiegelt ab:
"Das ist nicht schlimm, Miss Oosawa! Stärken Sie sich erst einmal. Danach schauen Sie zu, was wir machen und entscheiden selbst, wo sie mithelfen möchten, wenn das in ihrem Sinne ist."

Wir setzen uns an den Tisch und frühstücken. Dieses 'Haystack' ist, wie die Hausfrau erklärt, so etwas wie das Morgenritual der Amish. Über das Rührei wurde Ahornsirup geträufelt. Unter dem Ei finden wir gestiftelte Möhren, Sellerie und Pastinaken. Dazu bringt uns die Tochter noch je einen Chickenburger.

Bald sind wir satt und erheben uns. Ich stelle das Geschirr aufeinander und nehme das Besteck in die Hand. Dann balanciere ich beides in die Küche. Akiyama-San folgt mir neugierig. Da hören wir einen Schrubber umfallen. Schnell ist die Tochter heran und zeigt mir, dass das Geschirr zu dem Anderen in die Spüle gehört. Sie schüttet Wasser aus einem Topf hinzu. Ich sehe es aufschäumen. Nun spült das Mädel. Ich frage nach Geschirrtüchern und gebe auch Akiyama-San eines ab. Wir trocknen das Geschirr und stellen es auf den Tisch in der Mitte der Küche. Kurz darauf erreicht uns Mrs. Stoltzfus. Sie stellt das Geschirr an seinen Platz im Küchenbuffet.

Die Jungs verabschieden sich und verlassen mit ihren Schultaschen das Haus. Als das Mädel kein Geschirr mehr in der Spüle hat, wringt sie den Lappen aus und wischt damit über den Küchentisch und den Esstisch. Anschließend putzen Mutter und Tochter den Boden weiter. Ich frage, ob wir uns um den Fußboden im Obergeschoss kümmern dürfen.

"Gern!" lächelt die Hausfrau, und die Tochter bereitet einen weiteren Eimer mit Putzwasser vor.

Ich trage den Eimer ins Obergeschoss und Akiyama-San folgt mit zwei Schrubbern und Putzlappen. Dann beginnen wir in unserem Schlafraum und arbeiten uns bis zur Treppe vor. Dort angekommen, tragen wir alles ins Erdgeschoss und ich wische die Treppenstufen von Hand in gebückter Haltung. Nachdem wir fertig sind, zeigt uns die Tochter den kleinen Raum, in dem die Putzmaterialien aufbewahrt werden.

Inzwischen steht der Küchentisch voller Lebensmittel, die auf die Verarbeitung zu einem Mittagessen warten. Unsere Gastgeberin lädt uns nun ein, an der Zubereitung mitzuwirken. Während ich nun beginne einen Kohlkopf zu raspeln, frage ich rundheraus, was mir schon seit Wochen auf der Seele liegt:

"Ich hörte, Sie leben in einem Patriarchat? Wie ist das, wenn der Mann über alles das sagen hat? Für die Frauen der 'Englischen', wie Sie sie nennen, scheint das ein 'rotes Tuch' zu sein..."
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Do Jun 23, 2022 10:32 am

„Wir leben nach dem Bibelwort aus 1Korinther11,3: Das Haupt eines jeden Mannes ist Christus, und das Haupt der Frau ist der Mann, und das Haupt Christi ist Gott. Daraus ergibt sich die Hierarchie, die von außen als Patriarchat bezeichnet wird. Das greift aber zu kurz! Keine Frau fühlt sich geknechtet! Im Galaterbrief heißt es ‚Es gibt nicht so etwas wie männlich und weiblich, denn ihr seid alle eine Person in Christus Jesus.‘
Der amische Mann verantwortet alles und darum kümmert er sich um alles. Wir Frauen können unsere Meinung sagen, Vorschläge machen, mitreden. Am Ende entscheidet der Mann. Er ist Chef, Architekt, Zimmermann, Viehzüchter, Bauer und Lehrer. Shakespeare hat einmal formuliert ‚Unruhig liegt der Kopf, der eine Krone trägt‘. Die Macht des amischen Mannes ist ein zweischneidiges Schwert.
Er arbeitet hart, nie hat man einen gesehen, der andere für sich arbeiten ließe und selbst die Füße hochlegen würde. Für uns Frauen bedeutet Unterordnung nicht Ungleichheit oder Mangel an Bedeutung. Wir sehen es als Stärkung der Ruhe und Ordnung. Es gibt keine starren patriarchalischen Rahmenbedingungen. Die Handlungsfähigkeit der amischen Frauen wird respektiert, bestätigt und ist sehr wirksam. Wir fühlen uns nicht eingeengt und machtlos. Unsere Macht, das Leben zu formen ist enorm, wenn auch indirekt.
Der Vater ist das Oberhaupt der Familie. Die Mutter unterstützt ihn nach Kräften. Gemeinsam erziehen sie die Kinder – obwohl hier die Frau eine größere Macht besitzt, allein, weil sie die meiste Zeit mit den Kindern verbringt. Beide leben also eher in einer Art ‚weichem Patriarchat‘, das die Gemeinschaft weitgehend frei von Konflikten und Grausamkeiten hält, die wir im Leben der ‚Englischen‘ sehen. Die Amish kümmern sich viel besser umeinander als man das bei den ‚Englischen‘ erlebt.
Die Amischen sehen in beiden Elternteilen die Verantwortung, respektvolle, verantwortungsbewusste Mitglieder der Gemeinschaft hervorzubringen. Dabei herrscht die Frau über den Haushalt und der Mann übernimmt die Verantwortung für das Einkommen zu sorgen, alle wesentlichen Angelegenheiten zu erledigen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dennoch treten Frauen und Männer häufig aus ihren Geschlechterrollen heraus, um sich gegenseitig zu helfen. Wer starre Autorität erwartet, wird sie nicht finden.
Die Entscheidungen des Vaters sind endgültig. Sie können in Frage gestellt, aber niemals angefochten werden. Das wird akzeptiert. Wut und Vergeltung wegen einer getroffenen Entscheidung habe ich noch nie erlebt. Der Hausherr achtet auf alles. Kein Detail ist ihm zu klein, um es nicht zu bemerken oder zu kommentieren. Er wird zu allem konsultiert. Im Leben eines amischen Mannes gibt es all die Wunder, Tugenden, Komplexitäten und Fehler des Mannes. Wir sind schließlich alle Menschen.
Frauen kümmern sich um das Anbauen der Lebensmittel, das konservieren, damit sie über den Winter kommen und alles, was mit der Sauberkeit in ihren Häusern zu tun hat. Sie arbeiten auch daran, Konflikte aus der Welt zu schaffen und Missverständnisse in der Gemeinschaft aufzuklären. Sie sprechen es gegenüber ihren Männern an, wenn sie etwas stört oder sie mit etwas nicht einverstanden sind. Aber das letzte Wort hat der Ehemann. Er bestimmt die Familienagenda.“

Wir sind inzwischen mit Kochen fertig. Während wir die Schüsseln und Platten zum Esstisch tragen, kommen die Jungs aus der Schule. Sie hängen ihre Strohhüte an den Haken und platzieren ihre Schultaschen darunter. Dann laufen sie unaufgefordert zum Esszimmer-Buffet und verteilen Geschirr und Besteck um den Tisch. Wie gestern Abend setzen sich die Jungs auf die eine Längsseite und das Mädel auf die andere. Auf den Platz des Familienoberhauptes an der einen Schmalseite setzt sich Mrs. Stoltzfus. Wir dürfen direkt zu ihrer Linken Platz nehmen. Nun beugen alle ihren Kopf, falten die Hände und die Hausfrau trägt das Tischgebet vor.

Nach dem Essen räumen wir gemeinschaftlich den Tisch ab. Während die Jungs ihre Schularbeiten machen, spülen wir von Hand. Anschließend zieht sich die Tochter in ihr Zimmer im Obergeschoss zurück und Mrs. Stoltzfus setzt sich mit einem Buch in einen Sessel am Kamin. Ich frage sie, womit sich ihre Tochter gerade beschäftigt. Sie schaut lächelnd auf und erklärt:

„Ruth arbeitet an einem Quilt.“

„Was ist ein ‚Quilt‘?“ frage ich verständnislos.

„Es gehört zu ihrer späteren Aussteuer. In ihrer freien Zeit stellt sie momentan eine von drei Steppdecken für ihr Ehebett her.“

„Oh, dürfen wir dabei zuschauen? Oder würde sie das stören?“

„Nein, gehen Sie ruhig nach oben,“ meint sie beruhigend.

Also gehen wir die Treppe hoch und finden die Tür zu Ruths Zimmer offenstehen. Wir lassen uns im Türrahmen sehen und fragen Ruth selbst:

„Dürfen wir zuschauen?“

Dabei verbeugen wir uns leicht und heben die gefalteten Hände bis unter das Kinn. Das Mädel wendet sich zur Tür und lächelt uns an:

„Aber gerne!“ ermuntert sie uns.

Sie sitzt mit ihrem Stuhl vor einem Rahmen, der einem Tisch ohne Tischplatte ähnelt. Darauf ist eine breite Stoffbahn gespannt. Hier näht sie mit Nadel und Faden von Hand kleine farbige Stoffstücke aneinander, so dass es ein dekoratives Muster ergibt. Zwischen die Stoffbahn der Unterseite und den aufgenähten Stoffstücken drückt sie eine kleine Menge gereinigter Wolle. Das aktuelle Muster besteht aus mehreren Reihen von Sternen. Ich bin erstaunt, wie virtuos sie mit der Nadel umgehen kann und frage sie danach.

„Wir lernen von klein auf durch zuschauen,“ erklärt Ruth. „Wir sind dabei, wenn de Memm -die Mama- unsere Kleidung ausbessert oder Heimtextilien anfertigt. Auch wenn sie Maß nimmt und dann unsere Kleidung näht. Wir dürfen ihr auch Teile bringen, damit bei der Arbeit keine Pause entsteht. Später dürfen wir uns an einfachen Sachen selbst ausprobieren. Wenn wir die Schule hinter uns haben und vom ‚Rumspringa‘ nachhause zurückkommen, helfen wir der Mutter in Küche und Haus. Ist dann einmal etwas Freizeit nähen wir an unserer Aussteuer.“

„Oh, okay,“ meine ich. „Du hast den Begriff ‚Rumspringa‘ erwähnt. Was bedeutet er?“

„Wir leben nach vielen Lebensregeln, die in der Bibel gründen. Die ‚Engländer‘ um uns herum leben aus unserer Sicht ohne jede Regel. Nach der Schule dürfen wir die Welt der ‚Engländer‘ kennenlernen, herum springen… Kommen wir dann in die Gemeinde zurück, werden wir getauft und sind danach vollwertige Christen. Wir fügen uns wieder den Lebensregeln, die uns auch eine gewisse Stabilität geben.“

„Du hast das ‚Rumspringa‘ hinter dir?“

"Ja. Es hat mir keinen Spaß gemacht zu sehen, wie sich die gleichaltrigen Jugendlichen der ‚Engländer‘ betrinken und Drogen nehmen. Sie sind dann nicht mehr sie selbst. Ihr Charakter ändert sich. Das hat mir Angst gemacht. Darum bin ich schnell wieder zurückgekommen. Lieber bin ich die wohlerzogene Tochter, die ihren Eltern Respekt entgegenbringt und ihnen Freude macht!“
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Sa Jun 25, 2022 9:34 am

Ruths letzter Satz erinnert mich an mein eigenes Verhältnis zu meinen Eltern. Ich nicke verstehend.
Heute kommt Mister Stoltzfus schon am Nachmittag von der Arbeit nachhause. Wieder wird er von den Familienmitgliedern begrüßt. Je jünger sie sind, desto überschwänglicher fällt die Begrüßung aus. Sein erster Gang ist auch jetzt der Gang zu seinem Sessel, wo er sich seiner Stiefel entledigt, und sie gegen Hausschuhe eintauscht, die ihm seine Tochter unaufgefordert bringt. Er bemerkt:

„Der Rasen ist noch nicht gemäht.“

Mrs. Stoltzfus antwortet ihm:
„Das wird heute noch erledigt! Die Jungs haben ihre Schularbeiten erledigt und Ruth ist bei der Arbeit an einem ihrer Quilts von unseren Gästen in ein Gespräch verwickelt worden.“

Während sie ihrem Mann antwortet, verlassen die Jungs wortlos das Haus und bald hört man, wie sie sich draußen mit dem mechanischen Rasenmäher beschäftigen. Vom Fenster aus kann man sie beobachten, wenn sie gerade vorbeikommen. Der 5jährige steuert den Rasenmäher hinter seinem Bruder her, der ihn zieht.

Mister Stoltzfus verlässt nach einer halben Stunde Ruhepause ebenfalls das Haus und bald darauf hört man ihn im angrenzenden Schuppen werkeln. Wir folgen Ruth und ihrer Mutter in die Küche, um gemeinsam das Abendessen vorzubereiten.

Wieder entwickelt sich ein Gespräch unter Frauen. Ich erzähle Mrs. Stoltzfus, dass ich im Social Media meine Erlebnisse mit Freunden in der Heimat teile. Diese Beiträge kann jeder lesen, der auf meine Seite kommt. In der letzten Zeit werden die Kommentare von Fremden immer bösartiger. Ich habe den Eindruck, dass Freundlichkeit und Mitgefühl zunehmend als naiv gilt und bin traurig darüber. Manches ist ziemlich verletzend.

Mrs. Stoltzfus nickt. Sie erklärt, dass sie durch Ruth während ihres ‚Rumspringa‘ davon gehört hat.

„Wir haben eine Tradition,“ erklärt sie mir. „Wir nennen sie ‚Widerstandslosigkeit‘. Damit kann man gesünder mit solchen Angriffen umgehen. ‚Widerstandslosigkeit‘ ist das Fundament unserer moralischen Ordnung. Wir glauben, dass Rache in Gottes Verantwortung liegt. Für uns gibt es also keinen Grund Wut aufkommen zu lassen oder gar Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen. Als Reaktion auf tätliche oder verbale Angriffe kennen wir die Vergebung.“

„Das ist schwer verständlich,“ meint Akiyama-San.

„Ich gebe Ihnen ein Beispiel,“ fährt Mrs. Stoltzfus fort. „Nein, eigentlich sind es zwei: Vor zehn Jahren wurde der Anführer einer abtrünnigen Amish-Gruppe verurteilt, weil er Amischen, die seine Gruppe verlassen wollten, die Bärte abschneiden ließ, Frauen ihre Haare. Nun sind uns Bärte und Hauben etwas Heiliges. Doch die meisten Opfer weigerten sich, gegen ihn auszusagen, mit der Begründung ‚Jesus hat nicht gegen seine Verfolgung und Folter protestiert. Warum sollen wir?‘ Sie forderten auf, für die Frevler zu beten und ihnen zu vergeben.
Sechs Jahre davor betrat ein Mann eine Amish School und schwor Rache, weil Gott einem seiner Kinder das Leben genommen hat. Als die Polizei eintraf, begann er auf die Schülerinnen zu schießen und sich dann selbst umzubringen. Am Abend nach der Schießerei gingen Amish-Älteste zu dem Haus, in dem die Frau des Mannes mit drei kleinen Töchtern lebte und zu dessen Eltern, um jedes Mitglied seiner Familie zu umarmen und zu sagen, dass sie ihm vergeben. Die Amish-Gemeinde sammelte Spenden für die Witwe des Mannes, der ihre Töchter ermordet hatte. Spenden, die entsetzte Außenstehende an die Gemeinde schickten, gaben sie an örtliche Dienste weiter, die zu Hilfe kamen.“

Ich höre unserer Gastgeberin erschrocken zu und flüstere ergriffen:
„Ich weiß nicht, ob ich in dieser Situation einen solch starken Glauben gehabt hätte!“

Die restliche Zeit, bis das Abendessen fertig ist, arbeiten wir schweigend. Wir sind zu Respekt vor unseren Mitmenschen erzogen worden. Wir begegnen einander höflich. Wenn uns aber solches widerfahren sollte, verlangen wir nach Vergeltung durch Gerichtsverfahren. So sehen das wohl alle Menschen, denen ich bisher begegnet bin. Auch die nicht in der japanischen Kultur aufgewachsen sind. Auf einmal empfinde ich große Hochachtung vor den Amischen.

