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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Mi Jul 24, 2024 9:18 am
Das sind schlechte Nachrichten!
„Dann kann ich aber nicht mehr selbständig von hier starten, wenn mein Auftrag erledigt ist!“
Mister Albright nickt. Er bietet mir eine Alternative an: „Ich könnte Sie dann gerne nach Eseís zurückbringen. Auch zwischendurch schon einmal, wenn Sie mögen. Sie scheinen ja verheiratet zu sein. Da würde sich Ihre Frau sicher über gelegentliche Besuche freuen!“
Das Angebot nimmt mir ein kleines Gewicht von der Brust, das sie seit meinem Abflug etwas zusammen schnürt. Daher will ich mehr darüber erfahren.
„Womit fliegen wir dann?“
„Wir nutzen einen der ‚Geister der Lüfte‘, wie die Leute hier sie ehrfurchtsvoll nennen,“ antwortet er und schaut mich dabei erwartungsvoll an.
Ich hake nach: „Um wen oder was handelt es sich dabei?“
„Um einen Flugsaurier. Wir, also meine Frau und ich, haben je einen gezähmt. Er benimmt sich fast wie ein Hund.“
„Hunde?“ frage ich und erinnere mich an Schulstunden mit dem Thema ‚Erde‘. „Sind das diese vierbeinigen Säugetiere, die den Menschen als Rudelführer betrachten, wenn sie zusammen mit ihm aufwachsen?“
Mister Albright nickt lächelnd: „Genau diese irdische Haustierart meine ich. Allerdings werden die Flugsaurier niemals Haustiere werden. Eher so etwas wie die australischen Dingos, diese halbwilden Hunde der Aboriginals dort vor vielen Jahrhunderten.“
„Ah, okay,“ meine ich. „Wird er meine Annäherung denn akzeptieren?“
„Das muss man ausprobieren,“ meint mein Gesprächspartner zuversichtlich. „Wir nehmen Wildbret mit und Sie werfen ihm auch ein Stück vor. Dann steigen Sie auf und stecken ihre Beine in dafür vorgesehene Schlaufen. Anschließend halten Sie sich am Sattelgriff vor Ihnen fest. Danach steige ich auf und dirigiere das Tier… Aber soweit ist es erst einmal noch nicht.“
„Okay, was haben Sie sich für heute sonst noch gedacht?“
„Neben Ihren Forschungen, ich denke, dass sie dafür jemandem von uns eine Menge Fragen stellen wollen, nehmen Sie an unserem normalen Alltag teil. Ich denke, das ist genau auf Ihrer Linie.“
„Wen kann ich denn mit meinen Fragen löchern und damit von seinem eigentlichen Alltag abhalten?“ frage ich nun.
Mister Albright schmunzelt. Er berichtet: „Als ich mich vor fast zwanzig Jahren zu den Ngachi ‚verirrt‘ habe, bin ich von der Tochter des Häuptlings im Wald aufgegriffen worden. Sie wollte mich erschießen. Die ‚Himmelswesen‘ hatten bei ihnen keinen guten Ruf. Aber ihre Gottheit hat ihr ein Zeichen gesandt, und so hat sie mich nicht nur leben lassen, sondern zum Heimatbaum ihres Volkes gebracht. Ihre Mutter, die Schamanin hat mich taxiert und ihr Vater, der Häuptling hat sie zu meiner Lehrerin bestimmt. Anfangs hat sie nur widerstrebend gehorcht. Mit der Zeit haben wir uns ineinander verliebt. Da wir zwei unterschiedlichen Spezies angehören, ihre Eltern aber gerne Enkel haben wollten, musste damals ein Genetiker aus Eseís aushelfen. Er hat es tatsächlich geschafft, dass Ngachischi schwanger wurde und uns eine Tochter geboren ist.“
„Oh, na, herzlichen Glückwunsch,“ meine ich etwas dümmlich, weil mich diese Nachricht sehr überrascht.
„Sie ist inzwischen zu einer hübschen und intelligenten jungen Dame herangewachsen, wie ihre Mutter damals!“ ergänzt Mister Albright lächelnd.
„Aber ich bin hier nicht auf der Suche nach einer Partnerin!“ stelle ich fest. „Ich habe eine Frau zuhause!“
„Meine Frau wurde von meinem Schwiegervater damals zu meiner Lehrerin bestimmt. Heute liegen die Dinge anders. Erstens sind Sie verheiratet und zum anderen möchte ich meine Tochter fragen. Sie darf natürlich ablehnen. Dann suchen wir jemand anderen!“
Ich nicke.
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Do Jul 25, 2024 10:06 am
„Damit wäre ich einverstanden.“
Wir haben uns während des Gesprächs auf den Boden gesetzt, wo wir gerade gestanden haben. Das ältere Ehepaar, also die Führungspersönlichkeiten dieses indigenen Volkes, sind nach der Begrüßung weggegangen. Mister Albrights indigene Frau hat uns kurz darauf verlassen und ist kurze Zeit später in Begleitung einer jungen Frau zurückgekommen. Sie haben sich einen halben Meter entfernt niedergelassen. Nun wendet sich Mister Albright ihnen zu. Er fragt:
„Ngamlorr, Liebes, möchtest du von diesem Mann etwas über die Kultur und das Selbstgefühl der Menschen erfahren? Dieser Mann möchte dies auch von uns erfahren. So kannst du von ihm lernen und er von dir! Damit du es weißt, Liebes, Luke hat zuhause eine Frau.“
Ngamlorr blickt auf den Besucher und spricht ihn auf Englisch an: „Luuck, ich bin neugierig. Aber wenn du zu flirten beginnst, fahre ich meine Krallen aus!“
Sie öffnet die Lippen, beugt sich etwas vor und zeigt fauchend ihre langen Eckzähne.
„Chhhhh!“
Ich lächele sie freundlich an und erkläre: „Das wird, ganz sicher nicht passieren… Wie heißen Sie? Ngamloar.“
„Okay, ich wollte das nur noch einmal bekräftigen,“ antwortet die junge Frau. „Ich heiße übrigens Ngamlorr, mit Rrrrr am Ende.“
„Okay,“ meine ich. „Ich muss das noch üben.“
Als sie mich eben angefaucht hat, habe ich das Gefühl gehabt, dass ihre grüne Haut leicht dunkler wurde.
Mister Albright erhebt sich nun und fragt mich: „Würden Sie mir dann bitte ihren Jetpack geben? Wenn Sie ihr Tablet am Körper tragen können, ist das in Ordnung. Sonst würde ich das Teil gerne auch nach Eseís bringen, und alles, was Sie sonst noch behindern könnte, hier im Wald. Noch ist Zeit genug, um vor der Dunkelheit zurück zu sein.“
Ich nicke und nehme das Jetpack vom Rücken. Dann schaue ich in meinen Taschen und übergebe Mister Albright, was ich erübrigen kann. Er versenkt alles in einer Umhängetasche und schnallt sich dann den Jetpack auf den Rücken. Anschließend klettert er einen dieser schrägen Baumstämme hoch, die sich in der Höhe von etwa fünf Metern zu einem riesigen Baumstamm vereinigen. Kurz darauf ist er unseren Blicken entschwunden.
*
„Was passiert jetzt?“ frage ich die junge Frau.
„Dad klettert in den Wipfel des Heimatbaums und ruft dort den Luftgeist. Er steigt auf seinen Rücken und fliegt mit ihm nach Eseís,“ klärt sie mich auf. „Liegen Ihnen eigentlich besondere Fragen auf dem Herzen?“
„Jaaa, alsooo,“ dehne ich und suche nach einer Frage.
Es ist gar nicht so einfach, mich nach all den Eindrücken zu sammeln und eine Frage aus ethnologischer Sicht zu stellen. Nach kurzer Überlegung frage ich:
„Wie sind bei Ihnen eigentlich die alltäglichen Pflichten auf die Geschlechter verteilt?“
Die junge Frau lächelt und erklärt: „Die Frauen des Volkes sind für die Hausarbeiten zuständig. Außerdem gebären sie die Kinder und säugen sie. Auch sammeln sie im Wald die pflanzlichen Bestandteile des Essens und sie verstehen sich auf die Heilwirkung von vielen Pflanzen. Außerdem kennen sie die Gifte vieler Pflanzen und Tiere des Dschungels. Für Flechtwerk aus Pflanzenfasern sind auch die Frauen zuständig. Die Männer gehen in der Frühe für ein paar Stunden auf die Jagd und ziehen dem Wildbret nach der Heimkehr die Haut ab. Danach übernehmen die Frauen die weitere Zubereitung. Die Haut wird von den Männern weiterverarbeitet und verschiedene Gebrauchsgegenstände gefertigt. Diese Trennung ist jedoch nicht starr. Die Kinder erlernen von ihren Müttern durch Zuschauen und Ausprobieren, was diese können. Dazu gehören auch das Sammeln von Blättern und Früchten, sowie das Fischen. Dabei erfahren sie von der Wirkung der Pflanzen auf unseren Organismus. Von ihren Vätern lernen die Kinder die Jagd und das Verarbeiten der Häute. Da die Ausbildung der Kinder daher eher universell ist, sind sie optimal auf ein Leben im Weltenwald vorbereitet. Wenn die Kinder geschlechtsreif werden, müssen sie eine Prüfung, eine Initiation, bestehen. Mädchen können, wenn sie wollen, eine Wanderung durch den Wald machen, um einen Mann bei einem fremden Volk zu finden. Das verhindert, das kranke Kinder geboren werden. Oder sie werden Jägerin und versorgen ihre Familie mit Fleisch. Wenn sie irgendwann heiraten und schwanger werden, ziehen sie sich allerdings wieder auf die traditionelle Frauenrolle zurück.“
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Fr Jul 26, 2024 9:14 am
Oh, das ist gleich zu Beginn eine Menge von Informationen. Ich habe Angst, dass ich ein Teil davon vergesse, bis heute Nacht Ruhe einkehrt. Also hole ich meinen Kommunikator hervor und spreche die Informationen in eine Sprachdatei, die ich danach in meine Cloud hochlade. Wie Mister Albright vorhergesagt hat, werde ich ständig bei der Arbeit gestört. Die Indigenen kennen keine Privaträume. Also kommt ständig irgendjemand vorbei, spricht meine Interviewpartnerin oder ihre Mutter an. Es werden irgendwelche Gedanken ausgetauscht oder Anekdoten erzählt, dann gehen sie wieder ihrer Beschäftigung nach. Aber schon ist jemand anders da und das Geschnatter geht wieder los.
Irgendwie schaffe ich es, meinen Bericht in die Cloud zu sprechen. Ihre Mutter hat sich derweil erhoben und hat uns allein gelassen. Ich frage die junge Frau:
„Sie können sehr gut Englisch sprechen! Sind Sie zweisprachig aufgewachsen?“
Sie schaut mich an und antwortet: „Papa hat Mama seine Sprache beigebracht und auch die Bedeutung vieler Bewegungen seiner Gesichtsmuskeln und Gliedmaßen, Mimik und Gestik, erklärt. Im Gegenzug hat Mama Papa unsere Sprache beigebracht und die Bedeutung unserer Hautverfärbungen erklärt. Das habe ich von klein auf gelernt, ja.“
„Ah, okay,“ meine ich.
Nachdem ein anderes Mädel das Interview gestört hat und wieder gegangen ist, frage ich: „Sie haben eben von der Kindheit, dann von den Erwachsenen und dazwischen von der Initiation gesprochen. Hat die Initiation auch etwas mit der ersten Menstruation bei Mädchen und dem ersten Samenerguss beim Jungen zu tun? Das liegt ja zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenalter. In unserer Kultur gibt es da keinen abrupten Übergang, sondern einen Zeitraum, den wir die Jugend nennen.“
In diesem Moment kommt Mister Albright wieder hinzu. Er ist von dem Riesenbaum heruntergeklettert, den letzten Meter gesprungen und nähert sich uns jetzt.
Meine junge Interviewpartnerin antwortet: „Da kommt vieles zusammen, Luuck. Es ist ja eine Prüfung der Fertigkeiten, die den jungen Menschen befähigt, ohne Erwachsene im Weltenwald zu bestehen. Wir prüfen keine einzelnen Fähigkeiten, wie das in ihrer Kultur üblich ist, wie mir Chusa -Papa- erzählt hat, sondern es ist ganzheitlich. Der junge Mensch muss mindestens zwei Tage im Wald überleben können. Dazu muss er die Pflanzen und Tiere kennen, die im Wald leben. Er muss die Phänomene, denen er im Wald ausgesetzt ist erkennen und richtig einordnen, um überleben zu können. Dazu ist er kaum unterhalb des Alters eines jungen Erwachsenen in der Lage… Und ja, die Grenze der Kindheit setzen wir, wenn zum Beispiel ein Mädchen die monatliche Blutung bekommt. Sie sagt es ihrer Mutter und diese ruft ein paar ältere Frauen herbei. Eine weiße pflanzliche Paste wird angerührt und damit werden ihr magische Muster auf die Haut gemalt. Die Frauen murmeln dabei alte Gebete an den Schöpfer.“
Ihre Mutter tritt nun an uns heran und bringt das Abendessen. Wir erhalten Schalen aus der harten Schale einer Pflanze und darin eine Suppe aus den Resten des heute Morgen gejagten Wildbrets mit gewürfelten Wurzeln und gesammelten Blättern. Ich glaube, darin schwimmen auch in Scheiben geschnittene Pilze.
Mit dünnen hölzernen Spießen angeln wir die festen Bestandteile aus der Suppe. Danach setzen alle ihre Schalen an den Mund und schlürfen die Flüssigkeit heraus. Das geht natürlich nicht geräuschlos, aber das kümmert hier keinen. Darum schlürfe auch ich.
