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Thema: Re: Wiege der Menschheit Mo Jan 22, 2024 11:25 am
Nachdem wir den Zug verlassen haben, gehen wir eine genau gleiche Treppe hinunter und treten aus einem Portal auf einen breiten Weg. Mister Dil weist mir die Richtung, aber ich stehe sekundenlang wie erschlagen da und versuche die Höhe der Gebäude auszumachen, indem ich den Kopf in den Nacken lege. Fallen solch riesige Bauwerke nicht irgendwann um?
Staunend und ein wenig schockiert folge ich meinem Führer eine kurze Strecke bis er wieder durch ein Portal ein Gebäude betritt. Wir stehen zuerst in einer Halle. Hinter einem Schalter sitzt eine Frau. Mister Dil spricht sie an. Wieder höre ich den Satz „Khoob jiyo aur shaanti!“ von beiden ausgesprochen. Dann folgt ein kurzes Geplänkel, an dessen Ende Mister Dil eine Karte erhält, etwa halb so groß wie eine Spielkarte.
Er führt mich nun an eine Seitenwand mit mehreren runden Ausbuchtungen. In mehreren kleinen Rahmen stehen unbekannte Zeichen. Mister Dil drückt einen Knopf und schaut von einem dieser kleinen Rahmen zum nächsten. Das Zeichen in einem Rahmen beginnt in schneller Folge zu wechseln. Dorthin geht er nun und bittet mich, ihm zu folgen.
Wir sind kaum dort, als ich ein Geräusch höre wie bei einer Lokomotive in San Franzisko, so ein ‚Pfffffft‘. Sofort darauf öffnet sich eine Schiebetür und gibt den Blick in einen Raum frei mit einem an den Wänden umlaufenden Handlauf. Mister Dil weist mit einer einladenden Geste in den Raum und bittet mich mit einem freundlichen Lächeln:
„Kommen Sie bitte.“
Wir betreten den Raum gemeinsam. Hinter uns schließt sich die Schiebetür. Er bittet mich: „Halten Sie sich bitte am Handlauf fest.“
Dann sagt er mit fordernder Stimme etwas in der fremden Sprache. Ich greife nach dem Handlauf und will ihn fragen, was jetzt geschieht. Er hat einen Knopf neben einem kleinen Rahmen gedrückt, auf dem eine kurze Zeichenfolge erschienen ist. In diesem Moment fühle ich mich angehoben, wie in einem Aufzug in San Franzisko. Allerdings ruckeln und klappern die mir bekannten Aufzüge, ganz im Gegensatz zu diesem hier.
Vielleicht eine Minute später hält der Aufzug und die Schiebetür öffnet sich wieder. Erstaunt über die ruhige Fahrt, erzähle ich Mister Dil von meinen früheren Erfahrungen mit den Aufzügen in San Franzisko:
„In einem der Häuser, die meinem früheren Master gehörten, gab es auch einen Aufzug für bis zu fünf Stockwerke. Da musste man ein metallenes Gitter zur Seite schieben, eintreten und das Gitter wieder schließen. Anschließend rief man seinen Wunsch in einen Metalltrichter und der Aufzug setzte sich langsam und ruckelnd in Bewegung.“
Mister Dil schmunzelt und meint: „Naja… Hier ist alles halt ein wenig moderner.“
Nachdem wir den Aufzug verlassen haben, führt er mich einen hell erleuchteten Gang entlang, bis wir vor einer Tür stehenbleiben. Unterwegs begegnen uns vereinzelt andere Leute, die Mister Dil mit einer angedeuteten Verbeugung und dem bekannten Satz grüßen. Ich habe ihn unterwegs interessiert gefragt, was dieser Gruß auf Englisch bedeutet. Er hat mir daraufhin geantwortet:
„Er bedeutet ungefähr soviel wie ‚Lebe lang und in Frieden‘.“
„Oh,“ habe ich ihm geantwortet. „Das ist ein hoher Anspruch! Gibt es hier keine Auseinandersetzungen?“
„Im Allgemeinen nicht,“ erklärt er mir. „Natürlich kommt es vereinzelt vor. Dann rufen beide Kontrahenten einen Gyaata als Mediator hinzu und einigen sich mit dessen Hilfe.“
Als ich das höre, reift in mir der Entschluss, mein altes Leben hinter mir zu lassen.
Im Gang, nachdem wir den Aufzug verlassen haben, fällt mir die gleichmäßige Helligkeit auf, die aus einer Schlange von Deckenplatten zu kommen scheint. Wieder fällt mir ein Unterschied zu den Häusern in San Franzisko auf. Mister Dil muss dazu herhalten, dass ich meiner Seele Luft verschaffe.
hermann-jpmt Forenmogul
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Di Jan 23, 2024 9:49 am
Aber er zeigt eine unendliche Geduld, was mich noch mehr für ihn einnimmt. Ich äußere mich: „Die Deckenplatten senden so ein gleichmäßiges helles Licht aus… In dem Haus meines früheren Herrn hingen an dunklen Stellen Öllampen an der Wand. Die Arbeit des Hausmeisters war auch, diese Lampen abends anzuzünden und morgens zu löschen. Wohnungen gab es da nur auf einer Seite des Ganges, weil auf der anderen Seite Licht durch Fenster hereinkam.“
Er nickt mir lächelnd zu. Wie gern hätte ich gewusst, was er gerade über mich denkt.
Schließlich bleiben wir stehen und Mister Dil wendet sich einer Tür zu. Er streckt den Arm aus und berührt eine kleine Platte auf halber Höhe am Türrahmen. Sofort ertönt ein ‚Klack‘, fast wie das Geräusch des Abzugs einer Schusswaffe. Die Tür gibt einen minimalen Spalt frei. Nun drückt er einen Knopf über der Platte und die Tür fährt zur Seite.
Wieder bittet er mich: „Kommen Sie bitte, Miss Li.“
Wir treten ins Innere und stehen als erstes in einem etwa zwei Quadratmeter großen Durchgang. Links steht ein raumhohes Regal mit vielen leeren Fächern und einigen Schubladen. Rechts sind Kleiderhaken angebracht und eine leere Röhre steht auf dem Boden. Bevor Mister Dil etwas macht, sagt er laut:
„Egh steu abhee!“
Danach beugt er sich zu seinen Füßen und zieht seine Schuhe aus, die er in ein unteres Fach des Regals stellt. Er erklärt mir:
„Ich habe gerade gesagt ‚Ich störe jetzt‘. Laut unserer Mythologie lebt in allem eine Seele. Ob nun Mensch, oder Tier, oder Pflanze oder Steine, einfach überall. Darum behandeln wir die uns umgebende Natur mit Respekt. Natürlich hat diese Wohnung, das ganze Haus, irgendein Mensch erbaut, aber mit Materialien aus der Natur. Nun habe ich der Aatma -Seele- unserer Wohnung angezeigt, dass wir eingetroffen sind.“
„Ah, okay,“ mache ich und frage: „Muss ich auch meine Schuhe ausziehen?“
Mister Dil schmunzelt und antwortet mir: „Ich bitte darum, Miss Li. Es wäre zunächst einmal höflich. Damit zeigen Sie aber auch Ehrerbietung. Beides sind gute Tugenden!“
Also beuge ich mich ebenfalls und schlüpfe aus meinen Schuhen. Dabei stütze ich mich bei Mister Dil ab. Er lässt es klaglos geschehen. Anschließend richte ich mich auf und übergebe ihm meine Schuhe. Kurz nickend nimmt er sie mir ab und stellt sie in ein anderes leeres Regalfach.
Nun gehen wir auf Strümpfen tiefer in die Wohnung hinein. Dazu müssen wir eine Treppenstufe höher steigen. Von diesem Flur gehen verschiedene Türen ab. Neugierig öffne ich die nächstgelegene Tür. Im gleichen Moment leuchtet drinnen die Raumbeleuchtung auf. Ich sehe ein Waschbecken und darüber einen Spiegel. Gegenüber der Tür gibt es einen ungewöhnlichen Sitz.
Ich versuche ihn anzuheben, wie die Eimer auf den Toiletten in San Franzisko, aber er lässt sich nicht vom Boden lösen, oder ist zu schwer. Stattdessen habe ich zwei Platten in der Hand. Entschuldigend schaue ich mich nach Mister Dil um, der mich von der Tür aus beobachtet. Ich frage:
„Habe ich etwas kaputtgemacht?“
Er schüttelt lächelnd den Kopf und erklärt: „Wenn sie ein körperliches Bedürfnis verspüren, heben Sie den Deckel an und setzen sich auf den Sitz mit dem Loch. Nachdem sie fertig sind reinigen Sie sich, indem sie diesen Knopf drücken…“
Er zeigt auf einen seitlichen Knopf mit einem Zeichen darauf und redet weiter: „… aber bleiben Sie währenddessen sitzen, sonst ist hier alles nass! Nach der Spülung folgt ein warmer Luftstrom, der sie trocknet. Nun können Sie sich erheben und mit einem Tuch die letzten feuchten Stellen abtrocknen. Danach drücken Sie auf diesen Knopf und die Toilette wird gespült.“
Ich höre seiner Erklärung verwundert zu und beschreibe ihm meine bisherigen Erfahrungen damit: „In den Wagen der Theatergruppe gab es nur einen Eimer für die Frauen und einen für die Männer. Im Haus meines früheren Masters war es ähnlich. Es musste viel geputzt werden.“
hermann-jpmt Forenmogul
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Mi Jan 24, 2024 9:37 am
Anschließend wende ich mich der nächsten Tür zu. Sie liegt auf der anderen Seite des Flures. Auch diese Tür fährt zur Seite, nachdem man dagegen gedrückt hat und im gleichen Moment geht in dem Raum dahinter das Licht an. Ein Fenster gibt es nicht. Ich kann ein etwa 1,40 Meter breites Bett an der Seitenwand erkennen. Das Fußteil zeigt zu mir. Dort hängt ein großer Bilderrahmen neben der Zimmertür. Sonst kann ich nichts erkennen. Mister Dil erklärt mir:
„Gleich nebenan gibt es genauso ein Zimmer. So hat jeder von uns sein eigenes Zimmer, wo er sich am Abend zurückziehen kann. Sie sehen hier ein Bett. Es passt sich ihren Körperkonturen an, ganz gleich wie Ihre bevorzugte Schlafposition ist. Wenn Sie sich am Abend entkleiden, hängen sie ihre Kleidung an die Bügel hinter dieser Schiebetür. Sobald Sie die Tür zuschieben, wird die Kleidung entfernt, gewaschen, getrocknet und wieder an ihren Platz zurückgebracht. Morgens haben Sie dann immer frische Kleidung. Aber gehen Sie bitte niemals selbst hinter diese Tür und schieben Sie zu. Das könnte zu Verletzungen führen. Der Monitor an der Wand bietet ein vielseitiges Unterhaltungsprogramm. Allerdings müssten Sie dafür unsere Sprache kennen.“
„Die Wäsche wird über Nacht gewaschen, getrocknet und gebügelt?“ frage ich verblüfft zurück.
Mister Dil nickt mir lächelnd zu und bekräftigt: „So ist es.“
Da er gesagt hat, dass sich neben diesem Schlafzimmer ein identischer Raum befindet, will ich mich selbst davon überzeugen. Also öffne ich auch die Tür gleich nebenan – und tatsächlich: Die beiden Räume gleichen sich, wie ein Ei dem anderen.
Der Flur geht gerade aus in das Wohnzimmer über, ohne dass man dafür eine weitere Tür öffnen muss. Nachdem ich das Wohnzimmer betreten habe, drehe ich mich einmal um mich selbst, um die Eindrücke in mich aufnehmen zu können. An den Wänden entlang stehen schulterhohe Schränke. Inmitten des Raumes befinden sich zwei Tische in unterschiedlicher Höhe. Am niedrigeren Tisch steht ein Polstermöbel und um den hohen Tisch gruppieren sich zwei Stühle. Eine Wand ist ganz aus Glas gehalten, raumhoch und wandweit.
Von dort kann man in einen Park hinunterschauen. Menschen dort unten sind nur noch winzige Punkte. Neugierig trete ich näher an die Fensterwand heran und schaue hinaus. Als ich nach unten schaue, überkommt mich ein Schwindelgefühl. Sofort schließe ich meine Augen. Mister Dil ist sofort an meiner Seite, stützt mich und führt mich zum Polstermöbel zurück. Er lässt mich dort sitzen und durchatmen. Nun schaue ich zu ihm auf und lächele ihn dankbar an:
„Danke, Mister Dil. Mir ist auf einmal schwindlig geworden. Aus solch einer Höhe habe ich noch nie heruntergeschaut.“
„Das verstehe ich,“ erklärt er mir. „Wie wäre es, wenn ich das Sichtfeld einschränken würde?“
Ich nicke ihm zu. Wenn er meint, dass das hilft, darf er das gerne machen. Gleichzeitig bin ich neugierig, wie er das anstellen will. Mister Dil geht zu einer Platte neben dem Fenster an der Wand. Er manipuliert darauf herum und anschließend wird das Fenster undurchsichtig, wie bei manchen gläsernen Türfüllungen in dem Haus meines Dienstherrn in San Franzisko. Licht fällt noch ins Zimmer, aber man kann nicht mehr hindurchsehen.
Nachdem ich mich erholt habe, erhebe ich mich wieder, denn ein Teil der Wohnung harrt noch der Besichtigung. Vom Wohnzimmer in Richtung des Eingangs geschaut, findet sich neben dem schmalen Flur eine Tür und daneben eine Essensausgabe wie im Restaurant des Hospitals.
Ich nähere mich dieser Tür, öffne sie und bin sprachlos. Eine solche Einrichtung kenne ich noch nicht. Mit dem Haus meines Dienstherrn verglichen, muss es sich um ein Badezimmer handeln, aber die dortige Einrichtung ist so ganz anders! Dort hat es einen Ofen für heißes Wasser zum Baden gegeben. Davor stand eine Emaille-Wanne auf vier Füßen, die wie Tatzen gearbeitet waren. Daneben hat ein Waschtisch gestanden mit einer Marmorplatte, einer Schüssel und einem Wasserkrug. Darüber hat ein Spiegel gekippt an der Wand gehangen.
hermann-jpmt Forenmogul
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Do Jan 25, 2024 9:51 am
Hier fehlt zuerst einmal der Ofen. Dann gibt es ein viereckiges Becken von sicher zwei mal zwei Meter Ausdehnung. Es gibt ein Doppelwaschbecken und einen Spiegel an der Wand, ähnlich wie auf der Toilette vorhin. Die beiden Raumecken rechts und links davon sind schräg abgeteilt. Eine davon hat eine Glastür.