In der amerikanischen Welt, in der wir uns jetzt bewegen, gibt es Geschrei und Streit. Die Kinder werden angeschrien. Es wird geschmollt und gejammert. Hier erlebe ich nun Ruhe und Friedfertigkeit. Sie verzeihen Fehler und Missgeschicke sofort. Sie reden in normaler Lautstärke miteinander und schaffen Ärger sofort aus der Welt.

Wenn ich daraus etwas für mich mitnehmen will, muss ich versuchen, die ultimative Hingabe des Selbst zu leben und Wut und Ärger dahinein zu transformieren. Ich darf Trolle im Internet nicht wütend gegenübertreten, sondern muss ihre Angriffe ins Leere laufen lassen. Was sie tun, darf mich nicht berühren. Ich muss beobachten, was ich tue. Diese Idee erfasst mich. Ich lehne Ärger ab und höre einfach auf, darauf zu reagieren. ‚Widerstandslosigkeit‘.

Mich an das Gespräch über die amischen Männer erinnernd, frage ich Mrs. Stoltzfus:
„Wie ist das, wenn zwei amische Männer unterschiedlicher Meinung sind. Wie regeln sie das?“

Die Hausfrau lächelt und meint:
„Zumeist schweigen sie, statt eine hitzige Erwiderung von sich zu geben. Aber auch im Umgang mit den ‚Englischen‘, also bei Bürokraten, Behörden, Ladenbesitzern, Lieferanten schweigen sie. Sie werden nicht wütend. Es kommt nicht zu Konflikten. Wenn amische Männer anderer Meinung sind, schweigen sie und kommen später noch einmal auf den Punkt zurück. Bei allem Reden über das Patriarchat sind sie nicht dominant und kämpferisch. Sie konkurrieren nicht miteinander, drängen sich nicht gegenseitig aus dem Geschäft. Sie warten einfach. Rache ist Gottes Werk, nicht ihres.“

Ich bin erstaunt über das, was ich höre.

Als das Abendessen fertig ist und wir den Tisch decken, stelle ich fest, dass auf der Männerseite des Tisches ein Gedeck mehr aufgetragen wird. Ruth wird beauftragt, den Männern Bescheid zu sagen. Kurz nach ihr betreten sie den Livingroom und ziehen ihre Stiefel aus. Außer dem Hausherrn und seinen beiden noch nicht volljährigen Söhnen, kommt noch ein junger Mann Ende Zwanzig hinzu. Interessiert schaue ich was er macht, um sofort wegzuschauen, wenn sein Blick in meine Richtung wandert.

Mister Stoltzfus stellt uns einander vor und so erfahre ich, dass es der älteste Sohn der Eheleute Stoltzfus ist. Er wohnt und arbeitet in der Stadt, ist aber noch nicht verheiratet. Deshalb nennt Mister Stoltzfus Elia, seinen ‚alten Jungen‘.
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Mo Jun 27, 2022 8:33 am

Wir essen nach dem Tischgebet wie üblich schweigsam. Anschließend frage ich Elia, der etwa fünf Jahre älter ist als ich, über seine Tätigkeit aus. Nachdem wir in unserem Zimmer sind frage ich Akiyama-San vor dem Einschlafen, welchen Eindruck sie von Elia Stoltzfus hat.

Müde schallt es aus ihrer Ecke des Gästezimmers:
„Er ist ein amischer Mann mit allen Attributen. Du weißt doch inzwischen, was das bedeutet, Sayuri-chan…“

Er hat einen großen Eindruck auf mich gemacht, so dass ich lange nicht einschlafen kann.

*

Am Sonntag durften wir als Hinterbänkler einem Amish Gottesdienst beiwohnen. Er wird nicht in einem dafür vorgesehenen Gebäude gefeiert, sondern die Amish Familien stellen reihum der Gemeinde den hallenartigen Keller ihrer Wohngebäude zur Verfügung. Nach der etwa dreistündigen Feier mit Gebeten und A-Capella-Gesängen wird im Garten ein langer Tisch aufgebaut, indem man etwa zwei Dutzend Tische aneinandergestellt hat. Dort wird gemeinsam gegessen.

Ich bitte Akiyama-San, der Familie Stoltzfus alleine zu helfen. Ich möchte mit Elia Stoltzfus einen Spaziergang machen, um ihn näher kennenzulernen. Während wir uns von den Anderen entfernen, frage ich ihn:

„Dein Vater hat von dir als einem ‚Old boy‘ -alten Jungen- geredet. Ist das nun eine väterliche Bezeichnung oder ein fester Begriff unter Amish?“

„Die Amish sollen heiraten und eine Familie gründen. Damit sich junge Männer und Frauen kennenlernen, veranstalten die Gemeinden von Zeit zu Zeit A-Capella-Singen. Leider habe ich bisher noch nicht die richtige junge Frau für mich gefunden. Also gelte ich unter Amish als ‚Old boy‘, erkennbar daran, dass ich mich rasiere. Im Gegensatz dazu trägt der amische Mann von seiner Hochzeit an einen Bart.“

„Ah,“ meine ich, „das ist die Bedeutung dahinter.“

Wir gehen ein paar Schritte stumm nebeneinander her. Plötzlich wendet sich Elia mir zu und fragt:
„Wie ist das denn bei Ihnen in Japan, Oosawa-San?“

„Außer am Ehering kann man als Außenstehender nicht unterscheiden, ob ein Mann oder eine Frau verheiratet ist. Genau wie bei den Leuten, die ihr die ‚Englischen‘ nennt, Mister Stoltzfus,“ antworte ich ihm.

Elia nickt und erklärt mir:
„Ich habe mich falsch ausgedrückt, Entschuldigung. Ich meinte eher den Umgang von Frauen und Männern miteinander.“

Ich schaue ihn an und frage nach:
„Der Umgang ganz allgemein?“

Elia nickt lächelnd.
„Uns wird schon als kleines Kind beigebracht, unserem Gegenüber Respekt entgegenzubringen und ihn zu ehren. Das gilt analog auch für Männer gegenüber Frauen. Höflichkeit ist Bedingung im Umgang miteinander.“

Wieder gehen wir ein paar Schritte stumm unseren Weg.

„Wie ist das Selbstverständnis einer japanischen Frau?“ fragt er nun.

„Hm, ein Thema ist, wie das Selbstverständnis einer japanischen Frau in der japanischen Kultur über die Jahrhunderte gewachsen ist. Das althergebrachte japanische Frauenideal wird poetisch ‚Yamato Nadeshiko‘ bezeichnet, die ‚japanische Prachtnelke‘. Dieses Ideal kann man als eine Mischung aus Hausfrau, Geisha und Samurai charakterisieren. Wissen Sie was eine Geisha ist, Herr Stoltzfus?“

Er schüttelt mit bedauerndem Gesichtsausdruck den Kopf. Also setze ich erneut an:
„Eine Geisha war in früheren Zeiten so beliebt, wie heute die Models. Man konnte sie mieten, um eine Party zu verschönern. Dort haben sie die Gäste kurze Zeit durch ihren Tanz und ihr Musizieren in eine andere, eine fantastische Welt entrückt. Die Gäste vergaßen darüber ihren Alltagsstress. Wichtig dabei ist, dass die Geisha keine Oiran ist! Die Geisha legt sich nicht zu dem Mann, damit dieser Entspannung findet!
Ein Samurai ist ein japanischer Ritter. Er kämpft für seinen Herrn und verfasst kleine Gedichte für seine Angebetete.
Wie bekommt man alle drei unter einen Hut? Die Hausfrau kümmert sich um Haushalt und Kindererziehung. Das ist klar. Wenn der Mann nach stressiger Arbeit zuhause erscheint, spult sie ein Antistress-Programm ab, das aus vielerlei Aktivitäten besteht. Sie bedient ihren Mann zuhause. Ist sie außerhalb des Hauses alleine unterwegs, kann sie die Interessen der Familie wie maßgebend vertreten. Sie ist nicht unabhängig und selbständig, wie die ‚englischen‘ Frauen, sondern findet ihre Erfüllung in der Hingabe zu einem Mann. Sie bringt alle notwendigen Opfer zum Wohlergehen und Schutz der Familie.
Das ist, wie gesagt, die Idealvorstellung, auf die hin wir von klein auf erzogen werden. In der modernen Zeit schleift sich das jedoch mehr und mehr ab, je stärker der Einfluss der ‚Englischen‘ auf unsere Kultur wird.“

„Das hört sich streckenweise wie eine amische Frau an,“ resümiert mein Begleiter.

Ich nicke und antworte:
„Ich habe mit Ihrer Mutter und Schwester schon Gespräche geführt. Ein klein wenig hatte ich dabei auch den Eindruck.“

„Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir uns miteinander anfreunden würden, Miss Oosawa? Ich denke, wir könnten viel voneinander lernen,“ meint er, mir lächelnd zugewandt.
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Mi Jun 29, 2022 9:31 am

„Gerne, Mister Stoltzfus,“ antworte ich und lächele ihn freundlich an. „Vielleicht erzählen Sie mir dann auch mehr über sich persönlich?“

„Das mache ich gerne,“ bestätigt er.

„Okay,“ meine ich. „Was ich nicht ganz verstehe, ist: Warum wohnen Sie nicht zuhause, wenn Sie noch nicht verheiratet sind?“

Mein Gegenüber zieht die Stirn kraus. Er beginnt:
„Wenn wir nach dem ‚Rumspringa‘ wieder in den Schoß der Gemeinde zurückkehren und bis zur Hochzeit bei den Eltern wohnen, müssen wir unser Gehalt zuhause abgeben. Zwar haben wir zuhause freie Kost und Logis, auch wird für Wohnen, Essen und Kleidung nur ein Teil einbehalten – der größte Teil wird angespart und uns bei der Hochzeit ausgezahlt, damit wir uns eine eigene Existenz aufbauen können -, aber ich habe das Leben bei den ‚Englischen‘ gewählt. Das heißt, dass ich für meinen Lebensunterhalt selbst aufkommen muss und daher nur einen kleinen Teil in die Zukunftsvorsorge stecken kann.
Nun arbeite ich viel, um trotzdem irgendwann eine eigene kleine Firma gründen zu können. Das ist nun einer der Gründe, dass ich noch nicht verheiratet bin. Mir fehlt die Zeit für Musik-Clubs und das Kennenlernen dort. Dann bin ich oft zu schüchtern, eine junge Frau anzusprechen. Ich hoffe, dass sich so etwas irgendwann ergibt, als hätte Gott ein Einsehen und würde mir jemand senden.“

„Hm,“ mache ich. „Anders ausgedrückt, Sie bewahren sich für die Richtige auf.“

Er neigt den Kopf schräg und lächelt schüchtern.

„Ja, so kann man es auch ausdrücken,“ antwortet er.

„Was stellt die Firma eigentlich her, in der Sie arbeiten?“

„Wir produzieren Fenster.“

„Hm,“ mache ich da. „Ich hörte, dass ihr Vater ebenfalls in solch einer Firma arbeitet.“

Er nickt.

„Ja, das stimmt. Aber wir arbeiten nicht in derselben Firma. Ich möchte eigenständig arbeiten können.“

Nun muss ich lächeln. Der übliche Vater-Sohn-Konflikt. Ich gehe nicht weiter darauf ein.

„In traditionellen japanischen Häusern gibt es Regentüren, die außen um das Haus herumführen. Es sind Glastüren mit einem hölzernen Gefach. Innen gibt es Zimmertüren, Schranktüren und verschiebbare Wände, die alle auf Kugellager ruhen. Wenn sie warten bis zu meinen Trimesterferien, könnte ich Ihnen das am Original in Japan zeigen. Damit hätten Sie vielleicht ein Alleinstellungsmerkmal für eine zukünftige Firma, Mister Stoltzfus?“

„Das ist ein interessantes Angebot, Miss Oosawa! Lassen Sie mich darüber nachdenken.“

*

Ich bin einmal wieder zu den Eldere -Eltern- gefahren, um Neues zu erfahren, mit der Familie gemeinsam zu essen und am nächsten Tag den Gottsdeenshd -Gottesdienst- zu besuchen. Wieder einmal befinden sich Gäste im Haus. Wie Daidi erklärt, sind es zwei Studentinnen aus Japan, die in New York studieren und von den Amischen gehört haben.

Eine der Beiden finde ich so interessant, dass ich mich mit ihr nach dem Gottesdienst zu einem Spaziergang verabredet habe. Ich bin neugierig, wie die Menschen in ihrem Heimatland so sind.

Es ergibt sich eine angeregte Unterhaltung. Dann verabschiede ich mich aber schon vor dem Abendessen. Ich will zurückfahren und im Internet über die Japaner recherchieren. Ich nehme mir vor, an den nächsten Abenden immer wieder zu meinen Eltern zu fahren, um mich mit Miss Oosawa unterhalten zu können. Sie scheint meine Anwesenheit ebenfalls zu mögen.

So bin ich, Elia Stoltzfus am Montag gegen 19 Uhr wieder bei meinen Eltern. Ich habe unterwegs Fastfood gegessen, denn das Abendessen ist vorüber. Meine Eltern und Geschwister ziehen sich in ihre Zimmer zurück. Daidi hat Miss Oosawa den Haustürschlüssel gegeben, so dass sie später selbständig ins Haus kommt. Wir spazieren in Richtung des Sportplatzes, als sie mich fragt:

„Mir ist noch etwas aufgefallen, das Amische im Umgang miteinander kultivieren, und zwar die Geduld. Können Sie mir mehr darüber sagen, Mister Stoltzfus?“

„Ja,“ meine ich lächelnd. „Das ist eines der ersten Dinge, die Leuten auffallen, die mit uns näher zu tun haben: unsere beruhigende, beständige Geduld. Wir eilen nie, fürchten keine Verzögerungen oder füllen unseren Kopf nicht mit Verpflichtungen, die Stress und Verwirrung verursachen. Ein anderer Begriff in diesem Zusammenhang ist die Gelassenheit. Sie bedeutet loslassen, aufhören, etwas herausfinden zu wollen, in Ruhe lassen.
Gelassenheit macht sanftmütig. Sie verbindet Hingabe und Demut. Sie will uns sagen ‚Hör auf zu versuchen, Dinge zu ändern, die sich nicht ändern lassen und akzeptiere das Leben, so wie es ist. Gelassenheit umfasst die Persönlichkeit. Man wird zurückhaltend, bescheiden, ruhig. Gelassenheit beeinflusst Werte, wie Hingabe, Gehorsam, Demut, Einfachheit und unsere Rituale, wie das Knien, die Fußwaschungen oder das Meiden. Im Zentrum der Gelassenheit steht die Geduld.
In jeder Freundschaft gibt es Meinungsverschiedenheiten. Wenn Zwei miteinander einen Konflikt haben, halten sie an und einer schlägt vor, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt für eine Diskussion ist. Der Andere akzeptiert das. Sie gehen beide in sich und sprechen zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal darüber.
Als ich noch ein Kind war, habe ich versehentlich einen Haufen Müll und Gummi in Brand gesetzt. Der Gestank war fürchterlich. Daidi und Memm kamen mit Eimern voll Wasser und haben es gelöscht. Sie haben gefragt, wie es mir passieren konnte und dann gemeint ‚Er wird daraus lernen!‘. Es war einfach keine große Sache für sie, sondern so spielt halt das Leben.
Unsere Gottesdienste dauern drei Stunden. Es gibt darin keine Predigten zu Problemen der Welt, sondern nur Gebete und Gesänge. Für die Kinder ist es eine Übung, um Geduld zu verstehen und zu üben. Kleine Kinder sitzen stundenlang auf den Holzbänken oder dem Schoß der Eltern. Nach der Hälfte des Gottesdienstes wird ein kleiner Teller mit Crackern als Snack für die Kinder herumgereicht. Oder sie schlafen ruhig in den Armen der Eltern. Sie haben auch die Möglichkeit, sich mit einfachen Spielsachen zu beschäftigen, kleine Puppen, ein Taschentuch. Während des Gottesdienstes lernen sie die Botschaft von Geduld und Ruhe.
So verinnerlichen sie die Geduld für ihr ganzes Leben. Lange bevor sie Teenager sind, lernen sie zu warten bis sie an der Reihe sind. Amish-Kinder lernen auf die Toilette zu warten, oder auf ein Stück Kuchen, oder auf eine Gelegenheit zum Reden.
Geduld ist für die Amish, eine dauerhafte Art, einander zu respektieren und sorgfältig über Optionen nachzudenken, bevor man voreilig ein Urteil fällt. Sie ist eine persönliche Tugend. Die Forderung nach einer sofortigen Lösung würde mangelndes Vertrauen in Gott aufzeigen. Die besten Dinge im Leben, Seelenfrieden, Vergebung, Liebe und Selbsterneuerung, kommen nicht schnell und einfach. Sie brauchen Zeit und Geduld.“
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Fr Jul 01, 2022 8:42 am

Wir sind nebeneinander hergegangen, während ich geredet habe. Sie hat mich nicht unterbrochen oder Zwischenfragen gestellt. Dennoch kann ich sehen, dass es in Miss Oosawa arbeitet. Ich lasse sie nachdenken. Irgendwann bricht sich einer ihrer Gedanken Bahn:

"Das hat viel vom Zusammenleben in einer traditionellen japanischen Familie oder Gemeinschaft. Ich kann da einige Parallelen erkennen!"

