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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Di Jul 07, 2020 9:13 am

Ich werfe mich vor ihm zu Boden, wobei mir der Hut vom Kopf rutscht. Nach einigen Sekunden komme ich wieder hoch. Andrea hat sich nach dem Hut gebückt und reicht ihn mir jetzt. Ich setze ihn lächelnd auf und streiche ihr sanft über ihr Haar.

*

Zehn Jahre leben wir nun im Kloster in den Bergen des Elsaß. Meine Mädchen sind inzwischen 15Jahre alt geworden. Das Leben unter den Menschen hier hat sie Respekt und Achtung gegenüber Älteren gelehrt. Sie sind sehr vernünftig geworden.
Heute ist die Schulabschlussfeier. Seine Heiligkeit übergibt jedem Schulabgänger eine Urkunde. Meine Mädchen erhalten auch eine Übersetzung der Urkunde in deutscher Sprache. Dafür müssen sie warten, bis alle anderen Schüler und Schülerinnen ihre Urkunde erhalten haben.
Ich habe, wie die anderen Eltern, bei der Zeremonie zugeschaut, die wegen der großen Zahl der Leute im Innenhof stattfindet. Nun, als nur noch die Lamas anwesend sind, winkt Seine Heiligkeit mich näher heran. Unwillkürlich gehe ich vor dem Khenchen Lama auf die Knie. Die Lamas stimmen ein Gebet an, bei Trommel und Flötenmusik.
Zwei Gelong bringen heiliges Wasser herbei, das man mir über die Stirn fließen lässt. Seine Heiligkeit legt mir eine safrangelbe Schärpe über die Schultern und sagt:
„Sei für die Menschen wie die Sonne am Taghimmel oder wie der Mond am Nachthimmel, wo immer du dich aufhältst, Lama Kyobpa!“
Meine Mädchen schauen der Zeremonie mit offenen Mündern zu.
Anschließend erhebe ich mich und drücke meine Lippen auf seinen dargebotenen Handrücken. Ich entferne mich rückwärtsgehend. Anne und Andrea folgen mir. Wir betreten den Gang zu den Unterkünften. Anne sagt ergriffen:
„Lama Kyobpa… Das bedeutet Lehrer, Schützer, Verteidiger, Retter…“
„Seine Heiligkeit gibt mir mit dem spirituellen Namen auch so etwas wie ein Programm für die Zukunft vor,“ erkläre ich ihr. „Er weiß natürlich, dass wir in ein paar Jahren nach Hawaii zurückgehen und was wir dort vorhaben.“
Wir betreten mein Zimmer und nehmen alle roten Longshirts aus dem Schrank. Damit gehen wir zu den Gelongma, die sich um das Waschen und Ausbessern unserer Kleidung kümmern. Immer noch trage ich die safrangelbe Schärpe um die Schultern.
Die Nonnen nehmen meine Longshirts und tauschen sie gegen safrangelbe aus, meine neue Tracht als Lama.
Nun bereiten wir unsere Rückfahrt nach Deutschland vor. Meine Mädchen verabschieden sich von ihren Freundinnen, nicht ohne ihnen zu versichern, dass sie in ein paar Jahren wieder Kontakt zu ihnen suchen, sobald das Internat auf Hawaii angelaufen ist. Denn sicher werden wir pädagogisches und anderes Personal brauchen. Natürlich werden bis dahin noch einige Jahre vergehen.

*

In Deutschland angekommen besuchen wir als erstes mein Stamm-Kloster und Lama Rinpoche. Er freut sich über das Wiedersehen und will wissen, was wir als nächstes geplant haben.
Anne und Andrea werden ihr deutsches Abitur an einem Berufskolleg in der Nähe machen,“ erkläre ich meinem Mentor. „Deutsch haben sie in den vergangenen Jahren durch mich gelernt, neben Französisch, dass sie im Elsaß brauchten. Jetzt werden sie das Erlernte im Alltag anwenden und perfektionieren können. Danach wird Anne Kinderkrankenschwester und -pflegerin lernen, und Andrea ein Studium in Pädagogik beginnen für den Lehrerberuf.“
„Dann seid ihr mindestens noch sechs Jahre in Deutschland,“ schätzt Lama Rinpoche. „Wo wollt ihr da wohnen?“
„Wenn hier im Kloster für mich Platz ist, würde ich mich gerne in das Kloster integrieren wollen. So haben die Mädchen auch einen Bezugspunkt, der sie an Weiterswiller erinnert. Sie werden in der 80 Kilometer entfernten Kleinstadt eine gemeinsame Wohnung anmieten. Dort gibt es ein Berufskolleg. In zwei Jahren, nach dem Abitur, werden sie sich wohl neu orientieren müssen. Momentan werden die angestrebten Ausbildungen und Studiengänge in der 200 Kilometer entfernten Stadt angeboten. Ich denke, dass mich Anne und Andrea in den Semesterferien besuchen und ihren Dad nicht vergessen werden,“ antworte ich und zwinkere meinen Mädchen zu, die an meiner Seite auf dem Boden sitzen.
Anne, die sich gleich neben mir an dem niedrigen Tisch in Lama Rinpoches Zimmer niedergelassen hat, lehnt sich an mich. Andrea schüttelt lächelnd den Kopf und sagt:
„Wir werden dich immer wieder besuchen! Wenn es geht, auch zwischendurch an den Wochenenden. Ansonsten gibt es ja WhatsApp!“
Ich nicke und streiche ihr zart über die Wange:
„Zuerst die Schule – und die Hausaufgaben! Bei Fragen bin ich natürlich wie immer für euch jederzeit zu sprechen, meine Große!“
In den folgenden Jahren gehen meine Mädchen auch Freundschaften mit jungen Männern ihrer Altersstufe ein. Es kommt zu schwärmerischen Liebeleien, die immer wieder daran zerbrechen, dass – besonders Anne – jeden frühen sexuellen Kontakt ablehnen.
Dann kommen die Staatsexamina und beide sind hochgradig nervös. Dennoch erhalten beide ihre angestrebten Abschlüsse. Nun reise ich mit meinen Mädchen durch Deutschland und zeige ihnen neben der reichhaltigen Natur und Kultur meines Heimatlandes auch einige emotional aufgeladene Orte.
Meine erste Fahrt mit den Mädchen führt in einen kleinen Ort an der Peripherie Frankfurts. Dafür habe ich mir einen Mietwagen genommen. Ich suche die Straße, in der das Einfamilienhaus der Familie Li gestanden hat. Jetzt, nach über zwanzig Jahren ist es kaum wiederzuerkennen. Der neue Eigentümer hat es auf seine eigenen Bedürfnisse angepasst.
Ich habe das Auto in der Nähe abgestellt und den Mädchen angeboten, dass wir uns ‚etwas die Füße vertreten‘ und dann in einem Restaurant essen, bevor wir wieder zurückfahren und am Abend rechtzeitig zum Schlafen wieder im Kloster zurück sind.
Als wir, rechts und links meine Mädchen, in die Straße einbiegen, zeigt Andrea keine Gefühlsreaktion. Ganz anders Anne. Sie lehnt sich bei mir an und wischt sich eine Träne von der Wange. Ich umfasse ihre Schultern und schaue sie liebevoll an.
„Wir sind bald im Restaurant,“ sage ich beschwichtigend.
„Ich weiß nicht, was plötzlich mit mir los ist!“ meint sie.
„Sei mir nicht böse, Anne. In diesem Haus hier ist vor langer Zeit Li Yong Tai aufgewachsen. Wahrscheinlich kommt dein Gefühlsausbruch daher…“
„Dad!“ antwortet sie, entwindet sich meinem Griff und geht ein wenig auf Abstand. Andrea schaut interessiert.
Dann lehnt Anne sich wieder bei mir an. Nun schlendern wir aber nicht mehr, sondern gehen den Restweg schnellen Schrittes. Während des Essens im Restaurant, sagt sie:
„Das hast du mit Absicht getan: Uns hierher zu führen… Du warst auf meine Reaktion gespannt.“
„Entschuldige,“ antworte ich ihr. „Du hast Recht! Aber nun weißt du auch selbst mit Gewissheit, dass in du eine andere Wesenheit beherbergst. Du bist die Wiedergeburt Yong Tais!“
Ein paar Tage nach dem Erlebnis machen wir eine Fahrt in meine Geburtsstadt und spazieren am Gebäude des alten Klosters, an meiner alten Schule und an meinem Elternhaus vorbei.
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Mi Jul 08, 2020 9:13 am