Ich laufe in den Raum hinein, drehe wie ein kleines Kind an jedem Wasserhahn und halte die Hand in den Strahl. Dabei erkenne ich, dass eine Eckabtrennung eine Dusche birgt, die andere eine weitere Toilette. In der Dusche kommt das Wasser von oben, ohne dass man vorher einen Eimer füllen, diesen hochziehen, fixieren und zum Duschen den Eimer mit einer Schnur kippen muss.
Nachdem ich alle Wasserhähne wieder zugedreht und die Tür hinter mir geschlossen habe, fragt mich Mister Dil:
„Haben Sie Hunger, Miss Li?“
Noch sprachlos vom Badezimmer nicke ich ihm lächelnd zu. Ich wende mich zur Essensausgabe. Mister Dil drückt auf einen Knopf und in einem Bilderrahmen werden verschiedene Menüs gezeigt. Er fragt mich, welches Menü ich jetzt gerne essen mag. Also wähle ich ein Menü anhand des Bildes aus. Mister Dil macht es genauso. Diese beiden Menüs versieht er mit je einem Häkchen und drückt noch einmal einen Knopf. Zwanzig Minuten später piept es von der Essensausgabe her. Die Trennscheibe fährt hoch. Mister Dil nimmt die beiden flachen Schüsseln heraus und bringt sie an den hohen Tisch.
Die Schüsseln haben eine Abdeckung, auf der je zwei Bestecke befestigt sind, die Stäbchen aus meiner Heimat ähneln, aber kleine Zinken am Ende aufweisen. Er hebt die Abdeckung ab, entfernt die Bestecke und stellt die Abdeckung als Fuß unter die flache Schüssel. Ich schaue ihm zu und ahme ihn nach. Dann wünscht er mir:
„Guten Appetit.“
Ich wünsche auch ihm „Guten Appetit“ und versuche, die Stäbchen wie in China gewohnt, zu benutzen. Die Zinken irritieren etwas, aber es funktioniert. Er sieht das und erklärt mir:
„Vor Jahrtausenden kannten die Menschen nur Messer und Löffel als Besteck. Messer braucht man heute nicht mehr. Das Essen wird in mundgerechten Stücken auf die Teller gegeben. Und die Löffel haben sich so weit zurück entwickelt wie Sie es sehen können.“
Nach dem Essen stellt er die Teller aufeinander und bringt Geschirr und Besteck zur Essensausgabe zurück. Danach fordert er mich auf:
„Mögen Sie mit mir ein paar Spiele machen?“
Ich antworte „Gerne“ und schaue interessiert, was er meint. Er geht zum niedrigeren Tisch, legt den Spielekoffer darauf und öffnet ihn. Obenauf liegt noch mein zusammengefaltetes Nachtgewand, das ich im Hospital getragen habe. Er nimmt es und fragt mich:
„Welches der beiden Schlafzimmer bevorzugen Sie, Miss Li?“
„Hm,“ mache ich. Es ist eigentlich gleich, welches.
„Das Rechte!“ entscheide ich schnell.
„Okay,“ meint er und erhebt sich wieder, mit meinem Nachtgewand im Arm.
Ich folge ihm in das Zimmer und sehe, dass er das Gewand auf mein Bett platziert. Zurück am Tisch packt er ein Spiel aus und stellt die Spielfiguren auf die Unterlage. Wie lange wir dann gespielt haben, weiß ich nicht. Als ich mein Gähnen nicht mehr unterdrücken kann, meint Mister Dil:
„Es ist sicher Zeit schlafen zu gehen.“
Ich nicke, schüchtern lächelnd, und schaue zu wie er das Spiel sorgfältig in den Koffer zurück sortiert.
In meinem Zimmer entkleide ich mich, lege das Nachtgewand an und hänge meine Kleidung auf einen Kleiderbügel in den Schrank. Meine Unterkleidung kommt in einen Korb, der an der Rückwand befestigt ist. Danach schließe ich den Schrank und bleibe sekundenlang vor ihm stehen. Hat sich darin etwas bewegt? Ist da ein leises Geräusch zu hören gewesen? Schließlich lege ich mich schlafen.
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hermann-jpmt Forenmogul
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Fr Jan 26, 2024 9:48 am
Von einem allmählich heller werdenden Deckenlicht werde ich am Morgen wach und stelle nach einigen Minuten meine Füße neben das Bett. Ich erhebe mich und verlasse mein Schlafzimmer um über das Wohnzimmer ins Bad zu kommen. Nach der Morgenhygiene husche ich wieder in mein Zimmer zurück und öffne probeweise den Kleiderschrank. Dort hängt und liegt meine Kleidung. Ich nehme alles heraus und vergrabe meine Nase in der Unterwäsche. Es riecht tatsächlich frisch! Also hänge ich mein Nachtgewand auf einen Bügel und ziehe die Schranktür wieder zu.
Anschließend kleide ich mich an, nehme mir den kleinen Bilderrahmen, der mir Geschichten vorliest und setze mich im Wohnzimmer auf das Polstermöbel. Ich lehne mich gegen die Rückenlehne und lege meine Beine angewinkelt neben mich auf die Sitzfläche. Danach wähle ich anhand der Bilder innerhalb des Bilderrahmens eine Geschichte und drücke einen Knopf im Rahmen. Nun verbringe ich meine Wartezeit bis Mister Dil das Frühstück bereitet mit Zuhören.
Wieviel Zeit darüber vergangen ist, weiß ich nicht. Mister Dil kommt irgendwann aus seinem Zimmer, begrüßt mich mit „Guten Morgen, Miss Li“ und verschwindet ebenfalls kurz im Bad. Danach kleidet er sich in seinem Zimmer an und ordert an der Essensausgabe zwei Frühstücke, die er am Esstisch serviert. Also schalte ich meinen Bilderrahmen aus und erhebe mich, um mich ihm gegenüber auf den Stuhl zu setzen und mit ihm gemeinsam zu frühstücken.
Im Verlauf des Frühstücks eröffnet er mir, dass er heute Vormittag seine Mutter in meiner Begleitung besuchen möchte. Wahrscheinlich erhalten wir dabei einen Termin für einen weiteren Besuch, an dem auch sein Vater anwesend sein wird. Am Nachmittag will er mit mir einen Kaufmann besuchen und Lebensmittel einkaufen, damit die ‚Automatik‘ – wie er es nennt – genügend Lebensmittelvorräte hat. Weitere Einkäufe würden dann in den nächsten Tagen folgen, um die Ausstattung der Wohnung zu komplettieren.
Nachdem wir das Frühstück beendet haben, lässt mich Mister Dil das gebrauchte Geschirr und Besteck in die Essensausgabe stellen, damit ich allmählich selbständiger werde, wie er es nennt. Eigentlich habe ich mich schon damit angefreundet von ihm bedient zu werden, lächel.
Wir gehen danach zur Garderobe und ziehen unsere Schuhe und die Umhänge an. Er hilft mir beim Schließen meines Umhanges. Danach hält er seine Karte wieder an die Tür, die sich daraufhin um einen Spalt öffnet. Er schiebt die Tür ganz zur Seite und lässt mich in den Gang treten. Beim Verlassen der Wohnung wendet er sich ins Innere und spricht:
„Egh steu kiya!“
Dann kommt auch er heraus in den Gang und hält seine Karte draußen an den Türrahmen. Nun fährt die Tür zu. Ich frage ihn neugierig:
„Was bedeutet dieser Satz?“
Er nickt mir lächelnd zu und erklärt: „Ich habe mich bei der Seele der Wohnung verabschiedet, indem ich gesagt habe: ‚Ich habe gestört‘.“
„Ah,“ mache ich.
Das ist etwas, an das ich mich noch gewöhnen muss! Wir gehen in Richtung der Aufzüge. Dort holt er wieder so eine zimmergroße Kabine hoch, damit wir einsteigen können und sagt etwas in der fremden Sprache. Nun habe ich das Gefühl zu fallen und ergreife schnell den Handlauf. Am Ziel öffnet sich die Schiebetür und gibt den Weg in die Eingangshalle frei.
Mister Dil grüßt die Mitarbeiterin hinter dem Schalter und führt mich auf die Straße. Wir gehen wieder das kurze Stück bis zur Haltestelle der Einschienenbahn und steigen gemeinsam mit anderen Studenten ein. Die Meisten verlassen die Bahn an der Akademie wieder. Das hat mir Mister Dil auf dem Weg dorthin erklärt.
Er bleibt allerdings noch sitzen und fordert mich erst etwas später auf, mit ihm auszusteigen.
„Hier befinden wir uns an der Peripherie des Regierungsviertels,“ erklärt er mir. „Mein Vater Kshamata Dil ist als Wirtschaftswissenschaftler im Beraterstab des Sekretärs für Wirtschaft und Finanzen. Meine Mutter Nivida Dil hat in ihrer Jugend auf der Akademie Finanzwirtschaft studiert. Dabei haben sich meine Eltern kennengelernt. Meine Eltern tauschen sich heute immer noch miteinander aus. Während mein Vater im Sekretariat (Ministerium) arbeitet, hat meine Mutter eine Gastprofessur an der Akademie, die sie halbtags beschäftigt.“
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Sa Jan 27, 2024 9:52 am
Wieder gehen wir ein Stück zu Fuß durch einen gepflegten Park, bis wir vor einem Haus stehenbleiben. Die Eingangstür fährt zur Seite und wir betreten die dortige Eingangshalle. Die dortige Mitarbeiterin, eine ältere Frau, strahlt Mister Dil an und scheint ihn hocherfreut zu begrüßen. Er grinst breit und grüßt freundlich zurück. Die Beiden scheinen sich schon länger zu kennen.
Auch hier strebt er auf die Aufzüge an der Seitenwand zu und ich folge ihm, nachdem ich die Frau am Schalter schüchtern angelächelt habe. Mister Dil erklärt mir beim Gehen:
„Das war gerade unsere Pförtnerin. Sie kennt mich seit ich noch ein Kind war. Sie ist über alles und jeden informiert, der hier ein und aus geht.“
Ich nicke. Das verstehe ich.
Wir fahren mit dem Aufzug auf die Ebene, in der seine Eltern wohnen und er drückt einen Knopf am Eingang. Als sich die Tür öffnet, steht dort eine ältere Frau in einer Robe. Sie lächelt freudig und breitet die Arme aus. Mister Dil macht einen Schritt auf sie zu und umarmt sie sekundenlang, während sie den üblichen Gruß ausspricht. Dann tritt sie einen halben Schritt zurück und schaut meinen Begleiter von oben bis unten an.
Nun entspannt sich wieder eine kurze Unterhaltung in der fremden Sprache, wobei sie auch mich kurz mit freundlicher Miene mustert. Anschließend schlüpfen wir wieder aus unseren Schuhen und Mister Dil berät mich kurz bei der Auswahl meiner Pantoffeln aus dem wandhohen Regal. Auch hier entschuldigt er sich bei der ‚Seele der Wohnung‘ bevor er mit mir eine Stufe höher in den Flur tritt. Ich versuche es auch, wenn auch flüsternd, um mich den hiesigen Gepflogenheiten anzupassen.
Danach führt er mich ins Wohnzimmer und bietet mir Platz am Coffee-Table an. Im Gegensatz zu unserer Wohnung stehen hier Polstermöbel an jeder Längsseite des niedrigen Tisches. Wir setzen uns nebeneinander auf ein Polstermöbel, während seine Mutter mit einem Tablett zum Tisch kommt und sich danach uns gegenüber auf das andere Polstermöbel setzt. Sie serviert uns nun je eine Tasse Tee und lässt eine Schüssel Knabbergebäck in der Mitte stehen.
Nun beginnt Mister Dil einen längeren Vortrag in seiner Heimatsprache. Irgendwann unterbricht ihn seine Mutter mit einem Einwand. Ihre Stimme klingt leicht vorwurfsvoll, aber sie lächelt dabei. Mister Dil antwortet darauf und ergreift gleichzeitig meine Hand. Anscheinend ist die Sprache gerade auf mich gekommen. Seine Mutter nickt lächelnd, als sie ihm antwortet.
Nun folgen noch ein paar Sätze von Beiden im Wechsel, dann erhebt sich seine Mutter wieder und auch Mister Dil steht von seinem Sitzplatz auf. Deshalb schaue ich zu ihm hoch. Er lächelt mich aber nur an und streckt mir seine Hand entgegen. Ich ergreife sie und ziehe mich daran hoch. Er sagt zu mir auf Englisch:
„Meine Mutter hat uns für das Wochenende eingeladen. Dann werden Sie auch meinen Vater kennenlernen können, Miss Li. Jetzt muss meine Mutter noch etwas erledigen.“
Ich verbeuge mich leicht vor der Mutter meines Begleiters und folge ihm zur Garderobe. Dort ziehen wir unsere Schuhe wieder an und stellen die Pantoffel zurück ins Regal. Seine Mutter ist uns gefolgt und verabschiedet uns nun mit der Abschiedsformel „Sleirep tumhare saath -die Lebenskraft sei mit euch-.“
Mister Dil antwortet lächelnd mit „Egh steu kiya -Ich habe gestört-!“ und tritt in den Gang vor der Eingangstür. Ich folge ihm, nachdem ich mich noch einmal vor der Mutter verbeugt habe. Dann fährt die Wohnungstür zu.
Während wir zu den Aufzügen gehen, sagt er zu mir: „Wir sollten schnell die Sprache des jeweils anderen erlernen. Mein Kommunikator hat mir bisher sehr geholfen. Besser ist es aber, wenn wir uns ohne technische Hilfsmittel einander verstehen könnten! Das wird demnächst unsere Hauptfreizeitbeschäftigung werden.“
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Thema: Re: Wiege der Menschheit So Jan 28, 2024 10:11 am
Danach nimmt er den Bilderrahmen aus seiner Tasche, den er schon ein paar Mal seinen ‚Kommunikator‘ genannt hat und spricht etwas in seiner Sprache. Aus dem Bilderrahmen kommt eine kurze Antwort und danach sind Zeichen darauf zu erkennen. Anschließend steckt er den Bilderrahmen wieder ein und wir lassen uns zum Erdboden hinunterbringen, um dann das Haus zu verlassen. Nun machen wir uns auf die gleiche Art auf den Rückweg, wie wir hierher gekommen sind.