Lächelnd nicke ich. Es freut mich, wenn sie Gemeinsamkeiten feststellt. Dadurch kommen wir uns vielleicht näher, hoffe ich insgeheim. Ich rede weiter:

„Unsere Frauen tun zwar, was die Männer sagen, sie sind dabei aber durchaus selbstbewusst. Sie vertreten ihren Standpunkt und ‚regieren‘ ihren Bereich wie selbstverständlich. – Nebenbei: Was ist denn überhaupt ‚Selbstbewusstsein‘? Wenn ich mir hier das Gebaren vieler ‚Englischen‘ anschaue: Rotziges Auftreten? Großmäuligkeit? Herablassender Habitus?
Nein, das ist bestenfalls Dummheit und vor allem Ausdruck von Schwäche, in den Augen vieler Amish. Stattdessen ist es eher die Tatsache, dass man sich Seiner ganz bewusst ist, dass man weiß, wer und wie man selbst wirklich ist und dies auch zulassen kann – vor sich selbst und vor anderen. Das sorgt für eine große innere Ruhe und ein Gefühl von Zufriedenheit und Harmonie mit seiner Umgebung.“

Wir sind beim Sportplatz angekommen und es wird allmählich dunkel. Ich wende mich also um und wir gehen den Weg zurück zum Haus meiner Eltern.

„Sie sprachen eben vom Vermitteln eurer Werte schon im Kleinkindalter und von da an ständig bis ins Erwachsenenalter,“ beginnt Miss Oosawa auf dem Rückweg. „Das findet sich auch bei uns in Japan. Japanische Eltern vergleichen ihr Kind mit einer Pflanze, die gehegt und gepflegt, aber auch gestutzt werden muss, um richtig zu wachsen. In Japan werden Empathie und Zurückhaltung geschätzt. Diese Gewohnheiten lernen Kinder von klein auf zu entwickeln.
Die Erziehung in Japan geht davon aus, dass ein Kind von seiner Mutter abhängig ist. Von Geburt an stellen Mütter also eine innige Verbindung zu ihren Babys her. Sie verstärken diese Verbindung bis ins Erwachsenenalter. Japanische Eltern kümmern sich seit Generationen um die Aufgaben ihrer Kinder, wie sich anziehen, baden, den Tisch decken, um nur Beispiele zu geben. Dies geschieht auch noch bei Jugendlichen.
Sie ziehen diese Entwicklung von extremer Nähe einer Erziehung vor, die auf disziplinarischen Maßnahmen beruht. Japanische Mütter vertrauen lieber auf die intime Beziehung, die sie zu ihren Kindern aufgebaut haben, statt sie zu bestrafen oder angemessenes Verhalten zu erzwingen.
Eltern in Japan bestimmen die Bildung, Hobbys, bis hin zu der beruflichen Laufbahn der Kinder. So lernen die Kinder einerseits, gewissenhaft zu gehorchen. Andererseits sind die Eltern auf diese Weise die Wegweiser der Kinder ins Leben. Die Mutter wählt äußerst vorsichtig und selektiv aus, wenn es um Entscheidungen für ihr Kind geht.
In Japan wägt man stets ab, welche Auswirkungen das eigene Handeln auf andere Menschen hat. Harmonie ist eines der wertvollsten Dinge im Umgang mit anderen. Den Kindern wird von klein auf gezeigt, welche Auswirkungen ihre Handlungen und Gefühle auf andere Menschen und Tiere haben.
Da Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder auf die Wirkung der Nähe setzen, leiten sie die Kinder in ihrer Entwicklung an, Verhaltensmuster zu entwickeln, die Harmonie und Empathie ausstrahlen.
Wenn Kinder älter werden, werden sie Teil von kleinen Gruppen, wie die Spielgruppe im Kindergarten, die Schulklasse, Sport- und Kulturvereine. Die Interaktion in diesen Gruppen basiert wieder auf Harmonie und Kooperation. Der soziale Druck dieser Gruppen lehrt die Kinder angemessenes Verhalten und Gehorsam.“

Ich nicke und vergleiche:
„Unsere Kinder sind von klein auf mit den Eltern zusammen. Sie bekommen kleine Aufgaben, die ihnen Erfolgserlebnisse geben. Mit fortschreitendem Alter werden die Aufgaben immer verantwortungsvoller. Je länger wir uns unterhalten, desto mehr wird mir bewusst, dass wir ein Band der Freundschaft zueinander knüpfen sollten, Miss Oosawa. Wie stehen Sie dazu?“

Sie schaut mich lächelnd an und nickt.

„Ich würde mich freuen, Mister Stoltzfus!“ antwortet sie mir.

Wir haben inzwischen mein Elternhaus wieder erreicht. Sie schließt die Haustür auf und ich wünsche ihr:

„Goede Nacht, good Night!“

Anschließend gehe ich zu meinem Auto und fahre zu meiner Wohnung in einem Appartementkomplex in der Stadt. Am nächsten Abend schaue ich mir Blogeinträge über Japan im Internet an. Es gibt da eine solche Menge, dass ich auswählen muss. Ich lade mir Blog-Beiträge zum Kennenlernen herunter und lese sie mir durch. Dabei muss ich erkennen, dass es da eine Menge Fallstricke gibt, die beachtet werden müssen, will man einer Japanerin emotional näherkommen.

Ein Blog hat es mir angetan. In kurzen Absätzen wird die Interaktion alphabetisch erklärt. Es beginnt mit Allgemeinwissen. Durch die unterschiedlichen Bildungssysteme dürfte es immer wieder vorkommen, dass man etwas erklären muss, das einem selbstverständlich vorkommt. Miss Oosawa und ihre Kommilitonin wussten zum Beispiel sicher kaum etwas über uns, bevor sie uns besucht haben. Das Gleiche gilt umgekehrt für mich, wenn es um Japan geht.
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1So Jul 03, 2022 10:29 am

Der nächste Absatz ist schon sehr wichtig für mich, finde ich. Dort wird gutes Benehmen angesprochen und am Beispiel eines Geschenkes gezeigt. Bekommt man ein Geschenk, zeigt man sich mit einem Gegengeschenk erkenntlich, heißt es da. Diesen Punkt streiche ich mir an.

Im dritten Blogabsatz spricht der Blogersteller das Christentum an. Hier muss ich daran denken, dass der Blogersteller ein ‚Engländer‘ ist. Natürlich sind die Christen in Japan nur eine Minderheit, aber das haben sie mit den Amischen in Amerika gemein. Ich habe herausgehört, dass Miss Oosawa eine Christin ist. Das möchte ich gerne weiter beobachten.

Auch der nächste Blogabsatz über die Diskussion, zeigt mir, dass der Blogersteller Geduld und Gelassenheit nicht kennt. Hier liege ich dagegen nahe bei Miss Oosawas Erziehung.

Der nächste Absatz behandelt die japanische Esskultur. Hier bietet der Blogersteller an, die Esskultur des potentiellen Partners zu akzeptieren und vielleicht einen Kompromiss zu finden.

Danach folgt wieder ein Blogabsatz, den so nur ein ‚Engländer‘ geschrieben haben kann. Er behandelt das Thema Freunde. In Japan arbeitet man lange und an sechs Wochentagen. Freizeit ist rar. Dementsprechend schwer ist es dort, gute Freunde zu finden. Mit solchen Leuten dann ‚um die Blöcke zu ziehen‘ oder mit befreundeten Paaren etwas zusammen unternehmen, fällt eher unter den Tisch. Freunde finden Japaner in der Schule oder im Studium, so wie Miss Oosawa und Miss Akiyama. So ist das Paar sich selbst genug und besucht allenfalls ab und zu die Eltern.

Im nächsten Absatz seines Blogs thematisiert er die Gesundheit. Er stellt hier die japanische Art des ‚low-alles‘ dem ‚englischen‘ vegetarisch und vegan gegenüber. Ich denke, ich lasse hier Miss Oosawa freie Hand, sollte es je zu einer Beziehung kommen.

Nun folgen zwei kurze Absätze zu Humor und Ironie. Anscheinend wusste der Blogersteller keine anderen Begriffe. Es ist klar, dass in einem fernen Land ein ganz anderer Humor vorherrscht als bei uns. Dass Ironie, genauso wie Sarkasmus, bei Japanern unangebracht scheint, konnte ich schon aus den Gesprächen mit Miss Oosawa heraushören. Aber letzteres gibt es auch bei uns Amischen nicht.
Danach thematisiert er die Kindererziehung und kratzt hier sehr an der Oberfläche. Für ihn ist es ungewohnt, dass Kinder jahrelang im Bett der Eltern schlafen dürfen und dass Kinder schon mit zehn Jahren bis spät in den Abend büffeln. Auf das Warum geht er dabei nicht ein.

Nun folgt ein Absatz, den ich mir ebenfalls anstreiche. Darüber muss ich mir mehr Informationen einholen. Es geht um öffentliche Liebesbekundungen. Die ‚Englischen‘ haben keine Scheu. Wir Amischen müssen sie zu verbergen suchen bis wir offiziell verlobt sind und auch danach werden sie nicht gerne gesehen. Der Blogbetreiber schreibt hier, dass sich die Japaner in diesem Bereich ebenfalls zurückhalten. Händchenhalten ginge gerade eben noch.

Anschließend schreibt der Blogersteller von der japanischen Pünktlichkeit. Damit sei ‚auf den Punkt genau pünktlich‘ gemeint, egal ob zu privaten oder beruflichen Verabredungen. Das ist wieder etwas völlig anderes als unsere ‚Gelassenheit‘ und ‚Geduld‘. Damit ich mir den Punkt merke, markiere ich ihn mir ebenfalls.

Beim Lesen des nächsten Absatzes muss ich schmunzeln. Dort steht sinngemäß, ‚was in anderen Kulturkreisen der Teufel, ist in Japan die Schwiegermutter‘. Vor der hätten vor allem die Ehefrauen richtig Angst. Ich denke, Miss Oosawa hat sich mit mei Memm -meiner Mutter- schon so gut ausgetauscht, dass sie sie im Fall der Fälle gut einschätzten kann.

Oh, der letzte Absatz ist wieder wichtig. Bei ihm geht es darum, dass die Meisten (‚Engländer‘ natürlich!) eine Beziehung ganz locker angehen. Während Japaner (vor allem Japanerinnen) es von Anfang an ernst meinen. Sie sind auf der Suche nach einem potentiellen Heiratskandidaten, wenn sie Interesse bekunden. Er schreibt, wenn sich die Beziehung nicht innerhalb von ein paar Jahren in diese Richtung bewegt, löst sie die Verbindung. Nun ist bei uns Amish auch alles auf eine Heirat ausgerichtet. Also sehe ich hier keine Probleme. Aber ich weiß nun, dass sie es ernst meint, seit sie sich mit mir über die japanische und amische Kultur unterhält.

Nun interessiert es mich doch stark, wie sich Japaner untereinander ihre Liebe gestehen. Nach einer Weile des Suchens finde ich wirklich so etwas wie eine ‚Bedienungsanleitung‘. Ich bin gespannt, ob ich damit bei Miss Oosawa etwas erreichen kann.

Nun weiß ich aber auch, warum ich von Miss Oosawa nur den Familiennamen kenne. Mit der Nennung ihres Vornamens gibt die Japanerin ihr Ja-Wort. Vorher ist im Umgang entweder der Nachname oder der Titel gebräuchlich. Fragt ein Mann nach dem Vornamen einer Frau, kommt diese intime Frage einem Heiratsantrag gleich.

Japaner verpacken ihre Gefühle für den Anderen in poetische Sätze. Unverheiratete Frauen tragen als traditionelle Kleidung einen Kimono mit langen Ärmeln, während Verheiratete einen mit kurzen Ärmeln bevorzugen. So wäre eine Liebeserklärung ‚Wissen Sie denn nicht, dass ich ihren Ärmel schüttelte.‘
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Di Jul 05, 2022 9:36 am

Eine weitere Form ‚Ich liebe dich‘ auszudrücken, sei ‚Der Mond leuchtet so schön‘, heißt es weiter. Bilder von Liebenden zeigen beide nebeneinanderstehend, sich an der Hand haltend und ein Objekt betrachtend. Der Artikel zitiert einen Psychologen, der sagt, ‚Dass Menschen in dieser Position dazu neigen, Gefühle wie Herzenswärme, Vertrauen, Hoffnung, aber auch Trauer des Anderen zu teilen.

Anschließend werden weitere Beispiele von Liebeserklärungen aufgezeigt, die nach Geschlechtern getrennt sind. So würde ein Mann zu seiner Angebeteten sagen:
‚Lass uns beim nächsten Mal nach … fahren.‘
Damit drückt er seinen Wunsch nach einem Wiedersehen aus. Oder:
‚Mir gefällt dein guter Geschmack.‘
‚Für dich würde ich alles tun.‘
‚Seit … mag ich dich schon.‘
‚Ich möchte dich halten.‘
‚Werden wir uns wiedersehen?‘

Frauen gestehen ihre Liebe gegenüber ihrem Angebeteten mit diesen Sätzen:
‚Ich fühle mich geborgen bei dir.‘
‚Kannst du mir bitte helfen?‘
‚Heute hatte ich den schönsten Tag meines Lebens.‘
‚Ich fühle mich so einsam ohne dich!‘
‚Lass uns gemeinsam etwas Zeit verbringen.‘

Natürlich sind dies nur Beispiele.

*

Kurz bevor ihr einwöchiger Aufenthalt bei meinen Eltern zu Ende gegangen ist, habe ich Miss Oosawa gefragt, ob wir unsere Handy-Nummern tauschen könnten. Sie ist darauf eingegangen und ich bin nun stolz, sie ab und zu einladen zu können, mit mir Museen und Ausstellungen in New York zu besuchen. Meinen Wagen lasse ich bei diesen Exkursionen stehen. Wir nutzen die U-Bahn.

Eines Tages rufe ich sie an und vereinbare mit ihr einen Besuch im Botanischen Garten von New York. Wir fahren mit der Metro bis ‚Franklin Ave‘ und steigen dort in die S-Line zwei Stationen weiter bis ‚Botanical Garden‘. Das Wetter ist vielversprechend. Ein paar Schritte und wir sehen über das Wasser des Sees hinweg den Japanischen Garten, beziehungsweise fällt uns das rote Torii im See direkt auf. Wir umrunden den See und betreten den Themen-Garten von denen es im Botanical Garden mehrere gibt.

Am Ufer des Sees hört man öfter ein ‚Plopp‘, wenn sich ein Frosch gestört fühlt. Er bringt sich mit einem Sprung ins Wasser in Sicherheit.