Nach diesen ‚Back to the Roots‘-Reisen möchten die Zwillinge nun auch Hamburg kennenlernen, die Wirkungsstätte von Yong Tai. Das Bankenviertel befindet sich westlich hinter dem Rathaus. Die Statue auf dem Rathausmarkt stellt den Dichter Heinrich Heine dar. Wir parken den Wagen und gehen etwa fünf Minuten zu Fuß. Meine Zwillinge schauen sich alles interessiert an. Für den Rückweg nehmen wir eine Barkasse auf der Alster.
Dann essen wir im Restaurant ‚Parlament Hamburg. Hier in der Innenstadt gibt es eine Menge Ausstellungen und Museen. Ich lasse sie auswählen, welche für sie interessant sind. Diese besuchen wir in den nächsten Tagen, nachdem wir eine Jugendherberge zum Übernachten gefunden haben. Danach machen wir einen Abstecher nach Berlin und Köln, bevor wir wieder in Frankfurt sind und dort unsere Flugtickets kaufen.
Als nun die Rückkehr nach Hawaii ansteht, bin ich es, der nervös ist. Annes Nähe und Fürsorge tut mir gut. Meine Zwillinge sind inzwischen 22 Jahre alt. Wir fliegen mit Touristentickets die übliche Strecke über San Franzisko und mieten uns drei Zimmer in einem Motel in Honolulu.
Dort wollen wir uns einen ersten Eindruck verschaffen in den Vierteln der ärmeren Bevölkerung. Die Mehrzahl der Leute hier sind Native-Hawaiians. Das Hauptproblem sind Alkohol und Drogen. Kleine Kinder betteln uns an und halbwüchsige leicht bekleidete Mädchen stehen am Straßenrand in der Nähe der Pubs.
Plötzlich kommt eine Gruppe halbwüchsiger Jungen grölend die Straße herunter. Wir versuchen auszuweichen, aber sie haben schnell meine Mädchen im Griff, die Arme auf den Rücken gedreht und verlangen Geld von mir.
Die Drei, die sich mir mit der Forderung nähern, bewaffnet mit Messern, liegen kurz darauf auf dem Boden und die Beiden, die meine Mädchen festgehalten haben, dann ihren Kumpels helfen wollen, liegen auf ihnen. Wir laufen zu unserem Mietwagen zurück und nehmen erst einmal Reißaus.
Unterwegs zurück zum Motel meine ich:
„Der Erstkontakt ist gründlich schiefgegangen. Wir waren zu naiv. Erst einmal sollten wir uns um den Ausbau der alten Villa am Hang des Kilauea kümmern, denke ich. Dann sollten wir Kontakt zu caritativen Vereinen aufnehmen, die schon Kontakt zu den Leuten hier haben und deren Vertrauen genießen. Anschließend sollten wir uns zuerst um 6jährige Schulanfänger kümmern!“
Am nächsten Tag folgen wir den Kehren und Windungen der Straße den Kilauea hinauf und in den tropischen Regenwald hinein. Nach einer Stunde erreichen wir den Privatweg, der zu unserer Villa führt. Gut 23 Jahre bin ich nicht mehr hier gewesen. Wir lassen den Wagen stehen und versuchen uns mühsam den Weg durch die Vegetation zur Villa zu bahnen.
An den Mauerresten der Gartenmauer, die durch die Explosion von Yong Tais Auto teilweise eingestürzt ist, endet unser Vordringen. Ich kann einfach nicht mehr. Mich auf die Mauerruine setzend, lasse ich meinen Gefühlen freien Lauf. Mit zuckenden Schultern haltlos weinend sitze ich da. Anne hat sich neben mich gesetzt und zieht mich nun an sich. Sie trocknet mir die Tränen.
„Bald sieht es hier wieder anders aus,“ meint sie tröstend, „und neue Erleb-nisse überdecken die alten Erinnerungen!“
Wir bahnen uns den Weg zum Auto zurück und fahren wieder hinunter in die Stadt. Nach dem Essen besuchen wir das buddhistische Kloster. Dazu haben wir alle Drei unsere Mönchskleidung angelegt: Lama Kyobpa betritt in Begleitung zweier Gelongma das Gebäude…
Wir neigen die Köpfe und drehen bedächtig die Gebetsmühlen im Eingangsbereich. Die Gebete darauf kennen wir auswendig und murmeln sie leise vor uns hin.
Ein Gelong -Mönch- tritt näher und begrüßt uns mit der üblichen Geste. Ich gebe den stummen Gruß zurück. Er fragt, wer wir sind und welcher Grund uns hierherführt. Ihm lächelnd zunickend frage ich, ob Seine Heiligkeit so gütig wäre, uns für wenige Minuten sein Ohr zu leihen.
Der Gelong lächelt und führt uns. Vor einer zweiflügeligen Tür bleibt er kurz stehen und sieht mich fragend an.
„Wen darf ich Seiner Heiligkeit melden?“
„Sagen Sie ihm, Lama Kyobpa aus Deutschland und zwei Gelongma, die in Kinderkrankenpflege und als Primaryschool-Teacher ausgebildet sind, fragen nach einem Betätigungsfeld.“
Der Mann betritt den Thronsaal und schließt die Tür hinter sich. Kurz darauf ist er wieder zurück und öffnet die Tür für uns. Wir nähern uns Seiner Heiligkeit langsam und ehrerbietig. Vor ihm gehe ich auf die Knie und berühre mit der Stirn den Boden. Ich bin mir sicher, dass meine Mädchen meinem Beispiel folgen.
„Setz dich, Lama Kyobpa und berichte!“ fordert mich Seine Heiligkeit der Khenchen Lama auf.
Ich lasse mich im Schneidersitz vor ihm nieder und erzähle, dass wir zehn Jahre in Weiterswiller in Ost-Frankreich gelebt haben, dass die Gelongma hinter mir in Deutschland eine spezielle Ausbildung in der Betreuung von gefährdeten Kindern erhalten haben und dass wir oben am Feuerberg eine Villa umbauen und nutzen können. Dafür wollte ich eine Foundation gründen, die die Finanzen im Auge hat. Dies alles könne man vielleicht als Außenstelle dieses Klosters betrachten…
Seine Heiligkeit hört ruhig zu und stellt hier und da Zwischenfragen zum Verständnis. Danach entlässt er uns. Zum Abschied fragt er noch, wo wir zurzeit wohnen. Er sagt dann, dass wir auf seine Antwort warten sollen.
Auf dem Weg zurück zum Motel sagt Andrea zu mir:
„Dad, wir sollten schon einmal eine Firma damit beauftragen, das Grundstück und das Innere der Villa von der Vegetation zu befreien. Schließlich kann sich ja erst dann ein Architekt ein Bild davon machen, und uns sagen was von der Bausubstanz erhalten werden kann und was nicht.“
„Ja, du hast vollkommen Recht!“ stimme ich ihr zu.
Am nächsten Tag suchen wir einen Gärtnerei- und Forstbetrieb auf und ich unterzeichne den Auftrag.
Drei Tage später hält ein YellowCab vor der Tür. Ein Gelong bringt uns zu Seiner Heiligkeit ins Kloster. Er hat sich inzwischen in Frankreich und Deutschland über uns erkundigt und meint nun, er warte ab bis die Villa umgebaut ist. Dann würde ein Lama uns dort besuchen und uns Kontakte zu caritativen Vereinen vermitteln. Er sei gegenüber unserem Vorhaben wohlwollend gestimmt.
‚Also müssen wir uns nun erst einmal sechs bis zwölf Monate um die Villa kümmern,‘ schätze ich gedanklich unser Vorhaben ab.
Eine Woche darauf ist die Villa freigelegt. Bevor wir sie in Begleitung eines Architekten besuchen, wollen Anne und Andrea sie in ursprünglichem Zustand sehen. Also fahren wir wieder den Kilauea hinauf und biegen von der Bergstraße in den Privatweg ein. Schon hier haben die Maschinen der Firma eine breite Schneise geschaffen.
Am Tor steigen wir aus und gehen den Weg bis zur Treppe zu Fuß. Anschließend erklimmen wir die Treppe und betreten das Foyer. Von dort zeige ich ihnen den Weg über eine Innentreppe in die Privaträume. Wir schauen uns jeden der Räume an. Sie wecken glückliche Erinnerungen in mir, die jedoch vom schmerzlichen Verlust meiner geliebten Yong Tai verdunkelt werden.
Schließlich stehen wir im Schlafzimmer. Die Tür zum Balkon ist aus den Angeln gerissen. Vorsichtig löse ich sie aus dem Türrahmen und stelle sie daneben gegen die Wand. Anne tritt auf den Balkon hinaus, als wolle sie den Ausblick genießen. Sie nestelt an ihrem Gewand, öffnet es und lässt es fallen. Darunter trägt sie ein blaues Kleid, wadenlang mit großem Rückenausschnitt.
Als wäre ich gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen, bleibe ich stehen. Anne trägt Yong Tais Lieblingskleid! Sie muss es mir aus der Truhe genommen haben. Ich stoße einen heiseren Schrei aus „Yong Tai!“, falle auf die Knie und beginne haltlos zu weinen.
Andrea tritt an mich heran und setzt sich neben mich, meine Schultern um-fassend. Anne hebt ihr Nonnengewand vom Boden auf und zieht es wieder über das Kleid an. Dann kommt auch sie zu mir, um sich sitzend an mich zu lehnen.
„Wir verbrennen die Truhe mit den Erinnerungsstücken, Dad! Jetzt, wo sich der Kreis geschlossen hat, brauchst du nicht mehr zurück zu schauen, nicht wahr?“
Ich nicke unter Tränen. Andrea erklärt:
„Wir haben im Kloster alles über die Nangwa -Wiedergeburt- gelernt. Wir haben uns natürlich früher gefragt, warum du dich gerade um uns so liebevoll kümmerst. Du hast uns von deiner verstorbenen Frau erzählt, und dass wir damals ihr Lieblingsspielzeug gewählt haben und dann nicht mehr hergeben wollten, dass Anne ihren und ich einen Teil deines Charakters besitze. So müssten in uns deine verstorbene Frau und dein ungeborenes Kind weiterleben.
Auch weil du uns auf Hawaii entdeckt hast, Yong Tais Lieblingsplatz, und dass wir dich als kleine Kinder spontan zum Dad gewählt haben, während andere adoptionswillige Paare ihre liebe Not mit uns gehabt haben sollen…
Wir haben uns entschieden, dass es so sein muss. Das bedeutet für die Zukunft, Anne wird sich in ihrer Freizeit um dich kümmern und dir im Alter zur Seite stehen. Ich werde jemand finden und heiraten, der in deine Fußstapfen treten und dich irgendwann ersetzen kann. Wir werden die Villa und dein Lebenswerk die ‚Yong Tai – Foundation‘ nennen!“
„Ich finde deine Argumentationskette wirklich überzeugend, Liebes,“ entgegne ich ihr. „Das würde aber bedeuten, dass Anne auf ihr Lebensglück verzichten müsste, wenn sie sich um ihren alten, kranken Dad kümmert und sich damit eine Liebe und Partnerschaft versagt…“
„Liebster Daddy,“ mischt sich Anne nun ein. „Lass uns nicht von Beginn an festlegen! Reden wir darüber noch einmal, wenn irgendwann der Zeitpunkt gekommen ist. Vielleicht lässt sich wirklich ja beides unter einen Hut bringen…“
Ich gebe mich fürs Erste geschlagen. Die angedachte Foundation mit Leben füllen, muss sowieso die Generation meiner Zwillinge. Ich lege beiden meine Arme auf ihre Schultern und ziehe sie an mich heran.