Als wir das Hochhaus erreichen, indem unsere Wohnung liegt, führt mich Mister Dil durch die Eingangshalle und betritt mit mir eine Lagerhalle. In Regalen und Körben befinden sich hier tausende Packungen, Flaschen und offene Lebensmittel. So etwas habe ich noch nie gesehen. Der Grocery Store früher in San Franzisko ist sehr viel kleiner gewesen.
Mister Dil führt mich durch die Reihen und zeigt mir das Angebot. Danach führt er mich zur Warenausgabe und fragt nach dem Paket für Hamad Dil. Der Mitarbeiter schaut auf den Bilderrahmen vor sich, tippt darauf herum und kurz darauf kommt ein größeres Paket auf vielen hintereinander liegenden Rollen heran. Mister Dil nickt und fragt dann den Mitarbeiter nach einer Karre. Dieser greift neben sich und reicht einen Bügel heraus, an dem unten zwei kleine Räder befestigt sind. Er biegt eine Metallplatte vor und die Räder verdrehen sich um 90 Grad. Darauf lädt er das Paket, nachdem er eine Karte über einen Kasten gehalten hat. Danach verlassen wir das Geschäft. Eines kommt mir komisch vor. Deshalb frage ich Mister Dil, sobald wir draußen sind:
„Müssen Sie als Angehöriger der Oberschicht für ihre Einkäufe kein Geld bezahlen?“
Er lächelt mich an und fragt zurück: „Haben Sie nicht gesehen, dass ich dem Mitarbeiter meine Karte über sein Lesegerät gehalten habe?“
„Damit haben Sie bezahlt?“ frage ich erstaunt zurück. „Sie nutzen hier kleine bunte Karten für so viele Funktionen, ob sie damit Türen öffnen oder sogar bezahlen? Man sieht kein Geld von einer Hand in die andere wandern!“
„Das war vor langer Zeit bei uns auch noch so,“ erklärt er. „Wir haben alle ein Konto auf einer Bank. Dort wird der Lohn für unsere Arbeit eingezahlt und von dort zahlen wir unsere Ausgaben. Es wandern heute nur noch Zahlen hin und her, keine Münzen oder Scheine mehr.“
„Oh,“ mache ich. „Und wie funktioniert das?“
„Nun, wir geben unseren Mitmenschen entweder unsere Arbeitsleistung oder einen Gegenstand aus unserem Besitz. Dafür verpflichtet sich dieser Mensch, uns ebenfalls etwas zu geben. Diese Verpflichtung wurde früher auf einem Papier verbrieft. Dieses Papier ist nicht personalisiert – genauso wie der Dollarschein auf Aitha – und kann weitergegeben werden. So entsteht ein Kreislauf an gegenseitigen Verpflichtungen. Wir nennen es Baadh, ein Kurzwort mit der Bedeutung ‚Verpflichtung‘. Im Laufe eines langen Zeitraumes haben sich Einteilungen für 1 Baadh ergeben. So kostet die Arbeitsleistung einer Stunde ein Baadh, oder ein Quadratmeter Wohnfläche, oder ein Päckchen oder Glas gefüllt mit einem Lebensmittel, und so weiter.“
„Ah, okay,“ meine ich.
Darüber werde ich noch nachdenken müssen und Mister Dil vertiefende Fragen stellen.
Wir fahren nun mit dem Aufzug zu unserer Wohnung, wo er das Paket öffnet und den Inhalt in die Essensausgabe schiebt. Dort ist ein Laufband, das die Pakete und Flaschen irgendwohin weiter transportiert. Nachdem alles auf diese Weise ‚verstaut‘ ist, sagt er zu mir:
„Ich bringe die Karre eben in den Supermarkt zurück. In wenigen Minuten bin ich wieder da!“
Kurz darauf hat er mich allein in der Wohnung zurückgelassen, aber er ist tatsächlich nach wenigen Minuten wieder zurückgekehrt.
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Mo Jan 29, 2024 9:42 am
Inzwischen sind drei Jahre ins Land gegangen. Ich kann mich schon ganz gut auf Meroiti verständigen, wie die Menschen auf Sona ihre Sprache nennen. Mit meinem fürsorglichen Lehrer bin ich seit kurzem nach dem hier geltenden Ritus verheiratet. Leider wird er mich immer wieder verlassen müssen, um mit seinem Lehrer Weltraummissionen durchzuführen, die dazu dienen, das Archiv der Gyaan mit Wissen zu füllen.
Aber er hat mir versprochen, immer wieder zurück zu kommen. Auch darf ich in der Zeit seiner Abwesenheit, so oft ich mag, meine Schwiegereltern besuchen. Unsere Liebesgeschichte hat natürlich ihre Wurzeln in seiner Fürsorge für mich, seitdem ich in diesem kleinen Nest in der amerikanischen Prairie von diesem Scheißkerl von Kollegen angeschossen worden bin.
Wir haben uns wie gute Bekannte einander gegenüber verhalten, die in einer Wohngemeinschaft leben. Daraus ist bald eine innige Freundschaft entstanden. Hamad hat mir seine Sprache gelehrt und auch erklärt, dass man diese Sprache galaxisweit unter den Menschen spricht. Natürlich haben sich in zehntausenden von Jahren hier und da eigene Idiome gebildet, aber Meroiti ist die Verkehrssprache geblieben. Darüber wacht ein eigenes Institut auf der Akademie!
Es hat so viel zu lernen gegeben in diesen drei Jahren! Neben der Sprache habe ich die Geldwirtschaft erlernt und das Reden mit den verschiedenen Geräten, die mit einer Künstlichen Intelligenz verbunden sind. Ich brauche zum Beispiel die Wohnung nicht putzen, ich brauche nicht kochen, nicht spülen. Auch werden dafür keine Hausangestellten eingestellt, sondern das erledigen ortsfeste oder mobile Geräte. Künstliche Angestellte also quasi, die von einer Künstlichen Intelligenz gesteuert werden. Ich brauche nur noch Anweisungen geben.
Hamad ist immer öfter für ein paar Stunden in die Akademie arbeiten gegangen. Er hat einen Lehrgang gegründet, in dem er den teilnehmenden Studenten über die Geschichte der Menschheit und deren Herkunft von der Erde, oder wie es hier heißt, von Aitha erzählt.
Wir besuchen oft Museen, schauen uns Parks und Ausstellungen an und verweilen dann in Restaurants mit überwältigenden Ausblicken. Als wir wieder einmal durch einen wunderschönen Park schlendern, sagt er zu mir -damals haben wir uns noch respektvoll mit unseren Familiennamen angeredet-:
„Li Kumaari -Miss Li-, Sie wissen, dass ich Sie schon auf Aitha in mein Herz geschlossen habe. Ich würde alles für Sie tun!“
Ich muss innerlich lächeln. Natürlich weiß ich das. Er hat es mir oft genug gezeigt und es Anderen gegenüber erwähnt, wenn diese Leute eine gewisse Xenophobie an den Tag gelegt haben. Sie zeigen dann zwar keine direkte Fremdenangst, aber sie sind mir gegenüber eher schüchtern und zurückhaltend. Das wundert mich eigentlich, denn die Menschen kennen Bewohner der verschiedensten Welten und handeln mit ihnen. Aber es ist scheinbar etwas anderes, mit jemand zu sprechen, der sich weit entfernt befindet und mit jemand, dem man von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht.
Allerdings verliert sich das Gefühl, wenn man Angehörigen der hohen Gesellschaftsschicht, der Gyaan, gegenübersteht. Ich darf nicht zu lange nachdenken und meine Gedanken abschweifen lassen! Dil Kêi -Mister Dil- wartet auf eine Antwort. Also äußere ich mein Gefühl zu ihm:
„Ich fühle mich geborgen in Ihrer Nähe.“
Nun wendet sich Mister Dil zu mir und fragt mit flehendem Blick: „Darf ich deinen Namen erfahren?“
Ich weiß, dass er meinen Vornamen kennt, wie ich seinen auch. Bisher haben wir uns immer mit dem Familiennamen angesprochen, weil auf Sona die Offenbarung des Vornamens einem Akzeptieren des Heiratsantrages gleichkommt. Seine Frage hat daher die Bedeutung eines Heiratsantrages. Ich bin einer Heirat gegenüber nicht abgeneigt, denn ich habe drei Jahre Zeit gehabt, ihn zu prüfen. Darum antworte ich mit fester Stimme und schaue ihm dabei verliebt lächelnd in die Augen:
„Ich heiße Yong Tai. Es ist der Name einer mythischen Prinzessin in China. Auf Meroiti hieße das Petno -Feder-.“
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Di Jan 30, 2024 10:52 am
Er lächelt glücklich über das ganze Gesicht und gibt mir nun auch offiziell seinen Vornamen preis: „Mein Name ist Hamad -wohlwollend-.“
Durch die vorangegangenen Sätze haben wir uns unsere Liebe füreinander gestanden, wie auf Sona üblich auf indirekte Art. Nun haben wir uns gegenseitig die Aibro -Ehe- versprochen. Nach der Zeremonie wird er mein Aimen -Ehemann- und ich seine Aigûen -Ehefrau-. Dann darf ich seinen Familiennamen annehmen und mich Dil Gûen nennen. Ich empfinde Wohlbehagen und habe das Gefühl der Leichtigkeit, der Glückseligkeit und Lebensfreude.
Hamad hat daraufhin seine Eltern mit mir besucht. Sein Vater hat uns in ein Restaurant eingeladen und dort die Sprache auf das Kathor Parishram gebracht, das ein Kloster und gleichzeitig die Zentrale der Gyaan ist. An meinem ersten Tag auf Sona hat Hamad mich dorthin geführt und mich dem Param Gyaata, dem ‚Obersten Wissenden‘ vorgestellt.
Dieser hat damals etwas zurückhaltend reagiert und Hamad die Verantwortung für meine Eingliederung übertragen. Nun wäre es an Hamad, dem Param Gyaata zu zeigen, wie gut ihm das gelungen ist. Gleichzeitig könnte der hohe Herr seinen Segen über unsere Beziehung sprechen.
Hamad findet die Idee gut und seine Eltern sind bereit, uns zu begleiten. Also nimmt Kshamata Dil, mein Schwiegervater, Kontakt zum Gyaata ka Salaah auf, dem ‚Rat der Wissenden‘. Er bittet für seinen Sohn um einen Termin beim Obersten Wissenden, den dieser 30 Tage später gewährt. Hamad lässt für mich eine ebensolche weiße Robe anfertigen, wie sie alle Gyaan zu zeremoniellen Zwecken tragen. Er erklärt mir aber, dass ich erst nach der Zeremonie berechtigt bin, sie zu tragen.
Meine Schwiegereltern und Hamad haben sich freigenommen. Wir fahren mit der Agmos Sheré -Einschienenbahn- aus der Hauptstadt zum Standort des Klosters in den nahen Bergen, denn die Gyaan wollen sich nicht von der anderen Bevölkerung abgrenzen. Eltern und Sohn haben ihre Robe angelegt. Das muss reichen, sagt Hamad.
Ich trage mein schönstes blaues Kleid und darüber wie Hamad einen besonderen Umhang in hellblau. Das alleine zeigt den Passanten schon den Zweck unserer Reise und jeder, der uns begegnet, wünscht uns „khoob jiyo karan -möget ihr lange leben-“.
Als wir am Bergpfad aussteigen und den Weg zum Kloster einschlagen, sind wir bald von jungen Mädchen umringt, die uns vorausgehen und an den Seiten begleiten. Sie tragen Körbe mit gelben Blüten und haben ihren Spaß dabei, sie uns in kleinen Mengen stets vor die Füße zu werfen. Ich bin beeindruckt und es stimmt mich fröhlich.
Im Kloster führen uns meine Schwiegereltern. Bald betreten wir einen Raum, der angefüllt ist von Trägern der weißen Robe. Der Param Gyaata tritt vor. Er trägt ein buntes besticktes Band in seinen Händen.
Hamad hat sich rechts neben mich gestellt und fasst nun mit seiner linken Hand meine rechte. Hamad streckt dem Param Gyaata seine linke Hand entgegen, mit der er meine rechte Hand festhält. Neugierig lasse ich es geschehen. Nun wickelt der Oberste Wissende das Band um unsere beiden Handgelenke und sagt dabei:
„Frî aur dosti de raaj karan ambho -Liebe und Freundschaft möge euch zur Regel werden-!“
Meine Schwiegereltern haben sich zu beiden Seiten von uns platziert und schauen zu. Von irgendwoher ertönen die weichen Klänge eines Saiteninstrumentes. Bei Zeremonien wird noch von Hand Musik gemacht, hat mir Hamad vorher erklärt. Der Param Gyaata rät uns, das Band zuhause an gut sichtbarer Stelle aufzuhängen, damit wir immer an unsere gegenseitigen Hochzeitsschwüre erinnert werden.
Nun fragt er zuerst mich und dann Hamad. Beide beantworten wir seine Frage mit einem klaren „Haan -Ja-!“
Anschließend beglückwünscht er uns und die anderen Ratsmitglieder fallen darin ein: „Khoob jiyo karan -Möget ihr lange leben-!“
Dann sind wir entlassen. Der Param Gyaata verabschiedet uns mit den Worten: „Sleirep tumhare saath -Die Lebenskraft sei mit euch!“
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Mi Jan 31, 2024 9:50 am
Wir gehen in das Heiligtum des Klosters. Hier werden in einem Schrein ein paar uralte Gegenstände aus der Zeit der Ankunft aufbewahrt. Wir halten alle vier unsere Bankkarten über das Lesegerät, auf dem wir 100 Baadh eingestellt haben. Nach der Spende an das Kloster verlassen wir es und gehen über den Bergpfad zur Haltestelle der Agmos Sheré -Einschienenbahn- zurück. Dort warten wir das Eintreffen des nächsten Zuges ab und fahren in die Hauptstadt zurück.
Mein Schwiegervater lädt uns in ein Restaurant ein, wo er einen kleinen Saal gemietet hat. Nun ist es wohl an der Zeit, dass ich die ganze Familie Dil kennenlerne. Der Restaurantchef hat die Tische festlich geschmückt. Als wir eintreffen und uns im Vorraum miteinander bekanntgemacht haben, sowie die Verwandten sich vergangene Erlebnisse berichten, werden wir an die Tische gebeten. Es gibt ein mehrgängiges Festessen. Die Spielerin des Saiteninstruments, das schon die Zeremonie im Kloster untermalt hat, ist ebenfalls anwesend und erfreut uns beim Essen mit ihren zarten Klängen.