Aus einem Impuls heraus rezitiere ich:
„Uralter Teich
Ein Frosch springt hinein
Plop.“

Miss Oosawa verhält im Schritt und wendet sich mir zu:
„Das ist ein uralter Haiku! Den kennen Sie, Mister Stoltzfus?!“

Ich nicke lächelnd und meine:
„Man nimmt an, dass der Autor ein gewisser Matsuo Bashoo ist, der in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts gelebt hat. Im Kiyosumi Garden in Tokyo soll es ein Denkmal geben.“

Sie spaziert weiter und meint nachdenklich:
„Möchten Sie das Denkmal einmal sehen, Mister Stoltzfus? Es gibt auch noch eine andere Übersetzung des Haikus. Sie lautet:
‚Der alte Weiher:
Ein Frosch springt hinein.
Oh! Das Geräusch des Wassers.‘“

Nun kann ich nicht anders als ihr zu sagen:
„Ich würde alles für Sie tun, Miss Oosawa.“

Wir erreichen den Cherry-Walk. Leider ist die Zeit der Kirschblüte vorbei. Eine Bank am Wegrand lädt zur Rast ein. Miss Oosawa nähert sich der Bank und ich folge ihr. Von hier haben wir einen wunderbaren Blick. Nach einer Weile äußert sich meine Begleiterin:

„In ihrer Nähe fühle ich mich sicher und geborgen, Mister Stolzfus.“

Ich wende ihr meinen Blick zu. Sie lächelt mich strahlend an. Nach einer Weile frage ich sie:
„Wollen wir weitergehen, Miss Oosawa?“

Wir machen die Runde des Cherry-Walk zu Ende, gehen am See entlang und haben bald den Ausgang erreicht. Anschließend gehen wir wenige Minuten die Washington Avenue entlang, ein paar Schritte am Brooklyn Museum vorbei und erreichen das Shane’s Café, wo wir eine Kleinigkeit essen. Danach bringe ich sie zu ihrem Appartement und verabschiede mich von ihr mit den Worten:

„Heute war ein wunderschöner Tag, den ich mit Ihnen verbringen durfte!“

Sie antwortet:
„Genauso empfinde ich auch…“

Nun macht sie einen großen Schritt und schließt die Eingangstür des Appartement-Komplexes hinter sich. Bevor sie zum Aufzug geht, lächelt sie mir zu und winkt. Ich mache mich nun auch auf den Heimweg.

*

Wir sind jetzt etwa ein Jahr locker befreundet. Ich kann auf einige schöne Momente in der Zeit zurückblicken. Das herausragendste Moment ist wohl unser gemeinsamer Abendspaziergang gewesen. Der Sonnenuntergang ist farbenfroh und je tiefer die Sonne am Horizont steht, desto deutlicher kann man den bleichen Mond am Himmel sehen. Jetzt habe ich zu Miss Oosawa gesagt:

„Der Mond leuchtet so schön.“
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Do Jul 07, 2022 9:45 am

Wir sind nebeneinander her gegangen und haben uns an den Händen gehalten.

„Schau den Blütenzweig!
In jedem Blatt der zarten Blüten
schlummert hundertfach
ein liebes Wort aus unruhiger Brust!“
ergänze ich noch.

Sie schaut lächelnd zum Mond empor und lehnt sich einen kurzen Moment bei mir an. Dabei antwortet sie mir flüsternd:

„Ich habe großes Vertrauen zu dir, Mister Stoltzfus. Ich hätte gern, dass du euer ‚weiches Patriarchat‘ in unsere Beziehung einbringst.“

Das bestätige ich ihr. Nun fühle ich mich auch ermutigt, sie zu fragen:
„Ich werde uns zu unserem Wohl zu führen wissen, Miss Oosawa. Dürfte ich auch deinen Vornamen erfahren?“

Sie wendet mir ihren Kopf zu und antwortet:
„Ich heiße Sayuri.“

„Mein Name ist Elia,“ antworte ich.

Sicher kennt sie meinen Namen aus den Gesprächen in meinem Elternhaus, hat ihn aber bisher noch nie ausgesprochen. Ihren Vornamen hat sie dagegen gehütet wie ein Staatsgeheimnis. Dass sie ihn mir nun genannt hat, bedeutet, dass sie „Ja“ sagt zu einer offiziellen Beziehung zwischen uns. Mein Herz hüpft. Das habe ich mir schon lange gewünscht.

Allerdings gibt es noch kleinere Schwierigkeiten zu umschiffen. Ich möchte nicht, dass Sayuri in das strenge Regelwerk der Amish eingebunden wird, also fällt der Religionsunterricht und die Erwachsenentaufe weg. Sie hat mir auch erklärt, wie eine Hochzeit in Japan abläuft. Die Heirat im Shinto-Ritus ist mit dem Trinken von Alkohol verbunden. Ich lehne Alkohol und Nikotin ab.

Wir haben wohl die Möglichkeit christlich zu heiraten. Anschließend folgt aber der traditionelle Hochzeitsempfang. Dieser würde ohne meine Eltern und Verwandten stattfinden, da sie nicht in ein Flugzeug steigen. Sayuri ermuntert mich nun mit ihr nach Japan zu fliegen, damit sie mich ihren Eltern vorstellen kann. Fast 6800 Meilen und über 13 Stunden in der Luft stehen mir also bevor. Sie hat ihren Studienabschluss in der Tasche und möchte nicht, dass ihre Eltern noch mehr Geld für sie ausgeben müssen. Also habe ich mich zu der Reise in das fremde Land durchgerungen. Ich will Sayuri schließlich nicht verlieren.

An unserem Abflugtag fahren wir mit der Metro zum John F. Kennedy International Airport in New York. Wir lassen die Formalitäten geduldig über uns ergehen und dürfen zwei Stunden später das Flugzeug besteigen. Für mich sieht es aus wie in einem übergroßen Zugabteil. Bald haben wir unsere Sitze gefunden und machen es uns bequem.

Sayuri reicht mir einen Kaugummi, den ich dankend annehme. Ein ‚Ping‘ ertönt und die Flugbegleiter gehen herum, um nach den Fluggästen zu schauen. Sayuri hat mir erklärt, dass ich mich anschnallen muss und macht es gleich selbst. Ich schaue es mir bei ihr ab und als die Flugbegleiterin bei uns angekommen ist, lächelt sie uns nur zu, um sich gleich den nächsten Passagieren zuzuwenden.

Ich werfe einen Blick aus dem Fenster und sehe, dass das Flugzeug mit hoher Geschwindigkeit über die Piste rast, während der Kabinenboden vibriert. Plötzlich kippt das Flugzeug in einem irren Winkel vorne hoch, so dass ich in den Sitz gedrückt werde. Nach einigen Minuten kippt das Flugzeug wieder in die normale Lage zurück.

Wieder höre ich ein ‚Ping‘ und ein kleines Leuchtfeld mit einer angeschnallten Person erlischt. auch gehen die Flugbegleiter wieder herum. Sie fragen, ob jemand etwas zu essen wünscht und ob es besondere Wünsche zu beachten gilt. Ich orientiere mich an Sayuri und bestelle ein Getränk und etwas Leichtes zu essen.

Nach dem Essen schaue ich mir mit Sayuri ein Video an, in dem besondere Verhaltensweisen der Menschen in Japan erklärt werden. Danach sind wir müde und schlafen bald ein. Als ich wieder wach werde, sehe ich Sayuri noch selig schlummern. Ich schaue aus dem Kabinenfenster und erkenne außer einigen weißen ‚Schäfchenwolken‘ nur blau. Wo die Trennungslinie zwischen Himmel und Ozean ist, lässt sich in meinen Augen nicht sagen.

Ich schalte wieder den Bildschirm vor mir ein und suche mir ein anderes interessantes Video. Irgendwann sehe ich wieder einen Flugbegleiter auftauchen und ordere einen Kaffee. Dann, Sayuri ist inzwischen ebenfalls wach, ertönt erneut ein ‚Ping‘ und das Leuchtfeld mit der angeschnallten Person beginnt zu leuchten.

Die Flugbegleiter kontrollieren, dass wir angeschnallt sind. Anschließend erlebe ich eine professionelle Landung. Wir sind am Ziel, Tokyo International Airport. Nachdem wir das Flugzeug verlassen haben, führt mich Sayuri zu der Ankunftshalle. Dort warten wir die Gepäckabfertigung und die Kontrolle unserer Papiere ab.

Gut zwei Stunden später, mit der reinen Flugzeit beträgt unsere Reisezeit nun schon 17 Stunden, fahren wir mit der Keiku-Flughafenlinie etwa 12 Meilen bis in Tokyos Innenstadt. Am Bahnhof Shinagawa steigen wir in die Ringbahn Yamanote Line. Von dort geht es mit einer Ein-Schienen-Bahn hoch über dem Niveau der Straßen in den Stadtbezirk, in dem Sayuris Eltern wohnen.

Unsere Reise hat Sayuri ihren Eltern schon angekündigt, so dass sie auch über ihre Begleitung durch mich informiert sind. Die Bahnen fahren in einem vierminütigen Takt und was mich erfreut ist die Geduld der Japaner. Auch ihr Respekt und die Höflichkeit beeindrucken mich. Sie stehen am Bahnsteig in Einer-Reihen hintereinander, exakt da, wo sich bei haltendem Zug die Türen öffnen. Nun betreten sie gesittet einer nach dem anderen die Wagen und suchen sich einen Sitz- oder Stehplatz.

Sayuri fordert mich vor einer Haltestelle auf, mich zum Aussteigen bereitzumachen. Als die Einschienen-Bahn hält und die Türen geöffnet werden, steigen die Menschen genauso gesittet aus, wie sie eingestiegen sind. Wir reihen uns ein und befinden uns kurz darauf auf dem überdachten Bahnsteig. Um auf das Straßenniveau herunter zu kommen nutzen alle die rechte Seite der Treppe. Anschließend gehen wir über den Bürgersteig auf eine Wohnbebauung zu und passieren dabei einen Tennisplatz.

An der Wohnanlage angekommen, führt mich Sayuri zu einer Außentreppe. Wir halten uns beim Hinaufgehen hintereinander an der rechten Seite, die Mauer entlang. Plötzlich kommt uns von oben eine Frau mit einem vollen Wäschekorb entgegen. Nun entspannt sich ein kurzes Gespräch auf der Treppe, mit gegenseitigem Anlächeln und vielen Verbeugungen.
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Sa Jul 09, 2022 9:51 am

Nachdem uns die Frau passiert hat, wofür wir uns mit dem Rücken zur Mauer gedreht haben, erklärt mir Sayuri:

„Das war Kaji-San, eine Nachbarin, die schon seit meiner Kindheit über uns wohnt.“

Schließlich haben wir eine Haustür erreicht. Sayuri zückt ihr Schlüsselbund und öffnet die Tür. Nachdem sie mich eingelassen und die Tür wieder zugedrückt hat, schlüpft sie aus ihren Schuhen. Sie ruft in die Wohnung hinein:

„Konbanwa. Tadaima -Guten Abend. Ich bin zuhause!“

Ich mache es Sayuri gleich und wechsele auch mein Schuhwerk. Die Schuhe werden mit den Spitzen in Richtung Tür auf ein niedriges Gestell abgestellt. Nun schlüpfen wir in Schlappen, die an der Tür bereitstehen. Inzwischen ist eine ältere Frau nähergekommen und begrüßt uns herzlich. Leider kann ich kein Wort verstehen, aber Sayuri hat mich mit der Gestik vertraut gemacht, so dass ich zumindest ahnen kann, um was es geht.

Auch ich verbeuge mich, als meine Freundin auf mich zeigt. Dabei halte ich meine Hände an der seitlichen Hosennaht. Allerdings bleibe ich beim Englischen, denn mein Japanisch ist noch nicht gut ausgeprägt:

„Good evening, Mrs. Oosawa.“

Sie tritt nun zur Seite, sagt etwas und weist mit der nach oben offenen Handfläche der ganzen Hand tiefer in die Wohnung. Sayuri führt mich in den Washitsu -Hauptraum-, wo ein älterer Herr im Schneidersitz an einem niedrigen Tisch, dem Chabudei, sitzt und uns entgegenschaut.

Sofort verbeugt sich Sayuri wieder und erklärt ihrem Otou-San -Vater- wer ich bin. Wieder verbeuge ich mich, nachdem sie auf mich weist und begrüße den Hausherrn lächelnd:

„Good evening, Mister Oosawa. Nice to see you.“

Er lächelt mich auch an und weist mir einen Platz am Tisch zu. Ich lasse mich dort ebenfalls im Schneidersitz nieder. Währenddessen ist Sayuri ihrer Mutter in die Küche gefolgt. Kurz darauf kommen beide mit zwei vollgeladenen Tabletts näher und räumen die Speisen von den Tabletts auf den Tisch. Ich erhalte von meiner Freundin eine Gabel, während die Familie ihre Hashi -Stäbchen- zückt.

Unvermittelt beginnt Herr Oosawa ein Gespräch auf Englisch:
„Meine liebe Tochter hat uns berichtet, dass sie zur Volksgruppe der Amish in den USA gehören. Wir Japaner haben von den Amish gehört und bewundern ihre Lebenseinstellung!“

Ich weiß nun nicht recht, was ich antworten soll und lächele meinen Schwiegervater in spe unsicher an.

Plötzlich fragt Herr Oosawa:
„Wie stellen Sie sich die schulische Erziehung ihrer Kinder vor, Mister Stoltzfus?“

Ah, das ist ein Thema, auf das mich Sayuri vorbereitet hat. Also antworte ich ihm:
„Wenn ich hier in Japan eine kleine Firma gründen könnte, die so viel Gewinn abwirft, dass wir als Familie davon leben können, werde ich meine Kinder in die staatliche Schule schicken und später ein Polytechnikum machen lassen. Einerseits sollen sie in die Abläufe der Firma hineinschauen, mittels einer Ausbildung, und begleitend eine weiterführende schulische Ausbildung machen, die den Fortbestand der Firma sichert.“

Herr Oosawa ist meinen Ausführungen kopfnickend gefolgt. Nach weiteren Bissen ist ihm wohl eine neue Idee gekommen, denn nun fragt er:

„Wie sehen Sie das Verhältnis von Frauen zu ihren Ehemännern?“

Ich schlucke schnell den Bissen hinunter und antworte kopfnickend:
„Bei uns hat jeder seinen eigenen Bereich. Zwar können sich die Bereiche manchmal überschneiden, dennoch kümmert sich die Frau eher um den Haushalt und die Erziehung der Kinder. Der Mann sorgt sich um das Familieneinkommen und spricht sich mit den Familienmitgliedern ab, was getan werden muss, so dass jeder weiß was zu tun ist. Die Amish leben in einem ‚weichen Patriarchat‘. Es kann diskutiert werden, aber wenn dann der Mann seine Entscheidung bekannt gibt, halten sich alle daran. Ihre verehrte Tochter hat mir berichtet, dass das Leben in Japan kaum anders ist. Hier wie dort ist die Frau keine Dienerin, sondern wenn man den Mann mit einem König vergleichen würde, wäre sie die Königin. Ohne die Frau geht es bei den Amish, wie bei den Japanern wohl nicht. Sie hält alles zusammen.“

Herr Oosawa hat, während ich gesprochen habe, immer wieder „Hai, hai, hai -Ja, ja, ja-“ gesagt und mit dem Kopf genickt. Nun fragt er, kaum dass ich geendet habe:

„Wer verwaltet die Familienfinanzen?“

Ich nicke und antworte:
„Bei den Amish wird gemeinsam darüber gesprochen, was angeschafft werden muss, und daraus wird ein Budget entwickelt, an das sich beide halten. Ich hörte von ihrer verehrten Tochter, dass der japanische Mann seiner Frau sein Gehalt aushändigt. Er bekommt ein Taschengeld mit dem er seine Ausgaben bei Firmenfeiern bestreiten kann. Den Rest des Geldes verwaltet sie. Ich denke, ich würde nach der Hochzeit mit einer japanischen Frau einen Kompromiss suchen. Ich bin es gewohnt, dass das amische Familienoberhaupt die Führung innehat. Das würde ich weiterhin tun. Allerdings ohne einen Streit zu provozieren. Streit gehört nicht zur amischen Kultur, wie es in der englischen Kultur üblich ist, wo die Ehen meist am Geld scheitern. Ich würde mir die Argumente der Frau anhören, mir ihren Budgetplan anschauen und zumeist wohl in ihrem Sinne entscheiden. Sie haben schon einmal von dem Begriff der ‚Gelassenheit‘ in der amischen Kultur gehört?“
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Mo Jul 11, 2022 9:58 am

Wir haben inzwischen unsere Schüsseln geleert. Da nun Herr Oosawa seine Schüssel an den Mund hebt und die Brühe schlürfend leert, mache ich ihn nach. Kurz darauf erheben sich die Frauen aus ihrem Kniesitz und räumen den Tisch ab. Nun bringen sie Tee und Teegebäck auf den Tisch.