Danach gibt es eine längliche weiße Frucht und große Käferlarven. Beides scheinen für die Indigenen Leckerbissen zu sein. Ich ziehe die Stirn kraus. Die Larven sind tot, stelle ich fest. Ich beiße in die Frucht. Sie schmeckt süß. Also drücke ich die Larven in die Frucht und verspeise sie auf diese Weise.
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Sa Jul 27, 2024 10:12 am
Nach dem Essen meldet sich Mister Albright zu Wort: „Da wir hier von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang aktiv sind, machen wir uns jetzt am Besten für die Nacht fertig. Die Blätter des Heimatbaumes beginnen schon bald, sich einzurollen. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen, wie wir schlafen.“
„Ja, das ist interessant,“ antworte ich ihm und nicke.
Er erhebt sich nun und strebt auf den Baum zu. Die Anderen stehen ebenfalls vom Boden auf und sammeln die Schalen ein. Ich folge Mister Albright und erklimme hinter ihm einen dieser mannsdicken schrägen Stämme.
„Das sind die Luftwurzeln unseres Heimatbaumes,“ erklärt er beiläufig.
Wir recken uns zu den unteren Ästen und balancieren darauf weiter nach außen. Irgendwann setzt er sich auf einen dünneren Ast und rutscht ein Stück, bis er ein Blatt erreicht, das schon aussieht wie schlanker Kegel.
„Legen Sie sich mit den Füßen voran auf das Blatt und schieben sich so weit vor bis ihr Kopf sich hier knapp unterhalb des Blattstieles befindet. Das Blatt wird Sie bald völlig umschlossen haben und Sie fühlen sich wie in einer Hängematte. Seien Sie morgen Früh aber vorsichtig! Wenn Sie zu spät aufwachen und das Blatt sich schon geöffnet hat, könnten Sie etwa fünf Meter auf den Waldboden unter uns stürzen. Das könnte schmerzhaft sein!“
Ich mache es so, wie es Mister Albright sagt und fühle mich wohl auf dem riesigen Blatt, das sich zunehmend weiter einrollt und mich fürs Erste nicht mehr freigibt. Er kriecht zum Ast zurück und entfernt sich. Ich nehme meinen Kommunikator hervor und spreche kurz mit Padma. Mister Albright hat ihr die Sachen gebracht, die ich ihm übergeben habe. Ich rekapituliere, was ich heute alles erlebt habe und gleite allmählich in den Schlaf.
*
Nachdem ich mir Mister Sniders Jetpack auf den Rücken geschnallt habe und er mir einige Gegenstände für seine Frau übergeben hat, die ich vorübergehend in einem Beutel unterbringe, klettere ich in den Wipfel unseres Heimatbaumes. Ich habe da eine Stelle entdeckt, wo der Ckurrot zwischen zwei übereinanderstehenden Ästen hindurchsegeln kann. Ich stoße Atemluft in die einfache Panflöte und warte ein Weilchen.
Plötzlich höre ich den Schrei eines Luftgeistes und mache mich zum Absprung fertig. Da sehe ich, wie sich mein Ckurrot nähert. Der Flugsaurier hat genau seine Färbung und trägt den braunen Sattel auf dem Rücken. Ich lasse mich fallen als er unter mir hindurch segelt und kralle mich an den Sattelschlaufen fest. Schnell habe ich den festen Sitz im Sattel erlangt und klopfe dem Tier freundschaftlich an den Hals.
Dann dirigiere ich ihn nach Eseís, ein Weg, den er schon mehrfach geflogen ist. Ich lasse ihn am Stadtrand landen, damit ich unter der Bevölkerung keine Panik erzeuge. Um diese Zeit dürften viele Menschen zwischen den Häusern und über die Plaza flanieren. Der Ckurrot startet auf mein Zeichen wieder und wartet, Kreise drehend, in der Luft über der Stadt.
Mein erster Weg führt mich ins Rathaus. Dort will ich an der Dame im Foyer grüßend vorbeigehen. Sie schaut mich abschätzend an und fragt:
„Guten Tag! Wo möchten Sie hin?“
Es kommt sicher eher selten vor, dass sie einen Mann im Lendenschurz vor sich sieht. Ich entgegne lächelnd:
„Ich bin auf dem Weg zum Premier. Ich habe hier das Jetpack von Mister Snider, der als Ethnologe zu den Ngachi gesandt worden ist. Das möchte ich abgeben, da es hier besser aufgehoben ist als bei dem Dschungelvolk.“
„Der Premier weilt schon bei seiner Familie. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, geben Sie mir das Jetpack. Ich werde es hier lagern und meine Ablösung informieren.“
„Ach, das ist ja lieb von Ihnen,“ meine ich und nehme mir das Jetpack von der Schulter.
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b So Jul 28, 2024 9:41 am
Ich übergebe es ihr und verabschiede mich. Wieder draußen, orientiere ich mich kurz und gehe dann den von Mister Snider beschriebenen Weg. Bald drücke ich eine Klingel. Eine junge Frau öffnet mir. Sie trägt ein Baby auf einer Hüfte und schaut mich misstrauisch an.
Ihr zunickend, grüße ich und stelle mich vor: „Guten Tag, Frau Snider. Mein Name ist Jim Albright. Ich wohne seit Jahren bei dem Volk, das ihr Mann seit heute besucht. Ich habe ihm geraten, sich von allem zu trennen, was er nicht am Körper tragen kann und unbedingt braucht. Damit hatte ich im Sinn, dass diese Sachen nicht kaputt gehen, während er bei uns arbeitet. Unsere Kinder sind doch sehr neugierig und müssen alles berühren.“
„Ah,“ meint sie. „Dann kommen Sie doch kurz herein.“
Ich mache einen Schritt in die Wohnung und sie schließt die Tür hinter mir. Derweil hebe ich den Gurt des Beutels über den Kopf und stelle ihn vorsichtig auf einen Tisch. Danach leere ich den Beutel und lege die Sachen daneben, die mir Mister Snider übergeben hat. Anschließend verabschiede ich mich freundlich und wende mich zur Tür. Sie öffnet mir und fragt zum Abschied:
„Wie geht es meinem Mann?“
„Oh,“ meine ich. „Ich habe ihm meine Tochter als Interview-Partnerin gegeben. Er wird ihr ‚Löcher in den Bauch fragen‘ und alle neuen Erkenntnisse mit dem Kommunikator in seine Cloud laden. Wenn seine Zeit bei uns zu Ende geht, hat er genug Material, um daraus eine wissenschaftliche Abhandlung zu formen. Meine Tochter ist zweisprachig aufgewachsen. Von daher habe ich sie für geeignet gehalten.“
„Ah ja,“ meint sie. „Und wie kommen Sie jetzt zu ihrem Volk zurück?“
„Sie haben schon einmal von Flugsauriern gehört? Meine Frau und ich fliegen auf zwei dieser Tiere, die wir in den vergangenen Jahren gezähmt haben.“
„Oh,“ macht sie und schaut mich mit großen Augen an. „Na, dann wünsche ich Ihnen einen guten Heimflug.“
Ich lächele sie an und nicke. Dann sage ich: „Auf Wiedersehen. Ihren Mann können Sie ja jederzeit auf seinem Kommunikator erreichen.“
Sie nickt und schließt die Wohnungstür, während sie mich ebenfalls lächelnd mit einem „Auf Wiedersehen“ verabschiedet.
Anschließend spaziere ich aus der Stadt, neugierig von den anderen Menschen beäugt, die ich freundlich grüße. Draußen rufe ich den Ckurrot mit der Flöte zu mir herunter, steige auf und fliege zum Heimatbaum zurück.
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Mo Jul 29, 2024 9:53 am
Ein Experiment
Mein Name ist Joe Snider. Ich habe nach der Oberschule ein Studium als Ethnologe begonnen. Schon mein Vater ist Ethnologe gewesen. Er gehörte damals zu den wenigen, die sich für ein solches Studium interessiert haben. Dann hat er jahrelang bei den Ngachi geforscht und das Archiv mit vielen wertvollen Informationen über die Indigenen gefüttert.
Seine Berichte über die Lebensweise der Ngachi haben mich in meiner Kindheit immer gefesselt. Das hat bei mir den Wunsch aufkommen lassen, ebenfalls Ethnologe zu werden und dort weiter zu machen, wo mein Vater einen Schnitt gemacht hat. Er hat mit der Zeit so viele Informationen, Geschichten und Mythen gesammelt, dass er einige Jahre damit zugebracht hat, diese zu ordnen und für spätere Studenten aufzubereiten.
Danach ist er in Eseís geblieben. Er ist Professor für Ethnologie geworden und hat interessierte junge Leute unterrichtet. Allerdings ist sein Studiengang wenig besucht. Die jungen Leute interessieren sich kaum für die Welt außerhalb der Hochebene. Der Dschungel ängstigt sie. Das wollen sie jedoch nie zugeben. So bin ich und zwei weitere Studenten allein in der Fachrichtung ‚Ethnologie‘.
Als ich kurz vor meiner Promotion stehe, fragt mich Dad, ob ich mir vorstellen könnte, 6 bis 12 Monate bei den Indigenen zu leben. Neben der Theorie bräuchte ich auch praktische Erfahrung, um meinen Abschluss zu erhalten. Ich nicke und daraufhin spricht er mit Mister Albright. Der Mann lebt schon fast vierzig Jahre bei den Indigenen.
Er wird von ihnen ‚Schimm‘ genannt, weil sie seinen Vornamen mit ihren Lauten aussprechen. Inzwischen ist er der Häuptling des Volkes, weil seine Frau Ngachischi von ihrer Mutter in die Geheimnisse des Schamanentums eingeweiht wurde, bevor sie starb.
Das Volk der Ngachi ist in den vergangenen Jahrzehnten so angewachsen, dass es geteilt worden ist. Kundschafter der Indigenen haben einen weiteren Heimatbaum lange Zeit gesucht und schließlich gefunden. Der frühere Anführer der Jagdgruppe hat dann seine Leute um sich geschart und ihnen die Wahl gelassen, wer mit ihm gehen oder dableiben will.
Mister Albright und seine indigene Frau werden jetzt um die 60 Jahre alt sein. Jetzt, das bedeutet, wir schreiben dieses Jahr das Jahr 56 nach der Landung auf Angeon. Im Jahr 38 hat Dad seine Forschungen bei den Ngachi begonnen.
*
Chusa -Papa- hat eine Nachricht auf seinen Kommunikator bekommen. Sie stammt von dem Vchhtep -Himmelswesen- ‚Luuck‘, dem ich vor vielen Jahren unsere Lebensweise in vielen Gesprächen und Vorführungen nähergebracht habe. Er schreibt:
„Hallo, Mister Albright. Ich habe einen Anschlag auf Sie vor: Mein Sohn studiert gerade Ethnologie, wie ich damals. Er ist fast fertig und bräuchte nun auch etwas Praxis. Wäre es möglich, dass er für einen Zeitraum von 6 bis 12 Monaten bei Ihnen lebt?“
Chusa hat ihm zurückgeschrieben: „Gerne! Allerdings wollen wir das der jüngeren Generation überlassen. Ich will die Sache im Rat ansprechen und schreibe Sie danach wieder an.“
Wir besprechen die Sache im Rat des Volkes und entscheiden, dass ein Jäger, der erst seit wenigen Jahren seinen Ckurrot gezähmt hat, den jungen Mann vor dem Hotel ‚Seenland‘ im Grasland aufnehmen soll.
Am Tag nach dem Ratsbeschluss, schreibt Papa an ‚Luuk‘: „Nennen Sie uns einen Tag, Mister Snider. Unser Mann wird gegen 14 Uhr vor dem Hauptgebäude des Hotels ‚Seenland‘ landen und ihren Sohn wohlbehalten zu uns bringen.“
‚Luuk‘ schreibt drei Stunden später zurück: „Morgen wäre günstig, wenn das so kurzfristig ginge. Gepäck mitbringen ist nicht nötig?“
Chusa -Papa- antwortet ihm: „Außer seinem Kommunikator braucht er kein Gepäck. Sie kennen das ja aus eigener Erfahrung. Erklären Sie ihm, wie er den Kommunikator als Arbeitsgerät einsetzen kann. Also dann, bis morgen Nachmittag. ‚Schimm‘"
Nach dem Essen am Mittag des nächsten Tages klettert der Jäger, der sich bereit erklärt hat, auf den Heimatbaum. Im Wipfel angekommen, ruft er seinen Windgeist, steigt auf dessen Rücken und fliegt los.
*
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Mi Jul 31, 2024 10:46 am
Mein Vater hat den Aufenthalt bei den Ngachi für mich klargemacht, nachdem er mich gefragt hat, wann ich dorthin möchte.
„Am liebsten so schnell wie möglich,“ habe ich ihm geantwortet.
„Du brauchst nichts mitnehmen,“ meint er noch. „Nur deinen Kommunikator… Hast du schon eine eigene Cloud?“
„Ja, natürlich!“ gebe ich zurück. „Irgendwo muss ich die ganzen Fotos und Notizen ja lassen.“
„Nun ja,“ erklärt mein Vater. „Für all die Informationen, die du bei den Ngachi bekommst, brauchst du wohl einige Terabyte. Sprech‘ deine Erkenntnisse hinein und füge Bilder an. Nach deiner Zeit dort, musst du alles noch einmal hier mit dem Tablet sortieren, bis daraus eine wissenschaftliche Arbeit wird.“
„Okay, vielen Dank,“ antworte ich.
„Gut, dann frage ich für Morgen an.“
„Das wäre nett!“
Später erhalte ich per Textnachricht: „Morgen gegen 14 Uhr wird ein Angehöriger der Ngachi beim Hotel ‚Seenland‘ landen.“
„Danke dir,“ schreibe ich zurück.