Gung Kêi, der Lehrer meines Aimen -Ehemanns-, erhebt sich, schlägt ein Stäbchen sachte an sein Glas und hält eine kleine Rede, die er mit folgenden Worten abschließt:
„Ich binde sie, eure Wärme -Egh unhen baandhana aapaki garmi-. Ich binde sie, eure Stärke -Egh unhen baandhana aapaki taakat-. Ich binde sie, eure Energie -Egh unhen baandhana aapaki oorja-. Ich binde euch -Egh baandhana tum.- Hamad und Petno -Hamad aur Petno.-“
Gleiches macht auch mein Schwiegervater. Hamad ist ergriffen von den Worten. Die Verse sind ein uralter Spruch, der uns aneinanderbinden soll. Ich drücke seine Hand, denn öffentliche Zärtlichkeiten sind auf Sona verpönt. Das gehört in die eigenen vier Wände.
Später holen wir von meiner Schwiegermutter einen Beutel, gehen von Gast zu Gast und bedanken uns mit handgemachten Pralinen, die wir liebevoll verpackt haben, und ein paar herzlichen Worten für das Mitfeiern. Bald darauf brechen wir auf, verabschieden uns herzlich und fahren zu unseren Wohnungen. Diese Nacht werde ich das erste Mal mit Hamad zusammen in seinem Schlafzimmer verbringen. Die Vorfreude lässt mich leicht erschauern.
*
Bald darauf muss Hamad wieder mit Gung Kêi zu den Sternen fliegen. Er hat einen neuen Auftrag bekommen. Hamad hat mir aufgetragen, dass ich mich bei allen Problemen an Nivida Dil, seine Mutter, wenden darf. Sie hat mir erlaubt, sie ebenfalls Maan -Mama- zu nennen, denn sie ist mir hier auf Sona wie eine zweite Mutter.
Etwa eine Woche, nachdem Hamad unterwegs ist, sollte ich meine Menstruation haben. Dass sie auch eine Woche danach noch ausbleibt, macht mich etwas nervös. Wie gerne hätte ich mich jetzt bei Hamad angelehnt und seine Gelassenheit gespürt.
Kurz nach der Hochzeit hat er mir geraten, einen Frauenarzt oder -ärztin zu wählen. Ich habe mich für eine Ärztin entschieden. Aus den USA kenne ich nur männliche Landärzte. Hamad hat mich zu der Anmeldung begleitet. Die Dame ist ebenfalls eine Gyaata und mit der Familie Dil bekannt. Diese Frau suche ich nun auf und sie bestätigt meinen Verdacht, dass ich ein Kind erwarte.
Nun spreche ich über meinen Kommunikator mit Nivida, meiner lieben Schwiegermutter: „Lebe lang, Maan. Ich war gerade bei meiner Frauenärztin. Sie hat meinen Verdacht bestätigt und eine Überweisung für die Klinik ausgestellt.“
„Lebe lang, Petno. Bist du krank? Oder ist es etwas erfreuliches?“
„Noân, frî Maan -Nein, liebe Mama-. Ich bin nicht krank. Ich bin schwanger.“
„… und in dieser Situation jetzt allein! Möchtest du vielleicht zu uns ziehen, so lange Hamad unterwegs ist?“
„Haan -Ja-, das würde ich sehr gerne, wenn ich darf, frî Maan!“ antworte ich erleichtert.
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Do Feb 01, 2024 10:16 am
„Warte bei euch zuhause, bis der frî Kêi -liebe Herr- heute nachhause kommt. Packe schon einmal einen Koffer mit Kleidung und allem, was du so brauchst!“
„Mache ich. Sleirep tumhare saath -die Lebenskraft sei mit dir-!“
„Aur tumhare saath -und mit dir-!“ antwortet meine Schwiegermutter und ich begebe mich nun beschwingt auf die Heimfahrt.
Zuhause in unserer Wohnung packe ich einen Teil meiner Kleidung und meine Robe in den Dibba saath Haindal -Koffer- und lege eine Tasche mit meinen Hygieneartikeln hinzu. Meine ID-Card, Banking-Card, Health-Card, Key-Card und ein paar Kleinigkeiten nehme ich in meiner Batua -Handtasche- mit.
Als am Spätnachmittag der Summer ertönt, gehe ich zur Wohnungstür und öffne. Kshamata Dil, mein Schwiegervater, steht dort und lächelt mich an. Ich wechsele mein Schuhwerk, werfe mir meinen Umhang um die Schultern und knüpfe ihn über der Brust fest. Danach nehme ich meinen Dibba -Koffer- auf und rufe halblaut in die Wohnung hinein:
„Egh steu kiya -Ich habe gestört-!“
Jetzt wende ich mich meinem Schwiegervater zu, der geduldig gewartet hat und nun in Richtung der Aufzüge davongeht. Ich folge ihm. Unten verabschiede ich mich freundlich von der Pförtnerin und erkläre ihr, dass ich für einige Monate zu meinen Schwiegereltern ziehe.
Nach einer Fahrt mit der Agmos Sheré -Einschienenbahn- und einem kleinen Spaziergang erreichen wir das Appartementhaus, indem meine Schwiegereltern wohnen. Nivida begrüßt mich strahlend mit einer Umarmung. Dann darf ich Hamads früheres Kinderzimmer beziehen. Anschließend setze ich mich an den Esstisch und wir essen zu Abend. Dabei fragt mich frî Maan:
„Du hast dich noch nicht um einen Platz in einer Geburtsklinik gekümmert?“
Den Kopf schüttelnd, antworte ich: „Nein, bis jetzt noch nicht. Kannst du mir dazu einen Rat geben, frî Maan?“
Sie nickt lächelnd und meint: „Schlaf dich erst einmal aus, Petno. Morgen begleite ich dich zu einer Klinik, die ich gut kenne.“
Erfreut antworte ich: „Vielen, vielen Dank, liebe Schwiegermama!“
Tags darauf führt sie mich in ein Haus, indem ich mich in der Eingangshalle zuerst einmal anmelde. Anschließend werden wir in eine Station geleitet, wo ich noch einmal die Untersuchungen über mich ergehen lassen muss, die ich schon von der Frauenärztin kenne. Danach erhalte ich eine Liste von Untersuchungsterminen, an denen ich mich wieder hier vorstellen soll.
Bei diesen Terminen werden Ultraschallbilder von unserem Kind gemacht. Ich erhalte sie mit, so dass ich sie auf meinem Kommunikator speichern und Hamad später zeigen kann. Dafür erstelle ich eine Extra-Datei im Speicher. Auch soll ich bei jedem Besuch Blut spenden. Da ich von einem anderen Planeten komme, wollen die Ärzte sichergehen, dass im Falle von Komplikationen bei der Geburt genug Blut greifbar ist, das mein Körper verträgt.
Ab der 28. Schwangerschaftswoche nehme ich außerdem an einem Geburtsvorbereitungskurs teil. Er wird von der Klinik angeboten und frî Maan bestärkt mich darin, daran teilzunehmen. Der Kurs dauert acht Wochen und findet einmal wöchentlich für zwei Stunden in der Klinik statt.
Bei meiner ersten Teilnahme sind dort noch fünf weitere hochschwangere junge Frauen anwesend. Wir sind alle Erstgebärende. Eine Frau in weißem Kurzkittel kommt herein und stellt sich als die Hebamme vor. Sie erklärt:
„Wenn alles normal verläuft, werde ich Ihnen bei der Geburt beistehen.“
Als ich das höre, streiche ich gedankenverloren über die große Wölbung unter meinem weiten Kleid. Nach Aufforderung der Hebamme atmen wir Teilnehmerinnen in unseren Bauch.
Danach beginnt sie ihren Kurs anhand von Bildern auf dem Monitor. Sie zeigt auf ein Bild und erklärt: „Hier ist die Gebärmutter. Da ist das Kind, das bei der Geburt durch das Becken herausrutscht. Und zwar so – mit dem Kopf voran.“
Sie macht eine Pause und redet danach weiter: „Wenn die Wehen kommen, einfach einatmen, ausatmen!“
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Fr Feb 02, 2024 10:41 am
Sie lässt es uns ein paar Mal üben. Eine der Teilnehmerinnen fragt nach dem Wickeln und Waschen des Babys. Sie beantwortet geduldig alle Fragen aus unserer Runde. Dann ist dieser erste Kurstag schon vorbei. Die Hebamme macht noch auf einige Publikationen im Internet aufmerksam, dann dürfen wir gehen.
Mit der Zeit werden die Themen in dem Kurs immer spezieller. Die Hebamme erklärt Schleimabgänge, die verschiedenen Formen von Ausfluss und die richtige Massagetechnik, um die Brust auf das Stillen vorzubereiten.
Ich wache in einer Nacht wegen Schmerzen im Unterleib auf. Mich an die Atemtechnik erinnernd, die uns die Hebamme beigebracht hat, versuche ich die Wehe wegzuatmen. Ich bin mir sicher, dass es eine Wehe ist. Schaffe ich es aufzustehen und hinüber zu meinen Schwiegereltern zu gehen? Ich denke, ich kann einiges ertragen. Also setze ich mich auf und stelle die Füße neben das Bett. Dann stehe ich mit Schwung auf, die Kugel vor meinem Bauch mit hochwuchtend. Ich verharre einen Moment und stütze mich an der Wand ab. Dann drücke ich den Knopf, der die Tür zur Seite fahren lässt, trete hinaus in den Flur und muss innehalten.
Wieder gilt es, eine Wehe wegzuatmen. Nun wende ich mich zu dem Schlafraum, direkt neben meinem und drücke dort den Knopf zum Öffnen. Jetzt stehe ich im Türrahmen, etwas kurzatmig und rufe leise:
„Maan? Maan, ich glaube, es kommt!“
Meine Schwiegermutter dreht sich im Bett, aber mein Schwiegervater setzt sich auf und schaut zur Tür, in der ich stehe. Er fragt:
„Petno? Was ist los?“
„Frî Pita -lieber Vater-, ich glaube es kommt!“
Mein Schwiegervater kommt zu mir und führt mich ins Wohnzimmer. Dort soll ich kurz warten und zwischen den Wehen entspannen. Er nimmt seinen Kommunikator und fordert einen kleinen Shuttle an. Anschließend verschwindet er wieder im Schlafraum und wenige Minuten später kommt er angezogen heraus, um kurz ins Bad zu gehen. Meine Schwiegermama geht derweil in die Gästetoilette. Danach sind beide reisefertig. Schwiegerpapa nimmt meinen Koffer und stützt mich auf dem Weg zu den Aufzügen.
Als wir vor das Haus treten steht dort ein viereckiges Fluggerät, in das wir einsteigen. Die Automatik erhält das Ziel und wenige Minuten später landen wir auf dem Dach der Geburtsklinik. Wir fahren mit einem Aufzug auf die Etage, wo ich den Geburtsvorbereitungskurs gemacht habe und ich frage dort, wo wir hingehen müssen.
Nachdem wir auf der richtigen Station sind, werde ich wieder untersucht. Danach soll ich noch ein wenig durch die Gänge spazieren. In den nächsten Stunden wechseln Untersuchungen und Spaziergänge einander ab. Schließlich werde ich aufgefordert, mich auf eine Liege zu legen. Man legt eine Manschette um meinen Arm und einen Zugang in eine Vene. Meine Beine soll ich in zwei Schalen legen, die dann abgespreizt werden. Neben dem Arzt erkenne ich auch die Dame, die den Geburtsvorbereitungskurs geleitet hat.
Beide arbeiten konzentriert und ruhig. Ihre Ruhe überträgt sich auf mich. Die Wehen, die jetzt in schneller Folge kommen, atme ich wie gelernt weg. Ich steigere mich in eine Art Hochstimmung, zu der sich große Erleichterung gesellt, als ich spüre, wie unser Kind geboren wird.
Es wird gewaschen und gewogen, abgenabelt und in eine warme Decke gehüllt. Dann legt man es mir in den Arm. Die Hebamme verlässt uns und eine Pflegerin kommt hinzu. Während der Arzt alle Anschlüsse entfernt, fragt mich die Pflegerin, wie unser Mädchen denn heißen soll. Darüber habe ich mit Hamad geredet, als wir uns einmal ausgemalt haben wie schön es ist, eine Familie zu sein. Also antworte ich der Pflegerin:
„Es soll Gorêiya -Spatz- heißen.“
Sie nickt lächelnd und tippt den Namen in ein Gerät. Nachdem sie einen Knopf gedrückt hat, kommt ein lindgrünes Band heraus, das sie meiner Kleinen um das Handgelenk legt. Sie fährt mit einem Lesegerät darüber und zeigt mir den Namen auf dem Display. Ich nicke bestätigend und lächele glücklich.
Ich muss jetzt noch ein paar Tage auf der Wöchnerinnen-Station bleiben. In der Zeit gibt man mir verschiedene Tipps im Umgang mit Gorêiya. Meine lieben Schwiegereltern sind wieder zuhause. In all der Freude breitet sich auch Melancholie in mir aus. Meine lieben Eltern leben in San Franzisko und haben mich seit meinem Aufbruch mit der Theatergruppe nicht mehr gesehen.
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Sa Feb 03, 2024 9:59 am
Sie sind arm und ich habe als Hausmädchen meine Pflicht als gute Tochter ihnen gegenüber erfüllen können, indem ich sie mit etwas Geld von meinem Lohn unterstützen konnte. Seit ich mit der Theatergruppe nach Osten gezogen bin, ist das nicht mehr möglich gewesen, und in der jetzigen Situation schon gar nicht.
Als ich mit Klein-Gorêiya wieder bei ihnen wohne, spreche ich mit der lieben Schwiegermutter darüber. Sie sieht ein Problem, wenn sich bei mir eine ausgewachsene Depression breitmachen sollte. Deshalb bietet sie mir an mich in Meditation anzuleiten, will aber auch mit dem lieben Schwiegervater darüber sprechen.
*
Ich habe mit meinem Shikshak Kee Gung und unserem Raumschiff Aro-23 wieder das Sâu-System angesteuert, den Stên se Men -Entstehungsort der Menschheit-. Wir haben fünf Tage Flugzeit für die Strecke benötigt. Danach haben wir von der Künstlichen Intelligenz erfahren, aus welcher Siedlung der Menschen, die jetzt das Jahr 1853 schreiben, wir abgeholt worden sind.