Herr Oosawa fragt mich jetzt:
„Meine ehrenwerte Tochter hat ein Studium an einer teuren Universität mit Bravour abgeschlossen. Wie stehen Sie dazu, Mister Stoltzfus?“

„Ich weiß davon,“ antworte ich ihm lächelnd. „Um hier in Japan Fuß zu fassen, ist es mein Bestreben, nicht nur eine Firma für Schiebe-Fenster und -Türen zu gründen, sondern auch Praxisräume für Psychotherapie. So steht unsere Existenz auf zwei Beinen und damit viel sicherer. Wie sich beide Standbeine in Zukunft entwickeln, muss man sehen, und seine Entscheidungen danach ausrichten.“

„Das ist ein guter Plan!“ lobt er mich nun und macht aus Daumen und Zeigefinger einen Ring, den er zum Mund führt, während er Mrs. Oosawa anschaut.

Sie erhebt sich und bringt kurz darauf ein kleines Tablett mit zwei Schalen und einem schlanken Krug zum Tisch. Ich erhalte eine kleine Schale und vor den Hausherrn stellt sie eine zweite Schale und den Krug. Dieser gießt mir und sich nun eine durchsichtige Flüssigkeit ein. Dann hebt er seine Schale und sagt:

„Kanpai -Prost-!“

Ich erhebe meine Schale an den Mund und nippe an der Flüssigkeit. Sie hat einen samtigen Abgang und wärmt den Körper. Man hat mir also Alkohol ausgeschenkt. Das bin ich nicht gewohnt. Außerdem haben wir einen langen Tag hinter uns. Ich schaue Sayuri gequält an. Sie übernimmt nun die Initiative und sagt etwas in Japanisch zu ihren Eltern. Dann erhebt sie sich und verbeugt sich vor ihnen.

Ich mache es ihr gleich und folge danach Sayuri in ein Zimmer. Dort legt sie eine japanische Matratze -Futon- auf den Boden und gibt ein Laken und eine Decke darauf. Danach zeigt sie mir ein japanisches Nachtgewand -Yukata- und zieht sich ebenfalls um.

Bevor wir einschlafen, verspricht sie mir, dass sie das Thema ‚Sake‘ bei ihrer Mutter ansprechen will. Sie rät mir aber auch, mich allmählich an das Getränk zu gewöhnen. Ich brauche ja nur daran zu nippen. Jedenfalls begleitet das Getränk fast jeden vertraglichen Abschluss. So ist es auch Teil der Hochzeitszeremonie.

*

Sollte Mister Oosawa an meinem ersten Abend bei den zukünftigen Schwiegereltern verstimmt über den Abbruch des Gesprächs gewesen sein, so konnte Sayuri die Wogen glätten. Mister Oosawa hat mich jedenfalls nicht mehr zum Trinken aufgefordert. Dennoch werde ich in Japan kaum darum herumkommen, ab und zu an einer Schale oder einem Becher Sake zu nippen.

Am nächsten Morgen überreiche ich meinen zukünftigen Schwiegereltern die Geschenke, die zu Yuino gehören, der Verlobungszeremonie. Wir haben sie noch am Flughafen gekauft. Eigentlich tauschen die Eltern des Brautpaares die Geschenke während der Zeremonie einander aus. Wir wollen die Geschenke meiner Schwiegereltern meinen Eltern in einem Luftpostpaket zusenden und einen erklärenden Brief beilegen.

Nun organisiert mein zukünftiger Schwiegervater den Ablauf der Hochzeitsfeierlichkeiten. Wir lassen uns persönliche Siegel anfertigen, die wir auch im Geschäftsleben gebrauchen können. Mister Oosawa nimmt unsere Siegel mit auf das Standesamt, um damit das staatliche Dokument zu besiegeln. Der Erzbischof von Tokyo Tarcisio Isao Kikuchi erhält eine hohe Spende und gibt danach einen Termin in der Hijirimaria taiseidou -Kathedrale St.Marien- bekannt.

Sayuri und ich sind am Hochzeitstermin in ein Hochzeitshaus gefahren. Ich habe ein traditionelles Gewand erhalten, das aus einer weiten faltenreichen grauen Hose besteht, darüber ein weißes Hemd und eine oberschenkellange dunkle Jacke. Die Braut ist in einen mehrlagigen weißen Kimono gehüllt worden. Stylistinnen haben ihr Haar aufgetürmt und eine Haube aufgesetzt. Später im Hotel erhält sie noch einen bunten Hikifurisode in der Grundfarbe Rot für den Empfang und die Partys. Bei der abschließenden Party im Kreis der Familie tragen wir wieder Zivil und die Gewänder gehen an das Hochzeitshaus zurück, da sie nur gemietet wurden.

Entsprechend der Spendensumme werden außer dem Erzbischof selbst, weitere Priester teilnehmen und der lateinische Ritus durchgeführt. Die Liturgiesprache ist allerdings Japanisch, so dass Sayuri mir übersetzen muss. Mister Oosawa hat deshalb den lateinischen Ritus gewählt, weil das Hochamt inklusive Trauungszeremonie dann über zwei Stunden lang ist. Wahrscheinlich hat Sayuri ihrem Vater erzählt, dass der amische Gottesdienst nicht unter drei Stunden dauert.

Wir ziehen also in die Kathedrale ein und ich schaue mich erstaunt um. Die Gottesdienste der ‚englischen‘ Katholiken in den USA sollen gerade einmal 30 bis 40 Minuten dauern, haben mir Arbeitskollegen berichtet. Auch sind die Kirchenbänke regelmäßig nur spärlich besetzt, haben sie gesagt. Die Kathedrale scheint heute aus den Nähten zu platzen. Ich sehe Kopf an Kopf, als ich mich verstohlen umblicke. Im Vorraum des Altars steht eine Bank, auf die wir zusteuern.

Beim Einzug des Bischofs und der Priester stimmt die Gemeinde hinter uns ein Lied an:
„Avu emaria, avu emaria jiai ni michita, jiai ni michita, jiai ni michita… - Ave Maria, Ave Maria voller Nächstenliebe, Wohltätig, Wohltätig…“

Sie singen dieses und alle weiteren Kirchenlieder voller Inbrunst und bis alle Strophen jeweils vorgetragen sind. Dazwischen beten die Menschen andächtig. Schließlich tritt der Bischof vor und fragt uns nacheinander die Frage aller Fragen, um dann die Ringe zu segnen und dabei zu sein, wenn wir uns die Ringe gegenseitig anstecken. Anschließend segnet er uns.

Nun folgen die Gabenbereitung, Kommunion und Aussendung, ebenfalls mit vielen Gebeten und Liedern in die Länge gezogen. Anschließend klatscht die Gemeinde, als wir das Gotteshaus verlassen. Bevor wir in bereitstehende Autos einsteigen, verabschiedet sich der Bischof von uns auf Englisch und wünscht uns Glück für unsere Zukunft.

Wir werden nun zum Rikugi-en Park in der Nähe gefahren, wo ein Fotograf auf uns wartet, um einige schöne Erinnerungsfotos zu schießen. Danach geht es zu einem Hotel, in dem Mister Oosawa mehrere Säle gemietet hat. Dort beginnt nun der Hochzeitsempfang von 90 Minuten Dauer, geführt von einem bezahlten Moderator. Die teilnehmenden Gäste haben alle eine entsprechend teure Eintrittskarte erstanden. Hochzeitsgeschenke gibt es stattdessen keine.
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Mi Jul 13, 2022 10:15 am

Anschließend werden noch verschiedene Partys angeboten, an denen die Gäste teilnehmen, die altersgemäß zueinander passen. Das ist eine gute Gelegenheit für sie, einander kennenzulernen. Wir wechseln nun von Raum zu Raum, um uns überall kurz blicken zu lassen. Danach folgt eine weitere Party, nur für Familienangehörige. Erst jetzt haben wir Gelegenheit uns an den Speisen zu stärken. Es wird weit nach Mitternacht bis wir uns in einem Hotelzimmer zurückziehen und ausruhen können.

*

Anfangs haben wir überlegt, wo wir unsere Geschäftsräume und Werkstatt gründen sollen. Ich bin der Meinung gewesen, dass eine Werkstatt auf dem Land mehr Kunden findet, da die Häuser dort mehrheitlich aus Holz erbaut sind und meine hölzernen Schiebetüren dort höheren Absatz finden. Sayuri argumentiert dagegen, dass ihre Kundschaft eher aus den großen Städten kommt. Also müssten wir uns trennen und könnten uns nur selten sehen. Das will ich auch nicht. Aber wie etabliert man einen Handwerksbetrieb in einer Mehrmillionenstadt wie Tokyo?

Sie bringt mich auf die Idee, meine Firma ‚Amisches Handwerk‘ zu nennen, auf Englisch ‚Amish Craft‘ oder ‚Aamisshukurafuto‘ auf Japanisch. Nun soll ich einen japanischen Geschäftsführer einstellen, der die geschäftlichen Verhandlungen mit potentiellen Kunden führt. So sehen die Kunden nicht gleich den Gajin -Fremden- und sind weniger zurückhaltend. Auch soll ich ein Dutzend Schulabgänger als Auszubildende einstellen, denen ich meine Art zu arbeiten beibringe. Im Laufe der Zeit könne ich immer mehr Familienfreizeit nehmen. Ich würde nur noch die Qualitätskontrolle in meiner Hand behalten.

Sayuri eröffnet Oosawa Shinri ryouhou -Oosawa Psychotherapie- und stellt anfangs zwei Praxishelferinnen ein. Später kommen noch zwei Psychotherapeutinnen hinzu. Sie selbst übernimmt nur noch den kaufmännischen Teil ihrer Praxis.

Eines Tages kommt eine junge Dame mit einem Problem zu ihr. Sie berichtet, dass ein hoher Beamter ihr Sayuris Praxis empfohlen hat. Sie leide an einer Depression. Natürlich kümmert sich Sayuris Praxis um die Dame aus dem japanischen Kaiserhaus. Dafür muss die Mitarbeiterin oft in den kaiserlichen Palast kommen.

Meine Auszubildenden haben ihre Prüfung mit Bravour geschafft. Die Handwerker, wie sie sich jetzt nennen dürfen, sind daran gewöhnt hohe Qualität abzuliefern. Ich kann bei meinen Kontrollen kaum etwas beanstanden. Mein Geschäftsführer berichtet mir eines Tages, dass ein Beamter des Kunai-choo -kaiserlichen Hofamtes- ihm seine Aufwartung gemacht hat.

Er hat den Auftrag erhalten einige Regentüren des Palastes auszutauschen. Auf die Festlegung eines Preises hat er angesichts des Palastes verzichtet. Wochen später ist die zehnfache Summe der eigentlichen Reparatur auf unser Konto eingegangen. Von da an kommen immer wieder Aufträge des kaiserlichen Hofamtes bei uns an.

Wir haben ein Drei-Zimmer-Appartement von den Gewinnen beider Firmen kaufen können. Unsere Firmen besuchen wir nur noch stundenweise. Oft besuchen wir unsere Schwiegereltern, die sich über den Erfolg unserer Firmen freuen.

– Ich habe manchmal den Verdacht, dass der rippana Gifu-San -ehrenwerte Schwiegervater- dabei seine Finger im Spiel hat. Möglicherweise hat er Beziehungen bis in höchste Ebenen. –

*

Ich komme gerade wieder einmal aus der Firma nachhause. Nachher will ich in meinen Hobbyraum. Eins der Zimmer haben wir zu einer Holzschnitzer-Werkstatt umgebaut. Danach habe ich mir einen Katalog von Skulpturen gekauft, die sich in Japan großer Beliebtheit erfreuen. Schließlich habe ich damit begonnen, die Skulpturen nachzuschnitzen. Darüber vergehen die Stunden und Tage zuhause, so dass ich Sayuri bei ihrer Hausarbeit nicht zur Last falle.

Heute ist irgendetwas anders. Mein Koibito -Schatz- empfängt mich freudestrahlend, als ich die Wohnung betrete. Sie nimmt meine Hand und führt mich in den Washitsu -Hauptraum. Der Chabudei -Tisch- ist festlich eingedeckt und das Wohnzimmer geschmückt. Ich frage sie erstaunt:

„Ist heute ein besonderer Tag, Koibito -Schatz-? Habe ich etwas verpasst?“

Sie lächelt mich an und gibt mir einen Kuss. Dann meint sie:
„Warte bitte, das Essen ist gleich soweit, Herr Geschäftsführer.“

Schließlich bringt sie ein Tablett mit vielen Schüsseln aus der Küche an den Tisch. Sie geht mir gegenüber in den Seiza -Kniesitz- und beginnt, mir ein Abendessen auf einer Schale anzurichten. Ich bedanke mich und warte, bis sie sich ebenfalls aus den Schüsseln bedient hat. Dann nehme ich meine Hashi -Stäbchen- in die Hand. Im Laufe der vergangenen Jahre bin ich fast zum Japaner mutiert. Nun schüttet sie Orangensaft in zwei Weingläser und füllt sie mit kohlesäurehaltigem Wasser auf. Sie hebt ihr Glas an und schaut mir liebevoll in die Augen. Ich hebe nun auch mein Glas, gespannt darauf, was sie mir sagen möchte.

„Etwas wunderbares ist geschehen, Eriya,“ erklärt sie mit strahlendem Lächeln. „Ich bin schwanger!“

Ich lasse sogleich meine Stäbchen fallen, fasse ihre Hände über den Tisch und - bekomme kaum ein Wort über die Lippen. Stammelnd sage ich mit glücklichem Gesicht:

„Das… das ist wundervoll!“

Spontan drücke ich ihre Hände. Nach dem Essen räume ich zusammen mit ihr den Tisch ab und bringe das Geschirr und Besteck in die Küche, um es in die Spülmaschine zu stellen. Danach setzen wir uns noch mit Tee aneinander gelehnt vor den Fernseher.

Nach ein paar Minuten frage ich neugierig:
„Was denkst du?“

Sayuri schaut mich an und fragt zurück:
„Worüber?“

Ich lege meine Hand sanft auf ihren Bauch und frage:
„Junge oder Mädchen?“

Sie lächelt und rät intuitiv:
„Ich glaube, es wird bestimmt ein Junge.“

Ich beuge mich ihrem Mund entgegen, küsse sie liebevoll und antworte: „Warum meinst du?“

Sayuri schaut lächelnd zu mir auf und antwortet:
„Die Intuition einer Mutter. Was denkst du?“

„Ob Junge oder Mädchen… Beide sind willkommen und können unsere Liebe erwarten!“ antworte ich ausweichend.

Ich küsse sie leidenschaftlich und flüstere:
„Für dich will ich alles tun!“

Sie lächelt mich an und antwortet herzlich:
„Ich fühle mich geborgen bei dir!“

Bald darauf gehen wir zu Bett. Ich streiche ihr sanft über den Bauch und küsse sie wiederholt.

„Gute Nacht, Liebes,“ wünsche ich ihr nun.

Sie lächelt mich liebevoll an und antwortet:
„Gute Nacht, Herr Geschäftsführer."

Als Sayuri etwa im vierten Monat schwanger ist, spreche ich die Namensgebung an. Ich frage sie:
„Welchen Namen würdest du unserem Kind geben wollen?“

„Was hältst du von einem japanischen Namen?“ fragt sie zurück, mich prüfend anschauend.

„Das wäre schön,“ sinniere ich. „Gibt es christliche Namen auf Japanisch?“

„Yohane ist ein Jungenname, Marian’nu bedeutet Marianne. Jiman no ashi bedeutet dein Familienname übersetzt. Das kann man zusammenziehen zu Jimashi. Zu dem christlichen Namen setzt man noch einen japanischen. Was hältst du von Tarou -Erstgeborener- und Inori -Gebet- für ein Mädchen.“

„Das sind schöne Namen, Liebes. Aber warum soll ich ‚Stoltzfus‘ japanisieren?“

„Wegen deiner Kinder, Herr Geschäftsführer! Damit sie später in der Schule akzeptiert werden. Aber lass mich mal machen. Ich rede mit dem rippana Otou-San -ehrenwerten Vater, und der kümmert sich darum.“

Ich nicke. Man muss an so vieles denken, wenn man ein Kind erwartet!

*

Als einige Jahre nach unserer Hochzeit meine Regel ausbleibt, gehe ich zu meinem Frauenarzt. Er untersucht mich, indem er einen Ultraschallstab einführt, um nachzuschauen, ob sich eine Eizelle in der Gebärmutter eingenistet hat. Danach eröffnet er mir die frohe Botschaft:

„Stoltzfus-San, Sie erwarten ein Kind!“

Er zeigt mir am Bildschirm seines Ultraschall-Gerätes die Blase und anschließend muss ich an der Rezeption 2000 Yen zahlen, weil ich eine japanische Krankenversicherung besitze. Ich verlasse die Praxis in Hochstimmung unter vielen Verbeugungen.
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Do Jul 14, 2022 9:45 am

Unterwegs überlege ich, welche Vorräte ich zuhause habe und welche Lebensmittel ich noch brauche, um für den Shachoo -Geschäftsführer/Boss- und mich ein Festessen zu kochen. In der Station eines Einkaufszentrums auf meinem Nachhauseweg verlasse ich die Hochbahn und betrete einen Kombini -Supermarkt.