Danach gehe ich ins Bett, kann aber vor Aufregung kaum schlafen. Ich habe mir die Datei mit der Sprache der Ngachi aus dem Archiv auf meinen Kommunikator geladen. Sie wird mir bei der Verständigung helfen, sage ich mir.
*
Am nächsten Tag fahre ich nach dem Mittagessen mit der Einschienen-Hochbahn ins Seenland und steige im Haltepunkt des dortigen Hotels aus. Auf meiner Armbanduhr lese ich 13:35 Uhr. Ich gehe die Treppe hinunter ins Foyer des Hotels und schaue durch die Tür auf die grasbewachsene Ebene hinaus.
Gegen Viertel nach zwei Uhr verdunkelt sich Ilios, wie wir unsere Sonne hier nennen, für einen kurzen Moment. Dann landet ein Flugsaurier nicht weit entfernt, faltet die Hautflügel zusammen und klappt sie senkrecht hoch. Er beugt die vorderen und hinteren Gliedmaßen, so dass sein Bauch im hohen Gras verschwindet.
Nun dreht sich ein Indigener zu mir um und rutscht aus dem Ledersattel. Ich bin nach draußen gegangen, obwohl an der Tür ein dreieckiges Schild mit der Aufschrift ‚DANGER‘ davor warnt. Wir gehen auf einander zu. Als ich einen Meter Abstand von ihm habe, sagt mein Gegenüber:
„Ngati meh!“
Mein Kommunikator übersetzt das als „Ich sehe dich!“ Das ist also die Begrüßung dieser Leute, weiß ich inzwischen. Ich wiederhole den Satz und mein Kommunikator übersetzt „Ngati meh!“
Mein Führer wendet sich um und geht auf den Flugsaurier zu, der immer noch mit dem Bauch im Gras liegt. Das Tier hebt den Kopf, der auf einem langen Hals sitzt und schaut uns entgegen. Der Reiter des Flugsauriers klopft dem Tier auf den Hals und sagt „Nganurr, ßerri, nganurr!“, die der Kommunikator als „Ruhig, Mädchen. Ruhig!“ übersetzt.
Ich bin ihm gefolgt, halte mich aber schräg hinter ihm, so dass er zwischen mir und dem Maul des Sauriers steht. Der Mann wendet sich nun zu mir um und fordert mich mit den Worten „Ffecke rrusch!“ auf, den Rücken des Tieres zu klettern. Mein Kommunikator übersetzt die Worte mit „Aufsteigen bitte!“
Ich schaue mich um und entdecke ein paar Schlaufen in dem Leder, das auf den Rücken des Flugsauriers geschnallt ist. Danach greifend spüre ich, dass der Mann mich von hinten schiebt. Schließlich sitze ich rittlings auf dem Schultergürtel des Tieres. Der Mann zeigt auf mein Bein und eine der Schlaufen. Ich soll wohl das Bein hineinstecken. Nachdem ich beide Beine gesichert habe halte ich mich an dem Griff vor mir fest.
Der Mann schwingt sich elegant vor mich auf den Sattel. Danach drückt er mit der Ferse gegen den Hals des Tieres. Es erhebt sich und stellt sich auf alle Viere. Der Blick aus meiner jetzigen Position gleicht dem Blick von einem Balkon im ersten Stock eines Hauses in Eseís. Dann sinkt das Tier in seinen Hinterbeinen etwas ein und macht einen Hüpfer. Gut, dass ich meine Beine in den Schlaufen stecken habe und mich an dem Griff vor mir festhalte.
Während das Tier hüpft, breitet es seine riesigen Hautflügel aus und schlägt damit. Langsam kommen wir vom Boden los und steigen höher in die Luft. Der Flugsaurier schraubt sich mit Kreisen immer höher. Als das Hotel unter mir nur noch wie ein Kinderspielzeug aussieht, geht der Saurier in einen Geradeaus-Flug über und hält auf den linken Rand des Gebirges vor uns zu.
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Mi Jul 31, 2024 10:50 am
Im Verlauf des Fluges umfliegt er das Gebirge und kurz darauf liegt unter uns der Dschungel. Das ist keine durchgängige grüne Welt, sondern Bauminseln wechseln mit Grasflächen, kleinen Seen und Flüssen. Manche Seen haben eine grüne Oberfläche. Andere Lichtungen, vorzugsweise in der Nähe von kleinen Seen haben einen dunkelgrünen Bodenbelag. An einigen Stellen sind die Bauminseln allerdings größer. Als wir tiefer gehen, kann ich die Grenzen nicht mehr überblicken.
Dann landen wir am Ufer eines Sees. Der Reiter vor mir rutscht aus dem Sattel. Er sagt zu mir: „Tsarr!“
Mein Kommunikator übersetzt: „Komm!“
Also rutsche ich ebenfalls aus dem Sattel. In der Zwischenzeit redet der Reiter beruhigend auf sein Tier ein und gibt ihm eine Keule zur Belohnung. Dabei handelt es sich um den Oberschenkelknochen mit Muskelfleisch irgendeines erjagten Tieres, den er aus einem Beutel holt, den er umhängen hat.
Wir laufen nun unter die Bäume. Der Flugsaurier hinter uns lässt einen hellen Schrei ertönen, startet und fliegt davon. Der Reiter führt mich nun gute zwei Stunden durch das Unterholz des Waldes, der hier ziemlich dicht wächst, bis wir einen ausgetretenen Pfad erreichen, dem er weiter folgt.
Bald darauf sind wir von Kindern umringt, die mich überall berühren, dabei lachen und derart durcheinanderreden, dass mein Kommunikator streikt. Ich folge meinem Führer bis wir zwei ältere Personen erreichen. Eine davon hat eine wettergegerbte Haut. Die andere Person hat die gleiche Haut, wie alle hier, die sich je nach Emotionen verfärbt.
Sie stehen unter einem riesigen Baum inmitten der Indigenen, die verschiedenen Tätigkeiten nachgehen. Der ältere Mann lächelt mir entgegen und spricht mich an:
„Guten Abend, Mister Snider! Wie geht es ihrem Vater?“
Ich vermute stark, dass ich es hier mit Mister Albright zu tun habe. Also antworte ich, freundlich lächelnd und mich leicht verbeugend:
„Guten Abend, Mister Albright. Meinem Vater geht es ganz gut, denke ich.“
Er nickt mir zu, schaut sich kurz um und ruft: „Ckilorr -hübsch, schön, bezaubernd-!“
Eine junge Frau tritt näher. Mister Albright stellt uns einander vor: „Mister Snider, hier sprechen wir uns alle mit den Vornamen an. Ich bin hier seit Anfang an als ‚Schimm‘ bekannt. Ich denke, man wird sie ziemlich schnell ‚Scho‘ nennen. Das kommt den Leuten besser über die Lippen… Dies hier ist Ckilorr, eine junge Frau ohne Mann bisher. Ckilorr, dies hier ist ‚Scho‘. Er wird dir eine Menge Fragen stellen. Zeige ihm unsere Lebensweise.“
Die junge Frau schaut mich zurückhaltend an und ihre Haut hat eine braune Färbung. Darin ist sie so ganz anders, als die Kinder vorhin. Schließlich begrüßt sie mich:
„Ngati meh, ‚Scho‘!“
Mein Kommunikator übersetzt das als „Ich sehe dich, Scho!“
Wieder meldet sich mein Kommunikator und übersetzt meine Worte: „Ngati ckop meh, Ckilorr!“
Ihre Hautfarbe wechselt nun zu grün. Sie entspannt sich allmählich. Mister Albright, oder ‚Schimm‘, wie er hier genannt werden will, meint nun:
„Setzen Sie sich mit Ckilorr gerne etwas abseits und lernen sie sich kennen. Aber Achtung, Sie sind hier nicht allein. Sie werden sicherlich ständig gestört, weil irgendeine ihrer Freundinnen etwas Interessantes oder Spaßiges in den Sinn kommt – und es ihr unbedingt mitteilen will. So ist das nun einmal hier.“
Ich schaue mich unschlüssig um, bis Ckilorr meine Hand ergreift und mich vom Häuptling und seiner Frau wegzieht. Mit Hilfe des Übersetzers erkläre ich ihr auf Nachfrage, woher ich komme und wie man dort lebt. Sie zieht Vergleiche und erklärt mir den Unterschied zu ihrer Lebensweise.
Dann wird das Abendessen ausgeteilt. Wieder nimmt sie mich an der Hand und führt mich zu den Feuern, auf denen in großen Töpfen eine Suppe kocht. Darin garen die Reste der heutigen Jagd und des Sammelns der Würzpflanzen, erklärt mir meine Interview-Partnerin. Sie nimmt zwei Schalen von großen Nüssen und schöpft mir und sich Suppe aus einem Topf. Dann nimmt sie einen spitzen Stab, der aussieht wie der Stachel einer Pflanze, und angelt sich damit die festen Bestandteile aus der Suppe.
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Do Aug 01, 2024 12:49 pm
Von irgendwoher hat sie einen zweiten Stachel in der Hand und reicht ihn mir. Nun versuche ich sie nachzumachen. Als sie ihre Suppe gegessen hat, bin ich gerade zur Hälfte damit fertig. Sie wischt den Stachel ab und steckt ihn weg. Danach hebt sie die Schale mit beiden Händen an den Mund und schlürft sie lauthals leer. Ich höre das Geräusch um uns herum in vielfachen Stimmen und mache es schließlich genauso.
Jetzt wird es allmählich dunkel. Die Abenddämmerung hat eingesetzt. Ckilorr spricht etwas und der Kommunikator übersetzt mir:
„Unser Tag geht von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Wir beginnen unser Tagwerk in aller Frühe. Darum gehen wir jetzt am besten schlafen, ‚Scho‘. Komm mit!“
Sie erhebt sich und strebt auf einen der schrägstehenden mannsdicken Stämme zu, zwischen denen die Ngachi leben. Andere sind schon vor uns aufgestanden. Ich habe mich schon gewundert, dass uns seit bestimmt einer Viertelstunde keine junge Frau mehr besucht hat, um mit Ckilorr zu erzählen und herumzualbern. Stattdessen klettern alle Ngachi die schrägen Stämme hinauf.
„Das sind die Luftwurzeln unseres Heimatbaumes,“ erklärt sie mir, nachdem wir einen dieser Stämme hinaufklettern.
Dann reckt sie sich wie ein Affe zu einem der unteren Äste und balanciert auf allen Vieren darauf weiter nach außen. Bei mir sieht das weniger elegant aus. Ich muss darauf achten, nicht abzustürzen. Irgendwann setzt sie sich auf einen dünneren Ast und hangelt sich ein Stück nach außen, unterstützt von ihrem Greifschwanz. Ich bleibe erst einmal sitzen und schaue zu, was sie macht. Bald hat sie ein Blatt erreicht, das schon beginnt sich einzurollen. Sie winkt mich zu sich heran. Wieder höre ich den Übersetzer „Komm näher, ‚Scho‘!“ sagen. Das Blatt, wo sie sitzt, sieht aus wie ein schlanker Kegel.
Als ich bei ihr angekommen bin, erklärt sie mir: „Leg‘ dich mit den Füßen voran auf das Blatt und schieb‘ dich so weit vor bis sich dein Kopf hier am Blattstiel befindet. Das Blatt wird dich bald völlig umschlossen haben und du fühlst dich wie in einer Hängematte, ‚Scho‘.“
Ich mache es so, wie Ckilorr sagt und fühle mich wohl auf dem riesigen Blatt, das sich zunehmend weiter einrollt und mich fürs Erste nicht mehr freigibt. Sie kriecht zum Ast zurück und lässt sich vom Nachbarblatt einrollen. Dabei schaut sie kurz zu mir herüber. In dem Moment hätte ich alles dafür gegeben, um zu erfahren, was sie wohl über mich denkt.
Nun nehme ich meinen Kommunikator in die Hand und schalte auf Sprachaufzeichnung. Ich bespreche eine Sprachdatei mit meinen Eindrücken von heute und lade sie in meine Cloud hoch. Anschließend gleite ich allmählich hinüber in einen unruhigen Schlaf.
*
Irgendwann schüttelt es mich, als würde ein Sturm meine Hängematte erfassen. Hä? Hängematte? Wo bin ich? Vorsichtig öffne ich meine Augen und erkenne im Morgengrauen Ckilorr über meinem Kopf auf dem Ast sitzen und das Blatt energisch schütteln, in dem ich eingerollt schlafe.
„‚Scho‘!“ sagt sie laut. „‚Scho‘, ckich ßi! -Joe, wach auf-! Es ist Zeit aufzustehen.“
Stöhnend drehe ich mich von ihr weg. Ich fühle mich gerädert. Die Geräusche des Dschungels, auch in der Nacht… Ich habe so etwas noch nie erlebt, und jetzt soll ich ‚mitten in der Nacht‘ schon aufstehen! Aber das Mädel lässt nicht locker. Es zeigt eine besondere Ausdauer darin, mich zu quälen. Also schiebe ich mich Minuten später doch halb aus dem Blatt und setze mich auf.
Ckilorr weicht einen Meter zurück und bekräftigt: „‚Scho‘, tsarr! -Joe, komm!“
Also schiebe ich mich träge und mit noch kleinen Augen über den Blattstiel auf den Ast und folge Ckilorr, die immer weiter zurückweicht. Wir klettern eine der Luftwurzeln hinunter und springen den letzten Meter auf den Waldboden. Rutschen wäre kein guter Gedanke, weil die Rinde nicht glatt ist. So bietet sie aber viele Möglichkeiten, sich festzuhalten.