Mein Shikshak ist der Meinung, wenn wir verdeckt forschen wollen, müssen wir uns von diesem Ort fernhalten. Wir haben also die KI nach einer anderen Siedlung in der Nähe suchen lassen. Seltsamerweise sind sie alle wie an einer Perlenschnur in West-Ost-Richtung aufgereiht. Kee Gung hat sich für eine Siedlung entschieden, die 50 Meilen (in der Zählung der Menschen hier) von unserem letzten Ort entfernt im Südwesten liegt.
Unser Raumschiff hat uns in der Dunkelheit eine Meile außerhalb im Grasland abgesetzt und ist dann auf Befehl meines Shikshak -Lehrers- gestartet, um in der Umlaufbahn auf uns zu warten. Außerdem kann es so als Relaisstation dienen, um etwaige Funksprüche von uns an unsere Zentrale auf Sona weiterzuleiten.
Als wir nach hiesiger Zeitrechnung fast neun Monate auf Aitha zugebracht haben, regt mein Shikshak eine Unterbrechung an. Er ist der Ansicht, dass wir die Daten, die Aro-23 regelmäßig an unser Archiv gesendet hat, an Ort und Stelle sichten und bearbeiten sollten. In einer weiteren Mission sollten wir uns dann einmal auf der gegenüberliegenden Seite von Aitha umschauen.
In der darauffolgenden Nacht will Kee Gung die Aro-23 wieder außerhalb der Stadt landen lassen, damit wir zusteigen können und nachhause fliegen. Er kommentiert seine Entscheidung mit den Worten:
„Du freust dich doch sicher, deine junge Frau wiederzusehen!“
Er lächelt mich dabei an und ich lächele zurück. Natürlich freue ich mich auf Petno! Ich bin auch begierig zu hören, wie sie die Zeit verbracht hat.
Nach Anbruch der Dunkelheit nimmt mein Shikshak also Kontakt zu Aro-23 auf. Die Künstliche Intelligenz antwortet:
„Ich nehme an, dass Sie und Pragati Hamad Dil jetzt alleine sind, da Sie mich offen anrufen. Die Zentrale in Kathor Parishram hat einen Funkspruch gesandt, den ich Ihnen gerne übermitteln möchte, Kommandant.“
Wir schauen uns überrascht an. Kee Gung antwortet: „Lass hören, Aro-23!“
„Khoob jiyo aur shaanti -lebe lang und in Frieden-, Kommandant Gung, ich möchte Ihnen eine Erweiterung ihres Auftrages übermitteln: Reisen Sie zu der Stadt, die San Franzisko genannt wird und suchen Sie dort folgende Adresse auf: Sacramento Street 237. Es ist auch näher bekannt unter dem Begriff ‚Little China‘. Fragen Sie dort nach Mr. und Mrs. Li, Li Bo Feng und Li Mai Lin. Besuchen Sie Sie so, dass niemand anders den Kommunikator sehen und hören kann. Spielen Sie den ehrwürdigen alten Leuten den Anhang dieses Funkspruches vor. Sleirep tumhare saath -Die Lebenskraft sei mit euch!“
Mein Shikshak schaut verdutzt auf seinen Kommunikator und entdeckt oben in der Ecke die Anzeige des Anhangs. Eine 3D-Videodatei liegt dort, bereit zum Abspielen.
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Thema: Re: Wiege der Menschheit So Feb 04, 2024 11:23 am
„Na, dann war es das erst einmal mit der Heimkehr,“ meint er. „San Franzisko ist der westliche Endpunkt der Transcontinental Railroad, aber sie ist auch der größte Seehafen dort. Wir könnten also per Zug oder per Schiff dorthin reisen. Oder uns von Aro-23 am Stadtrand absetzen lassen und uns morgenfrüh zu dieser Adresse durchfragen.“
„Was schlägt mein Shikshak vor?“ frage ich ihn.
„Die Gelegenheit ist günstig,“ antwortet er. „Aro-23, lande etwas außerhalb der Siedlung, in der wir uns befinden und nimm uns auf. Anschließend setzt du uns am Rande der Stadt, die man hier San Franzisko nennt, im Westen ab und gehst wieder in Warteposition in den Orbit!“
„Wird gemacht, Kommandant!“
Zu mir sagt er nun: „Wir haben unsere Sachen ja beisammen. Also los. Wir gehen in das Grasland hinaus.“
Ich nicke und wir verlassen unser Zimmer in dem Gästehaus. Kurz darauf treten wir auf die Straße und umrunden das Haus, um aus der Siedlung heraus zu kommen. Draußen gehen wir eine Weile, um Abstand zur Siedlung zu erhalten. Plötzlich sehen wir in der Dunkelheit einen erleuchteten Streifen vor uns, der breiter wird. Es ist Aro-23, der die Rampe herunterlässt. Wir betreten unser Raumschiff, die Rampe schließt sich hinter uns und das Raumschiff fliegt los.
Es dauert nicht lange, bis Aro-23 sich meldet: „Wir sind angekommen, Kommandant!“
Die Rampe wird wieder heruntergelassen und wir verlassen das Raumschiff. Shikshak Gung sagt noch: „Es bleibt alles wie gehabt. Aro-23, du wartest im Orbit auf uns.“
„So wird es gemacht, Kommandant!“
Die Rampe schließt sich wieder und um uns herum wird es wieder Nacht.
„Wir sollten uns für ein paar Stunden schlafen legen,“ meint Kee Gung.
Also setze ich mich an Ort und Stelle ins Gras. Die zusammengerollte Decke nutze ich als Kopfkissen und lausche auf die Geräusche der Nacht, bis ich eingeschlafen bin. Als die Sonne aufgeht, werde ich wach und sehe meinen Lehrer in Meditationshaltung neben mir sitzen. Nachdem es hell genug ist, erheben wir uns und schauen uns um. Aro-23 hat uns neben einer Straße abgesetzt. In einiger Entfernung stehen die ersten Steinhäuser der Stadt.
Wir betreten die Stadt nach einem halbstündigen Fußmarsch und gehen die Straße entlang. Mein Shikshak fragt den ersten chinesischen Menschen, den wir treffen, nach der Sacramento Street. Nach seiner Beschreibung dauert es eine weitere Stunde bis ich an einer Kreuzung ein Straßenschild mit der Aufschrift finde. Kurz darauf haben wir die Richtung herausgefunden, in der das Haus mit der Nummer 237 liegt. Hier trifft man keinen weißen Amerikaner. Eine Viertelstunde später stehen wir vor dem Haus.
Wir treten ein und schauen uns um. Hinter einem Schalter linker Hand sitzt ein chinesischer Mensch, den mein Shikshak nun anspricht.
„Good morning, does the Li couple live here?“
„Good morning, Sir,“ antwortet der Mann lächelnd und zeigt eine lückenhafte Zahnreihe. „What do you want?“
„We would like to speak to both of them.“
„In which matter?“
„Oh, my apologies, Sir. This is personal.“
„Hm,“ macht er. „Fahren Sie in die dritte Etage. Appartement Nummer 315.“
„Thanks a lot, Sir!“ antwortet mein Shikshak.
Wir gehen zum Treppenhaus, nehmen aber die Treppe, die sich um den Aufzug windet und sind ein paar Minuten später oben. Schnell haben wir das Appartement gefunden und Kee Gung betätigt den Türklopfer mitten auf dem Türblatt in Schulterhöhe. Kurz darauf öffnet sich die Tür. Eine ältere Dame steht vor uns und verbeugt sich leicht. Mein Shikshak fragt sie, sich ebenfalls höflich verbeugend:
„Are you Mrs. Li?“
„Yes, I am.“
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Thema: Re: Wiege der Menschheit So Feb 04, 2024 11:27 am
„And you have a daughter named Li Yong Tai?“
Sie verbeugt sich zweimal kurz hintereinander und schaut uns mit großen Augen an.
„May we come in? We have a message from her,“ fragt Kee Gung höflich.
Wieder verbeugt sie sich mehrfach. Dann tritt sie zur Seite, lässt uns an sich vorbeigehen und schließt die Tür. Sie bietet uns im Wohnzimmer Platz an und schenkt uns Tee aus. Mein Shikshak fragt nun:
„Is your husband present?“
Sie schüttelt bedauernd den Kopf und erklärt: „My husband is working. He’s coming back this morning.“
„Oh, okay. The fact is, your dear daughter wants to have you with her and therefore invites you both on a little journey.“
Mrs. Li schaut uns groß an und legt ihre Hand auf ihren Mund. Danach setzt sie sich uns gegenüber. Nach einer Weile fragt sie:
„Do you have a letter from her?“
Shikshak Gung antwortet ihr lächelnd: „I would be happy to present it to you, when your husband is also here.“
Man sieht der Frau an, dass sie es nicht erwarten kann, und nicht versteht, dass der Mann das Schreiben zurückhält. Also holt mein Shikshak seinen Kommunikator hervor, schaltet ihn ein und geht auf 3D-Wiedergabe. Danach lässt er den Anhang des Funkspruches laufen. Petno scheint auf dem Display zu stehen, etwa 30 Zentimeter groß.
„Zunjing de mudsin, zunjing de fudsin. Hsintong de shi dsche dsi nian mêi neng Hsiang ge hâo nüer nayng dschidschi ni! Suoyi wo hsiang ruguo nimen yuanyi che wo yidsi dschu, wo keyi mibu wo de shuchu. Dao shichôu wo ye keyi ba ni dsiêshao gêi ni dsinâi de nühsu he sunnü. Women hui yidsi zuo chenduo shidsing. Dsindsiê de, ni buchsiao de nüêr yongtai.
-Ehrenwerte Mama, ehrenwerter Papa. Ich bin untröstlich, euch in den letzten Jahren nicht so unterstützt zu haben, wie es einer guten Tochter gebührt! Deshalb habe ich mir gedacht, wenn ihr bei mir leben würdet, könnte ich mein Versäumnis wiedergutmachen. Ich werde euch dann auch euren lieben Schwiegersohn und die Enkelin vorstellen können. Wir würden viel gemeinsam unternehmen. Herzlichst, eure unwürdige Tochter Yong Tai-.“
Mrs. Li scheint überwältigt von der Übertragung. Ich glaube, sie hält es für eine Geistererscheinung. Sie sitzt einfach nur da, auf dem Stuhl uns gegenüber. Vielleicht eine halbe Stunde später klopft es wieder an der Tür. Sie hört es wohl, kann sich aber immer noch nicht rühren. Also gehe ich zur Tür, als der Türklopfer ein zweites Mal betätigt wird.
Nun kommt Leben in die Dame. Sie erhebt sich schnell und hat mich an der Tür erreicht. Sie öffnet und ein älterer chinesischer Mensch steht im Türrahmen. Mrs. Li redet nun in einem Wortschwall auf ihren Mann ein. Da sie scheinbar chinesisch spricht, verstehen wir kein Wort. Genauso ist es mir eben beim Abspielen der Datei gegangen. Petno hat ihre Muttersprache benutzt, um ihren Eltern mitzuteilen, dass sie mit uns kommen sollen.
Ich bin zu meinem Stuhl zurückgegangen und habe mich wieder gesetzt. Mister Li tritt näher und will nun ebenfalls die Nachricht sehen. Er bleibt stehen und umklammert während des Abspielens die Stuhllehne. Auch er ist minutenlang fassungslos, hat sich aber schneller gefangen und fragt nun:
„Wann soll die Reise denn losgehen?“
„So bald Sie mögen,“ antwortet mein Shikshak. „Wir können gleich starten, oder erst heute Abend.“
„Was muss man mitnehmen?“
„Packen Sie für eine Woche Reisedauer.“
„Und womit reisen wir?“
„Wir nehmen am besten die Postkutsche ostwärts. Es dürfte Wells Fargo sein.“
Die Beiden alten Leute haben Hummeln im Bauch. Der Mann sollte nach der Nachtschicht etwas schlafen, aber dazu ist er jetzt nicht in der Lage. Sie packen zwei Koffer. Danach verlassen wir das Haus. Wir tragen den Beiden ihre Koffer, während der Mann auf die Bank geht, um sein Geld abzuheben. Anschließend gehen wir zur Postkutschen-Station und fragen den Kutscher, wo er heute Abend übernachtet. Bis dorthin zahlen wir mit unseren erarbeiteten Dollars.
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Mo Feb 05, 2024 10:06 am
Dann werden die Koffer verstaut, wir setzen uns ins Fahrgast-Abteil und los geht die Fahrt. Bis 20 Uhr sind wir etwa 120 Meilen weit gekommen. Während der Kutscher seine Pferde versorgt, essen wir ein typisches Wild-West-Menü, wie wir es in den vergangenen neun Monaten schon oft gegessen haben. Auch das Menü zahlt Kee Gung von unseren angesparten Dollars. Inzwischen hat die Abenddämmerung eingesetzt. Der Mond steht bleich am Himmel.
Mein Shikshak fordert die Leute nun auf, mit uns auf das freie Feld hinter der Postkutschen-Station zu kommen. Wieder tragen wir die Koffer. Draußen kann man gerade noch einen großen dunklen Schatten erkennen, auf den wir zugehen. Wieder öffnet sich ein Lichtspalt, der schnell breiter wird. Eine Rampe wird erkennbar. Wir bitten die alten Herrschaften die Rampe hinauf. Hinter uns schließt sie sich wieder.
Nun führen wir die Leutchen zu einem Schlafraum, stellen die Koffer ab und bieten ihnen an, erst einmal zu schlafen. Mein Shikshak weist die Künstliche Intelligenz an, die Kleiderschränke zu sperren, damit das Ehepaar nicht in die Wäscherei fällt und sich etwas antut. Aber die Leutchen sind zu aufgeregt zum Schlafen.
Mein Shikshak zuckt die Schultern und führt sie in die Zentrale. Wir bieten ihnen Platz an und setzen uns vor die Kontrollen. Dann gibt er den Start frei und die Künstliche Intelligenz hebt das Raumschiff von Aitha ab. Nachdem wir auf Kurs sind schickt Kee Gung mich für die Dauer einer halben Schlafperiode ins Bett. Ich verlasse die Zentrale und sehe dabei, dass unsere Passagiere kaum noch ihre Augen offenhalten können. Mein Shikshak lächelt und legt seinen Zeigefinger vor seine Lippen.