*
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Do Jul 09, 2020 10:04 am

Der Architekt hat mit einem Quadrocopter Luftbildaufnahmen gemacht, um mit einem CAD-Programm den alten Grundriss nachzeichnen zu können. Dann hat er die Bausubstanz begutachtet. Er hat das Gebäude von allen Seiten fotografiert, um ein 3D-Computermodell zu erstellen.
In den darauffolgenden Wochen sind wir oft bei ihm gewesen und haben über unsere Zukunftsvorstellungen geredet. Der Architekt hat jedesmal die Wände am Computer verschoben und uns gezeigt, was machbar ist und was nicht. Nach Wochen steht das Konzept endlich. Nun beauftragt der Architekt in unserem Namen Baufirmen und nach einem Jahr steht an der Stelle der alten Villa das weitläufige Gebäude eines Internats. Wohnräume, Klassenräume und Sportstätten in einem Mix aus modernem und asiatischem Stil tun sich vor uns auf, in mehreren Stufen in den Berghang integriert. Meine Wohn- und Arbeitsräume befinden sich im rückwärtigen Teil in einen Stupa.
Das buddhistische Kloster auf Hawaii vermittelt uns sozial problematische Familien, die ein oder mehrere Kinder in ein Internat geben wollen, ohne dafür zahlen zu müssen. Dadurch kommen die Eltern mit dem vorhandenen Geld besser klar. In den Schulferien dürfen die Kinder zu ihren Familien zurück.
Nur wenige Kinder bitten Anne oder Andrea, während der Ferien im Heim bleiben zu können, weil es ihnen bei uns besser ergeht als in ihren Familien. Mit diesen Kindern machen wir Tagesausflüge über die Inseln des Archipels und beschäftigen sie mit Bastelarbeiten oder Sport, je nach Interesse.