Mir ist kalt. ‚Ilios‘ bietet besonders in den Morgenstunden im Dschungel nicht soviel Wärme, wie ich mir die Sonne in unserem Ursprungssystem vorstelle. Denn Ilios ist ein roter Zwerg, während Sol ein gelber Stern ist. Ckilorr führt mich zu einem Cklugga -Wasserlauf-, wo ich mich frisch machen kann. Danach führt sie mich zu den Feuern, die andere Ngachi inzwischen angezündet haben, um mich aufzuwärmen.
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Fr Aug 02, 2024 10:09 am
Wieder höre ich „‚Scho‘, tsarr! Tsarr! -Joe, komm! Komm!“ aus Ckilorrs Mund. Mein Kommunikator übersetzt geduldig. Ihre Haut leuchtet dunkelgelb, fast schon orange.
Aufschauend bemerke ich eine Menge Leute, die anscheinend alle auf mich warten.
Als ich meine Schnürstiefel anziehe, ruft sie ungehalten: „ßecki meh -Beeil dich-!“
Dann zeigt sie auf die Schuhe und sagt: „Niffe! Niffe! Schnop! -Schlecht! Schlecht! Wegwerfen!-“
Ich schaue sie zweifelnd an. Ngachi sind ihr Leben lang barfuß. Ohne Sohlen unter meinen Füßen, komme ich sicher nicht sehr weit, bis ich mir den Fuß verletzt habe. Im Vergleich zu ihnen habe ich eher Babyfüße und meine Haut ist weich. Ihre Sohlen sind dagegen bestimmt hart wie Stein.
Ich lächele verlegen und antworte: „Cke, chay! Chay -Nein, warte! Warte-.“
Dann zeigt sie auf meine Füße und beginnt laut zu lachen, so dass ich mitlachen muss. Bald darauf lachen alle Umstehenden. Irgendwie bin ich froh, dass ich in der Lage bin, in diesem indigenen Volk für Erheiterung zu sorgen, als sie sich über meine besondere Behinderung lustig machen. Den Ngachi erscheint es ziemlich mühsam, so hinauszugehen, um im Wald nach Nahrung zu suchen. Alles was sie brauchen, ist eine Machete und ein leerer Korb.
Als wir losgehen, werde ich schnell ein Hindernis für die Anderen. Sie schwärmen aus und lassen mich mit Ckilorr allein. Fast alles im Wald hält mich auf.
‚Er ist wahrlich ein Paradies für einen Biologen,‘ denke ich mir.
Ich muss das einmal ansprechen, wenn ich zurück bin. Jedes Blatt, jedes Insekt, Fisch, Baum, jede Nuss, Beere, all das finde ich so faszinierend. Oft stehe ich da und schaue dem emsigen Treiben der Boden-Insekten zu, oder einem Flattertier.
Ständig frage ich sie „Was ist das?“, worauf aus meinem Kommunikator „Taht?“ ertönt.
Sie spricht mir die Bezeichnung vor und korrigiert mich geduldig, wenn ich versuche das Ngachi-Wort nachzusprechen. Ich versuche zum Beispiel das Geräusch nachzuahmen, das das Tier macht, bevor ich die Ngachi-Bezeichnung sage. So versuche ich, mir die neue Vokabel zu merken. So sind wir einer Rotte von Tieren begegnet, die mit ihren Schnauzen den Boden umgraben, auf der Suche nach Wurzeln. Ich sage dann „rrch, rrch, rrch – Poffwam.“
Immer wieder zeigen sich Ngachi zwischen den Pflanzen in unserer Nähe. Ich glaube, an diesem Tag bringen die Leute nur ein Bruchteil der Lebensmittel nachhause, die sie sonst im Wald sammeln oder fischen. Sie lachen und sind ein tolles Publikum für meine Stand-Up-Comedy. Fast jedes Geräusch des Dschungels, das ich nachahme oder Bewegung, die ich mache, ist der Hit für sie.
Ihre Reaktion lässt mich immer mehr machen. Sie animieren mich regelrecht dazu, mich auf diese Art zu produzieren. In dieser Zeit lerne ich viel über die Ngachi, ihre Sprache, ihre Mystik und fühle mich bald als ein Teil von ihnen.
Die Art, wie sie sich barfuß und nur mit einem Lendenschurz bekleidet durch den Wald bewegen, Pilze ernten, Fische und Krabbenartige fangen, ist beeindruckend und wunderschön. Ich beobachte so viele der täglichen Rituale wie möglich und stelle Fragen dazu.
Längst habe ich vergessen, wie lange ich schon bei den Ngachi bin. Meine Cloud muss schon gewaltig angewachsen sein. Zwischen den Ngachi und mir ist Zuneigung entstanden und eine Freundschaft gewachsen. Irgendwann haben Ckilorr und ich uns verliebt.
Sie hat mich ermutigt, mit dem Häuptling, mit ‚Schimm‘ darüber zu reden. Also habe ich Mister Albright eines Abends darauf angesprochen. Seine Frau, Ngachischi, schmunzelt und nickt mir aufmunternd zu.
Er legt mir und Ckilorr seine Hände auf die Schultern und meint, in dem er wechselweise jeden von uns anschaut:
„Sie ist deine Frau! Er ist dein Mann!“
Weiter gibt es keine Hochzeitszeremonie und auch keine Hochzeitsnacht. Kein Fest wird gefeiert. Untereinander dient das Ritual dazu, die Bindungen zwischen den Familien zu festigen und Konflikte zu verhindern.
Plötzlich erhalte ich von der Hochschule die Nachricht, dass ich mich zurückmelden soll. Allenfalls hätte mein Schweigen Nachteile.
‚Oh,‘ denke ich. ‚Ich muss dringend nach Eseís zurück und die gesammelten Informationen in eine wissenschaftliche Arbeit einfließen lassen.‘
Dazu ist noch viel Sortier- und Bewertungsarbeit nötig. Dazu muss ich aber nach Eseís zurück. Das sage ich Ckilorr. Sie ist niedergeschlagen und fragt, ob ich danach wiederkomme.
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Sa Aug 03, 2024 10:20 am
Ich weiß selbst, dass mich die Arbeit etwa sechs bis zehn Monate in Eseís hält. Wenn ich so darüber nachdenke, macht mir eine Trennung von Ckilorr sehr zu schaffen. Da wächst ein Gedanke in meinem Hinterkopf. Was wäre, wenn Ckilorr mit mir kommen würde? Ich frage sie und zusammen gehen wir wieder zu ‚Schimm‘, dem Häuptling. Er redet mir ins Gewissen:
„Hier im Ckiffenga -Weltenwald- brauchst du dir nur nehmen, was dort wächst, wenn du Hunger hast. Bei den Vchhtep -Himmelswesen- musst du dir Geld erarbeiten, um dir damit all die Dinge kaufen zu können, die du zum Leben brauchst. In Eseís sind daneben auch noch weitere Dinge nötig, die du hier nicht brauchst. Das ist für dich so selbstverständlich, dass du gar nicht mehr daran denkst. Bist du bereit, dich für Ckilorr einzusetzen und sie gegen alles und jeden zu beschützen?“
„Ja, das bin ich!“ antworte ich und lege Ckilorr meinen Arm um ihre Schultern.
„Ein Versuch ist es in jedem Fall wert,“ meint ‚Schimm‘ und schaut dabei seine Frau ‚Ngachischi‘ an.
Ngachischis Haut schimmert grün, als sie meint: „Rrach -Ja-, wir versuchen es einmal.“
„Gut,“ entscheidet ‚Schimm‘. „Morgen früh steigen wir zusammen auf den Heimatbaum!“
Unsere Beziehung ist das, was man eine ‚romantische Beziehung‘ nennt. Wir sind beide füreinander da, tauschen auch Zärtlichkeiten miteinander aus, aber jeder von uns stimuliert sich selbst. Wir wissen, dass wir zwei verschiedener Spezies angehören und leider keine gemeinsamen Kinder haben können.
Obwohl wir wissen, dass ‚Schimm‘ und ‚Ngachischi‘ eine Tochter miteinander haben. Wieso das so ist, haben wir allerdings nie gefragt. Beide stehen im Rang über uns. Das lässt uns bei intimen Fragen Zurückhaltung üben. Hinzu kommt noch, dass wir bei den Ngachi tagsüber nie wirklich alleine sind. Immer kommt jemand hinzu und hat irgendetwas zu erzählen.
*
Nach dem Frühstück am Vormittag des nächsten Tages steigen wir im Heimatbaum immer höher. ‚Schimm‘ und Ngachischi führen uns in den Wipfel des Baumes. Der Häuptling rutscht auf einem Ast weiter nach außen und bedeutet mir, ihm zu folgen. Unter uns ist eine vielleicht fünf Meter hohe Lücke bis zum nächsttieferen Ast. Er wendet sich an mich:
„Du siehst die Ckurrot dort hinten am Himmel kreisen?“
Ich schaue in die Richtung in die er zeigt. Dort beherrschen Flugsaurier den Luftraum. Manche kreisen, andere führen Flugmanöver durch, die sie uns ziemlich nahebringen. Wieder andere stoßen aus dem Himmel herab, weil sie eine Jagdbeute erspäht haben. ‚Schimm‘ holt eine Flöte hervor und bläst hinein. Der hörbare Ton ist nicht laut, dennoch löst sich ein Flugsaurier von den anderen und nähert sich uns.
„Ich werde mich gleich auf den Rücken des Ckurrot fallen lassen. Ich muss schnell eine Schlaufe erreichen, um nicht abzustürzen. Dann setze ich mich richtig hin und lenke den Luftgeist zurück. Er segelt ganz langsam unter dir durch, ‚Scho‘. Lass dich fallen, ich helfe nach. Dann fliegen wir nach Eseís!“
„Okay,“ meine ich.
Da ist der Flugsaurier schon heran, stellt seine Hautflügel so an, dass sich viel Luft darunter sammelt und er langsam unter uns durchgleitet. ‚Schimm‘ lässt sich fallen und breitet dabei seine Beine aus. Er kommt zwischen den Schultern des Sauriers auf. Dort liegt eine große lederne Plane mit Schlaufen und Griffen.
Dann ist das Tier schon vorbeigesegelt. Es beginnt flügelschlagend etwas höher zu steigen, um anschließend in eine Kurve zu gehen und den Anflug von eben zu wiederholen. Als der Saurier unter mir ist, lasse auch ich mich fallen. Leider komme ich weiter hinten auf dem Rücken auf und finde keinen Halt.
‚Schimm‘ lässt sich nach hinten fallen und der Flugsaurier bremst noch weiter ab. Der Häuptling bekommt mich zu fassen, als ich das Gleichgewicht verliere und seitwärts auf eine Flughaut zu fallen drohe. Er zieht mich an sich heran und hilft mir einen sicheren Sitz zu finden, während der Saurier hektisch flatternd Höhe zu gewinnen sucht.
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b So Aug 04, 2024 10:00 am
„Alles klar?“ fragt der Häuptling nun lächelnd.
Ich nicke atemlos und schiebe meine Unterschenkel in die dafür vorgesehenen Schlaufen.
„Das müssen wir aber noch üben, Joe!“ meint er ironisch.
„Was passiert nun mit Ckilorr?“ frage ich.
Langsam reißt mir der ‚Fahrtwind‘ die Worte ab. ‚Schimm‘ brüllt dagegen an, als er mir antwortet: „Sie steigt ganz ähnlich auf Ngachischis Ckurrot!“
Dann legt er sich den Finger auf die Lippen. Während des Fluges ist es sicher vernünftig, auf eine Unterhaltung zu verzichten.
Wenig später sehe ich einen zweiten Flugsaurier ganz in der Nähe mit ebenfalls zwei Personen auf seinen Schultern, der in derselben Richtung fliegt wie wir.
Zwei Stunden später landen beide Saurier am Stadtrand von Eseís. Wieder sammeln sie viel Luft unter ihren Flügeln, bremsen dadurch und strecken die Hinterbeine dem Boden entgegen. Bei Bodenberührung geht ein Ruck durch den Körper des Flugsauriers. Zwei Sekunden später haben auch seine Vorderbeine Bodenberührung, nachdem er seine Hautflügel zusammengefaltet und rechts und links nach oben gestreckt hat.
Jetzt bin ich etwa fünf Meter über dem Boden. Ich ziehe die Beine aus den Schlaufen, als ‚Schimm‘ seinen Saurier dazu bewegt, sich auf den Bauch zu legen. Nun brauche ich nur noch einen Höhenunterschied von einem Meter zu überwinden. Also rutsche ich über das Leder und stelle mich neben dem Tier auf meine Füße.
„Nimm am besten etwa zehn Meter Abstand, Joe! Ich wünsche euch beiden alles Gute. Besuchen sie den Genetiker Mister McGiven und berichten Sie ihm, dass es ‚Ngachischi‘ und ‚Ngamlorr‘ gut geht!“
Ich ziehe mich zurück und verspreche ‚Schimm‘, dass ich den Mann aufsuchen werde. Da kommt schon ‚Ckilorr‘ angelaufen. Sie hat den Ckurrot weit umrundet und fällt mir nun in die Arme. Während die Flugsaurier in die Luft hüpfen und die Flügel zum Start ausbreiten, gehen wir langsam auf Eseís zu.
*
Wir befinden uns hier an der Bahnlinie der Einschienen-Hochbahn, die Eseís mit dem Seenland verbindet. An ihr wandern wir entlang, bis wir den Bahnhof erreichen. Ich ziehe Ckilorr in das Gebäude hinein und betrete die Ladenstraße. So etwas hat sie noch nie gesehen und macht große erstaunte Augen, während sich ihre Haut vor Unsicherheit dunkelbraun verfärbt.
