Bewegendes - oder bin ich zu nahe am Wasser gebaut?
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madeinheaven Forenmogul
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Thema: Bewegendes - oder bin ich zu nahe am Wasser gebaut? Mi Aug 26, 2015 4:03 pm
Bewegendes - oder bin ich zu nah am Wasser gebaut? von madeinheaven @ 2014-12-02 – 09:12:46 Gestern sitze ich im Keller und rauche eine Zigarette. Das mache ich, weil es nicht in der ganzen Wohnung nach Rauch stinken muss, nur weil eine Person den Genüssen nicht widerstehen kann. Normalerweise habe ich mein Smart dabei und schreibe und lese hier im Blog oder anderswo. Nun ist das Akku des Smarts auch irgendwann alle und so kam es, dass ich da sitze und mich umschaue. Da stehst ein kleiner schwarzer DIN A 5 Ordner. Ich weiß was drin steht und doch fesselt mich der Inhalt. Ich beginne zu lesen und es dauert nur wenige Augenblicke und die Tränen laufen mir aus den Augen. Es ist die Lebensgeschichte meiner Oma. Geboren in Frankfurt im Jahr 1911. Geschrieben und erzählt von ihr selbst. Die Lebensgeschichte einer Frau, die im 1. Weltkrieg ihren Vater verloren hat, die im 2. Weltkrieg fast ihren Mann verloren hat und die, für heute unvorstellbare Dinge, erzählt. 90 Kilometer mit dem Fahrrad nach Frankfurt in 6 Stunden. Arbeiten bei einer Baustofffirma, den Lohn in Baustoff ausbezahlt bekommen, um damit ein Haus zu bauen. 3 Jahre kein Geld, dafür ein Haus. Geschichten um dieses Haus, um ihre Kinder, Kindeskinder und deren Kinder. Eine Frau, keine 1,50 m groß und doch ihren "Mann gestanden". Je mehr ich lese, um so mehr Tränen laufen. Geschichten meiner Familie, Erlebnisse, an denen ich teil nahm. Erinnerungen kommen auf, an dies, an jenes. Meine Oma bekam 2 Kinder, 5 Enkel und 6 Urenkel und sie hat sie alle mit bekommen. Sie war immer da. Diese Geschichte hat sie viele Jahre vor ihrem Tod aufgeschrieben und doch erzählt sie auf knapp 40 Seiten so viel und doch so wenig. So erzählt sie beispielsweise, wie ihr Mann, mein Opa, knapp dem Tod in Stalingrad entrann, weil ein geöffneter, nicht unterschriebener Brief bei seinem Hauptmann landete. Fahrradausflüge in die Schweiz - hallo, das sind knapp 300 Kilometer. Auch die schwärzesten Stunden der Familiengeschichte werden angesprochen und genau da kann ich nicht weiter lesen, weil ich ein Teil davon war, mittendrin. Die Tore wollen sich nicht mehr schließen lassen und als ich dann wieder aus dem Keller gehe und meine Frau mich sieht, verheult, die Nase läuft, ist sie natürlich verwundert. Ich erkläre es ihr kurz und sie hat Verständnis.
Was würden unsere Enkel wohl denken, wenn wir heute aufschreiben, was wir so erlebt haben. Wie unsere Welt so aussah. Autos, stell dir vor, die sind damals noch Auto gefahren. Schwarz weiß Fernseher, was ist das? Unsere Welt verändert sich - täglich. Was bleibt sind Erinnerungen. An Menschen, an Gegebenheiten und es ist schön, sie manchmal wieder hervor zu holen, auch wenn dabei die Tränen laufen. So lange es Tränen der Freude sind, ist alles im Normbereich.
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