*

Bald bekommen wir Probleme. Anne und Andrea wächst die Arbeit über den Kopf, obwohl so viel Engagement von den Kindern zurückkommt. Auch ich gerate mit der Verwaltungsarbeit in Verzug, in die eigentlich Andrea hineinwachsen wollte. Also vereinbaren wir, dass ich in den Schulferien nach Deutschland fliege, um das Problem mit meinem früheren Lehrer zu besprechen.
Ich lasse mich in Deutschland zum Kloster fahren und miete wieder in der Herberge ein Zimmer. Nachdem ich mein Klostergewand angezogen habe, betrete ich das Kloster.
Im Foyer tritt mir wie üblich ein Gelong entgegen und fragt nach meinem Begehr.
„Ist Lama Rinpoche vielleicht zu sprechen?“ frage ich ihn.
Der Mann neigt ehrerbietig seinen Kopf und führt die gefalteten Hände an seine Lippen.
„Wen darf ich Seiner Heiligkeit melden?“
Ich lächele erstaunt und erfreut zugleich.
„Sag‘ Seiner Heiligkeit, Lama Kyobpa aus Hawaii hat ein Anliegen…“
„Bitte, folge mir, verehrter Khenpo -buddhistischer Lehrer-.“
‚Das war nun sicher eine Höflichkeitsfloskel,‘ denke ich mir, ‚denn meine Geschichte kennt er sicher nicht. Ihn wird das Wort ‚Hawaii‘ beeindruckt haben…‘
Ich folge dem Gelong durch die Gänge des Klosters, obwohl ich den Weg zum Thronsaal kenne, und auch weiß, wo die Privaträume des Khenchen Lama liegen. Dass Dennis zum Khenchen Lama geweiht worden ist, bedeutet zweierlei:
Einmal, dass die Lamas dieses Klosters ihn als Wiedergeburt des Lama Sherab für würdig halten, das Amt zu bekleiden, und zum anderen, dass der bisherige Khenchen Lama ‚heimgegangen‘ ist.
Wir treffen Seine Heiligkeit beim Meditieren in seinen Privaträumen an. Dort sieht es nicht viel anders aus, als in den Räumen der Lamas. Nur dass das Büro größer ist und ein Gelong die Schreibarbeit als Sekretär erledigt. Der Torwächter überlässt mich nun auch der Obhut des Sekretärs.
Leise setze ich mich Seiner Heiligkeit gegenüber an den Tisch und warte. Der Gelong will Khenchen Lama Rinpoche meine Anwesenheit melden, aber ich wedele ein paarmal kurz mit der Hand. Also entfernt er sich, um seine Arbeit am Laptop wieder aufzunehmen. Ich bin sicher, dass er Auge und Ohr offen hat.
Irgendwann öffnet Seine Heiligkeit die Augen und erkennt mich. Während ich mich tief verbeuge, streckt er beide Arme nach mir aus.
„Ich freue mich, dich wiederzusehen, Lama Kyobpa!“ begrüßt er mich lächelnd. „Wie geht es dir? Und natürlich den Gelongma Anne und Andrea…“
„Ich freue mich ebenfalls, Eure Heiligkeit!“ antworte ich. „Das Internat, unser Baby gewissermaßen, ist vor über einem Jahr angelaufen. Nun haben wir Personalprobleme… Es war natürlich von Anfang an klar, dass ein Internat nicht von drei Lehrern allein geführt werden kann, dass es aber so schnell wachsen würde…“
„Deine Probleme führen dich nun zu mir?“ fragt Seine Heiligkeit Rinpoche.
Ich nicke und frage:
„Ist es möglich, dass einer der Gelong dieses Klosters – ein Kungfu-Meister – Interesse daran hat, das Managen einer Foundation zu erlernen. Es gilt sozial gebundene Gelder zu verwalten und zweckgebunden auszugeben? Für den Anfang denke ich an drei Bewerber, um mir den Besten nach einem Jahr Aufenthalt auszusuchen. Die beiden anderen bekämen ein Zertifikat mit nach Deutschland zurück.
Auch könnten sich Klosterschülerinnen gerne bei uns bewerben, wenn sie sich die Arbeit mit Kindern vorstellen können. Sie könnten bei uns ein einjähriges Praktikum machen, für das sie ebenfalls ein Zertifikat bekommen würden. Wenn sie dann in Deutschland zurück sind und eine Ausbildung in diesem Bereich anschließen, können sie sich danach gerne ebenfalls bei uns bewerben, um eine unbefristete Anstellung zu finden.“
Seine Heiligkeit lädt mich ein, zum Essen zu bleiben und dabei das Thema bei den Gelong -Mönchen- im Kloster anzusprechen. Ich bedanke mich, indem ich mich verbeuge und die gefalteten Hände hebe. Danach erhebe ich mich und entferne mich langsam ehrfürchtig rückwärtsgehend.
Wo der Speisesaal der Gelong ist, weiß ich ebenfalls. Ich gehe dorthin und setze mich an den Platz des Vorlesers. Der Gelong, der diese Funktion während des Essens übernimmt, rezitiert alte buddhistische Texte und Gebete. Heute werde ich diese Funktion übernehmen. Jetzt nehme ich die Haltung zum Meditieren ein und lasse meinen Geist fliegen, bis die Essenszeit heranrückt.
Bald kommt ein Gelong nach dem Anderen in den Speisesaal. Als einer der Männer sich mir nähert, öffne ich die Augen und lächele ihn an. Ich sage:
„Setze dich zu den Anderen, Bruder. Heute will ich euch rezitieren.“
Er neigt den Kopf und geht zu einem freien Platz an den Tischen. Kurz darauf sind alle Plätze belegt und Klosterschüler bringen Schüsseln mit Lebensmitteln herein. Ich ziehe den Stapel der Holztäfelchen näher zu mir heran und beginne mit dem Vorlesen.
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Fr Jul 10, 2020 9:57 am

Auch ich fülle bald meine Schale und beginne langsam zu essen. Immer wieder unterbreche ich mich, um ein weiteres Täfelchen vorzulesen. Ein Gelong nach dem Anderen ist fertig und sitzt nur noch an seinem Platz, um mir zu lauschen. Natürlich erwarten sie von mir mehr als nur das Rezitieren alter Texte.
Ich erfülle ihre Erwartungen, indem ich beginne, über mein zentrales Thema zu referieren.
„Ihr kennt unsere Tugenden, Brüder! Uns ist verboten, uns abhängig zu machen und persönlichen Besitz anzuhäufen. Die ersten Mönche in der Geschichte des Buddhismus sind umhergezogen. Sie wurden von den Gläubigen versorgt. Damit sie die kalte Jahreszeit überstehen, hat man ihnen zuerst transportable, später feste Unterkünfte geschaffen. Daraus sind die Klöster entstanden.
Aber was ist den Buddhisten, besonders den Mönchen erlaubt? Die Selbstlosigkeit, das Mitgefühl und Eintreten für den Schwächeren sind uns ausdrücklich geboten. Als zentralen Punkt sehe ich hier das Mitgefühl, welches ich als bedingungslose Liebe definieren würde. Liebe zur Natur, zu den Geschöpfen des Himmels, der Erde und des Wassers, ist das Wesentlichste im Leben der Mönche…“
Es entsteht daraufhin eine lebhafte Debatte bei der sich traditionsgemäß der Argumentierende erhebt und sein Argument durch Händeklatschen abschließt. Ich schiebe die Debatte allmählich durch Einwürfe in Richtung Askese kontra Mitgefühl/Liebe zu nahestehenden Personen und merke bald, wer voll hinter der mönchischen Askese steht und wer offen ist für Beziehungen.
Leise öffnet sich die Tür des Speisesaals. Meine Augen werden groß, als ich Seine Heiligkeit Khenchen Lama Rinpoche in Begleitung Seiner Eminenz Lama Khön Gyana entreten sehe.
Beide hochgestellten Lehrer setzen sich alsbald. Die Debatte ist bei ihrem Eintritt eingeschlafen. Nun wird sie von Lama Khön Gyana wieder angefacht, dem hohen Würdenträger der Sakya-Schule. Ich habe nicht gewusst, dass er aus Weiterswiller im Elsaß gerade jetzt hier weilt.
„Liebe Brüder,“ hebt seine Eminenz an. „Ihr wißt, dass uns Abhängigkeit verboten ist, sowie auch persönlicher Besitz… Das Wesentlichste im Leben eines Mönches ist aber die Selbstlosigkeit, das Eintreten für den Schwächeren. Dabei würde ich das Mitgefühl herausstreichen, welches ich als bedingungslose Liebe definieren würde. Liebe zur Natur, zu den Geschöpfen des Himmels, der Erde und des Wassers – und natürlich zu einer nahestehenden Person, die ich kenne… Man kann also sagen, dass wir zur Liebe ermutigt werden.“
Damit befeuert er die Debatte, denn die Meisten der anwesenden Gelong halten die Askese für die zentrale Tugend des Mönchtums. Bald stellt sich heraus, welche Gelong offen sind für eine Beziehung.
Mit diesen Gelong führe ich in den folgenden Tagen Einzelgespräche. Nach zwei Wochen habe ich drei Kandidaten für die Position des Managers der Yong-Tai-Foundations ausgewählt. Wir wollen ihnen in Honolulu das Verwalten sozial gebundener Gelder beibringen. Seine Eminenz Lama Khön Gyana ist ebenfalls dabei.
Dass sich ausgerechnet der Bruder des Trülku für Hawaii interessiert, ehrt mich sehr, weckt aber auch eine gewisse Erwartungshaltung. Es wäre schön, wenn er und Andrea zueinander fänden. Da man Gefühle aber nicht steuern kann, muss ich die interessierten Gelong aus Khenchen Lama Rinpoches Kloster und Seine Eminenz Lama Khön Gyana gleichbehandeln.
Ich darf ihn bei allem Respekt nicht bevorzugen, damit Andrea eine echte Wahlmöglichkeit anhand der Charaktere und der Zuneigung erhält. Ob nun Andrea und einer der Drei Zuneigung zueinander entwickeln, wird sich in den nächsten zwölf Monaten zeigen.