Studien
Ich, Hamad Dil, bin in das Kloster Kathor Parishram in den Bergen nahe unserer Hauptstadt gerufen worden. Wie immer nehme ich die Agmos Sheré -Einschienenbahn- und gehe in Begleitung einiger Pilger das letzte Stück auf einem Bergpfad. Nach einer halben Stunde Fußweg betreten wir die Brücke über einen Gebirgsbach, an dessen anderem Ufer das Kloster liegt.
Nachdem wir es betreten haben, trennen sich unsere Wege. Das Ziel der Pilger ist das Heiligtum des Klosters. Dort werden in einem Schrein uralte Gegenstände aus der Zeit der Ankunft aufbewahrt. Jeder der Pilger kommt mit einem Anliegen, das er der hier verehrten Aatma -Seele- vorträgt. Er erhofft sich dadurch die Erhörung seines Wunsches. Anschließend lässt er eine Spende da.
Mein Ziel ist jedoch ein anderes. Also trenne ich mich von den Pilgern und erklimme eine Treppe. Auf dieser Ebene gibt es einen Aufzug, den ich nun benutze, um zum Gyaata ka Salaah -Rat der Gyaan- zu kommen. Man hat mich eingeladen, um mir etwas persönlich zu sagen.
Als ich die Ebene erreicht habe in der der Tagungsraum des Rates liegt, treffe ich auf meinen alten Lehrer Kee Gung. Nun sind es etwa drei Jahre her, dass wir gemeinsam in einem Forschungsraumschiff durch die Galaxis geflogen sind, um Daten für das Archiv der Gyaan -Wissenden- zu sammeln. Wir begrüßen uns herzlich und die leise Ahnung in mir wird zur Gewissheit. Wir werden unsere Zusammenarbeit wohl wiederaufnehmen.
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Di Feb 06, 2024 9:40 am
Gemeinsam betreten wir den Vorraum des Tagungsraumes und melden uns an. Mich fasziniert immer wieder die Architektur hier. Viele Rundbögen und Kuppeldecken gibt es hier unter dem Dach des Klosters. Große Fenster lassen viel Licht herein. Bäume und Kletterpflanzen von einer tieferen Ebene scheinen dadurch von außen hereindrängen zu wollen.
Wir haben uns bei dem Pragati -Fortgeschrittenen-, der hier oben Dienst tut, angemeldet und er hat die Gyaata von unserem Eintreffen informiert. Er bittet uns, kurz Platz zu nehmen. Es dauert nur etwa eine Viertelstunde, bis ein Summer ertönt und er uns erklärt, dass wir den Tagungsraum nun betreten dürfen. Als wir uns der Tür nähern, fährt sie automatisch zur Seite und gibt den Blick auf die Sessel der Ratsmitglieder frei.
Der Param Gyaata -Oberste Wissende- erhebt sich bei unserem Eintritt. Wir verharren im Schritt, neigen unsere Köpfe und grüßen im Chor:
„Khoob jiyo aur shaanti -Lebe lang und in Frieden-!“
Er grüßt in gleicher Art zurück und erklärt uns nun unseren nächsten Auftrag: „Gung Kêi und Dil Kêi, sie fliegen wieder ins All! Jedoch ist ihre Mission die Erforschung von Aitha. Knüpfen Sie daran an, wo Sie beim letzten Besuch aufgehört haben. Aitha ist für uns von unschätzbarem wissenschaftlichem Wert!“
„Wir starten morgen sofort!“ bestätigt mein Shikshak.
Der Param Gyaata nickt uns lächelnd zu, hebt die Hand und wünscht uns: „Sleirep tumhare saath -Die Lebenskraft sei mit euch-!“
Wir geben diesen Wunsch wie im Chor zurück und verlassen den Tagungsraum rückwärtsgehend bis die Tür vor unseren Nasen zufährt. Nun wenden wir uns um, grüßen den Pragati im Vorraum und fahren in die Hauptstadt zurück. Unterwegs vereinbaren wir eine Uhrzeit am Vormittag, um mit einem Weltraum-Shuttle nach Pakshee, dem Mond von Sona zu fliegen. Dort werden wir unser Raumschiff, die Aro-23, wieder übernehmen und nach Aitha starten.
Als ich nachhause komme, wartet Petno mit Tee und Gebäck auf mich. Ich setze mich zu ihr, bedanke mich für die süße Zwischenmahlzeit und beginne:
„Der Param Gyaata möchte, dass wir mehr Informationen über Aitha sammeln. Gung Kêi hat ihm versichert, dass wir morgen schon starten. Das heißt, dass uns nur noch ein gemeinsames Frühstück morgen bleibt. Dann werde ich für längere Zeit abwesend sein.“
Petno schaut mich traurig an. Deshalb ergänze ich: „Ich habe dich immer in meinem Herzen, und wenn wir zurückkommen, habe ich längere Zeit frei für uns beide, auch wenn ich vormittags in die Akademie muss, bis es wieder losgeht.“
Sie schaut zu Boden. Also lege ich meine Hand auf ihre und erinnere sie: „Du weißt doch, dass du einen Wissenschaftler geheiratet hast, und dass ich Feldforschung betreibe. Wir sind irgendwann alt genug, um unsere Arbeit in die Hände von Jüngeren zu legen. Dann können wir unsere Zeit völlig frei selbst einteilen.“
„Bis dahin vergehen noch ein paar Jahrzehnte!“ entgegnet sie mir augenzwinkernd.
Ich lächele sie entschuldigend an und frage: „Ist das nicht auf Aitha genauso?“
Ich lege ihr meinen Arm auf die Schultern und nähere mich mit dem Mund ihrer Wange. Sie wendet sich mir zu und nun treffen sich unsere Lippen zu einem innigen Kuss.
„Leider ja,“ antwortet sie. „Dort gibt es Seeleute, die monatelang von Zuhause weg sind. Die Ehefrauen müssen dann zuhause alles selbst regeln.“
„Egh tum pyaar karan!“ sage ich mit sanfter Stimme zu ihr. „Ich liebe dich!“
In der darauffolgenden Nacht haben wir ausgiebig gekuschelt und ich verlasse am Morgen unsere Wohnung, um mich mit meinem Shikshak zu treffen. Wir lassen uns mit einem raumflugfähigen Shuttle nach Pakshee fliegen und betreten dort unsere Aro-23.
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Mi Feb 07, 2024 11:42 am
Nachdem alle Startformalitäten erledigt sind, starten wir in den Weltraum und nehmen Kurs auf das System einer gelben Sonne mit einem blauen Planeten, dem Entstehungsort der Menschheit. Der Flug nach Aitha nimmt fünf Tage in Anspruch.
Wir gehen in eine weite Umlaufbahn um den Planeten. Die Künstliche Intelligenz markiert den Ort, an dem wir vor Jahren unsere Forschung abgebrochen haben, nachdem Sten-17 uns kontaktiert gehabt hat. Man hat unseren Notruf empfangen und ist gekommen, uns zurückzuholen.
Mein Shikshak ist der Meinung, wenn wir verdeckt forschen wollen, müssen wir uns von diesem Ort fernhalten. Wir haben also die KI nach einer anderen Siedlung in der Nähe suchen lassen. Seltsamerweise sind die meisten Orte wie an einer Perlenschnur in West-Ost-Richtung aufgereiht. Kee Gung hat sich für eine Siedlung entschieden, die 50 Meilen (in der Zählung der Menschen hier) von unserem letzten Ort entfernt im Südwesten liegt.
Nahe bei diesem Ort haben Menschen einen Stollen in die Erde getrieben und bauen Kohle ab, die dort nahe unter der Oberfläche liegt. Von einem Pferdewagen wird sie anschließend zur Bahnlinie geschafft und weiterverkauft. Die meisten Männer dieses Ortes arbeiten bei der Mining Company.
Unser Raumschiff hat uns in der Dunkelheit eine halbe Meile außerhalb im Grasland abgesetzt und ist dann auf Befehl meines Shikshak -Lehrers- gestartet, um in der Umlaufbahn auf uns zu warten. Außerdem kann es so als Relaisstation dienen, um etwaige Funksprüche von uns an unsere Zentrale auf Sona weiterzuleiten.
Wir sind auf Sona ausgerüstet worden, nachdem unsere Kleidung analysiert worden ist, die wir vor drei Jahren auf der Erde getragen haben, sowie einige typische Ausrüstungsgegenstände hat man nach unseren Berichten angefertigt und uns mitgegeben. Auch einige Dollarscheine und Vierteldollar-Münzen haben wir einstecken. Für die Strecke werden wir eine halbe Stunde zu Fuß brauchen. Wir warten bis kurz nach dem Sonnenaufgang und wandern los.
Den Ort betreten wir über die Hauptstraße und stehen bald vor einem Saloon mit der Beschriftung ‚Red Maple Bar & Grill‘ über den Schwingtüren. Shikshak Gung bleibt davor stehen.
„Wollen wir frühstücken?“ fragt er mich mit einem hintergründigen Lächeln.
Er verfolgt sicher einen Plan, also folge ich ihm neugierig hinein. Drinnen schauen wir uns erst einmal um. Zu dieser frühen Stunde sind wir die ersten Gäste, wie ich feststelle. Neben der üblichen Einrichtung, wie Tresen und Tische mit Stühlen, steht in einer Ecke auch ein Billardtisch.
Eine Frau kommt aus einer Tür hinter dem Tresen und fragt, was wir wünschen. Kee Gung fragt, ob es schon Frühstück gibt.
„Ich habe gerade erst den Ofen angeheizt, Sir,“ antwortet sie. „In etwa einer halben Stunde hätte ich das Frühstück soweit. Wenn Sie so lange warten möchten?“
„Ja, gerne,“ bestätigt mein Shikshak -Lehrer-. „Dürfen wir uns die Wartezeit mit Billard vertreiben?“
„Gerne,“ lächelt sie ihn an. „Das kostet allerdings ein Dollar für die Nutzung der Kugeln und der Queue.“
Shikshak Gung nähert sich ihr, legt einen Dollarschein auf den Tresen und erhält von ihr die beiden Billardstöcke, Kugeln und einen dreieckigen Rahmen. Er bringt alles zum Billardtisch und legt die Kugeln in den Rahmen über einer Markierung. Danach hebt er den Rahmen ab, stabilisiert ein paar Kugeln und gibt mir einen der Billardstöcke.
„Dieses Spiel basiert sicher auf Regeln,“ werfe ich ein.
Ich weiß noch, wie Petno, meine liebe Frau, mir anfangs die Regeln verschiedener Brettspiele erklärt hat, mit denen wir unsere Freizeit während des Fluges nach Sona verbracht haben. Mein Shikshak beruhigt mich:
„Dieses Spiel beruht auf banaler Geometrie, die jedes sonaische Kind im Schlaf beherrscht.“
Er platziert eine schwarze Kugel auf eine Markierung gegenüber den im Dreieck angeordneten Kugeln mit Zahlenwerten, legt seinen Billardstock auf den erhöhten Rand und stößt die schwarze Kugel an, so dass sie gegen eine der anderen Kugeln stößt. Nun verteilen sich die Kugeln auf dem Spielfeld.
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Do Feb 08, 2024 10:27 am
„Siehst du?“ fragt er mich lächelnd. „Nun bist du dran. Stoße die schwarze Kugel so gegen eine der Anderen, dass sie eine Kettenreaktion auslöst und in einem der Löcher verschwindet. Vielleicht schaffst du es sogar, dass mit dem einen Stoß mehrere Kugeln in den Löchern verschwinden…“
Ich versuche es und es beginnt mir Spaß zu machen. Wir stoßen die schwarze Kugel abwechselnd an und räumen auf diese Weise allmählich das Spielfeld leer. Danach holt Shikshak Gung die Kugeln aus Netzen unter den Löchern wieder hervor und baut das Spiel von neuem auf. Nach etwa einer halben Stunde bringt die Wirtin unser Frühstück an einen Tisch und wir räumen den Billardtisch ab, um ihr die Stöcke und die Kugeln zurückzugeben. Während wir uns an den Tisch setzen, fragt sie:
„Was möchten die Herren trinken?“
Wir bestellen zwei Tassen Kaffee dazu und beginnen zu Frühstücken, als die Wirtin mit zwei Tassen kommt und sie uns aus einer Kanne füllt. Kee Gung bedankt sich höflich und auch ich äußere mich:
„Vielen Dank!“
Sie lächelt uns an und antwortet „Guten Appetit“, bevor sie wieder in der Tür hinter dem Tresen verschwindet.
Während des Frühstücks meint mein Shikshak: „Wir können das Leben der Menschen hier am besten erforschen, wenn wir uns integrieren. Wie in der Siedlung, in der wir vor Jahren gewesen sind und in der örtlichen Schmiede gearbeitet haben. Ich denke aber, wir sollten uns diesmal aufteilen. Ich suche die Schmiede in diesem Ort auf und du könntest dich bestimmt hier nützlich machen, mit Gläser spülen und anderen anfallenden Arbeiten. An diesem Ort treffen sich die Menschen. Hier werden Gerüchte ausgetauscht und Erlebnisse berichtet.“
Ich nicke. Das ist eine leichte und doch wichtige Arbeit. Ich höre auf die Gespräche der Leute und sammele dabei Daten. Nach einer Weile schaut die Wirtin wieder in den Schankraum und fragt, ob wir noch einen Wunsch haben. Kee Gung lächelt sie freundlich an und fragt, ob es in diesem Ort einen Schmied gäbe und ob sie wüsste, ob der Mann Gesellen sucht. Sie legt den Kopf schief und meint:
„Ja, wir haben einen Schmied im Ort, aber soviel ich weiß, braucht er zurzeit keine zusätzliche Arbeitskraft. Wenn Sie schon nach Arbeit fragen, sprechen Sie doch den Personnel manager der Mining Company an…“
„Ja, das ist eine gute Idee,“ meint mein Shikshak. „In welcher Sparte werden denn dort immer Arbeiter gesucht?“
„Sie arbeiten dort als Miner unter Tage und graben nach Kohle. Dafür gibt es drei Dollar pro Tag. Sie haben keine Familie. Von da her können Sie einen großen Teil des Geldes sparen. Die Männer halten es unter Tage nicht lange aus und Arztrechnungen sind teuer!“
„Okay,“ antwortet er. „Vielen Dank für den Tipp!“
„Ich hätte da eine andere Frage,“ beginne ich nun. „Können Sie hier im Saloon jemanden gebrauchen, der die Gläser spült, die Tische abwischt, den Boden fegt, und was sie sonst noch benötigen?“
„Sie möchten hier im Saloon arbeiten?“ fragt die Wirtin erstaunt. „Natürlich kann ich jemanden gebrauchen, der mich entlastet! Aber wenn die Minenarbeiter Geld bekommen, geht es ziemlich hoch her hier. Fühlen Sie sich dem gewachsen?“
„Ich denke schon,“ erkläre ich und nicke.