„Du siehst, die Menschen verhüllen sich mit bunten Stoffen. Sie können die Farbe ihrer Haut nicht verändern, aber über die Verhüllung versuchen sie, ähnliche Signale zu senden. Es ist so etwas, wie eine Dekoration.“
Wir betreten ein Bekleidungsgeschäft und ich lasse Ckilorr ein wenig stöbern. Ich selbst trage seit heute Morgen wieder die Kleidung, die ich getragen habe, als ich zu den Ngachi gekommen bin. Ckilorr hat bald ein Kleid gefunden, das ihr gefällt. Sie zieht es sofort an und die freundliche Verkäuferin führt sie vor einen Spiegel, damit sie sich begutachten kann.
Ckilorr ist ausgeflippt. Sie hat sich hinter einem Regalschrank versteckt und ich habe sie beruhigen müssen. Ihre Haut hat sich tiefschwarz verfärbt und sie hat sich krampfhaft an mir festgehalten. Ich habe ihr Kleid mit meiner Karte bezahlt und wir haben das Geschäft verlassen, wobei sie einen weiten Bogen um den Spiegel gemacht hat. In einem Stoffladen habe ich eine Stoffbahn erstanden, in die wir unsere Bögen, die Pfeile in ihren Köchern und die Macheten einwickeln und verschließen lassen. Das Paket ist unauffälliger beim Gang durch die Stadt.
Wir spazieren danach weiter in die Stadt hinein. Sie schaut sich aufmerksam um. Sie fragt mich, was das rechts und links des Pedways für Felsen sind. Tja, unsere Häuser sind aus Sandstein errichtet. Ich versuche eine Erklärung:
„Vor vielen vielen Generationen, als wir noch so ähnlich gekleidet waren, wie die Ngachi und noch ähnliche Waffen und Kochfeuer hatten, haben wir uns vor dem Regen in Höhlen zurückgezogen und davor auf den weiten Grasflächen gejagt. Heute bauen wir unsere Höhlen selbst. Diese ‚Felsen‘ sind innen hohl. Waffen tragen wir nicht mehr. Das machen nur noch unsere Sicherheitskräfte. Und offenes Feuer in unseren heutigen ‚Höhlen‘ brauchen wir auch nicht mehr.“
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Mo Aug 05, 2024 11:14 am
In dem Moment kommt eine Patrouille unserer Security an uns vorbei und grüßt freundlich. Ich grüße zurück. Ckilorr, inzwischen wieder entspannt grünhäutig, wird schlagartig dunkler. Sie schaut den beiden Männer mit ängstlich geweiteten Augen hinterher.
„Was hast du?“ frage ich und versuche, meiner Stimme einen weichen Klang zu geben.
Ckilorr drückt sich an mich und fragt: „Sind das Männer von dem Security-Volk? Wo leben die Security-Frauen und die Security-Kinder? Tragen sie ihre Security-Babys wie wir am Körper?“
Ich schaue erst einmal dumm. Dann fällt mir ein, dass sie unsere Security als einen besonders aggressiven Stamm der Menschen versteht. Wieder versuche ich sie zu beruhigen, indem ich meinen Arm um sie lege und sage:
„Du hast von der Security nichts zu befürchten, Liebes! Solange du nichts unrechtes tust, bleiben sie ganz freundlich.“
So ganz scheint sie meiner Erklärung nicht zu trauen, denn auch in der Zukunft geht sie jedem Zusammentreffen mit Patrouillen aus dem Weg. Lieber versteckt sie sich hinter allem, was sich gerade bietet.
Bei den Elektro-Wagen, die eine Ebene tiefer fahren, leuchten die Scheinwerfer auf, wenn sie losfahren. Dann sehen sie aus, wie unbekannte Tiere. Schon wieder reagiert Ckilorr voller Angst, so dass ich sie wieder beruhigen muss. Der Weg zu meinen Eltern, wo ich ein Zimmer bewohne, hat sich auf diese Weise zu einer Art Spießrutenlauf entwickelt. Ich bin froh, endlich zuhause angekommen zu sein.
Ich öffne die Haustür mit meiner Karte und gehe zum Aufzug neben der Treppe. Dort drücke ich den Knopf, mit dem ich die Kabine anfordere. Kurz darauf öffnet sich die Aufzugtür. Ckilorr hineinschiebend betrete ich den Aufzug und drücke den Knopf für die dritte Etage.
Es zischt und ruckelt ein wenig, dann öffnet sich die Tür wieder und gibt einen veränderten Vorraum frei. Die Treppe, die von unten heraufführt, ist nun auf der anderen Seite des Aufzuges. Dort, wo eben noch der Hauseingang gewesen ist, befindet sich nun eine Mauer mit einem Fenster. Ckilorr schaut mich groß an und fragt zitternd:
„Bist du ein Ockaßu -Schamane-? Wo hast du uns hingezaubert?“
Ich drücke sie noch einmal fest an mich und versuche eine Erklärung: „Nein, Liebes. Ich bin kein Ockaßu. Dieser Raum wird in einer Röhre automatisch auf die gewünschte Höhe gebracht.“
Sie entspannt sich nicht wirklich. Auch in Zukunft merke ich immer wieder, dass sie, wenn ich das Wort ‚automatisch‘ verwende, es als eine Art Magie der Vchhtep -Himmelswesen- ansieht und als gegeben akzeptiert, aber nicht wirklich versteht.
Nun gehe ich auf die Wohnungstür der Elternwohnung zu und halte meine Karte an den Türrahmen. Das Schloss klickt leise und ich drücke die Tür nach innen.
„Hallo!“ rufe ich in die Wohnung. „Ist jemand zuhause?“
Meine Mama kommt nach wenigen Sekunden aus dem Livingroom neugierig in den Flur. Dann strahlt sie über das ganze Gesicht.
„Hallo Joe! Das ist aber eine Freude! Wen hast du denn da mitgebracht?“
„Das ist meine Frau Ckilorr, Mama. Ckilorr, hier siehst du meine Nußa -Mama-, Padma.“
Ckilorr neigt leicht ihren Kopf und antwortet: „Ich sehe dich!“
Mama wirkt leicht irritiert über diese Begrüßungsformel, lässt sich aber nichts anmerken, sondern bittet uns in den Livingroom. Ich biete Ckilorr einen Platz auf einer Couch mit hoher Rückenlehne an und setze mich neben sie.
Sie kuschelt sich an die Rückenlehne und lehnt sich an mich. Danach zieht sie die Beine an und legt sie angewinkelt neben ihrer Hüfte auf die Sitzfläche. Ihre Fußsohlen hinterlassen nun allerdings Spuren auf der Sitzfläche. Höflich übergeht Mama den Faux Pas. Sie fragt mich:
„Du hast Ckilorr bei den Indigenen kennengelernt, während du dort gearbeitet hast?“
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Di Aug 06, 2024 9:35 am
„Ja,“ meine ich. „So kann man das ausdrücken: Sie hat mir anfangs als Interview-Partnerin zur Seite gestanden und mir viel gezeigt und erklärt. Darüber sind wir uns über die Zeit nähergekommen und haben uns ineinander verliebt.“
„Du hast sehr gut Englisch sprechen gelernt, Ckilorr. Das ist wichtig, wenn man sich hier unter uns bewegen will. Wie geht es dir denn so?“
„Danke sehr! Im Moment weiß ich noch nicht, wie es mir geht. Es ist alles so neu für mich.“
„Das glaube ich,“ bestätigt Mama. „Habt ihr schon etwas zu Mittag gegessen?“
„Noch nicht, Mama. Wir haben uns am Vormittag auf den Weg gemacht,“ erkläre ich ihr.
„Oh, dann habt ihr sicher Hunger!“ meint sie und wendet sich an Ckilorr: „Was magst du denn essen?“
„Was der Wald bietet,“ antwortet sie einfach.
Ich denke, ich muss mich hier erklärend einschalten.
„Die Frage ‚Hast du Hunger?‘ verstehen die Ngachi nicht, Mama. Es wäre in etwa so, als würde man unsereins fragen ‚Willst du atmen?‘. Wenn sie essen möchten, gehen sie in den Wald, graben Wurzeln aus, pflücken Blätter, fangen Fische und graben Insektenlarven aus der Baumrinde.“
„Hm,“ macht Mama. „Du weißt, dass das hier etwas anders ist.“
‚Wurzeln, Blattgemüse und Fisch‘, murmelt sie und erhebt sich, um in die Küche zu gehen.
Kurz darauf kommt sie in den Livingroom zurück. Sie erklärt: „Ich habe noch etwas Fisch, Salat und Kartoffeln da. Danach müssen wir aber einkaufen gehen, sonst hat Papa heute Abend nichts mehr zu essen.“
Ckilorr schaut mich mit gerunzelter Stirn an. Ihre Haut ist die ganze Zeit schon dunkelbraun. Ich nicke Mama zu und erhebe mich.
„Wir helfen dir bei der Zubereitung,“ schlage ich vor. „Dann sieht Ckilorr auch, wie wir das machen.“
Zu Ckilorr sage ich „Kommst du mit in die Küche?“ und strecke ihr die Hand entgegen, um ihr beim Aufstehen zu helfen.
Kaum steht sie vor der Couch, ist Mama mit einer Sprühflasche und einem Lappen heran, um den Fleck auf der Couch zu behandeln, der durch Ckilorrs Fußsohlen entstanden ist. Anschließend legt sie eine Decke über die Couch und drückt sie in den Ecken fest.
Dann geht sie in die Küche und holt die Lebensmittel auf den Tisch. Sie gibt Ckilorr den Auftrag die Kartoffeln in der Spüle zu waschen und reicht ihr dafür einen Seiher. Ihre Haut wird tiefschwarz und sie schaut Mama groß an.
Ich erkläre Mama nun: „Die Ngachi kennen nur offenes Feuer. Ausgegrabene Wurzeln können auf zweierlei Art verarbeitet werden: Entweder man steckt sie auf einen angespitzten Ast und hält sie ins Feuer, um danach die Kruste aufzubrechen und den weichen Inhalt mit den Zähnen vom Spieß abzuknabbern. Oder man hält sie in einen Bach und reinigt sie unter fließendem Wasser, um sie danach zu schälen, kleinzuschneiden und in einer Suppe zu kochen.“
Mama lächelt, stellt den Seiher in die Spüle und öffnet den Wasserhahn darüber. Dann reinigt sie die Kartoffeln unter fließendem Wasser, während Ckilorr interessiert zuschaut. Anschließend schält Mama die Kartoffeln und stückelt sie. Danach meint sie zu Ckilorr:
„Siehst du? So anders habe ich die Wurzeln jetzt auch nicht behandelt, wie bei euch im Dschungel.“
„Aber mit anderen Gerätschaften, deren Funktion man erst erkennen muss!“ kommentiere ich.
Anschließend wird der Salat ebenso gewaschen und die Blätter in kleinere Stücke gerissen. Nun nimmt sie das eingefrorene und in der Mikrowelle aufgetaute Fischfilet, spült es kurz ab und kocht es in einem Topf mit Wasser. Da hinein gibt Mama verschiedene Gewürze. Als der Fisch gar ist, nimmt sie ihn heraus, teilt ihn in drei Stücke und lässt das Fischwasser einkochen. Daraus stellt sie eine Soße her.
Danach helfen wir ihr, die beiden Schüsseln und die Platte mit dem Fisch auf den Esstisch zu stellen. Dazu stellt sie die Sauciere und eine Flasche mit Salatsoße. Ich biete Ckilorr Platz am Tisch auf einem Stuhl an. Sie schaut sich an, wie Mama sich setzt und nimmt dann auch ganz vorsichtig auf dem ungewohnten Möbel Platz.
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Mi Aug 07, 2024 9:38 am
Wir beginnen zu essen und auch Ckilorr langt zu. Sie gebraucht keine Soße und lässt das Besteck liegen, isst stattdessen mit den Fingern. Mir schwant nichts Gutes, also sage ich zu ihr:
„Wir wischen uns die Finger nicht an unserer Kleidung ab, deshalb nutzen wir Messer und Gabel. Schau her, wie ich das mache, Liebes.“
Sie versucht es, aber sticht sich mit der Gabel neben die Lippe. Das schmerzt natürlich und sie lässt die Gabel fallen, die auf ihrem Kleid landet und dann auf den Boden rutscht. Danach nutzt sie wieder ihre Finger. Mama zieht die Augenbrauen hoch, holt eine Schale mit Wasser aus der Küche und ein Gästetuch aus dem Badezimmer für Ckilorr.
Zum Abschluss holt sie noch drei Schalen mit Fruchtspalten aus der Küche. Danach hat Ckilorr sozusagen die erste große Hürde in der Zivilisation genommen. Während Mama die Geschirrspülmaschine belädt und einschaltet, bleibe ich bei Ckilorr im Livingroom auf der Couch sitzen. Danach frage ich Mama, welche Lebensmittel sie braucht. Sie stellt einen Einkaufszettel zusammen und ich verlasse in Ckilorrs Begleitung die Wohnung, um das nächste Lebensmittelgeschäft aufzusuchen.
Ich habe zwei große Stoffbeutel eingesteckt. Nachdem wir ein paar Minuten gegangen sind, betreten wir eins der Einkaufszentren in deren unteren Ebene sich ein großes Lebensmittelgeschäft befindet. Wieder bekommt Ckilorr große Augen, als sie das fast unbegrenzte Angebot an Lebensmitteln sieht.
Wie in jedem Lebensmittelgeschäft in Eseís werden wir vom Personal höflich willkommen geheißen. Ich nehme einen der roten Körbe aus Karbon vom Stapel und Mamas Einkaufszettel in die andere Hand. Dann wandern wir durch die Gänge an Regalen und Körben voller Lebensmittel vorbei. Ckilorr staunt darüber, dass alles schon fertig gepflückt und gezupft ist, oder in Behältern abgefüllt.