*

Ich fliege schließlich mit Seiner Eminenz und den beiden Gelong, sowie einem Dutzend Klosterschüler und -schülerinnen, die gerne in einem Internat arbeiten möchten, drei Wochen nach meiner Ankunft in Deutschland nach Honolulu zurück. Die jungen Leute sind zwischen 17 und 20 Jahre alt und entweder von ihren Familien zwischen Schule und Ausbildung für den Besuch der Klosterschule begeistert worden oder Absolventen des Bundesfreiwilligendienstes.
Sie werden im Küchen- und Zimmerdienst eingesetzt, sowie bei der Hausaufgabenbetreuung und ähnlichen Diensten, auch im Sanitätsdienst. Die Gelong rotieren als Sportlehrer und in der Verwaltung des Hauses, damit sie überall hineinschauen und einen Überblick erhalten können.
Lama Khön Gyana ist schon ein besonderer Mensch: Unser Kloster in Deutschland hat früher des Öfteren Besuch von Seiner Heiligkeit Khön Dhungsay bekommen. Dieser ehrwürdige Lama lehrt die Gelong und diskutiert nach buddhistischer Tradition mit ihnen.
Seine Heiligkeit Khön Dhungsay ist der direkte Nachfahre des Gründers des Klosters in Sakya -graue Erde-. Seine Eltern, Großeltern… waren alle Vorsteher der Schule und heirateten, um einen Nachfolger zu zeugen. Er gehört zur Khön-Familie, die seit 1073 stets die Führer der Sakya-Schule stellt.
Nach seinem Tod hat sein erstgeborener Sohn Lama Khön Sakya Trizin den Titel des Trülku erhalten. Der zweitgeborene Sohn Lama Khön Gyana hat nun anscheinend ein eigenes Betätigungsfeld bei mir gefunden. Ich lächele bei dem Gedanken.
Die Mönche sind während ihres Praktikums formal mir unterstellt. Sie lernen von mir den Umgang mit Finanzen. Daneben fungieren sie als Lehrer im Internat und entlasten Anne und Andrea.
Lama Khön Gyana wird im Laufe des zwölfmonatigen Praktikums auch zum geistigen Lehrer für die beiden deutschen Gelong und meinen Zwillingen, dessen Intellekt sich die beiden deutschen Gelong unterordnen. Auch Andrea scheint Gefallen an ihm zu finden. Sie verbringt in ihrer wenigen Freizeit viel Zeit mit Lama Khön Gyana zu philosophischen Gesprächen.
Lama Khön Gyana betätigt sich des Weiteren als Gastredner im buddhistischen Kloster in Honolulu. Als das Praktikumsjahr zu Ende geht, treffe ich mich mit Andrea zum Gespräch. Es gilt ja auch, Zertifikate auszustellen.
Schnell stellt sich heraus, wen Andrea gern in ihrer Nähe hätte. Also schreiben wir gemeinsam zwei Zertifikate für die deutschen Gelong und kaufen zwei Rückflug-Tickets. Ich weihe beide zu Lamas und lasse mir von meinen Zwillingen und Lama Khön Gyana assistieren. Die Feier mit Übergabe der Zertifikate findet im Innenhof unter Beisein aller Schüler statt.
Bei einem Skype-Kontakt mit seiner Heiligkeit Kenchen Lama Rinpoche zeigt dieser ein jungenhaftes Lächeln und sagt:
„Ich habe mir gedacht, dass eure Entscheidung diese Richtung nimmt, und wünsche Lama Khön Gyana mit Gelongma Andrea alles Gute für ihre gemeinsame Zukunft. Ich freue mich, dass ein weiteres Mitglied der Khön-Familie bald eine erfüllende Aufgabe bekommt.“
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Sa Jul 11, 2020 9:11 am

Ich bedanke mich, auch in Vertretung der beiden Genannten und verabschiede mich, nicht ohne zu fragen, ob Seine Heiligkeit bei der Hochzeit dabei sein möchte. Er sagt gerne zu.

*

Lama Khön Gyana schafft es, Lamas aus Honolulus Kloster zur Mitarbeit im Internat zu bewegen, so dass unsere Personalnot weniger wird. Er selbst zieht sich aus der pädagogischen Arbeit zurück. Er unterrichtet nur noch buddhistische Philosophie, die Kunst des Debattierens und Kung-Fu. Gleichzeitig entlastet er mich bei der Verwaltung der Finanzen, von den Zwillingen aufmerksam beobachtet.
Eines Tages fährt Andrea mit unserem Wagen und einem Picknick-Korb in Begleitung Lama Gyanas zu einem Erkundungstrip über die Insel. Ich lächele. In mir steigen Erinnerungen hoch.
Am Abend sind sie wieder zurück und lassen sich Reste vom Abendessen geben. Zwei Stunden danach, ich mache gerade meine Couch für die Nacht zurecht, klopft es an meine Tür. Ich öffne und sehe meine 28jährigen Zwillingsmädchen mit Verschwörer-Miene vor der Tür stehen.
Etwas wichtiges muss geschehen sein, dass sie mich um diese Zeit behelligen. Ich bitte sie herein und frage lächelnd:
„Na, was habt ihr auf dem Herzen?“
Anne eröffnet das Gespräch, nachdem wir uns niedergelassen haben:
„Dad, du hast uns doch einmal von einem Picknick mit Yong-Tai erzählt…“
„Jaaa…“ dehne ich und mein Lächeln wird breiter.
„Da Andrea und Lama Gyana sich mögen, und wir die Strecke nur theoretisch aus deinen Erzählungen kennen, wollten beide die Insel erkunden…“
„Ja, und…“
Ich zwinkere Andrea zu und ergänze: „Ihr habt die Wiese gefunden und dort unter der Geräuschkulisse des Wasserfalls gepicknickt?“
Andrea nickt und lächelt glücklich.
„Er hat sich mir geoffenbart,“ sagt sie. „Er hegt tiefe Gefühle für mich.“
Anne ergänzt:
„Ich war der Meinung, dass du davon als Erster erfahren solltest. Da wir aber tagsüber kaum die Möglichkeit haben, mit dir solche Themen zu besprechen, habe ich Andrea geraten, dich heute Abend noch zu informieren.“
Ich nicke lächelnd und antworte:
„Ich freue mich für dich, Andrea! Wenn du einen Rat brauchst, oder eine Schulter zum Anlehnen… Bei mir bist du immer richtig!
Lass den Gefühlen Zeit zum Wachsen! Ich weiß noch, dass ich damals etwas forsch gewesen bin. Ich war ja auch erst knapp über 20…“
Andrea nickt und lächelt glücklich. Dann stehen die Beiden auf und lassen mich allein. Ich falle in einen unruhigen Schlaf.