Sie lächelt mich an und meint: „Ich kann Ihnen aber nur einen Vierteldollar am Tag bezahlen!“
„Das geht in Ordnung!“ erkläre ich.
„Okay,“ meint sie mit erleichterter Miene. „Sie sehen mir so neu aus in diesem Ort! Haben Sie schon eine Bleibe?“
„Leider nicht!“ antwortet mein Shikshak für uns Beide.
Sie schaut uns lächelnd an und meint: „Ich vermiete Zimmer, oben über dem Saloon. Sie kosten einen halben Dollar pro Nacht inklusive Frühstück. Möchten Sie zwei Zimmer mieten?“
„Einen halben Dollar pro Nacht?“ fragt Shikshak Gung nach.
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Fr Feb 09, 2024 11:14 am
Die Wirtin nickt lächelnd. Er fragt sie daraufhin: „Können wir auch ein Zimmer gemeinsam mieten?“
„Das geht natürlich auch,“ bestätigt die Wirtin etwas kühler.
Sie hat anscheinend im Geiste schon das Geld klimpern gehört. Nun führt sie uns die seitlichen Stiegen hinauf in das Obergeschoß. Über dem Schankraum liegen dort zwei einfache Zimmer, liebevoll dekoriert.
„Toilette und Dusche sind separat,“ meint sie und zeigt auf einen Raum über der Küche. „Sie werden auch von mir genutzt. Meine Privaträume sind hier!“
Sie zeigt auf eine weitere Tür.
„Haben Sie keinen Mann?“ fragt Kee Gung erstaunt.
„Nein!“ antwortet sie mit Verbitterung in der Stimme. „Der Scheißkerl hat sich dünne gemacht!“
„Sie sagen, das Zimmer ist mit Frühstück,“ erinnere ich sie. „Wenn ich also bei Ihnen arbeite, bekomme ich dann Lunch und Dinner kostenlos, oder muss ich dafür auch zahlen?“
„Sie bekommen kostenlos, was übrigbleibt, Mister…“
„Mister Dil,“ stelle ich mich vor. „Und mein Partner heißt Mister Gung.“
„Okay,“ lächelt sie mich gewinnend an. „Hinter dem Haus liegen Holzscheite für den Ofen. Wären Sie so lieb, sie ordentlich zu stapeln?“
Ich schmunzele und wir gehen wieder nach unten. Während ich hinter das Haus gehe und meinen ersten Arbeitsauftrag ausführe, geht mein Shikshak zum Büro der Mining Company.
*
Es ist Nacht geworden. Die letzten Gäste haben das ‚Red Maple Bar & Grill‘ verlassen. Ich blase die Öllampen an den Wänden aus. Nun nehme ich mir eine Kerze, zünde sie an und setze mich vor sie an einen Tisch. Dann schaue ich in die ruhige Flamme und beginne zu meditieren.
Nach einer Weile bemerke ich die Anwesenheit eines Menschen in meiner Nähe. Mich umwendend, erkenne ich unsere Wirtin. Sie spricht mich an:
„Entschuldigen Sie, wenn ich Sie gestört haben sollte. Ich wollte nur noch einmal nach dem Rechten sehen. Darf ich fragen, was Sie da machen?“
„Ich habe meditiert,“ erkläre ich ihr bereitwillig.
„Oh,“ macht sie und fügt nach einer kleinen Pause an: „Um in meiner wenigen Freizeit etwas zu tun zu haben, gehe ich in die hiesige Library. In meiner Vorstellung reise ich dann zu den Orten, von denen ich lese. Ich frage mich dann wie es ohne meinen Ex gelaufen wäre. Ob ich vielleicht in eine reiche Familie eingeheiratet hätte, mit vielen Bediensteten? Aber meine Zeit im Saloon lässt das nur ein Traum sein. Wenn ich lese, bin ich woanders. Dann bin ich wer anders. Dann träume ich mich in die Südsee, springe über Bord und tauche durch das blaue Wasser. Leider lässt die Arbeit im Saloon nur zu, dass ich mich von Zeit zu Zeit wegträumen kann. Von Tibet habe ich gelesen. Dort meditieren die buddhistischen Mönche jeden Tag. In Indien soll es Fakire geben, die durch pure Willenskraft ihr Schmerzempfinden ausschalten können. Aber ich halte Sie vom Meditieren ab! Entschuldigen Sie nochmals.“
Sie geht die Treppe wieder hoch und versucht dabei, auf den knarzenden Stufen so leise wie möglich zu sein. Ich erhebe mich ebenfalls und gehe in das Zimmer, das ich mit meinem Shikshak teile, um den Rest der Nacht zu schlafen.
Mein Shikshak arbeitet nun schon einige Monate im Bergwerk. Diese Woche hat er Nachtschicht und kommt am frühen Morgen erst nachhause, wenn ich aufstehen muss, um mit den Vorbereitungen des neuen Tages zu beginnen.
Am nächsten Morgen habe ich der Wirtin so weit geholfen, dass sie wie üblich das Frühstück für uns drei bereit hat. Eigentlich sollte Kee Gung auch schon angekommen sein und sich oben im Bad den Kohlenstaub vom Körper waschen. Unsere Wirtin würde sich gleichzeitig um seine schmutzige Kleidung kümmern. Aber heute verspätet sich mein Shikshak anscheinend.
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Sa Feb 10, 2024 11:11 am
Als wir das Frühstück beendet haben, entsteht Unruhe im Ort. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich, dass es im Bergwerk eine Explosion gegeben hat und ein Teil der Stollen eingestürzt sind. Einige Bergleute haben das Bergwerk fluchtartig verlassen. Mindestens zwanzig Männer sollen eingeschlossen sein.
Ich gehe auf unser Zimmer, um ungestört mit Aro-23 sprechen zu können. Dort nehme ich meinen Kommunikator zur Hand und sage:
„Aro-23.“
„Pragati Dil.“
„Kannst du Shikshak Gung orten und seine Vitalfunktionen lesen?“
„Das kann ich, Pragati Dil.“
„Dann geht es ihm gut?“
„Er hat eine erhöhte Herzfrequenz, aber es geht ihm gut, ja.“
„Ich hörte, dass das Bergwerk, in dem er arbeitet, teilweise eingestürzt ist. Einige Männer sind verschüttet. Also wird er zu den Verschütteten gehören und ist beim Einsturz nicht erschlagen worden. Wir müssen ihn und die Männer befreien! Wenn du ihn orten kannst, gib mir die Daten auf den Ohrhörer, wenn ich jetzt losgehe, um zu den Männern zu gelangen. Ich brauche einen Weg durch weiches Gestein!“
„Ich werde Sie leiten, Pragati Dil!“
Nun schiebe ich den Kommunikator in die Brusttasche zurück und stecke mir einen Ohrhörer ins Ohr, der drahtlos mit dem Kommunikator verbunden ist. Ich verlasse den Saloon, nachdem ich der Wirtin Bescheid gesagt habe, und gehe zum Büro der Mining Company.
Dort muss ich mich durch die Menge der Angehörigen hindurchdrücken. Ich frage den Angestellten, wo sie die Bohrer haben.
„Was nützt Ihnen das?“ werde ich zurückgefragt.
„Ich will die Eingeschlossenen retten!“ antworte ich im ruhigen Ton.
Mein Gegenüber ist ganz aufgeregt und will mich davon abhalten.
„Der Stollen könnte weiter einbrechen!“
„Wollen Sie ihre Leute ersticken lassen?“ frage ich zurück.
„Für den Bohrer brauchen Sie Männer, die die Dampfmaschine in Gang halten!“
„Ja, und?“ frage ich. „Wo sind diese Männer?“
Der Angestellte zuckt hilflos mit den Schultern. Also gehe ich vor die Tür des Büros und rufe der Menge zu:
„Wer kennt sich mit Dampfmaschinen aus? Wer kann ihre Funktion überwachen? Wer fühlt sich in der Lage, die Feuerung zu bedienen? Es geht darum, eure Männer und Söhne aus dem Stollen zu holen.“
Zwei alte Männer melden sich und mehrere Frauen.
„Okay,“ meine ich lächelnd und drehe mich zu dem Angestellten um. „Wo ist nun der Bohrer?“
Er führt mich in einen Schuppen und zeigt mir das Gerät.
„Braucht man dafür nicht auch einen Schlauch, der den Verdichter mit dem Bohrer verbindet?“
Er weist stumm in eine andere Ecke. Einige junge Männer sind mir neugierig gefolgt. Ich lade jedem einen Schlauch auf die Schultern und einem weiteren neugierigen Jungen einen Sack mit Verbindungsstücken. Den Bohrer lade ich mir selbst auf die Schultern und gehe zur Dampfmaschine am Eingang des Bergwerkes.
Die Menge folgt mir. Die Glut in der Feuerung ist schnell wieder heiß und die Schläuche sind mit den Verbindungsstücken verbunden. Jetzt schließe ich den verlängerten Schlauch an den Verdichter und die Bohrmaschine an. Einen der Jungen behalte ich bei mir. Er soll meine Anweisungen weitertragen.
Als ich an der Einsturzstelle angekommen bin, schicke ich den Jungen zum Verdichter zurück. Er soll dem Mann dort sagen, dass er Druckluft auf den Schlauch geben soll.
„Aber gaaaaaanz vorsichtig,“ schärfe ich dem Jungen ein. „Erstmal nur wenig. Komm dann zu mir zurück, damit du dem Mann sagen kannst, wann er wieviel mehr Druck geben darf!“
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Thema: Re: Wiege der Menschheit So Feb 11, 2024 11:16 am
Der Junge läuft nach draußen und Minuten später beginnt sich der Bohrer zu drehen. Aro-23 erklärt mir, ich soll in die Seitenwand des Stollens bohren. Den Jungen schicke ich noch ein paarmal nach draußen, um dem Mann zu sagen, dass er den Druck sachte weiter erhöhen soll.
Nach einer Weile habe ich das Erdreich auf einer Tiefe von etwa 40 Zentimeter gelockert. Nun schicke ich den Jungen zurück. Er soll Leute hereinholen, die das lockere Erdreich auf eine Lore schippen und nach draußen bringen. Er kommt schulterzuckend zu mir zurück.
„Wenn die Jungs zu ängstlich sind,“ sage ich ihm, „dann spreche die Frauen an, deren Männer eingeschlossen sind.“
Nun kommt er tatsächlich mit drei Frauen zurück, die einen Wagen hereinschieben. Sie haben drei Schaufeln dabei und beginnen nun damit das lockere Erdreich in die Lore zu schippen. Der Junge hält die Öllampe.
Bald ist der Wagen voll und ich stecke bis zu den Füßen in liegender Position in einem nur ein Meter hohen Tunnel. Die Frauen mühen sich mit der vollen Lore ab. Ich höre das in den Pausen. Also schicke ich den Jungen nach draußen, um Verstärkung zu holen.
Nach einigen Metern korrigiert Aro-23 meine Bohrrichtung. Ich lege den Bohrer ab und krieche zurück. Dabei schiebe ich loses Erdreich in den Stollen, damit die Frauen es aufschippen können. Ich sage ihnen, dass ich kleine Leute brauche, die das lockere Erdreich aus dem niedrigen Tunnel herausbefördern. Eine der Frauen geht nun nach draußen und kommt mit ein paar Jungs zurück.
Nun bohre ich in der von Aro-23 angegebenen Richtung weiter. Ich muss noch einmal die Richtung ändern und es gibt einen Stopp, als der Schlauch sich von einem Verbindungsstück löst. Der alte Mann draußen, der den Verdichter bedient, schaltet ihn ab, nachdem er benachrichtigt worden ist. Der Schlauch wird repariert und der Druck wird wieder langsam erhöht.
Wieviel Zeit vergangen ist, bis ich hinter dem Einsturz aus der Wand breche, weiß ich nicht. Aber es gibt ein großes Hallo und Schulterklopfen. Nachdem die Männer erleichtert gelacht haben, kriechen sie, einer nach dem anderen durch den niedrigen Tunnel und helfen, die Lore nach draußen zu schieben.
Frauen und Männer in schmutziger Kleidung liegen sich in den Armen. Heute wird nichts mehr gemacht. Der Gruppenführer will zuerst das in den Stollen gestürzte Material in den nächsten Tagen ans Tageslicht schaffen und die Hölzer erneuern, die den Stollen abstützen.
Plötzlich werde ich im Ort wie ein Held gefeiert. So sehe ich mich selbst aber überhaupt nicht. Ich habe einfach nur das Notwendige getan. Und außerdem: Ohne die Mithilfe der Einwohner des Dorfes hätte ich es wahrscheinlich auch nicht geschafft. Besonderen Dank gebührt den Frauen, die in die Hände gespuckt und das Erdreich geschaufelt haben, um ihre Männer vor dem Ersticken zu bewahren!
*
„Ehrwürdiger Shikshak -Lehrer-, was ist von Dauer?“
„Roshan (die Sonne von Sona) ist von Dauer, Pakshi der Mond von Sona) ist von Dauer, das Leben ist von Dauer.“
„Wenn das Leben von Dauer ist, warum ist dann das Leben dieses ehrwürdigen Shikshak zu Ende?“
„Mein junger Tiddee, es heißt ‚Das Blatt nährt den Baum. Und wenn ein Blatt fällt, erzittert der Baum.‘ Aber im nächsten Jahr treibt er wieder aus.“
„Sprich bitte von der Vergangenheit, ehrwürdiger Shikshak.“
„Die Gegenwart hat ihre Wurzeln in der Vergangenheit, mein junger Tiddee. Und aus diesen Wurzeln beziehen wir unsere Kraft und Stärke. Das Leben existiert immer, auch wenn ein Teil davon stirbt. Doch auch das Teil lebt weiter. Der Körper verwest wie das Blatt, das vom Baum fällt. Die Lebenskraft, die ihm innewohnt, bleibt erhalten. Sie geht in einen neuen Teil der Natur über, der bereit ist sich zu entfalten.“
*
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Mo Feb 12, 2024 9:17 am
Leider haben drei Frauen ihre Männer verloren. Sie standen wohl zu nahe am Explosionsherd und wurden dann unter den Erdmassen beim Einsturz des Tunnels begraben. Wir haben sie zu trösten versucht, aber so richtig ist es erst dem ‚Referent‘ gelungen, ihnen über den Verlust hinweg zu helfen und sie bei der Trauer zu begleiten. Ich habe mich in dieser Situation an ein Gespräch mit meinem alten Shikshak aus meiner Zeit als Tiddee erinnert.