Sie nimmt alles, was ich ihr von der Einkaufsliste vorlese, in die Hand und legt es in den Korb, den ich trage. Hin und wieder begegnen wir einem Mitarbeiter, der die Regale und Körbe an den Seiten nachfüllt. Er oder sie bedankt sich höflich, wenn Ckilorr ein Produkt in den Korb legt. Schließlich haben wir die Einkaufsliste abgearbeitet und gehen mit dem Korb an die Kasse. Dort müssen wir ein klein wenig warten, bis wir an der Reihe sind.
Die Mitarbeiterin scannt nun die Artikel und legt sie eine nach der anderen in einen grünen Korb auf der anderen Seite der Kasse. Dann drückt sie einen Knopf und ein Bon wird ausgedruckt, auf dem die Artikel aufgelistet sind und darunter die Anzahl der eingekauften Artikel steht.
Nun gehen wir zur Packstation und befüllen unsere mitgebrachten Beutel mit dem Einkauf. Am Ausgang gebe ich den Bon ab und halte meine Karte über das Lesegerät des Mitarbeiters. Wir haben 21 Artikel gekauft und zahlen dafür 21 Ob. Beim Hinausgehen wird uns ein „Auf Wiedersehen! Beehren Sie uns bald wieder!“ hinterhergerufen.
Dann gehen wir wieder nachhause. Während ich die Beutel trage, geht Ckilorr neben mir her. Man kann spüren, dass sie etwas auf dem Herzen hat. Schließlich platzt sie mit der Frage heraus:
„Woher kommen die vielen Lebensmittel und wer pflückt das alles?“
Ich antworte ihr: „Ich weiß nicht, ob es unter den ßiche -denkenden Wesen- hier auf der Welt schon welche gibt, die sich nicht einfach täglich aus dem Dschungel bedienen, sondern stattdessen Landwirtschaft betreiben. Diese ßiche würden viele essbare Pflanzen auf einer Lichtung anbauen, pflegen und ernten. Dann würden sie Vorräte davon einlagern, um genug zu essen zu haben bis zur nächsten Ernte. So ähnlich machen wir das auch.“
Zuhause angekommen verteilt Mama den Einkauf in Vorratskammern mit verschiedenen Raumtemperaturen. Dann kommt auch schon Papa aus dem Archiv. Daran angegliedert ist die Hochschule, an der er Vorlesungen in Ethnologie gibt. Er heißt Luke Snider und ist vor etwa 20 Jahren auch schon eine Zeitlang bei den Ngachi gewesen und hat das Volk studiert.
Als er im Livingroom Ckilorr erblickt lächelt er freundlich, neigt seinen Kopf in ihre Richtung und sagt zu ihr:
„Ngati meh -Ich sehe dich-!“
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Do Aug 08, 2024 9:46 am
Dann wendet er sich mir zu und grüßt: „Hallo, Joe. Du hast deinen Einsatz beendet?“
„Hallo, Papa,“ meine ich, säuerlich grinsend. „Das ja! Aber jetzt beginnt ja erst die Arbeit mit den Texten.“
„Ich schlage dir vor, du setzt dich ins Archiv. Ein freier Schreibtisch wird sich schon finden lassen. Da hast du dann deine Ruhe. Wenn du am Nachmittag nachhause kommst, kümmerst du dich um sie… Wie heißt sie eigentlich?“
„Entschuldigung!“ antworte ich nun. „Das ist meine Frau Ckilorr. Ckilorr, das ist mein Vater Luke.“
„Ihr habt geheiratet?“
„Jaein,“ winde ich mich. „‚Schimm‘, der Häuptling hat uns einander an die Seite gestellt. Heiraten in unserem Sinne müssen wir noch.“
„Ah, okay. Nach unserer Terminologie geltet ihr also als verlobt. Ich denke, das müssen wir feiern. Mögt ihr heute Abend ein Restaurant besuchen?“
Mama und ich nicken lächelnd. Ckilorr steht etwas verständnislos dabei. Ich erkläre ihr:
„Wenn wir einmal ein Fest feiern wollen, kochen wir nicht selber. Wir wollen der Hausfrau die Arbeit ersparen. Stattdessen gehen wir in ein Geschäft, wo es fertig gekochte Speisen zu kaufen gibt. Man kann sich dort auch an einen Tisch setzen und essen.“
Wir verlassen die Wohnung erneut, diesmal gemeinsam mit meinen Eltern. Papa führt uns zu dem Einkaufszentrum, wo wir vorhin schon gewesen sind. In der Ebene über dem Lebensmittelgeschäft gibt es verschiedene Möglichkeiten von kleinen Snacks bis große Menüs zu sich zu nehmen, indem man ein Café, eine Gaststätte oder ein Restaurant besucht.
Papa steuert ein Restaurant an, hält uns die Tür auf und schaut nach einem freien Tisch für vier Personen. Ckilorrs bisherige Vorstellungen werden wieder einmal damit auf den Kopf gestellt, dass man einfach irgendwo hingehen kann und die Wahl hat, was man essen möchte. Sie ist ganz fasziniert.
Am nächsten Tag gehe ich ins Archiv und schaue mich dort nach einem freien Schreibtisch um, an dem ich den Wust an Informationen in meiner Cloud sortieren und wissenschaftlich aufbereiten kann. Anschließend gehe ich ins Rathaus und lasse mir einen Hochzeitstermin geben. Als ich schließlich nachhause komme, sehe ich Mama mit Ckilorr am Couchtisch sitzen und Körbe flechten. Das freut mich sehr.
Ich besuche Tage später mit Ckilorr auch das Genetiklabor in unserer Krankenstation.
*
Mein Ssuckan -Ehemann- ‚Scho‘ ist eine ganz besondere Art von Mensch. Ein Leben ohne ihn kann ich mir nicht mehr vorstellen. Auch wenn wir aus zwei verschiedenen Spezies stammen. Er hat mir erklärt, dass seine Spezies von einer anderen Enga -Welt- stammt. Dort hat es zu viele von ihnen gegeben. Darum haben sie andere Welten gesucht.
‚Scho‘ hat lange bei uns gelebt. Anfangs hat er sich benommen wie ein Baby und ich habe ihm viel erklären müssen. Er hat sich sehr angestrengt, unsere Lebensweise anzunehmen und darüber sind wir uns emotional immer nähergekommen.
Nach langer Zeit äußert er den Wunsch, zu der großen Siedlung seiner Leute, die er Menschen nennt, zurückzukehren. Er spricht davon, dass dort eine Menge Arbeit auf ihn wartet. Aus diesem Grund habe ich ihn ängstlich gefragt:
„Poch meh niß’am -Kommst du wieder zurück-?“
„Nach spätestens zehn Monden bin ich wieder bei dir!“ verspricht er mir.
Die Vorstellung davon kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Deshalb frage ich ihn, ob ich ihn nicht begleiten kann. Dann bin ich ihm nahe und in der Männerwelt der Ngachi fühle ich mich schutzlos, ohne ihn.
‚Scho‘ versteht mich und spricht mit ‚Schimm‘, unserem Häuptling, der einmal selbst zu den Vchhtep -Himmelswesen- gehört hat. Dieser schaut Ngachischi an, die seine Frau und die Ockaßu -Schamanin- unseres Volkes ist. Danach verspricht er ‚Scho‘, dass er ihn und mich am darauffolgenden Tag zur Siedlung der Menschen fliegt.
So sind wir am Vormittag des nächsten Tages, nachdem die Männer von der Jagd zurück und die Frauen vom Sammeln und Fischen gekommen sind und wir gemeinsam gefrühstückt haben, auf den Heimatbaum geklettert. ‚Schimm‘ und Ngachischi haben ihre Ckurrot -Luftgeister- gerufen und wir sind zu der Siedlung der Menschen geflogen. Als Tschecki -Sonne- über den Zenit hinüber gewandert ist, landen die Luftgeister im Grasland am Rand der Siedlung.
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Fr Aug 09, 2024 9:25 am
In der Nähe liegt ein gaaanz langer Baumstamm auf Stützen. Darüber huscht immer wieder eine riesige Raupe. ‚Scho‘ geht auf so eine dicke Wurzelknolle von diesem langen Baumstamm zu und öffnet ein Loch.
Er geht mit mir hinein und an vielen durchsichtigen Wänden vorbei. Hier begegnen uns schon einige dieser Menschen, die uns mit großen Augen anstarren. ‚Scho‘ öffnet ein weiteres Loch und nun hängen um uns herum verschiedene Häute in allen Farben und vielen Längen. ‚Scho‘ hat sich heute Morgen schon die komische Haut übergezogen, mit der er vor einer Ewigkeit zu uns gekommen ist. Nun soll ich mir eine dieser Häute über meinen Lendenschurz anziehen.
Er erklärt mir, dass die Menschen sie zu Dekorationszwecken tragen, da sich ihre Haut nicht farblich verändert, wie bei den ‚ßiche‘ -denkenden Wesen-. Die Menschin, die mir beim Aussuchen hilft, führt mich dann zu einer glatten Wand, auf der mich eine Ngachi in der Haut anblickt, die ich gerade angezogen habe. Das ist bestimmt ein Geist! Ich laufe weg und verstecke mich.
Anschließend verlassen wir die dicke Wurzel des liegenden Baumstammes wieder und gehen auf die riesigen Insektenhügel zu. ‚Scho‘ erklärt mir, dass die Menschen darin wohnen. Auf meine Frage nach dem Grund erklärt er mir, dass die Menschen vor vielen vielen Generationen genauso wie wir auf Bäumen gelebt und einen Greifschwanz gehabt haben, wie wir. Irgendwann sind die Wälder immer kleiner geworden und das Grasland hat sich weiter ausgebreitet.
Die Menschen sind zum Jagen von den Bäumen gestiegen und haben dabei über Generationen hinweg ihren Greifschwanz verloren, weil sie ihn im Grasland nicht mehr gebraucht haben. Um sich vor Regen zu schützen, sind sie in Höhlen geflüchtet. Später haben sie dann begonnen ‚Häuser‘ in allen Formen und Größen zu bauen, um vor dem Regen geschützt zu sein.
Er hat unsere Waffen mit einem dünnen Material, wie das Material aus dem meine neue Haut besteht, umwickelt und trägt sie nun versteckt. Das hat er mir damit erklärt, dass bei den Menschen nur noch ein bestimmter Stamm Waffen tragen darf. Sie achten eifersüchtig darauf, dass niemand sonst eine Waffe trägt und kümmern sich dafür um die Sicherheit.
Während wir in die Siedlung der Menschen hineingehen, sind wir zweimal Leuten aus diesem Stamm begegnet. Die Frauen haben ihre Kinder nicht um sich, so wie das bei den Ngachi üblich ist. Dann sehe ich unter uns eine lange Reihe großer Tiere laufen, mit leuchtenden Augen, als wären es diese kleinen Insekten, die auf dem Waldboden herumlaufen. Ich verstecke mich wieder, damit sie mich nicht sehen und mich vielleicht fressen. Die Insekten auf dem Waldboden können manchmal wehtun, wenn man wie ein Baby nicht aufpasst und auf sie tritt.
Schließlich bleibt ‚Scho‘ vor einem dieser ‚Häuser‘ stehen und öffnet wieder ein Loch. Wir gehen hinein und ein weiteres Loch öffnet sich. Auch dort gehen wir hinein. Es macht beängstigende Geräusche und ruckelt, dann öffnet sich das Loch wieder, durch das wir hereingekommen sind. Aber nun hat sich die Umgebung verändert. Das Loch, durch das wir in das Haus gekommen sind, ist viel kleiner geworden. Furchtsam frage ich deshalb ‚Scho‘:
„Bist du ein Ockaßu -Schamane-? Wo hast du uns hingezaubert?“
Er erklärt mir, dass wir uns immer noch im gleichen Haus befinden, nur etwas höher als vorhin. Wenn er das nicht gemacht hat, dann muss es irgendeine andere Art von Magie der Himmelswesen sein, denke ich.
Nun öffnet ‚Scho‘ seitlich ein weiteres Loch und ruft: „Hallo! Ist jemand zuhause?“
Eine Menschin, ‚Scho’s Nußa -Mama-, kommt uns entgegen und sagt zu ‚Scho‘: „Hallo Joe! Das ist aber eine Freude! Wen hast du denn da mitgebracht?“
„Das ist meine Frau Ckilorr, Mama. Ckilorr, hier siehst du meine Nußa -Mama-, Padma,“ stellt ‚Scho‘ uns einander vor.
Ich neige leicht meinen Kopf und grüße seine Mama in der Art unseres Volkes. Dabei nutze ich die Sprache der Menschen, die ‚Scho‘ mir beigebracht hat:
„Ich sehe dich!“
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Sa Aug 10, 2024 9:53 am
Die Nußa bittet uns nun in den großen Raum, aus dem sie gerade gekommen ist. ‚Scho‘ bittet mich, ich soll mich auf den Stein setzen, der darin steht. Er setzt sich ebenfalls. Als ich mich vorsichtig setze, habe ich das Gefühl, mich auf eines der Blätter vom Heimatbaum zu setzen. Der Stein gibt genauso nach, aber er rollt mich nicht ein. Also kuschele ich mich an das hohe hintere Teil in meinem Rücken und ziehe meine Beine an.
‚Scho’s Mama fragt nun meinen Ssuckan -Mann-: „Du hast Ckilorr bei den Indigenen kennengelernt, während du dort gearbeitet hast?“
„Ja,“ bestätigt er. „So kann man das ausdrücken: Sie hat mir anfangs als Interview-Partnerin zur Seite gestanden und mir viel gezeigt und erklärt. Darüber sind wir uns über die Zeit nähergekommen und haben uns ineinander verliebt.“
Nun wendet sie sich lobend an mich und fragt: „Du hast sehr gut Englisch sprechen gelernt, Ckilorr. Das ist wichtig, wenn man sich hier unter uns bewegen will. Wie geht es dir denn so?“
Ehrlich antworte ich ihr: „Danke sehr! Im Moment weiß ich noch nicht, wie es mir geht. Es ist alles so neu für mich.“
„Das glaube ich,“ bestätigt die Nußa und fragt ‚Scho‘: „Habt ihr schon etwas zu Mittag gegessen?“
„Noch nicht, Mama. Wir haben uns am Vormittag auf den Weg gemacht,“ antwortet ihr ‚Scho‘.