*

Als ich mich am Tag darauf am späten Nachmittag zur Meditation zurückziehen will, klopft es wieder an meine Tür. Ich erhebe mich und öffne. Diesmal steht Andrea alleine im Türrahmen.
Ich lächele sie an und bitte sie auf eine Tasse Tee herein. Wenige Minuten darauf sitzen wir uns am Couchtisch gegenüber. Ich schaue mein großes Mädchen aufmunternd an.
Endlich, nach einem tiefen Atemzug, erhebt sie ihre Stimme. Sie sagt:
„Wir waren ja gestern picknicken. Dafür habe ich unser Auto an der Wiese angehalten, auf der auch du mit Yong Tai gepicknickt haben musst und ihr euch näher gekommen seid…“
Sie macht eine Pause. Ich warte geduldig, was Andrea mir sagen möchte.
„Unterwegs haben wir darüber diskutiert, was denn die mönchischen Tugenden sind. Er sprach von ‚keine Abhängigkeiten eingehen, kein Besitz anhäufen. Stattdessen Selbstlosigkeit, Mitgefühl und Liebe vorleben.‘
Diese Ideale kenne ich selbst ja nun auch schon seit Jahren. Wir sollen aber irgendwann die Foundation aus deinen Händen übernehmen. Hier gilt es mit Geld, also Besitz, umgehen zu können. Auch die Liebe… Mönche sind angehalten, den Menschen Mitgefühl vorzuleben.
Er antwortete nun, dass man das Mitgefühl allgemein auch mit Liebe gleichsetzen kann. Mit der Liebe zur Natur, zu den Geschöpfen des Himmels, der Erde und des Wassers – und natürlich zu einer nahestehenden Person, die er kennt…“
Ich lächele fröhlich, lege Andrea meine Hand auf ihre und sage:
„Es ist wunderbar, die Worte aus dem berufenen Munde eines hohen Lamas zu hören, dessen Bruder der Führer einer der Hauptschulen des tibetischen Buddhismus ist. Genau diese Worte habe ich gegenüber Yong Tai damals gebraucht, als ich noch den Rang eines Klosterschülers innehatte.“
Andrea lächelt und sagt:
„Wir haben uns gegenseitig mit Essen gefüttert, als wir auf der Wiese saßen. Es war wunderschön. Lama Gyana ist so respektvoll. Dann bin ich aufgestanden und zum Abhang gelaufen, in Richtung des Wasserfalles. Da das Gras und die Kräuter hochgestanden sind, habe ich ihn nicht mehr gesehen, als ich mich ins Gras habe fallen lassen. Ich habe das Gras durch Drehen auf dem Boden etwas platt gewalzt und bin dann auf den Bauch liegen geblieben.“
Sie macht eine Atempause und schaut mich erwartungsvoll an. Ich mache große Augen. Ich bin sprachlos. Solche Einzelheiten zu meinem Picknick mit Yong Tai habe ich meinen Mädchen nie erzählt. Ein Gedanke steigt in mir auf:
‚Die Geschichte wiederholt sich immer wieder…‘
Stattdessen frage ich nun interessiert:
„Und wie hat Lama Gyana reagiert?“
„Er hat nach mir gerufen und ist mir schließlich hinterhergelaufen. Bei mir angekommen, hat er mich auf den Rücken gedreht und zuerst meine Knöchel abgetastet, dann meine Unterschenkel und Knie. Er hat beruhigend auf mich eingesprochen, wie man das gegenüber einer verletzten Person macht. Als er sich dann über mich gebeugt hat, habe ich ihn zu mir heruntergezogen und ihn geküsst. Dabei sind wir eine kurze Strecke den Abhang hinuntergerollt, bis er die Drehbewegung gestoppt und sich neben mich gekniet hat.
Er ist dann aufgestanden, hat sich zu mir heruntergebeugt und mich auf seine starken Arme genommen. So hat er mich zum Picknickkorb zurückgetragen. Und dort auf meine Füße gestellt.“
Ich beuge mich über den Tisch und lege Andrea meine Hände auf die Schultern.
„Ich wünsche euch beiden alles Glück dieser Welt, mein Mädchen! Du weißt, was du als nächstes tun solltest. Ich bin für jeden Rat zu haben! Frage alles, was dich bewegt. Aber jetzt geh! Es ist bald Essenszeit.“
Wir erheben uns und ich bringe sie zur Tür. Dort umarme ich sie kurz, ohne etwas zu sagen. Dann gehe ich zurück an meinen Platz, um kurz noch in mich hinein zu horchen.
Ich setze mich mit untergeschlagenen Beinen auf den Boden, lege meine Hände mit den Handflächen nach oben auf die Oberschenkel und schließe die Augen. Nun versuche ich zu entspannen und zu schauen, welche Bilder in meinen Gedanken erscheinen.

*

Als ich meine Meditation beendet habe, ist draußen eine sternklare Nacht. Ich schalte das Deckenlicht ein. Auf dem Tisch vor mir steht ein Abendessen, das bestimmt Anne dort für mich zurückgelassen hat, bevor sie schlafen gegangen ist.
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1So Jul 12, 2020 9:05 am

Das Essen ist zwar inzwischen kalt geworden, aber ich esse die Schale trotzdem leer. Anschließend spüle ich sie und baue meine Couch zum Bett um.
Am Morgen des nächsten Tages werde ich früh wach und mache mich in aller Ruhe frisch. Das Bett ist schnell zur Couch umgebaut.
Anschließend gehe ich zum Speisesaal des Führungspersonals. Er ist eingerichtet wie der Thronsaal eines Klosters, nur dass der erhöhte Sitz für den Chef des Hauses fehlt. Ich sehe mich als Lama und damit als Erster unter Gleichen. Meine Mädchen haben vor Jahren bei der Einrichtung stattdessen durchgesetzt, dass die Tische U-förmig aufgestellt wurden. Mein Platz ist nun in der Mitte der einen Schmalseite.
Ich setze mich und wenig später trifft ein Lama und Gelong nach dem Anderen ein, um ihre Plätze einzunehmen. Anne kommt ebenfalls, setzt sich lächelnd links neben mich und bald werden von den Bediensteten die Speisen und Getränke hereingetragen.
Anne ist etwas unruhig und macht mich schließlich auf das Fehlen von Andrea und Lama Gyana aufmerksam. Sie will gerade den jungen Mann, der die große Schale Reis vor uns gestellt hat, beauftragen, nach Lama Gyana zu sehen.
Ich schüttele verhalten den Kopf und lege Anne beschwichtigend meine linke Hand auf ihre Rechte. Zu dem jungen Mann sage ich:
„Es ist alles in Ordnung. Geh weiter deiner gewohnten Arbeit nach, mein Sohn.“
Nachdem er den Raum verlassen hat, wende ich mich Anne zu und flüstere:
„Vielen Dank, dass du dich um deine Schwester sorgst. Wenn du jetzt nicht genug Ruhe zum Frühstücken hast, geh in dich und horche auf deine Gefühle. Ich bin mir sicher, dass die gemeinsame Abwesenheit von Lama Gyana und Andrea nur einen Grund hat: Sie werden zu zweit frühstücken wollen und dabei intime Gespräche führen. Ihre aufkeimenden Gefühle füreinander wollen artikuliert und ausgetauscht werden.
Gestern sagte ich schon einmal: Alles wiederholt sich…
Doch jetzt wollen wir den alten Texten lauschen und frühstücken!“
Die Gelong lesen reihum jeder eine Passage aus den tibetischen Übersetzungen des Gandhara, während wir essen.

*

Am Morgen des Tages nach unserem Picknick, und nachdem wir den restlichen Tag uns nicht mehr gesehen haben, weil ich unterrichten musste und mich danach mit meiner Schwester Anne und schließlich noch mit Dad über meine Gefühle und deren Konsequenzen ausgetauscht habe, bringe ich Lama Gyana kurz bevor er zum Frühstück geht ein Tablett mit hawaiianischer Kost. Ich habe es in der Küche zusammenstellen lassen und finde ihn meditierend vor seiner Couch. Bei meinem Näherkommen öffnet Lama Gyana die Augen und schaut mir lächelnd entgegen.
„Ich habe ein landestypisches Essen für dich,“ sage ich. „Ich möchte mit dir alleine frühstücken und reden.“
„Gerne,“ antwortet Lama Gyana und lächelt mich an, während ich das Tablett auf den Couchtisch zwischen uns stelle.
„Ich mag es sehr, einen Freund wie dich an meiner Seite zu haben, der mich in allem unterstützt,“ beginne ich dann. „Wenn ich in mich hineinhorche, fühle ich tiefe Zuneigung für dich. Ja, ich sehne mich nach deiner Nähe…“
Er schaut mich von der anderen Seite des Tabletts lange an. Seine Augen strahlen. Lama Gyana umfasst meinen Nacken über den Couchtisch hinweg und beugt sich mir entgegen. Es folgt ein langer und inniger Kuss. Etwas atemlos in seinen Armen liegend, ergänze ich:
„Die Liebe zu mir darf aber nicht zu Zorn, Furcht oder Aggressivität in deinen Handlungen gegenüber Anderen führen! Sonst würdest du unsere keimende Liebe zerstören!“
„Da will ich dir gerne versprechen, liebste Schwester,“ antwortet Lama Gyana mit ernstem Gesicht.
Wieder küssen wir uns leidenschaftlich. In eine Atempause hinein sage ich:
„Mein Siddharta! Mein Prinz!“
Nachdem er mich losgelassen hat, sage ich:
„Gib der Liebe Zeit zu wachsen. Es ist nicht einfach! Wir leben in einer harten Welt. Du bist ein Lama. Aufgrund deiner Abstammung gebürt dir hoher Respekt. Du lässt dich ‚Seine Eminenz‘ nennen. Ich bin einfache Gelongma -Nonne- und helfe meinem Dad im Management der Foundation.“
„Du empfindest genauso wie ich? Titel sind mir gleichgültig, mit denen mich die Menschen ansprechen! Wichtig sind der gegenseitige Respekt und die beiderseitigen Gefühle! Die Foundation managen wir gemeinsam,“ antwortet er.
Nach etwa einem halben Jahr lasse ich ihn das erste Mal in meinem Zimmer übernachten. Anfangs hat er mich schüchtern gestreichelt. Ich habe seine Hand geführt. Irgendwann rückt er nahe an mich heran und legt seine Hand um meine obenliegende Schulter. Ich flüstere:
„Ich weiß gar nicht, wie lange es her ist, dass mich jemand so lieb festgehalten hat.“
Er legt seine Wange auf meine und antwortet:
„Du siehst wunderschön aus!“
Lama Gyana macht mir damit ein liebes Kompliment. Ich habe ihm bisher den Rücken zugekehrt. Nun drehe ich mich auf den Rücken und gebe ihm einen Kuss.
„Das macht die Liebe,“ sage ich, glücklich lächelnd. „Das liegt daran, dass ich mich unrettbar in dich verliebt habe, Gyana.“
Er nickt und nähert sich mir zärtlich. Dabei antwortet er:
„Es liegt daran, dass WIR UNS ineinander verliebt haben!“