So ist die Zeit bei den Leuten durchsetzt von Höhen und Tiefen, während wir über ihr Leben Daten sammeln. Darüber sind die projektierten 9 Monate vergangen, die wir bleiben wollen. Danach wollen wir für mehrere Monate nach Sona zurück. Ich freue mich schon auf Petno, meine liebe Frau. In einer weiteren Mission sollten wir uns einmal auf der gegenüberliegenden Seite von Aitha umschauen, damit wir ein umfassenderes Bild von den Menschen hier bekommen, regt mein Shikshak an.
In der darauffolgenden Nacht will Shikshak Gung Aro-23 wieder außerhalb der Stadt landen lassen, damit wir ungesehen zusteigen können. Wir räumen unser Gästezimmer auf und säubern es. Als er jetzt Kontakt zu Aro-23 aufnimmt, berichtet die Künstliche Intelligenz, dass eine Nachricht von unserer Zentrale auf Sona eingetroffen ist. Er lässt sie sich vorspielen.
Der Param Gyaata -Oberste Wissende- erweitert darin unseren jetzigen Auftrag auf Aitha. Wir sollen in eine große Stadt an der Westküste der USA gehen, die San Franzisko genannt wird. Dort sollen wir in einem Stadtviertel, das Little China genannt wird, ein Ehepaar aufsuchen und es zum Mitkommen animieren. Die Namen der Leute, Li Bo Feng und Li Mai Lin, lassen mich aufhorchen. Meine Petno hieß früher so! Ob es sich bei den Beiden um meine Schwiegereltern handelt?
Mein Shikshak schaut verdutzt auf seinen Kommunikator und ich bin nicht minder überrascht. Wir sollen dem Paar eine 3D-Videodatei vorspielen, die wir als Anhang mit der Nachricht bekommen haben. Hoffentlich überfordern wir sie damit nicht!
„Na, dann war es das erst einmal mit der schnellen Heimkehr,“ meint Shikshak Gung.
Er überlegt und entscheidet dann: „Aro-23, lande etwas außerhalb der Siedlung, in der wir uns befinden und nimm uns auf. Anschließend setzt du uns am Rande der Stadt ab, die man hier San Franzisko nennt, und gehst wieder in Warteposition in den Orbit!“
„Wird gemacht, Kommandant!“ gibt die KI zurück.
Zu mir sagt er nun: „Wir haben unsere Sachen ja beisammen. Also los. Wir gehen in das Grasland hinaus.“
Ich nicke und wir verlassen unser Zimmer in dem Gästehaus. Kurz darauf treten wir auf die Straße und umrunden das Haus, um aus der Siedlung heraus zu kommen. Draußen gehen wir eine Weile, um Abstand zur Siedlung zu erhalten. Plötzlich sehen wir in der Dunkelheit einen erleuchteten Streifen vor uns, der breiter wird. Es ist Aro-23, der die Rampe herunterlässt. Wir betreten unser Raumschiff, die Rampe schließt sich hinter uns und das Raumschiff fliegt los.
Es dauert nicht lange, bis Aro-23 sich meldet: „Wir sind angekommen, Kommandant!“
Die Rampe wird wieder heruntergelassen und wir verlassen das Raumschiff. Shikshak Gung sagt noch: „Es bleibt alles wie gehabt. Aro-23, du wartest im Orbit auf uns.“
„So wird es gemacht, Kommandant!“
Die Rampe schließt sich wieder und um uns herum wird es wieder Nacht. Wir warten den Morgen ab und betreten in aller Frühe die Stadt. Nach einigem Nachfragen haben wir anderthalb Stunden später die Sacramento Street in China Town erreicht und stehen eine Viertelstunde darauf vor dem Haus, in dem das Ehepaar wohnen soll.
Wieder fragen wir nach und man erklärt uns, dass meine Schwiegereltern das Appartement 315 in der dritten Etage bewohnen. Shikshak Gung betätigt den Türklopfer mitten auf dem Türblatt in Schulterhöhe. Kurz darauf öffnet sich die Tür. Eine ältere Dame steht vor uns und verbeugt sich leicht. Mein Shikshak fragt sie, sich ebenfalls höflich verbeugend:
„Are you Mrs. Li?“
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Di Feb 13, 2024 9:29 am
„Yes, I am.“
„And you have a daughter named Li Yong Tai?“
Sie verbeugt sich zweimal kurz hintereinander und schaut uns mit großen Augen an. Sie lässt uns ein und erklärt uns, dass ihr Mann im Laufe des Morgens von der Arbeit nachhause kommen wird. Sie bringt uns Tee und fragt:
„Do you have a letter from her?“
Shikshak Gung nickt und antwortet ihr lächelnd: „I would be happy to present it to you, when your husband is also here.“
Man sieht der Frau an, dass sie es nicht erwarten kann, und nicht versteht, dass der Mann ihr das Schreiben vorenthält. Also holt mein Shikshak seinen Kommunikator hervor, schaltet ihn ein und geht auf 3D-Wiedergabe. Danach lässt er den Anhang des Funkspruches laufen. Ein 3D-Bild von Petno in ihrem schönsten Kleid erscheint auf dem waagerecht gehaltenen Kommunikator. Es sieht so aus, als ob sie auf dem Display stehen würde, gerade einmal etwa 30 Zentimeter groß. Dann spricht sie. Ich verstehe kein Wort. Sie nutzt sicher ihre Muttersprache:
„Zunjing de mudsin, zunjing de fudsin. Hsintong de shi dsche dsi nian mêi neng Hsiang ge hâo nüer nayng dschidschi ni! Suoyi wo hsiang ruguo nimen yuanyi che wo yidsi dschu, wo keyi mibu wo de shuchu. Dao shichôu wo ye keyi ba ni dsiêshao gêi ni dsinâi de nühsu he sunnü. Women hui yidsi zuo chenduo shidsing. Dsindsiê de, ni buchsiao de nüêr yongtai. -Ehrenwerte Mama, ehrenwerter Papa. Ich bin untröstlich, euch in den letzten Jahren nicht so unterstützt zu haben, wie es einer guten Tochter gebührt! Deshalb habe ich mir gedacht, wenn ihr bei mir leben würdet, könnte ich mein Versäumnis wiedergutmachen. Ich werde euch dann auch euren lieben Schwiegersohn und die Enkelin vorstellen können. Wir würden viel gemeinsam unternehmen. Herzlichst, eure unwürdige Tochter Yong Tai-.“
Mrs. Li scheint überwältigt von der Übertragung. Ich glaube, sie hält es für eine Geistererscheinung. Sie sitzt einfach nur da, uns gegenüber auf ihrem Stuhl. Vielleicht eine halbe Stunde später klopft es wieder an der Tür. Sie hört es bestimmt ebenso wie wir, aber sie kann sich immer noch nicht rühren. Also erhebe ich mich und gehe zur Tür, als der Türklopfer ein zweites Mal betätigt wird.
Nun kommt Leben in die Dame. Sie erhebt sich schnell und hat mich an der Tür eingeholt. Danach öffnet sie die Wohnungstür. Ein älterer chinesischer Mann steht im Türrahmen. Mrs. Li redet nun in einem Wortschwall auf ihren Mann ein. Wir verstehen kein Wort davon, da sie bestimmt chinesisch spricht. Genauso ist es mir eben beim Abspielen der Datei gegangen.
Ich habe mich wieder auf meinen Stuhl gesetzt und warte ab. Mister Li tritt näher heran und will nun ebenfalls die Nachricht sehen. Er bleibt stehen und umklammert während des Abspielens die Stuhllehne. Auch er ist minutenlang fassungslos, hat sich aber schneller gefangen. Anschließend treffen sie die Reisevorbereitungen und wollen wissen was sie alles einpacken müssen.
Mein Shikshak überlässt es ihnen. Er sagt nur: „Packen Sie für eine Woche Reisedauer.“
Die Beiden alten Leute wollen so schnell wie möglich aufbrechen. Wir tragen die Koffer der Beiden, während der Mann auf die Bank geht, um sein Geld abzuheben. Anschließend gehen wir zur Postkutschen-Station und fragen den Kutscher, wo er heute Abend übernachtet. Shikshak Gung zahlt bis zu dieser Postkutschen-Station. Dort angekommen gibt es erst einmal ein typisches Dinner. Draußen ist es dunkel geworden und der Mond steht bleich am Himmel.
Nach dem Essen fordert Kee Gung das Paar auf, mit uns auf das freie Feld hinaus zu gehen. Aro-23 ist dort inzwischen gelandet und wir betreten gemeinsam das Raumschiff. Drinnen führen wir die Beiden zu einem Schlafraum und stellen die Koffer dort ab. Aber die Leutchen sind zu aufgeregt zum Schlafen.
Mein Shikshak zuckt lächelnd mit den Schultern und wir gehen mit ihnen in die Zentrale. Dort bieten wir ihnen Platz an und setzen uns vor die Kontrollen. Dann gibt Kee Gung den Start frei und die Künstliche Intelligenz hebt das Raumschiff von Aitha ab.
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Thema: Re: Wiege der Menschheit Mi Feb 14, 2024 10:38 am
Nachdem wir auf Kurs sind schickt mich Shikshak Gung für die Dauer einer halben Schlafperiode ins Bett. Wir werden uns die Wache vor den Kontrollen aufteilen. Ich verlasse also die Zentrale und sehe dabei, dass unsere Passagiere kaum noch ihre Augen offenhalten können. Mein Shikshak lächelt und legt den Zeigefinger vor seine Lippen.
Ich nicke lächelnd und bin schon durch die Tür. Als ich meinen Shikshak an den Kontrollen ablöse, sind die alten Herrschaften in einen tiefen Schlaf gesunken. Kurz vor Ende meiner Wache werden sie wieder wach und ächzen. Das Schlafen in den Sesseln ist sicher nicht angenehm. Ich führe sie in unseren Jalapaan -Speiseraum- und lasse die Automatik drei Menüs herstellen. Danach speise ich mit ihnen.
Dabei kommt die unvermeidliche Frage auf: „Wo sind wir hier?“
„Dies ist unser Speiseraum,“ erkläre ich. „Sie befinden sich auf einem Dampfer, der Sie zu ihrer Tochter bringt!“
Damit geben sich die Leute erst einmal zufrieden. Wenn wir uns auf hoher See befinden, bringt es nicht viel, an Deck zu gehen. Um uns herum wäre nichts als Wasser. In der zweiten Schlafperiode haben sie die Annehmlichkeiten des Bettes für sich entdeckt. Kee Gung hat der Künstlichen Intelligenz allerdings aufgetragen, die Kleiderschränke gegen das Öffnen zu sichern. Wir wollen nicht, dass sich unsere Gäste während des Fluges verletzen, weil sie neugierig hineinsteigen.
*
Wieder landen wir mit einem Shuttle von Pakshi kommend neben dem Bergpfad in der Nähe des Klosters Kathor Parishram. Da die Mitnahme von Passagieren ungewöhnlich ist, besonders da sie auf einem Stufe-6-Planeten heimisch sind, will der Param Gyaata -Oberste Wissende- sie persönlich sehen.
Die beiden Leutchen tragen Kleidung der unteren Gesellschaftsschicht, der Bauern und Arbeiter. Ich habe sie in der Kleiderkammer beraten und ihnen gezeigt, wie sie auf Sona darin aussehen würden. Sie sind nun in einem Alter, in dem sie eine Rente beziehen würden. Auch diese Zuwendung muss erst noch geklärt werden.
Nachdem wir das Shuttle verlassen haben, gehen wir auf das Kloster zu. Wir haben unsere weißen Roben für den Besuch des Klosters angezogen. Mister Li fragt:
„Wohnt unsere Tochter in diesem Haus dort?“
Ich schüttele den Kopf und erkläre ihnen: „Das ist der Haupttempel und das Zentrum der Wissenden.“
Mein Kommunikator übersetzt ihnen: „Dschè schi dschuyào de sìmiào he dschì dsche de dschonghsin.“
„Unsere Tochter treffen wir dort?“
„Leider kann ich Ihnen diese Frage nicht beantworten. Wir haben die Aufgabe, Sie zu dem Dschischi yüanbò -Obersten Wissenden- zu führen. Er möchte Sie sehen. Sicher werden Sie Ihre Tochter bald darauf auch sehen!“
Wir betreten das Kathor Parishram und gehen zu den Aufzügen. Damit fahren wir in die Etage, in der sich der Tagungsraum befindet. Im Vorraum angekommen geben wir dem Pragati -Fortgeschrittenen-, der dort sitzt, unsere ID-Cards. Der junge Mann informiert jemanden im Tagungsraum von unserem Eintreffen. Eine Sekunde später fährt die Tür zur Seite und gibt den Blick in den Tagungsraum frei. Der Gyaata ka Salaah -Rat der Wissenden- ist dort versammelt und steht im Halbkreis vor der Tür. Aus ihnen löst sich nun der Param Gyaata -Oberste Wissende- und winkt uns lächelnd näher.
Wir neigen unsere Köpfe und grüßen die anwesenden hohen Herren: „Khoob jiyo aur shaanti -Lebe lang und in Frieden-!“
Der Param Gyaata grüßt in gleicher Art zurück und macht lächelnd einen Schritt zur Seite. Dadurch wird der Blick auf Petno frei, die bisher von den Herren verdeckt wurde. Petno trägt ihre himmelblaue Robe und strahlt über das ganze Gesicht. Nun kommt sie uns entgegengelaufen und fällt vor ihren Eltern auf die Knie. Sie nimmt die Hand ihres Vaters und ihrer Mutter und drückt abwechselnd ihre Lippen darauf. Dabei sagt sie in ihrer Muttersprache:
„Zunjing de fùdsin, zunjing de mudsin…“
Mein Kommunikator übersetzt das zu: „Ehrenwerter Vater, ehrenwerte Mutter…“