Kaum öffne ich die Tür des Geschäftes, schallt mir ein „Irasshaimaaaaaase“ -Willkommeeeeeen- entgegen, gefolgt von einem „Goran, kudasai“ -Bitte, schauen Sie sich um-. Ich nehme mir einen roten Korb von der Spitze des Stapels und wandere durch die Gänge mit den Warenregalen. Dabei begegne ich verschiedenen Angestellten, die damit beschäftigt sind, die Regale aufzufüllen. Von Jedem werde ich mit einem freundlichen Willkommen begrüßt. Nehme ich mir etwas aus einem Regal, um es in den Korb zu legen, kommentiert das der Angestellte, der das mitbekommt mit einen „Arigatoooou“ -Danke sehr-.

Schließlich denke ich, dass ich alles habe, um den Shachou heute Abend zu überraschen. Ich gehe zur Kasse und warte geduldig bis ich an der Reihe bin. Nun stelle ich meinen roten Korb links der Kasse ab. Der Angestellte, der hinter der Kasse steht, nimmt jedes einzelne Produkt aus meinem Korb, scannt es mit einem Handscanner und legt es in einen grünen Korb rechts der Kasse. Danach zahle ich den angezeigten Betrag per Karte und nehme den grünen Korb hinüber zur Packstation. Dort packe ich meinen Einkauf in eine mitgebrachte Einkaufstasche und verlasse den Kombini. Dabei wird mir hinterher gerufen: „Arigatou gozaimashita. Mata o-koshi kudasaimase. -Vielen Dank. Bitte beehren Sie uns bald wieder mit ihrem Besuch.-“

Wenig später bin ich zuhause und verstaue die Einkäufe. An meinem Tablet trage ich die Einkäufe ein, um einen Überblick über meine Ausgaben und den Kontostand zu behalten. Dann beginne ich mit dem liebevollen Dekorieren unserer Wohnung. Anschließend bereite ich das angedachte Festessen zu.

Meine Überraschung ist mir gelungen. Der Shachou ist ‚ganz aus dem Häuschen‘ und seitdem behandelt er mich des Öfteren wie ein ‚rohes Ei‘. Ist er sonst schon sehr respektvoll zu mir, achtet er nun sehr auf mich, wenn er zuhause ist. Die weitere Vorgehensweise bei der Schwangerschaft darf er gerne vertrauensvoll in meine Hände legen, da ich die entsprechenden Verhaltensregeln hier in Japan besser kenne.

Was ist Glückseligkeit?

Ein Zustand. Perfekt.

Ein Gefühl. Nichts, aber auch rein gar nichts, erscheint störend oder negativ. Wenn die Sonne scheint, ist es nicht heiß, sondern angenehm warm. Wenn es regnet, ist es nicht nass, sondern schön kühl und erfrischend. Die Bedürfnisse reduzieren sich auf den einzigen Wunsch, dass sich an dem Zustand nichts ändern möge. Die Welt hört auf, sich zu drehen.

So erlebe ich die Zeit, die nun folgt.

Klar, plagen mich während der folgenden Monate der Schwangerschaft auch Zweifel und Ängste. Aber mein Shachou weiß mich immer wieder aufzurichten. Er ist mir eine Stütze, wenn ich das brauche. Er sorgt dafür, dass ich wieder lachen muss. Wenn das einmal nicht klappt, nimmt er mich an die Hand und macht mit mir einen Ortswechsel, der mich auf andere Gedanken bringt. Er ist mein Saiai no hito -Liebster-!

Ich spreche meine beste Freundin an. Akiyama-Sans Tochter geht seit kurzem in den Kindergarten. Sie berät mich bei der Auswahl der Klinik. In den nächsten Tagen fahre ich dorthin, zeige den Befund meines Frauenarztes vor und reserviere nach einer weiteren Untersuchung einen Geburtsplatz. Ich habe Glück. Die Klinik hat für den errechneten Termin einen Platz frei. An der Anmeldung entrichte ich die Reservierungsgebühr von 20.000 Yen.

Nun erhalte ich feste Termine, an denen ich wiederkommen muss. Es werden verschiedenste Untersuchungen gemacht und jedesmal erhalte ich ein Ultraschallbild, das ich zuhause in ein eigens gekauftes Fotobuch einklebe. Beim Hin- und Herblättern kann man so die Entwicklung unseres Kindes verfolgen.

In der achten Schwangerschaftswoche gehe ich zur Stadtverwaltung und hole mir dort den Mutterpass. Dabei erhalte ich ein Paket mit Büchern, Kleidung, Handtüchern und anderen Babysachen geschenkt. Außerdem macht man mich hier auf Termine für Geburtsvorbereitungskurse aufmerksam. Sie werden kostenlos angeboten. Ich bringe dazu auch den Shachou -Geschäftsführer/Boss- mit. Hierbei lernt man auch andere Schwangere kennen.

In der Zwischenzeit sind wir beide auch schon in der Stadtverwaltung gewesen und haben unseren Familiennamen in Jimashi ändern lassen und neue Personalpapiere erhalten. Der Geschäftsführer heißt jetzt Jimashi Eriya.

Nach der 33. Schwangerschaftswoche werden an der Anmeldung der Klinik die erste Hälfte der voraussichtlichen Behandlungskosten fällig. Ich lasse mittels meiner Karte 400.000 Yen von unserem Konto abbuchen.

Bei den Voruntersuchungen erhalte ich von der Klinik ein Dokument zum Ausfüllen, das ich bis zur 34. Schwangerschaftswoche einreichen muss. Es handelt sich um den Baasupuran -Geburtsplan-. Dort muss ich verschiedene zur Wahl stehende Leistungen angeben. Die Klinik bietet mir auch einen kostenlosen Takushii Saabisu -Taxiservice- rund um die Uhr an für die Fahrt zur Klinik am Geburtstermin. Ebenso ist jetzt allmählich die Zeit eine Tasche mit den Dingen zu packen, die ich während des Klinikaufenthaltes brauche.

Ich habe den Shachou dazu überreden können, mit mir den Meiji-jinguu in Shibuya zu besuchen. Für ihn ist es wie ein Museumsbesuch. Interessiert schaut er sich um. Ich bin aus Traditionsgründen hier, denn in Japan ist es üblich in einem Schrein gemeinsam mit dem Schrein-Priester für eine sichere Geburt zu beten. Jimashi-San hat zugestimmt, wenn wir danach auch zum Gnadenbild der Mutter Maria in der Kathedrale gehen, in der wir geheiratet haben.

Wir gehen zur Anmeldung und ich bezahle 10.000 Yen für die Zeremonie. Nun müssen wir ein Formular mit unseren Namen ausfüllen. Anschließend warten wir bis wir aufgerufen werden. Nun beten wir mit dem Priester zum Kami -göttliches Wesen, das im Schrein verehrt wird- für die sichere Geburt unserer Tochter Marian’nu Inori. Danach überreicht er uns ein paar Geschenke und einen Gürtel für eine sichere Geburt, den ich um meinen Bauch wickeln soll. Gemäß unserer Vereinbarung fahren wir danach zur Kathedrale, setzen uns vor das Gnadenbild und beten das Ave Maria für unser ungeborenes Mädchen.

*

Eines Nachts werde ich wach. Sayuri rüttelt mit angespannter Miene an meiner Schulter.

„Eriya - Eriya, ich glaube wir müssen los. Ich glaube es kommt."

Ich setze mich halb auf, in dem ich mich auf einen Ellenbogen abstütze und schaue verschlafen in ein verschwitztes Gesicht mit großen Augen und sorgevollem Blick. Schlagartig bin ich wach und schnell ziehe ich mich an. Sayuri nimmt in der Zeit ihr Handy auf und wählt die Nummer der Takushii honbu -Taxizentrale-. Man verspricht, dass in wenigen Minuten ein Takushii -Taxi- vor der Tür hält.

Nun nehme ich den bereitstehenden gepackten Koffer in die Hand und helfe Sayuri die Treppe zur Haustür hinunter. Etwa zehn Minuten nach ihrem Anruf steht das Taxi vor dem Haus. Der Fahrer öffnet die Tür. Ich helfe Sayuri auf den Rücksitz, umrunde das Takushii und steige auf der anderen Seite ein. Der Takushii Doraibaa -Taxifahrer- hat auch mir die Tür geöffnet und übernimmt nun den Koffer, um ihn in den Kofferraum zu legen. Mich neben Sayuri setzend helfe ich ihr mit dem Gurt. Anschließend startet der Fahrer den Wagen sanft, um unterwegs zu beschleunigen. Auf meiner Armbanduhr ist es halb vier Uhr in der Frühe.

Sayuri stöhnt von Zeit zu Zeit leise auf. Zum Glück kommen wir einigermaßen gut durch den Verkehr. Tokyo ist hier anscheinend mit New York zu vergleichen: Die Stadt schläft nie. Der Taxifahrer schaut ab und zu in den Innenspiegel und überfährt schon die zweite Kreuzung, bei der die Ampel auf Gelb springt.

Endlich haben wir die Klinik erreicht, die sich Sayuri für die Entbindung ausgesucht hat. Der Fahrer biegt nach links in die Einfahrt ab. Er stoppt den Wagen, öffnet die Fondtüren und nimmt den Koffer aus dem Gepäckraum, während ich Sayuri liebevoll beim Aussteigen helfe. Danach übergibt mir der Fahrer den Koffer und sagt „Domo arigatou -Vielen Dank-. Kooun o -Viel Glück-.“

Auf der Station angekommen, werden die ersten Untersuchungen gemacht. Der Wehenschreiber wird angelegt.

„Der Muttermund ist noch nicht weit genug offen,“ heißt es. „Ansonsten ist alles okay. Gehen Sie mit ihrer Frau noch ein paar Mal den Gang auf und ab.“

Es wird 6 Uhr. Es wird 9 Uhr.

Die Schwestern messen von Zeit zu Zeit Sayuris Werte. Alles im grünen Bereich?

Immer wieder wechseln kurze Untersuchungen mit kleinen Spaziergängen. Zwischendurch muss ich Sayuri öfter festhalten. Sie atmet schwer, wenn wieder eine Wehe kommt.
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Sa Jul 16, 2022 9:38 am

Gegen Mittag soll sie sich hinlegen. Sie kann nicht mehr. Dann um halb zwei Uhr schiebt man sie in einen Nebenraum.

Der Gynäkologe sagt zu mir:
„Sie dürfen ihre Frau gerne begleiten, wenn Sie sich stark genug fühlen!“

Ich ziehe einen Stuhl heran und halte Sayuris Hand. Sie wird aufgefordert zu pressen. Nach einer Weile, in der ich Sayuri ein feuchtes Tuch auf die Stirn legen darf, hält der Frauenarzt ein kleines Bündel in der Hand. Unsere Tochter hat das Licht der Welt erblickt! Sie wird abgenabelt, gewaschen und in warme Tücher gehüllt. Jetzt legt man sie Sayuri in den Arm.

„Schauen Sie, das ist ihre Tochter! Wie soll sie denn heißen?" fragt die anwesende Krankenschwester.

Ich antworte ihr:
„Marian’nu Inori.“

Dabei beuge ich mich über das Baby. Es schaut mich aus dem Frottiertuch neugierig an und streckt mir ein Ärmchen entgegen. Zuerst berühre ich das Händchen glücklich lächelnd mit meinem Zeigefinger. Es fasst beherzt zu und umfasst meinen Finger mit allen Fingerchen ihrer Hand.

Währenddessen fädelt die Schwester ein paar Zeichenwürfel auf und bindet dem Baby den Namen um das Handgelenk. Ich beuge mich über meine erschöpfte, aber glücklich lächelnde Sayuri, gebe ihr einen zarten Kuss und drücke stumm ihre Hand.

„Wir wollen ihre Frau nun auf die Wöchnerinnenstation bringen,“ sagt die Krankenschwester jetzt.

Sayuri wechselt auf ein bereitstehendes Krankenbett und der Arzt öffnet die Tür zum Gang. Die Krankenschwester fährt sie in ein Zimmer, in dem schon eine andere Frau liegt, neben sich ein Babybett. Ich bin ihnen gefolgt.

Nun nehme ich mir einen Stuhl, setze mich neben Sayuri und streichele ihre Wange. Mit dem Zeigefinger der anderen Hand berühre ich vorsichtig Inori-chans Finger. Wieder greift sie danach und steckt sie sich in den Mund. Ich bin glücklich und lasse sie gewähren.

Sayuri muss noch ein paar Tage im Krankenhaus bleiben. Danach soll sie zu Nachuntersuchungen zu ihrem Frauenarzt gehen.

*

Die Geburt empfinde ich als Erstgebärende als schwierig, aber das Personal, Arzt, Hebamme und Krankenschwester strahlen eine solche Ruhe und Zuversicht aus, dass mich das Gefühl ebenfalls trägt. Anschließend bleibe ich noch vier Tage in der Klinik, während mir die Krankenschwestern zeigen, wie ich unser Mädchen am besten stille, wie ich es bade und wickele. Die Schwestern überprüfen auch meine und Inori-chans Vitalwerte.

Der Shachou hat mir am Tag der Geburt beigestanden. Jetzt besucht er mich täglich nach Feierabend und sitzt dann eine Stunde an meinem Bett. Er hat Angst, seiner Tochter weh zu tun, deshalb berührt er sie nur mit den Fingerspitzen und streicht ihr zärtlich über Wange, Schulter und Ärmchen. Die Kleine ergreift forsch mit ihrer kleinen Hand seinen Finger. Ihre Fingerchen umschließen seinen Finger und führen ihn vor ihre Lippen. Flugs steckt sein Finger in ihrem Mund und sie beginnt zu saugen. Er lacht verlegen und zieht den Finger wieder zurück. Ich lächele den Otou-San -Vater- glücklich an.

Beim Verlassen der Klinik bin ich auf mich gestellt, weil der Shachou in seiner Firma ist. An der Rezeption zahle ich die letzte Hälfte der Geburtskosten. Danach trage ich unser Mädchen in einem Tuch liegend unter meiner Jacke zum Takushii noriba -Taxistand- und lasse mich nachhause fahren.

Nachdem ich mich zuhause mit Inori-chan eingelebt habe, mache ich mich mit ihr im Tuch vor meiner Brust liegend zur Stadtverwaltung auf. Innerhalb der ersten zwei Wochen nach der Geburt muss ich sie dort anmelden, weiß ich. Die Beamtin will ebenfalls den Namen unserer Tochter wissen und ich erhalte eine Gutschrift über 420.000 Yen. So hat uns die Geburt nur noch etwa 380.000 Yen gekostet.

Einen Monat nach der Geburt haben wir den nächsten Termin in der Geburtsklinik. Der Frauenarzt kontrolliert noch einmal meine und Inori-chans Werte. In dieser Zeit bekomme ich ebenfalls Besuch von Mitarbeitern der Stadtverwaltung, die sehen wollen, ob es uns gut geht. Ab dem zweiten Monat stehen die ersten Impfungen an. Dafür suche ich mir einen Kinderarzt in der Nähe und frage auch Ariyama-San nach ihren Erfahrungen.

*

Am Abend des Tages als Sayuri mit Inori-chan aus der Geburtsklinik nach Hause gekommen ist, komme ich aus der Firma nachhause und sehe sie in der Küche werkeln. Inori-chan liegt in einem Tuch, wie in einer Hängematte, vor ihrer Brust und schläft selig. Ich umfasse meine Tsuma -Ehefrau- vorsichtig von hinten und drücke meine Wange an ihre.

„Aisuru Hahaoya,“ begrüße ich sie in sanftem Ton. „Liebevolle Mutter!“

Sie lächelt, während sie sich weiter mit der Zubereitung des Essens beschäftigt.