*

Wir weihen Dad ein. Er lächelt und verspricht, uns gerne bei den Vorbereitungen unserer Hochzeit zu helfen. Neben der standesamtlichen Hochzeit muss es eine buddhistische Hochzeit sein, schließlich bekleidet Gyana einen hohen Rang im tibetischen Buddhismus.
In den folgenden Wochen planen wir unsere Hochzeit. Im Buddhismus gilt eine Verbindung zwischen Mann und Frau als etwas überaus Kostbares. Ein Sakrament wie im Christentum ist die Ehe jedoch nicht. So wird die buddhistische Hochzeitsfeier eher als eine soziale als eine religiöse Feier betrachtet.
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Mo Jul 13, 2020 7:54 am

Spezielle Vorgaben oder Ratschläge Buddhas zu Trauung und Ehe gibt es nicht. Buddha hat jedoch empfohlen, dass sich die Eheleute respektieren und eine gleichberechtigte Partnerschaft eingehen sollen.
Um sich sinnvolle Ratschläge für das Leben in der Ehe geben zu lassen, kann ein normales Brautpaar einen Lama hinzuziehen. Der Lama erteilt auch den Segen für die Beziehung. Khenchen Lama Rinpoche hat einmal von einem Engpass in dieser Hinsicht in Deutschland vor Jahrzehnten berichtet. Bei unserer Hochzeit gibt es nun überhaupt keinen Mangel an Lamas.
Daddy könnte die Trauung leiten. Gyanas Bruder könnte es. Lama Khön Trizin als Trüku der Sakya-Schule hätte sogar den höchsten Rang und wäre somit derjenige, dem wir die Ehre erweisen sollten, ihm die Leitung anzutragen. Schließlich käme noch Khenchen Lama Rinpoche infrage, weil Seine Heiligkeit Lama Trizin in diesem Fall zur Familie gehört.
Gyana löst mein Dilemma mit der Entscheidung, alle hohen Lamas einzuladen und ihnen die Entscheidung zu überlassen. Also schicken wir formelle Einladungen nach Europa. Wie die Hochzeit im Einzelnen normalerweise abläuft, erklärt mir Gyana folgendermaßen:
Vor der Hochzeit bittet der zukünftige Ehemann die Eltern seiner Braut um die Hand ihrer Tochter und schenkt ihnen Hadas, weiße seidene Schals. Nehmen sie die Hadas an, sind sie mit dem Antrag einverstanden und verfassen einen Heiratsvertrag. Vor dem Hochzeittag erhalten die Verwandten der Braut vom Bräutigam Handschmuck, Kopfschmuck sowie Kleidung.
Am Hochzeitstag legen Brautpaar und Gäste reich verzierte volkstümliche Kleidungsstücke an. Vor der Lokalität werden die Gäste von den Angehörigen und Freunden des Paares erwartet. Die Gäste nehmen zuerst Platz. Anschließend betritt das Brautpaar die Lokalität, gefolgt von ihren Eltern.“
„Hm, heutzutage darf doch sicher jeder tragen, was ihm angemessen erscheint, nur das Brautpaar braucht sicher die reichverzierten volkstümlichen Kleidungsstücke tragen?“ frage ich Gyana.
Er nickt lächelnd und antwortet:
„Aber natürlich, Liebste!“
„Dann fällt die Zuteilung an Kleidung für den Bräutigam weg!“ sage ich.
Gyana nickt und fährt in seinen Erklärungen fort:
„Vom Lama, der die Zeremonie leitet, wird nun die Hochzeit für eröffnet erklärt. Er verliest weise buddhistische Worte. Von den Gästen erhält das Hochzeitspaar währenddessen je einen Hada überreicht. Anschließend darf getanzt werden. Um sich bei den Gästen zu bedanken, verteilt das Brautpaar nun Wein und Hadas an sie.“
„Du hast eben von einer ‚Lokalität‘ gesprochen,“ frage ich ihn, „was zählt alles dazu?“
Gyana lächelt und antwortet:
„Früher war es die Jurte. Heute, in modernen Zeiten, darf es auch ein Restaurant oder Tanzlokal sein. Bei der normalen Bevölkerung sind auch Restaurants mit Selbstbedienung beliebt. Ebenso sind moderne Tänze und Lieder üblich. Zur Krönung gibt es dann ein üppiges Festmahl. So eine Hochzeit kann mehrere Tage in Anspruch nehmen. Zum Abschied findet wieder eine Zeremonie statt.“

*

Wir haben uns im Internet schlau gemacht und verschiedene Restaurants besucht. Schließlich haben wir uns für das Morimoto Asia Waikiki entschieden, denn das Restaurant ist wunderbar gelegen, um auch die ‚Heimführung der Braut‘ symbolisch zu gestalten und dabei in der Moderne zu bleiben.
Seit der Explosion der Privatmaschine durch eine chinesische Rakete, abgefeuert aus einem Klein-Uboot, während des Landeanfluges – damals als Daddy seine Yong Tai heiraten wollte -, hat Papa keine Eltern mehr. Aber da gibt es noch seine Tante und deren Tochter, die inzwischen ebenfalls Kinder hat.
Auch Khenchen Lama Rinpoches Mutter lebt noch. Sie und Tante Alice sind miteinander befreundet, aber schon über achtzig Jahre alt. Beide ehrwürdigen alten Damen kann man die weite Reise nicht mehr zumuten. Dafür soll die Hochzeit fotografiert und streckenweise gefilmt werden.