„Oh, dann habt ihr sicher Hunger!“ meint sie und wendet sich an mich mit der Frage: „Was magst du denn essen?“
Ich weiß nicht, was sie meint. Hunger kenne ich nicht. Um Essen zu holen, nehme ich mir, was ich im Wald finde. Darum antworte ich einfach:
„Was der Wald bietet.“
Nun erklärt ‚Scho‘ seiner Mama das Leben im Weltenwald: „Die Frage ‚Hast du Hunger?‘ verstehen die Ngachi nicht, Mama. Es wäre in etwa so, als würde man unsereins fragen ‚Willst du atmen?‘. Wenn sie essen möchten, gehen sie in den Wald, graben Wurzeln aus, pflücken Blätter, fangen Fische und graben Insektenlarven aus der Baumrinde.“
‚Scho’s Nußa überlegt, was sie als Mahlzeit machen soll und schaut im Nebenraum nach. Dann kommt sie zurück und bietet uns etwas an, von dem ich nur Fisch kenne. Unsicher schaue ich ‚Scho‘ an. Er nickt seiner Mama zu und steht auf. Dabei bietet er an:
„Wir helfen dir bei der Zubereitung. Dann sieht Ckilorr auch, wie wir das machen.“
Dann wendet er sich an mich und fragt: „Kommst du mit in die Küche?“
Dabei streckt er mir seine Hand entgegen, an der ich mich hochziehe. Nun kommt seine Nußa zur Couch und säubert die Stelle, an der ich gesessen habe, um danach eine große Haut über die Couch zu legen.
Danach gehen wir gemeinsam in den Nebenraum, in dem eine verwirrende Ausstattung vorhanden ist. ‚Scho’s Mama holt Lebensmittel aus verschiedenen Behältnissen auf den Tisch und beauftragt mich etwas zu tun, das ich nicht verstehe.
Wieder erklärt ‚Scho‘ wie wir im Wald leben: „Die Ngachi kennen nur offenes Feuer. Ausgegrabene Wurzeln können auf zweierlei Art verarbeitet werden: Entweder man steckt sie auf einen angespitzten Ast und hält sie ins Feuer, um danach die Kruste aufzubrechen und den weichen Inhalt mit den Zähnen vom Spieß abzuknabbern. Oder man hält sie in einen Bach und reinigt sie unter fließendem Wasser, um sie danach zu schälen, kleinzuschneiden und in einer Suppe zu kochen.“
Nun zeigt mir seine Mama, wie man die Lebensmittel hier zubereitet und ich schaue interessiert zu. Als sie fertig zu sein scheint, gibt sie die zubereiteten Wurzeln und die Blätter in zwei große Schalen und die portionierten Fischteile auf ein flaches Rindenstück. Das tragen wir in den großen Raum. Dazu stellt sie zwei Behälter. In einen davon hat sie eine heiße Flüssigkeit gefüllt, die beim Kochen übriggeblieben ist.
Dann bietet mir ‚Scho‘ an, mich auf ein Gestell zu setzen. Er und seine Mama setzen sich ebenfalls. Ich schaue zu, wie ‚Scho‘ und sie sich aus den Schalen und von der Rinde bedienen. Dann nehme ich mir auch etwas und beginne, wie gewohnt, mit den Fingern zu essen.
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b So Aug 11, 2024 10:38 am
‚Scho‘ meint nun: „Wir wischen uns die Finger nicht an unserer Kleidung ab, deshalb nutzen wir Messer und Gabel. Schau her, wie ich das mache, Liebes.“
Er zeigt mir den Gebrauch der Werkzeuge neben der flachen Schale vor mir. Ich will es ihm nachmachen, aber steche mich in die Wange. Vor Schreck und Schmerz lasse ich das Werkzeug fallen. Danach esse ich mit den Fingern weiter. ‚Scho’s Nußa bringt mir Wasser und eine flauschige Haut, um meine Hände nach dem Essen zu säubern. Ich bedanke mich.
Danach bringt sie noch drei Schalen mit Fruchtspalten aus dem Nebenraum, die wir nun alle Drei mit den Fingern essen. Anschließend fordert mich ‚Scho‘ auf, mich zu ihm auf die Couch zu setzen. Er fragt seine Mama, welche Lebensmittel ihr fehlen. Er will mit mir die Nahrungsmittel sammeln gehen.
Dazu verlassen wir kurz darauf die Wohnung und lassen uns von diesem Ding zum Hauseingang hinunterbringen. Wir treten durch das Loch vor das Haus und ich folge ‚Scho‘ ein paar Minuten lang, bis wir wieder durch ein Loch in einen riesigen Raum treten.
Hier stehen viele Regale und Körbe, prall voll mit Lebensmitteln. Erstaunt stehe ich da und schaue. Dabei bekomme ich zuerst gar nicht mit, wie uns ein Mensch mit „Willkommen!“ begrüßt.
‚Scho‘ nimmt einen der roten Körbe in die Hand und führt mich zwischen den vollen Regalen und Körben hindurch, um hier und da etwas zu nehmen und in den Korb zu legen.
Staunend frage ich meinen Ssuckan -Mann-: „Warum pflücken und zupfen die Menschen soviele Nahrungsmittel? Wird das alles heute verbraucht?“
‚Scho‘ antwortet mir lächelnd: „Nein, Liebes. Wir können die Nahrungsmittel nicht nur lagern, sondern auch kühlen und einfrieren. Dadurch hält es sich länger und wir brauchen nicht täglich in das Geschäft gehen, um uns zu versorgen.“
Nach der Erklärung denke ich mir ‚Aha‘, habe aber trotzdem kaum etwas verstanden, was er sagt. Nur soweit, dass Menschen nicht jeden Morgen auf Nahrungssuche gehen.
‚Scho‘ sagt mir dann, was er braucht und ich nehme es, um es ihm in den Korb zu legen. Hier und da begegnen wir einem Menschen, der die Auslagen wieder auffüllt, die die anderen Menschen im Vorbeigehen leeren. Dieser Mensch bedankt sich bei uns dafür, dass wir ihm Arbeit machen, indem wir etwas an uns nehmen.
Nach einer Weile stellt sich ‚Scho‘ geduldig zu anderen Menschen in eine ‚Schlange‘. Als wir an der Spitze angekommen sind, platziert ‚Scho‘ den vollen Korb neben ein unbekanntes Ding. Dahinter steht ein Mensch, der nun jedes Teil einzeln aus unserem Korb nimmt und in einen grünen Korb auf der anderen Seite des Dings legt. Nachdem der rote Korb leer ist, erhält ‚Scho‘ ein dünnes langes Blatt. Er nimmt den grünen Korb und geht damit auf die Seite. Hier packt er die Nahrungsmittel in mitgebrachte Beutel und gibt das Blatt einem anderen Mitarbeiter am Loch, durch das wir das Geschäft verlassen können. Zum Abschied ruft uns der Mitarbeiter nach.
„Auf Wiedersehen! Beehren Sie uns bald wieder!“
Dann gehen wir zu dem Haus zurück, in dem ‚Scho‘ wohnt. Mein Erlebnis gerade lässt mir keine Ruhe. Während wir gehen, frage ich daher ‚Scho‘:
„Woher kommen die vielen Lebensmittel und wer pflückt das alles?“
‚Scho‘ lächelt mich an und antwortet mir: „Ich weiß nicht, ob es unter den ßiche -denkenden Wesen- hier auf der Welt schon welche gibt, die sich nicht einfach täglich aus dem Dschungel bedienen, sondern stattdessen Landwirtschaft betreiben. Diese ßiche würden viele essbare Pflanzen auf einer Lichtung anbauen, pflegen und ernten. Dann würden sie Vorräte davon einlagern, um genug zu essen zu haben bis zur nächsten Ernte. So ähnlich machen wir das auch.“
Zuhause übergibt ‚Scho‘ die Nahrungsmittel an seine Mama. Wir setzen uns wieder auf die Couch. Sie ist wirklich kuschelig!
Kurze Zeit später kommt sein Chusa -Papa- zu uns. ‚Scho‘ sagt, er heißt ‚Luuk‘ und hat vor etwa 20 Jahren, als ich noch ganz klein gewesen bin, auch schon eine Zeitlang bei den Ngachi gelebt. Als er mich im großen Raum erblickt, lächelt er freundlich, neigt seinen Kopf in meine Richtung und sagt zu mir:
„Ngati meh -Ich sehe dich-!“
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Mo Aug 12, 2024 11:07 am
Danach wendet er sich zu ‚Scho‘ und grüßt ihn: „Hallo, Joe. Du hast deinen Einsatz beendet?“
„Hallo, Papa,“ grüßt ‚Scho‘ zurück. „Das ja! Aber jetzt beginnt ja erst die Arbeit mit den Texten.“
„Ich schlage dir vor, du setzt dich ins Archiv,“ schlägt er vor. „Ein freier Schreibtisch wird sich schon finden lassen. Da hast du dann deine Ruhe. Wenn du am Nachmittag nachhause kommst, kümmerst du dich um sie… Wie heißt sie eigentlich?“
‚Scho‘ entschuldigt sich und stellt uns einander vor: „Das ist meine Frau Ckilorr. Ckilorr, das ist mein Vater Luke.“
„Ihr habt geheiratet?“ fragt ‚Luuk‘.
„Jaein,“ sagt ‚Scho‘ nun. „‚Schimm‘, unser Häuptling, hat uns einander an die Seite gestellt. Heiraten in unserem Sinne müssen wir noch.“
„Ah, okay. Nach unserer Terminologie geltet ihr also als verlobt. Ich denke, das müssen wir feiern. Mögt ihr heute Abend ein Restaurant besuchen?“ fragt ‚Luuk‘ uns.
Leider verstehe ich nicht, worüber sie jetzt reden. ‚Scho‘ erkennt das und erklärt mir: „Wenn wir einmal ein Fest feiern wollen, kochen wir nicht selber. Wir wollen der Hausfrau die Arbeit ersparen. Stattdessen gehen wir in ein Geschäft, wo es fertig gekochte Speisen zu kaufen gibt. Man kann sich dort auch an einen Tisch setzen und essen.“
Nach einer Weile verlassen wir die Wohnung gemeinsam. Luuk führt uns zu dem Einkaufszentrum, wo wir vorhin die Nahrungsmittel weggenommen haben. Über dem Lebensmittelgeschäft gibt es verschiedene Geschäfte, deren Funktion ich noch nicht kenne.
Luuk geht auf eines davon zu. Er hält uns das Eingangsloch auf und schaut über die Menschen darin. Dann geht er zu so einem Gestell, das ich schon aus der Wohnung kenne. ‚Scho‘ und seine Eltern setzen sich und ‚Scho‘ bietet mir den Platz neben sich an. Dann nimmt ‚Luuk‘ ein Blatt in die Hand und nun entwickelt sich ein Gespräch, von dem ich wieder nichts verstehe. Es geht wohl um das Essen.
Dann kommt ein Mensch an den Tisch und fragt, was wir essen möchten. ‚Scho‘ und ‚Luuk‘ haben sich geeinigt und erklären ihren Wunsch dem Menschen, der hinzugekommen ist. Zuerst bringt er uns etwas zu trinken. Mir stellt er Wasser hin. Alles befindet sich in durchsichtigen Behältern. Wenig später bringt er das Essen für uns. Wieder gibt es Wurzeln, grüne Blätter und Fleisch in Scheiben. Darüber hat jemand etwas Dickflüssiges laufen lassen.
Ich probiere etwas von dem Fleisch, nachdem ich das Dickflüssige zur Seite geschoben habe. Es ist wohl von einem Poffwam -Schwein, Tapir-. ‚Scho‘ ruft den Menschen noch einmal heran und fragt:
„Könnten Sie bitte noch eine Schale mit Wasser und ein Gästetuch bringen?“
Der Mensch bestätigt das und kurz darauf habe ich wieder die Möglichkeit, mir nach dem Essen die Finger zu säubern. Irgendwie fasziniert mich das alles hier.
Als es dunkel wird, schlafen wir gemeinsam auf einem Gestell, das sich nicht einrollt. Stattdessen deckt man sich mit einer flauschigen Haut zu.
Am nächsten Tag verlässt mich ‚Scho‘, aber wir frühstücken erst gemeinsam, anders als im Weltenwald. Das ist der Vorteil der Vorratshaltung! Auch sein Vater ‚Luuk‘ geht zur Arbeit, wie er sagt. Ich setze mich in den großen Raum an den niedrigen Tisch neben die Couch und zeige ‚Scho’s Mama, wie wir im Weltenwald Körbe flechten. Dabei erklärt sie mir auch, dass sie Padma heißt. Als ‚Scho‘ nachhause kommt, haben wir jeder einen Korb und einen Beutel geflochten. Darüber lächelt ‚Scho‘ freudig.
Wir haben jetzt schon seit Wochen darüber miteinander gesprochen. Wir wollen ein Kind, wenn möglich. Bei Ngachischi und ‚Schimm‘ hat es ja auch geklappt. Nun bietet mir ‚Scho‘ an, ihn zu unserem Genetiker zu begleiten. Bevor Padma sich um das Abendessen kümmert, soll ich ‚Scho‘ dorthin begleiten.