„Saikoo no Otou-San,“ antwortet sie mir. „Bester Vater!“

Ich frage nun:
„Bei den Amish erhält die frischgebackene Mutter vielerlei Hilfestellungen im Haushalt. Entweder sind ältere Töchter da, oder Nichten, die im Haushalt zur Hand gehen, damit die Mutter sich voll und ganz um das Baby kümmern kann.“

„Eine Haushaltshilfe zu beschäftigen wird in Japan nicht gern gesehen, rippana Shachou -ehrenwerter Geschäftsführer. Trotzdem darf das Baby nicht darunter leiden. Also habe ich es am Körper und trage es mit mir überall hin,“ erklärt sie mir.

„Hast du nicht erzählt, dass die beste Stillposition liegend auf dem Futon ist?“

„Ja, dass hat mir die Schwester in den Tagen nach der Geburt gezeigt. Aber die Hausarbeit will auch gemacht werden!“

„Gut, also legst du dich auf einen Futon im Washitsu -Hauptraum- und bewachst Inori-chans Schlaf. So bist du für sie sofort erreichbar, wenn sie aufwacht und Hunger bekommt. Ich werde die liegengebliebene Arbeit abends machen!“

„Anata wa totemo airashiidesu -Du bist so lieb-!“

Sie dreht sich zu mir um und schenkt mir einen zärtlichen Kuss. Während sie nun das Essen fertigmacht, stelle ich schon einmal die Schalen auf den Tisch und lege Hashi -Essstäbchen- daneben. Anschließend hole ich unsere beiden Futons aus dem Schlafzimmer und lege sie in den freien Fußraum. Wir setzen uns an den Chabudei -Tisch-, sie im Seiza -Kniesitz- und ich im Schneidersitz auf einem Zaisu -Sitzstuhl- ihr gegenüber.

Nach dem Abendessen räume ich den Tisch ab und stelle die Reste in den Kühlschrank, sowie das Geschirr in die Spülmaschine. Anschließend komme ich zu Sayuri zurück, die es sich inzwischen auf einem Futon bequem gemacht hat. Wir lesen jeder noch in einem Buch, bis wir müde werden und einschlafen. Unsere Inori-chan weckt uns anfangs alle paar Stunden, ist aber sofort ruhig, wenn Sayuri ihr die Brust anbietet. Später können wir alle drei auf den beiden Futons durchschlafen.
Ab dem nächsten Tag beherzigt sie meine Entscheidung und lässt mich allein in der Küche werkeln. Das Würzen übernimmt sie später am Tisch. Zum Staubwischen auf den Möbeln und zum Bodenwischen nutze ich feuchte Tücher, damit Inori-chan und Sayuri nicht von aufgewirbeltem Staub belastet werden. Wenn Inori-chan erwacht, bekommt sie gleich die Brust. Nach vielleicht 15 Minuten schläft sie weiter.

*

Wenn der Geschäftsführer sich am Morgen von seinem Futon erhebt und das Frühstück macht, gibt es kurz Unruhe. Nachdem der aisuru Otou-San sich zur Firma aufgemacht hat und wieder Ruhe eingekehrt ist, krabbelt Inori-chan auf mich und schläft mit dem Ohr an meinem Herzen weiter. Leider kann ich so nicht wirklich schlafen, aber aisuru Otto -liebevoller Ehemann- hat mir dafür ein Buch aus dem Regal angereicht.

Das Schlafen mit Inori-chan an meiner Seite hat einige Vorteile. Zu allererst ist das Stillen im Liegen sehr entspannend. Inori-chan wacht meist gar nicht richtig auf. Sie saugt im Halbschlaf und schläft anschließend innerhalb von zehn Minuten wieder ein. Selbst ich schlafe schon einmal während des Stillens ein.

Hat unsere Kleine Bauchschmerzen, liegt sie gerne auf der Seite. Allerdings fällt sie dabei meist um. Ich stütze sie also einfach im Rücken, bis sie fest genug schläft. Auch kann ich ihr in dieser Position ganz einfach den Bauch massieren.
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Mo Jul 18, 2022 9:37 am

Schläft sie einmal schlecht, halte ich meist ihr Händchen. Danach schläft sie besser. In unserer Situation bringt mir das gemeinsame Schlafen unglaublich viel. In jedem Fall gilt: keine Kissen, Kuscheltiere und ähnliches für das Baby, kein Alkohol und Zigaretten für die Erwachsenen, und keine anderen Kinder neben dem Baby! Das heißt also, dass Inori-chan in Zukunft bei ihrem Otou-San -Vater- schlafen muss, solange ein Geschwisterchen zu klein ist.

Auf das Kissen, das ich benutze und unter meinem Kopf liegt, reicht Inori-chan nicht heran, da sie mit dem Kopf auf der Höhe meiner Brust liegt. Die Decke wird ihr höchstens über die Beine gelegt oder auf die ihr abgewandte Seite in ihren Rücken.

Je älter Inori-chan wird, desto öfter kann ich mich wegschleichen, wenn sie eingeschlafen ist. Anfangs ist das noch unmöglich gewesen. Inori-chan ist ein unglaublich nähebedürftiges Baby. Sobald sie durchschläft, übernehme ich wieder mehr und mehr der Arbeit im Haushalt. Nachdem Inori-chan sitzen kann, kaufe ich mir eine Känguruh-Tragetasche -Onbuhimo- und habe unsere Kleine nun auch tagsüber in meiner unmittelbaren Nähe, was auch immer ich mache.

Inzwischen ist sie nicht mehr zu bändigen, kann ‚keine fünf Minuten‘ stillsitzen und läuft munter hin und her. Ich muss sie immer im Blick haben und schauen, dass sie sich nichts antut. Trotzdem ist schon einmal ein Stuhl umgestürzt. Meine Kleine hat geweint, nicht weil sie sich weh getan hätte, sondern weil sie sich erschrocken hat. Sofort bin ich hinzugeeilt und habe sie getröstet. Natürlich habe ich ihr gesagt, dass sie etwas falsch gemacht hat. Niemals aber, dass sie deshalb ‚ein böses Mädchen‘ wäre!

Nun suchen wir eine Kita in der Nähe unserer Wohnung. Wir schauen uns ein gutes Dutzend staatlich kontrollierter Einrichtungen an. Zum einen, sind sie billiger als private und die Betreuung ist dort besser: Es kommt im Sommer seltener zum Hitzetod. Nachdem wir uns für eine Kita entschieden haben, tragen wir uns dort in eine Warteliste ein. Kindergärten und Schulen haben bei uns in Japan immer im April ihren Jahrgangswechsel.

Zu Silvester besuchen wir meine Oya-San -Eltern-. Den ganzen Tag schon hat Sayuri Großputz in unserer Wohnung gehalten und ich habe derweil Inori-chan beschäftigt. Als wir am späten Nachmittag bei meinen Eltern eintreffen, freuen sie sich sehr auf unsere Kleine. Sie sind ganz vernarrt in ihre Magomusume -Enkelin- und haben sie oft auf ihren Schultern herumgetragen. Spielerisch haben wir ihr beigebracht, sich respektvoll zu verbeugen. Wenn es einmal nicht richtig gewesen ist, haben wir es gelten lassen. Sie schaut, wie wir uns verbeugen und ahmt uns nach. Bald wird sie von selbst besser darin werden.

Am frühen Abend besuchen wir den Gottesdienst in der St. Marien-Kathedrale. Wieder bei meinen Eltern zuhause helfe ich Hahaoya -Mama- in der Küche, während Vater und Großvater beim Spiel mit Inori-chan selbst wieder Kind sein dürfen. Dann bekommt sie ihre Mahlzeit, während wir zu Abend essen und ist bald in ihrem Tragetuch an meinem Körper eingeschlafen.

Während des Essens im Wohnraum läuft eine Musikshow im Fernsehen. Ich achte darauf, welche Gruppen und Solosänger daran teilnehmen und welche Songs vorgetragen werden. Wie jedes Jahr zu Silvester treten die Interpreten in zwei Gruppen nach Geschlechtern getrennt auf. Die männlichen Interpreten gehören zu der weißen Gruppe und die weiblichen Interpreten sind in der roten Gruppe zusammengefasst.

Die Songs sind von der Musikbranche vorher ausgewählt worden. Song und Performance werden von einer Jury und dem Publikum im Saal bewertet. Ich erkläre dem Shachou mit einem feinen Lächeln, dass das Fernsehpublikum vor den Bildschirmen mitfiebert und Wetten abschließt, welche Gruppe am Ende der Show gewonnen hat.

Das muss wohl die Beliebtheit der Musikshow ausmachen, die nun schon seit 1951 in Japan zu Silvester gehört. Aktuell rechnen alle mit dem Sieg der roten Gruppe, also den Frauen, weil die bekannte Jazzsängerin Juju und die Girlsgroup ‚Sakura Zaka 46‘ zu den Interpreten zählen.

Am Neujahrsmorgen, nachdem wir zu dritt in meinem alten Zimmer auf zwei Futons übernachtet haben, wird gut gefrühstückt. Dabei wünschen wir meinen Eltern:

„Akemashite omedeto gozaimasu -Alles Gute zum neuen Jahr!“

Anschließend machen wir uns gemeinsam auf den Weg zu einem nahen Shinto-Schrein. Es ist schon Vormittag, als wir voraus das rote Torii in der Wintersonne leuchten sehen. Wir durchschreiten es und betreten das Gebäude des Schreins. Am Behälter der Shintai -Reliquie- gibt jeder eine kleine Menge Münzen in einen dafür vorgesehenen Kasten, um anschließend an einem dünnen Seil zu ziehen.

Eine Glocke ertönt. Unter Händeklatschen und Verbeugen tragen die Gläubigen dabei dem Kami ihren Neujahrswunsch vor. Der Geschäftsführer sagt:

„Lass mich immer genug auf Jimashi-San achten und gib mir Kraft sie zu beschützen!“

Ich lächele glücklich, als ich ihn höre und fasse seine Hand. Er schaut mich verliebt an.

Auf dem Rückweg essen wir an einer Garküche in der Nähe des Schreins und sind am Nachmittag wieder zurück. Anschließend fahren wir in unsere Wohnung zurück.

Mitte Februar haben wir von der Kita Bescheid bekommen und Ende Februar habe ich sie dorthin gebracht. An diesem Termin wird sie gesundheitlich untersucht und ich bekomme eine Liste der Dinge mit nachhause, die sie im Kindergarten brauchen wird. Ende März folgt noch eine letzte Informationsveranstaltung und Anfang April geht es los. Zuerst gibt es eine einwöchige Eingewöhnungszeit.

Am ersten Tag bin ich zu Beginn um 9 Uhr dort. Inori-chan in der Trage und zwei Taschen voller Babysachen in den Händen, die ich vorher alle gekennzeichnet habe. Wir Mütter hören uns an, was morgens im Kindergarten alles erledigt werden muss und leeren die Taschen in gekennzeichnete Fächer. Danach folgt die Vorstellungsrunde, ein Must-have! Um 11 Uhr ist ‚Mittag‘. Wir rühren den Kindern ihre Milch an und nach dem gemeinsamen Essen können wir mit den Kleinen schon wieder nachhause gehen.

Der zweite Tag verläuft ähnlich, nur dass wir die Vorstellungsrunde weglassen und stattdessen mit den Kleinen nach draußen gehen. Um 10:45, vor dem Fläschchen, dürfen wir nachhause gehen. Am dritten Tag darf Inori-chan das erste Mal alleine dortbleiben, für nicht ganz zwei Stunden. Am fünften Tag bleibt Inori-chan das erste Mal über Mittag im Kindergarten, von 9 bis 13 Uhr. Das nutze ich für Sachen, die man schlecht mit Kind in der Trage-Tasche erledigen kann.

Ab der zweiten Woche darf sie die volle Zeit von 8 bis 18 Uhr im Kindergarten bleiben. Wenn ich ehrlich bin, ist mir bei dem Gedanken, dass sie solange „alleine“ ist, ein bisschen mulmig zumute. Sie mag es, anderen Kindern zuzuschauen, das Spielzeug ist viel interessanter als ihr eigenes Zuhause und das Essen findet sie toll. Die Erzieherinnen spielen tolle Spiele.

Aber das Schlafen fällt ihr schwer und abends, wenn wir wieder zuhause sind, darf ich es nicht wagen, sie kurz hinzulegen, um eben zu Toilette zu gehen. Dann geht das Gebrüll los… Gelacht wird erst wieder, wenn ihr Chichi -Papa- nachhause gekommen ist.

Ich kann ihr ihre Anhänglichkeit nicht wirklich krummnehmen. Vorher ist sie nie solange von mir getrennt gewesen. Sie muss sich erst einmal daran gewöhnen. Das hört mit der Zeit sicher von selbst auf, wenn sie merkt, dass ich jeden Abend zum Abholen wiederkomme und dass der Kindergarten mit den vielen Kindern viel spannender ist.

Im Sommer spielen die Kinder draußen in warmem Wasser und ich muss extra passende Hosen besorgen, die man über die Windeln anziehen kann. Im Tageslauf erhöht der Kindergarten nach und nach von einer richtigen Mahlzeit auf drei und Inori-chan braucht für jede Mahlzeit ein frisches Lätzchen. Zum Jahresende bittet uns der Kindergarten um Schuhe. Vorher haben sie auf Strümpfen draußen gespielt. Sobald sie allerdings größer und sicherer werden, sollen die Kinder Schuhe anziehen.

Das erste Kindergartenjahr ist sehr spannend gewesen, wenn man ihre Entwicklung beobachtet. Sie spricht immer mehr und kennt schon das Symbol, das ihr zugeordnet ist. Auch erkennt man Sympathien der Kinder untereinander. Als Inori-chan bei der morgendlichen Begrüßung von einer Mitschülerin umarmt wurde, ist mir warm ums Herz geworden.

*
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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Mi Jul 20, 2022 9:28 am

Des Nachts schlafen wir immer noch zu dritt auf zwei aneinander geschobenen Futons im Washitsu -Hauptraum-. Meine friedlich schlummernde Kleine schütze ich, indem ich zu ihr gewendet liege. Ich selbst liege in der Mitte und der Geschäftsführer auf meiner anderen Seite. Der aisuru Otou-San -liebevolle Vater- streichelt meinen Rücken, fährt sanft mit den Fingerspitzen über meine Rippen und stemmt sich auf seinem Ellbogen hoch. Er legt sein Kinn auf meine obenliegende Schulter und schaut nach Inori-chan. Unsere Kleine schläft tief und fest im Urvertrauen beschützt zu werden. Sie ist nun fast vier Jahre alt.

Wieder einmal drehe ich mich vorsichtig auf den Rücken und lasse seine Liebkosungen zu. Diesmal ist etwas anders. Zwei Wochen später warte ich vergeblich auf meine Regel. In leiser Vorahnung gehe ich zu meinem Frauenarzt und er bestätigt meinen Verdacht. Zu gegebener Zeit fahre ich zu der Geburtsklinik, in der schon Inori-chan geboren wurde.

Wieder bereite ich uns ein festliches Abendessen, um dem Geschäftsführer die freudige Nachricht im gebührenden Rahmen zu übermitteln. Bald eröffnet man mir bei den Schwangerschaftsuntersuchungen, dass ich einem kleinen Jungen das Leben schenken werde.

Der Geschäftsführer meint, dass wir - gemäß unserer ursprünglichen Überlegungen - unseren Jungen Yohane Kenzo -bescheiden, klug- nennen sollen. Ich bin mit der Entscheidung einverstanden. Wir lassen ihn also später unter diesem Namen in der Stadtverwaltung registrieren. Nun müssen wir uns umorganisieren. Der Geschäftsführer schläft mit Inori-chan in einem anderen Zimmer, während ich mit Kenzo-kun weiterhin im Washitsu -Hauptraum nächtige. Zu Anfang schläft unser Sohn über 20 Stunden am Tag mit gelegentlichen Wachphasen, weil er Hunger bekommt. Inori-chan geht von 8 bis 18 Uhr in den Kindergarten. Ihr Chichi -Papa- bringt sie dorthin und holt sie wieder ab. Sie hat ihren vierten Geburtstag inzwischen hinter sich.

Als Kenzo-kun in den Kindergarten kommt, ist sie schon fast sechs Jahre alt, ein großes Mädchen, das uns keine Schande macht. Wir haben uns über Grundschulen informiert, die sie zu Fuß erreichen kann, und eine gefunden, die uns zusagt. Hier wird sie die nächsten sechs Jahre lernen. Auch die Schule gibt uns eine Liste von Dingen, die wir vor dem ersten Schultag besorgen müssen.