Als wir die Krankenstation von Eseís betreten, fragt er die Menschin am Eingang, wo wir uns hinwenden müssen. Dann muss ich wieder so ein Ding betreten, dass die Umgebung verändert, wenn man wieder herauskommt. ‚Scho‘ drückt einen Knopf und orientiert sich kurz, nachdem wir das Ding verlassen haben. Dann klopft er an eine dünne Wand und öffnet das Loch.
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Di Aug 13, 2024 9:49 am
Wir treten in den Raum ein. Ein Mensch mit einer ganz weißen Haut sitzt dort und dreht sich zu uns um.
„Womit kann ich Ihnen helfen?“ fragt er.
‚Scho‘ übernimmt das Gespräch. Er erklärt: „Vor etwa zwanzig Jahren war schon einmal ein Mann und eine Indigene hier. Ich weiß nicht, ob bei Ihnen oder ihrem Vorgänger. Es ging um ein Kind zwischen den Spezies. Sie oder ihr Vorgänger haben es geschafft und das Kind ist inzwischen eine intelligente junge Frau. Nun kommen wir mit dem gleichen Wunsch zu Ihnen, wie damals Mister Albright und ‚Ngachischi‘.“
„Sie möchten also ebenfalls ein gemeinsames Kind? Habe ich das so richtig verstanden?“ fragt der Mensch zurück und macht große Augen.
Ich schalte mich ein und sage: „Ja, wenn das möglich ist, dann möchten wir auch ein Kind.“
Der Mensch meint zurückhaltend: „Geben Sie mir bitte etwas Zeit, mich in die Literatur einzulesen. Bei dem anderen Paar vor etwa zwanzig Jahren ist das mein inzwischen verstorbener Kollege gewesen. Sonst hätte ich ihn vielleicht sogar hinzuziehen können. So muss ich quasi bei Null beginnen.“
Er gibt uns einen Termin eine Woche später und wir verabschieden uns herzlich voneinander.
Bevor wir zu dem Termin gehen, haben wir einen anderen Termin im Rathaus von Eseís. Dort wohnt der Häuptling der Siedlung. Er heißt ‚Premier‘, oder so. Die Eltern von ‚Scho‘ kommen mit. Sie sind unsere Trauzeugen. Sie und ‚Scho‘ unterschreiben auf so einem Rindenstück und ich muss meinen Daumen darauf drücken. Danach gelten wir auch bei den Menschen als Ehepaar.
*
An unserem Termin sitzen wir dem Genetiker wieder gegenüber. Er erklärt uns nun, was er machen will:
„Ich muss Sie leider operieren, Frau Ckilorr. Erschrecken Sie nicht. Sie werden in Narkose versetzt. Dann bekommen Sie einen ganz kleinen Bauchschnitt. Da hindurch wird ein Röhrchen geschoben und eine ihre beiden Eierstöcke leergesaugt. Die gewonnenen Eier werden tiefgefroren und einzeln wieder aufgetaut, wann wir eins benötigen. Durch die Narkose bemerken Sie von alledem nichts. Sie schlafen ein und wenn Sie wieder aufwachen ist alles passiert. Ihr Mann Joe muss Samenflüssigkeit abgeben. Dann wird die DNA von Ihnen Beiden da herausgezogen und man versucht, ein lebensfähiges Ei mit den Erbinformationen von Ihnen Beiden zu erzeugen. Ist das gelungen, kommen Sie wieder zu uns und wir setzen ihnen drei Eier in die Gebärmutter, in der Hoffnung, dass sich eines einnistet. Dann wären Sie schwanger. Dieses Verfahren kennen wir schon viele Jahrhunderte und wenn die Eltern beide zu der gleichen Spezies gehören, den Menschen, ist das völlig unproblematisch. Da Sie aber nun zu zwei verschiedenen Spezies gehören, kann es sein, dass keine der Eizellen sich einnistet. Dann müssen Sie wiederkommen und wir wiederholen das Ganze. Das kann durchaus mehrmals geschehen, vielleicht fünf- oder auch zehnmal. Ich weiß es nicht. Bei der Dame Ngachischi ist es laut der Unterlagen achtmal gewesen, bis sie schwanger wurde.“
Vieles von dem, was ich höre, verstehe ich nicht. ‚Scho‘ schaltet sich ein und sagt: „Okay, wir versuchen es!“
Der Mensch in der langen weißen Haut lächelt nun und schiebt sein Tablet näher.
„Dann hätte ich gerne hier ihre Unterschrift.“
„Hm,“ macht ‚Scho‘, „meine Frau kann leider nicht schreiben. Haben Sie vielleicht einen Fingerabdruck-Scanner auf ihrem Gerät?“
Der Mensch nickt und ich drücke meinen Daumen auf eine Fläche am rechten unteren Rand, während ‚Scho‘ mit einem Stäbchen Kringel auf die glatte Fläche zeichnet.
„Okay,“ sagt der Mensch dann.
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Mi Aug 14, 2024 10:02 am
Er hat das Rindenstück wieder an sich genommen und darauf geschaut.
„Dann will ich Ihnen einen OP-Termin geben."
Er schaut auf das Rindenstück, nachdem er mit dem Finger ein paarmal darauf herum getippt hat und nennt uns einen Termin, den ‚Scho‘ bestätigt. Auf dem Nachhauseweg frage ich ‚Scho‘ und er versucht, mir in einfachen Worten wiederzugeben, was der Mensch über das Kindermachen erklärt hat.
Es dauert etwa ein halbes Jahr bis ich schwanger bin. Ich bekomme immer wieder Untersuchungstermine, bei denen ‚Scho‘ mich jedes Mal begleitet. Bald sagt der Mensch, der mich während der Schwangerschaft betreut, dass ich Zwillinge erwarte. Zwei der drei eingesetzten Eizellen haben sich eingenistet.
‚Scho‘ hat seine Arbeit im ‚Archiv‘, wie er es nennt, inzwischen beendet. Er hat eine Prüfung bestanden und darf sich jetzt ‚Ethnologe‘ nennen, wie sein Vater. Auch er gibt nun sein Wissen an interessierte junge Leute weiter, um damit Geld zu verdienen. Wir schauen uns nach einer ähnlichen Wohnung um, wie die seiner Eltern. Nach einigem Suchen findet ‚Scho‘ eine Einzimmer-Wohnung, ganz in der Nähe. Tagsüber können wir darin wohnen, und nachts im gleichen Zimmer schlafen.
„Wenn die Kinder groß genug sind, müssen wir noch einmal suchen,“ meint ‚Scho‘.
Während er tagsüber arbeitet, gehe ich zu Padma, seiner Nußa -Mama-, damit ich mich nicht so einsam fühle. Sie ist inzwischen auch für mich zu einer Art ‚Mama‘ geworden, oder vielleicht ‚Tante‘. Mit ihr kann ich über alles reden, was mir auf der Seele liegt.
Um tagsüber keine Langeweile aufkommen zu lassen, haben wir wieder angefangen Gebrauchsgegenstände zu flechten. Einmal in der Woche gehen wir damit in das Einkaufszentrum. Padma hat mit dem Menschen gesprochen, der das Zentrum leitet und die Erlaubnis erhalten, in einer Ecke einen Verkaufsstand aufzubauen.
Dann ist die Zeit der Geburt gekommen. Ich spüre plötzlich, dass meine Kinder an die Sonne wollen. Für den Fall hat ‚Scho‘ einen Rollstuhl bekommen, den man bei Bedarf auch ganz flachlegen kann. Es dauert einige Minuten, bis Padma mit mir die Krankenstation über den Pedway erreicht. ‚Scho‘ und ‚Luuk‘ sind gerade auf der Arbeit.
In der Krankenstation werden wir von Menschen in langer weißer Haut in Empfang genommen und zu der Abteilung gebracht. Man stülpt mir wieder eine Maske über und ich schlafe ein. Als ich aufwache, liegen zwei winzige Ngachi neben mir. Ich lege sie an meine Brust und sie nuckeln glücklich daran. Ihre Haut ist hellgrün, während meine etwas bleich ist. Aber in den nächsten Tagen wird sie genauso grün, wie die meiner Kinder.
Die Menschin, die mich betreut, hat mich einige Zeit nach dem Aufwachen gefragt, wie die Kleinen heißen sollen. Darüber habe ich vor Wochen schon mit ‚Scho‘ geredet. Ich weiß durch Ngamlorr, dass meine Kinder äußerlich wie Ngachi aussehen. Der Mensch steckt in ihrem Inneren, in ihrer Seele, ihrem Charakter.
Sollten die Kleinen das menschliche Schulsystem durchlaufen, muss ich damit rechnen, dass böse Kinder aus ihrer Altersgruppe sie ärgern. Ich muss sie sicher oft trösten. Da hilft es nichts, wenn wir ihnen menschliche Namen geben. Also haben wir uns für Ngachi-Namen entschieden.
So heißt unsere Tochter Schachan -Wasserfall- und unser Sohn Nganurr -ruhig, entspannt-. Damit können unsere Kinder sowohl bei den Menschen, als auch bei den Ngachi leben.
*
Ich freue mich über die Geburt unserer Kinder und habe Ckilorr gleich nach Feierabend besucht. Sie muss leider noch ein paar Tage in der Krankenstation bleiben, bis die Wunde am Unterleib verheilt ist. Man hat sich wegen der Zwillinge für den Kaiserschnitt entschieden.
Als sie schließlich nachhause darf, soll sie gut 20 Stunden pro Tag liegen, um sich um die Kleinen zu kümmern. Sie schlafen viel, sind aber sofort wach, wenn man sich nur irgendwie dreht. Die Babys sind sehr nähebedürftig.
Darum habe ich mir in der Hochschule frei genommen. Papa übernimmt meine Studenten in der Zeit mit. Ich versorge nun ‚Ckilorr‘ und bringe ihr alles, was sie für die Babys braucht. Nach einem halben Jahr etwa setzt sie die Kleinen in ein Tuch, dass sie sich überkreuz über die Schultern schlingt. Nun sitzen die Kleinen auf ihren Hüften und können jederzeit trinken, wenn sie durstig sind.
Als die ersten Zähnchen durchbrechen, weinen sie viel. Aber nach einer Weile haben wir auch diese Hürde gemeistert. Nur eins beginnt mir Sorgen zu machen:
Es ist nicht das Essen oder die in Ckilorrs Augen moderne Technologie, sondern das Fehlen enger Beziehungen. Anscheinend können wir Menschen ihr nicht das bieten, was sie von den Ngachi gewohnt ist. Sie liebt mich zwar und hat meine Eltern gern, aber bei den Ngachi ist der Tag angefüllt mit ständigen Besuchen von Verwandten, Freunden und Nachbarn. Auch Ckilorr geht von einem zum anderen. Sie reden und lachen miteinander.
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Thema: Re: Neue Heimat L98-59 b Do Aug 15, 2024 9:18 am
Hier in Eseís lebt sie alle Tage in der Wohnung, abgeschnitten von der Gesellschaft. Wenn sie vor die Tür geht, dann zum Einkaufen und dort spricht sie nur das Nötigste. Ihre Laune hebt sich immer dann, wenn sie Mama mit den Kindern besucht. Aber das ist nicht vergleichbar mit dem Heimatbaum. Auch sind die Männer dort nur bis in den Vormittag zum Jagen fort. Hier in Eseís kommen wir erst am späten Nachmittag nachhause.
Sie hat nicht die Möglichkeit mit ihrer Familie und ihren Freundinnen zu tratschen, wann immer sie Lust darauf hat.
Zusammen mit einem Co-Autor schreibe ich meine Erinnerungen an das Leben bei den Ngachi als Roman. Er verkauft sich gut und ich werde mit ihr ins TV eingeladen. In den Nachrichten sind danach Artikel erschienen wie ‚Zwei Welten: Eine Liebe‘. Dadurch kommt Ckilorr viel herum, aber all das ist nicht dasselbe wie der Heimatbaum. Ihre Hautfarbe wird zunehmend bleicher. Ich kann nicht unterscheiden, ob sie ein körperliches oder seelisches Problem plagt.
Wir lassen uns mit den Kindern als kleinen Urlaub zum Heimatbaum fliegen. Eine Drohne einer wissenschaftlichen Redaktion begleitet uns. Dort sehe ich, wie Ckilorr aufblüht. Als ich später einmal den Film zu sehen bekomme und auch Ckilorr mit den Kindern zuschaut, sehe ich Momente, wie sich Schachan mit Nganurr um ein schweres Bündel Uchumochi -Kochbananen- streitet.
Weiter enthält der Film einige freudige Momente, in denen Ckilorr die Kleinen ihrer Schwester vorführt und wie sie wieder in den Wasserläufen auf Krabbenfang geht. Dennoch ist ihre Haut oft schwarz. Sie erzählt mir niedergeschlagen, dass die Anderen zu ihr sagen, sie sei eine Vchhtep -Himmelswesen- geworden.
Sie sind natürlich neugierig gewesen und Ckilorr hat ihnen berichtet: „Ich lebe an einem Ort, an dem ich kein Holz sammele und niemand jagt. Die Frauen sprechen mich dort nicht an, um gemeinsam Fische fangen zu gehen. Es ist nicht, wie im Weltenwald. Die Menschen leben getrennt und allein. Manchmal bin ich wütend auf meinen Mann, die Geschäfte, und schaue mir Kleidung an. Damit kann ich mich etwas beruhigen, denn mein Mann kann nichts dafür, dass ich wütend werde und niedergeschlagen. Er liebt mich.“
Ein paar Monate nach den Dreharbeiten hat sich Ckilorr entschieden, im Wald zu bleiben. Also habe ich Papa über den Kommunikator kontaktiert und gesagt, er solle meine Angelegenheiten in Eseís regeln, ich würde nicht zurückkommen. Die Kinder würden im Wald aufwachsen, denn Ckilorr ist es unmöglich, ihnen in Eseís beizubringen, was einen Ngachi in seiner Seele ausmacht.