Damit alle Schüler gleich aussehen und es keine Eifersüchteleien oder Sticheleien gibt, kaufen wir nach Angaben der Schule eine Schuluniform und Sportkleidung. Sie benötigt auch ein Paar Schuhe, das nur im Inneren des Schulgebäudes getragen wird. Ihre Straßenschuhe wechseln die Schüler im Eingangsbereich und stellen sie in dafür vorgesehene Fächer.

Für den Straßenverkehr erhält Inori-chan einen weißen Hut mit Krempe. So sind die Grundschüler im Straßenverkehr gut zu erkennen. Die Schüler treffen sich auf dem Schulweg und gehen in Gruppen zusammen. An jedem Überweg stehen städtische Mitarbeiter in Warnwesten, die den Schülern die Überquerung ermöglichen. Die Kinder folgen dabei die ganze Zeit extra ausgewiesenen Tsugakuro -Schulwegen-.

Ein Tag in der Woche hat der Geschäftsführer frei. Das ist für uns der Familientag. An diesem Tag besuchen wir die Sofu-San -Großeltern-, unternehmen Spaziergänge in Parks, oder gehen in Zoos oder Märchenparks.

Auf den angrenzenden Spielplätzen neben Restaurants werden unsere Kinder gerne mit „Asobou -Lass uns Spielen-!“ von fremden Kindern angesprochen. Wir finden auch Athletic Parks, wo unsere Kinder auf Parcours, komplett aus Holz, toben können.

Es hat sich herausgestellt, dass unsere Kinder große Insekten-Fans sind. So sind wir oft zu viert in Insektarien zu finden. Das ist wirklich kein Wunder, angesichts der zeternden Zikaden im Sommer und der imposanten Nashorn- und Hirschkäfer im Frühjahr in der freien Natur in Japan.

*

Mit der Einschulung kommen auf Inori-chan und ihre Mitschüler neben dem Unterricht noch weitere Aufgaben zu. Das Reinigen ihrer Klassenzimmer, der Fenster und Flure übernehmen die Kinder selbst. Sie arbeiten täglich für ungefähr eine Viertelstunde in Gruppen zusammen und reinigen die Schule vom Eingangsbereich über die Sporthalle bis zu den Toiletten und Waschräumen. Ebenso das Büro der Schulleitung und das Lehrerzimmer stehen auf ihrem Reinigungsplan. Sie wechseln sich auch in der Verteilung des Kyuushoku -Schulessens- ab.

Dabei entscheiden die Kinder, wer dran ist, ohne zu diskutieren oder zu streiten, indem sie das bekannte Spiel Licht-Schere-Papier in einer speziellen Version spielen, genannt Jan-Ken-Pon. Dieses Spiel kennen sie schon seit ihrer Kindergartenzeit, wo damit entschieden wurde, wer das letzte Dessert bekommt, oder wer die Schälchen einsammeln muss.

Dieses Spiel ist so beliebt, dass es die Kinder selbst auf dem Schulhof spielen, um sich in gleichmäßige Teams aufzuteilen. Dafür nutzen sie eine vereinfachte Version ‚Gu-to-pa -Stein und Papier- bis die Summe der ‚Steine‘ und ‚Papiere‘ gleichmäßig ist.

Genauso, wie Kinder im Alltag den Eltern und Großeltern Respekt zollen, erweisen die jüngeren Schüler den Älteren ihren Respekt, indem sie grüßen und sich verbeugen, sobald sie auf einen treffen.
Nach sechs Jahren Grundschule geht Inori-chan auf die dreijährige Mittelschule. Zum Zeitpunkt ihres Schulwechsels kommt Kenpo-kun schon in die zweite Klasse der Grundschule.

Nach dem eigentlichen Unterricht gehen die Schüler in verschiedene schulische Clubs. Dort werden Aktivitäten angeboten, wie die Teezeremonie, Kalligrafie, Ikebana, Karate, Judo, Kendo. In der Mittelstufe kommen weitere Clubaktivitäten hinzu, wie der International Club, English Club und verschiedene Sportclubs. Die Sportclubs nehmen besonders viel Zeit in Anspruch, da die Schulen untereinander Wettbewerbe veranstalten. Deshalb trainieren die Sportclubs täglich, oft sogar vor Unterrichtsbeginn. All dies fördert den Gemeinschaftssinn. Die Clubs sind Wahl-Pflicht-Veranstaltungen der Schule.

Inori-chan hat sich für die Clubs entschieden, die die Teezeremonie lehren, das Ikebana -Blumenstecken-, die Kalligrafie -Schönschrift- und Judo. Später nimmt sie noch den English Club hinzu. Sie möchte nach der Oberstufe zur Uni gehen und dort Erziehungswissenschaft studieren. Danach wird sie einen Platz in einem Kindergarten suchen.

Dafür wird sie von Tokyo nach Kyoto umziehen müssen und ein Zimmer im Studentenwohnheim der Kyooto Joshi Daigaku -Kyoto Women’s University- in Higashiyama-ku beziehen. Sie belegt ihren Studiengang auf der Fakultät für ‚menschliche Entwicklung und Bildung‘.

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BeitragThema: Re: Amish meets Asian upbringing   Amish meets Asian upbringing Icon_minitime1Fr Jul 22, 2022 9:53 am

Im täglichen Miteinander finde ich krasse Unterschiede zu den Erziehungsmethoden der Englischen bei uns in den USA. Viel bekomme ich ja nicht mit, aber an den Abenden und Sonntagen bin ich dabei und erlebe die Erziehungsmethode japanischer Mütter.

Die Amish, zu denen ich mich zähle, haben viel Geduld mit ihren Kindern und reagieren in deren Trotzphase mit Gelassenheit. Im Gegensatz dazu setzen die Englischen auf den Befehl. Sie sagen zum Beispiel:

„Räume sofort die Spielsachen aus dem Weg!“

Jimashi-San schaut unsere Tochter in der gleichen Situation nur ernst an und fragt Inori-chan:
„Was solltest du jetzt mit den Spielsachen machen?“

Sofort bückt sich unsere Kleine und sammelt die herumliegenden Spielsachen ein, um sie in die dafür vorgesehene Kiste zu legen. Meine liebe Frau hat mir das mit der großen Nähe zwischen ihr und Inori-San seit der Geburt erklärt. Japanische Kinder tun alles, um bei der Mutter nicht in Ungnade zu fallen.

Wie bei uns Amish vertrauen auch japanische Eltern darauf, dass ihre Kinder durch ihr vorgelebtes gutes Beispiel lernen, was angemessenes Verhalten ist. Jimashi-San sagt, dass sie sich für die Ergebnisse von Inori-chan und Kenpo-kun verantwortlich fühlt. Sie vermittele hauptsächlich die Werte Bindung, Empathie und Harmonie, erklärt sie mir und gibt auch gleich ein Beispiel zur Empathie:

„Sollte Inori-chan oder ihr kleiner Bruder ein Tier quälen, hocke ich mich daneben und frage, was wäre, wenn Inori-chan oder ihr kleiner Bruder an der Stelle des Tieres wären. Nun trifft mich ein Blick aus großen Augen, in denen das Erkennen leuchtet und das Tier wird in Zukunft in Ruhe gelassen.“

Mit Beginn der Schulzeit schlafen die Kinder im Kinderzimmer, oft in Etagenbetten, da Quadratmeter in Japan teuer sind. Sie werden noch lange von den Eltern angekleidet und selbst als Jugendliche wird der Sitz ihrer Kleidung von der Mutter kontrolliert. So ist die Beziehung zwischen Mutter und Kind intim. In den ersten drei Jahren, das habe ich festgestellt, begleitet das Kind die Mutter überall hin. So bilden die Beiden eine Einheit, in der sie sich als ‚geteilter Geist‘ verstehen, statt zweier getrennter, voneinander mehr und mehr unabhängiger Personen.

Wie ich bei Jimashi-San und anderen Müttern miterlebt habe, verwendet die japanische Mutter bei der Erziehung Überredung, Suggestion und manchmal auch Scham oder subtilen Spott an. Wenn das Kind, gerade in der Trotzphase, nicht willens ist, seine Spielsachen wegzuräumen – um im obigen Beispiel zu bleiben -, sagt sie:

„Anscheinend bist du gerade nicht bereit, auf Mama zu hören, oder bist du vielleicht noch ein Baby? Vielleicht bist du aber auch zu müde und musst daher sofort ins Bett?“

Bisher habe ich immer erlebt, dass das so angesprochene Kind lieber gehorcht, als dass es sich vor Mama schämt. Über die Jahre ist die Einheit Mutter-Kind so stark, dass das Kind erkennt oder fühlt, in welchem Zustand der Harmonie diese Einheit ist. Das Kind wird nun alles dafür tun, diese Harmonie aufrechtzuerhalten. Ein weiterer Aspekt ist auch ihre Mimik. So begleitet die Mutter ihren Wunsch an das Kind mit einem Gesichtsausdruck, der dem Kind zu verstehen gibt, dass sie überrascht wäre, wenn das Kind nicht wie erwartet handelt.

Dennoch spüren japanische Kinder die Geduld, Freundlichkeit und Mitgefühl ihrer Eltern, so dass sie sich geliebt, geschätzt und respektiert fühlen können und dies dann auch im Umgang mit fremden Personen leben. Das Kind wird darin bestärkt, neugierig zu sein.

Was ich sonst noch erleben kann, während meine Kinder aufwachsen: Sie brauchen sich nicht um Zuwendung und Aufmerksamkeit bemühen. Das führt dazu, dass sie ruhig und ausgeglichen wirken. Entnervte Blicke Umstehender sieht man nie. Mit Höflichkeit und Nachsicht wird über lärmende Kinder hinweggesehen. Ihr Verhalten wird respektiert.

Um ihren Gemeinschaftssinn zu stärken, werden Kinder von klein auf überallhin mitgenommen. Das sieht man bei den vielen zeremoniellen Festlichkeiten und den damit verbundenen Ritualen, genauso wie bei den festgelegten Familienbesuchen. Benehmen sich Kinder dennoch einmal daneben, beweisen die Eltern eine Engelsgeduld. Sie reden den Kleinen gut zu, spiegeln das unerwünschte Verhalten und fragen, was wäre, wenn jemand so mit ihm umspringen würde.

Die Erwartungen, denen sich die Kinder in der Familie gegenübersehen, finden sie auch in der Umwelt vor. Überall gelten die gleichen Regeln, was die persönliche Freiheit, sich auszudrücken, zwar einschränkt, gleichzeitig aber auch Orientierung und Sicherheit bietet.

*

Als Kenpo-kun die Oberschule absolviert hat, regen wir eine Ausbildung zum Türenbauer im Betrieb seines rippana Otou-San -ehrenwerten Vaters- an. Diese Ausbildung beinhaltet nicht nur die Fertigung der in Japan traditionellen Schiebetüren mit allen Türfüllungen aus Glas, Holz und Japanpapier. Ebenso lernt Kenpo-kun die Führungen der Türen präzise zu hobeln. Zwar laufen die Türen auf metallenen Kugeln in Fassungen, aber die Führungen müssen doch absolut gerade sein, damit nichts hakt.

Der Geschäftsführer hat hohe Qualitätsansprüche, die sich in den vergangenen Jahren herumgesprochen haben. Die ‚Aamisshukurafuto GK‘ oder auf Englisch ‚Amish Craft Ltd‘ hat einen guten Ruf erworben.

Nach Abschluss der Ausbildung studiert Kenpo-kun auf der Tokyo Universität Betriebswirtschaftslehre. Nach Abschluss des Studiums soll er den Geschäftsführer seines Vaters ersetzen, der dann in Rente geht.

Vor Kenpo-kuns Studium möchte der Shachou seinen Kindern ihre Herkunft zeigen. Sie haben schon viel von ihm über die Amish in den USA gehört. Nun sind sie neugierig, die ‚Amish Culture‘ einmal zu erleben. Wir fahren in den Ferien der Kinder zum Tokyo International Airport und nehmen einen Flug quer über den pazifischen Ozean.

In New York angekommen, suchen wir zuerst ein Hotelzimmer für eine Nacht, um die Zeitverschiebung zu bewältigen. Danach buchen wir eine Fahrt mit den Amish Sightseeing Tours. Dennoch wollen wir keine Rundfahrt mit ‚Amish Farm and House Visiting‘ machen, sondern steigen im Heimatdorf der Familie Stoltzfus aus.

Wir folgen dem Geschäftsführer die Straßen entlang und stehen bald vor seinem Elternhaus. Dort bleiben wir einen Schritt zurück, während Eriya an der Tür läutet. Kurz darauf öffnet uns eine junge Frau von Mitte Zwanzig mit einem Baby auf der Hüfte.

Eriya lächelt und sagt:
„Gott zum Gruß! Sind Sie Frau Stoltzfus?“

Sie antwortet mit einem zurückhaltenden Lächeln:
„Gott zum Gruß! Ja, die bin ich…“

„Wo finde ich Jeremia und Barbara Stoltzfus?“

Sie atmet tief ein und klärt auf:
„De Fadda ass doht! De Memm ass en de Kich.“

Eriya macht ein betroffenes Gesicht und erklärt seiner jungen Schwägerin:
„Mein Name ist Elia Stoltzfus. Ich habe vor vielen Jahren eine Japanerin geheiratet und meinen Kindern viel von den Amish erzählt. Nun wollte ich ihnen meine Familie vorstellen.“

„Mein Mann und sein Bruder sind arbeiten. Mein Schwager hat vor Jahren eine Firma gegründet, wo de Fadda mitgearbeitet hat.“

Eriya nickt. Die junge Frau macht nun die Tür frei und lässt uns eintreten. In diesem Moment tritt eine etwa 80jährige Frau neugierig aus der Küche. Eriya stürmt auf sie zu und umarmt seine Mutter. Bei beiden fließen Freudentränen.

Wir sollen uns auf die Couch im Livingroom setzen. Eriya holt weitere Sitzgelegenheiten hinzu und wir sollen berichten, wie es uns seit damals ergangen ist. Barbara ist in die Küche zurückgegangen und bringt nach einigen Minuten Tee und Teegebäck, das sie zwischen uns auf dem Coffeetable platziert.

Meine Schwiegermutter fragt mich lächelnd:
„You were Miss Oosawa then, weren‘t you?“

Ich nicke ihr lächelnd zu.

„Ja,“ antworte ich. „Meine Familie gehört zu den Christen in Japan. Mein ehrenwerter Vater und Eriya haben sich gleich gut verstanden. Also haben wir bald christlich geheiratet. Eriya hat eine Firma gegründet und ich eine Praxis. Davon haben wir gut leben können. Dann bin ich schwanger geworden und wir haben uns etwas umorganisiert, verehrte Schwiegermutter.“

Barbara hat mich ausreden lassen und fragt nun:
„You’re talking about Elia and you?“

Ich nicke mit dem Kopf und erröte leicht. Der Shachou wirft lächelnd dazwischen:
„Memm, du hast früher viele Gespräche mit Sayuri geführt. Da müsste es dir aufgefallen sein, dass sie Probleme mit dem ‚L‘ hat. Sie spricht dafür ein ‚R‘. Daher das Eriya.“

Barbara lächelt nun entschuldigend und meint:
„Oh, entschuldige. Ich habe den Akzent so lange Zeit nicht gehört! Du heißt Sayuri? Herzlich willkommen bei uns.“

Der Shachou erklärt weiter:
„Wir haben vor der Geburt von Marian’nu Inori unseren Familiennamen japanisiert, damit unsere Kinder keine Schwierigkeiten in Kindergarten und Schule bekommen. Seitdem heißen wir dort Jimashi, was eine Übersetzung von ‚Stoltzfus‘ ist. Unseren Sohn haben wir Yohane Kenzo getauft.“

Barbaras Stirn umwölkt sich. Sie fragt:
„Ich habe gehofft, dass du irgendwann in die Gemeinde zurückkehrst. Nun hast du dich ganz von den Amish abgewandt?“

Ich fühle mich bemüßigt, hier etwas gerade zu rücken und antworte meiner ehrenwerten Schwiegermutter:

„Ganz so ist es nicht, ehrenwerte Schwiegermutter! Dein guter Sohn Eriya hält die Tugenden der Amish hoch! Er erzieht seine Kinder wie japanische Amish. Nun sind wir hierhergekommen, um ihnen ihre Herkunft zu zeigen, damit sie wissen, warum ihr lieber Vater so handelt, wie er handelt.“
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