Khenchen Lama Rinpoche hat sein Kommen zugesagt, wie auch Cousine Ruth mit Familie. Von Gyanas Seite ist Trülku Khön Sakya Trizin mit Frau und Kindern dabei. Alle Gäste aus Übersee kommen mit Touristen-Maschinen im Honolulu International Airport auf Oha‘u an. Von dort bringen wir sie nach einer herzlichen Begrüßung zur Hauptinsel, und in Gästezimmern unseres Internats unter.
Die älteren Mitglieder unserer Familien haben sich viel zu erzählen. Da tritt der Grund ihrer Reise erst einmal in den Hintergrund. Wir bewirten unsere Gäste zuvorkommend und lassen sie sich ein paar Tage akklimatisieren.
Ein Gesprächsthema wird zu einer längeren Erzählung, bei der die halbwüchsigen Kinder von Daddys Cousine Ruth mit offenem Mund an Seiner Heiligkeit Lama Rinpoches Worten hängen. Ruths Mann, Onkel Stefan, fragt Lama Rinpoche nämlich nach der Wiedergeburt.
„Jetzt kann ich Ihnen endlich einmal, die Frage stellen, die mir auf der Zunge liegt, seit meine Schwiegermutter davon erzählte: Wie konnte man in Ihnen die Wiedergeburt eines verstorbenen Tibeters feststellen?“
Seine Heiligkeit stutzt einen Moment und schaut seinem Gegenüber in die Augen:
„Lama Dorje war der letzte Schüler des Lamas Sherab, als dieser starb. Lama Sherab hat da schon länger davon gesprochen, dass er einmal nach Europa will, um dort zu lehren. Nun hat Lama Dorje verschiedene Klöster in Europa angefragt, ihm zu helfen. Lama Tobgyel im deutschen Kloster hat ein Indiz entdeckt, das ihm so stark vorkam, dass es für ihn Grund genug war, Lama Dorje in Nepal mit einem Telegramm zu informieren.
Lama Dorje ist nach Deutschland gereist, um den gefundenen Jungen einem ersten Test zu unterziehen. Dieser Test fiel positiv aus. Das hätte aber Zufall sein können. Also bat er die Mutter des Jungen, ihn in Nepal weiteren Tests unterziehen zu dürfen.
Auf Anraten, oder durch Überreden – wie man es sehen will -,“ Lama Rinpoche lächelt, „der Mutter des Jungen durch ihre beste Freundin, unternahmen Mutter und Sohn die weite Reise und es folgten weitere Tests.“
„Was waren das für Tests?“ fragt Onkel Stefan.
„Der Fifty/Fifty-Test in Deutschland war: Erkennt der Junge die alte Reisschale von Lama Sherab zumindest als etwas Besonderes, oder nicht. In Nepal sollte der Junge aus vier gleichen Mönchshüten den des Lama Sherab herausfinden. Auch das klappte auf Anhieb, ohne dass der Junge in dem Moment wusste, was er da tat. Dann wurde von der Versammlung der Lamas das Orakel befragt.“
„Oh,“ macht Onkel Stefan. „Seitdem galten Sie als die Wiedergeburt?“
„Ja,“ antwortet Lama Rinpoche einfach. „Allerdings stand ich in den folgenden zehn Jahren in der Klosterschule unter besonderer Beobachtung. Die Beurteilungen der Lehrer wurden gesammelt, um ein Abschlusszeugnis schreiben zu können, wie bei jedem anderen Schüler auch. Aufgrund dieser Beurteilung hat man mich zum Lama ernannt, mich nach Deutschland zurückbeordert und dort die Leitung der Klosterschule übertragen.“
„Hm,“ meint Onkel Stefan nun. „Da mussten Sie sicher hervorragende Leistungen gezeigt haben…“
„Sagen wir einmal so,“ sagt Lama Rinpoche lächelnd. „Meine Lehrer hielten große Stücke auf mich…“
„Wie soll ich mir überhaupt eine Wiedergeburt vorstellen?“ fragt Onkel Stefan nun.
Lama Rinpoche kräuselt die Stirn, antwortet aber freundlich:
„Für Menschen aus dem christlichen Kulturkreis scheint es da ein Problem zu geben… Sie glauben, das Leben ist eine Einbahnstraße von der Geburt zu Tod. Sehr religiöse Christen denken sich eine Existenz nach dem Tod: Bei untadeliger Lebensweise kommen sie in den Himmel, sündhafter Lebenswandel bedeutet das Fegefeuer, und schwere Verbrechen hätten die Hölle zum Ziel.
Für Buddhisten ist der Tod nicht das Ende. Geht ein Buddhist durch untadelige Lebensweise und Meditation nach seinem Tod ins Nirwana über, hat er einen Zustand erreicht, wie der ‚Einzug ins Paradies‘ für Christen. Da wir aber alle Menschen sind, und als solche fehlerhaft, müssen wir nach unserem Tod ein neues Leben durchleben. Das christliche Synonym wäre hier das ‚Fegefeuer‘. Eine Hölle kennen wir nicht.“
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Mo Jul 13, 2020 7:57 am

„Ah,“ fragt Onkel Stefan, und ignoriert die Rippenknüffe von Tante Ruth. „Kann dann also jeder Verstorbene im Körper eines jungen Menschen der nächsten Generation wiederentdeckt werden?“
Lama Rinpoche schüttelt den Kopf und antwortet, höflich lächelnd:
„Ob nun Pflanze, Insekt, Fisch, Reptil oder Säugetier, wozu letztlich ja auch der Mensch gehört… Wir wissen nicht wie die Seele sich nach dem Tod ihre neue Hülle sucht, und welche es werden wird. Wir wissen nur, das Lebewesen muss im Todeszeitpunkt gezeugt worden sein. Dann wird es geboren, lebt bei seinen biologischen Eltern, und mit viel Glück wird die Seele von früheren Weggefährten entdeckt. Wenn das neue Lebewesen dann noch die Prüfungen besteht, sind seine früheren Weggefährten sicher, ihren alten Weggefährten wiederentdeckt zu haben, was sie überaus glücklich macht!“
Hier nun lässt Onkel Stefan das Thema zur Ruhe kommen. Tante Ruth sagt zu ihm, er solle doch einmal nach Daniel und Miriam schauen, die irgendwann aufgestanden sind.
Anne schüttelt beruhigend den Kopf und meint:
„Alles in Ordnung! Eure Kinder werden sich mit unseren Internatskindern beschäftigen. Kein Grund zur Sorge!“

*

Am Tag, an dem wir das Morimoto Asia zum Teil angemietet haben, fahren wir in einer Wagenkolonne zum Ala Way Community Park, unserer ersten Shooting-Location. Bunte Gebetsfahnen flattern im Wind und bilden den bunten Hintergrund in der grünen Landschaft, während das Brautpaar in Gold und Weiß gekleidet ist.
Nach dem Foto-Shooting geht die ganze Gesellschaft, die dem Shooting beiwohnt zum Wasser hinunter. Auf dem Ala Way Canal liegt ein Motorboot bereit. Nach und nach wird die Hochzeitsgesellschaft auf die andere Seite übergesetzt. Drüben, auf dem Ala Way Boulevard, steht inzwischen die Wagenkolonne bereit.
Während das Brautpaar mit dem Motorboot weiterfährt, folgen wir dem Boot auf dem Boulevard, bis das Boot anlegt. Das Brautpaar steigt nun um, in ein weißes, amerikanisches Caprio. Unter Gehupe erreicht die Kolonne schließlich das Morimoto Asia Waikiki in der Kalakaua Avenue. Zuerst steigen die Verwandten des Bräutigams und der Bräutigam aus, damit sie die Braut und deren Verwandten im Restaurant begrüßen können, das jetzt die Funktion des Hauses des Bräutigams übernimmt, in das die Braut symbolisch einzieht.
Nachdem wir also einige Minuten gewartet haben, betreten wir das Morimoto Asia und werden in den Raum geleitet, indem die Zeremonie stattfinden soll. Hier herrscht bereits eine festliche Stimmung. Wunderschöne bunte Blumen stehen in Vasen, die mit Goldfolie aufgewertet worden sind. Mit bunten Tüchern sind die Wände verkleidet worden. Ein fast zwei Meter hoher Buddha thront auf einem Podest.
Seine Heiligkeit Trülku Khön Sakya Trizin leitet die Zeremonie. Anne übersetzt seine Worte Satz für Satz ins Deutsche. Andrea, die Gelongma, und seine Eminenz Lama Khön Gyana bekommen vor dem goldenen Buddha von Seiner Heiligkeit die Ringe, um sie dem Partner auf den Finger zu schieben.
Anschließend tritt jeder Gast mit weißen Schals in der Hand vor und legt dem Brautpaar je einen um. Danach wurden die Gäste an die Tafel geleitet, wo das Brautpaar die Hochzeitstorte anschneidet und jedem ein Stück auf einem Teller reicht. Während die Gäste essen, stehen Daddy, Seine Heiligkeit und Khenchen Lama nacheinander auf, um dem Brautpaar in kurzen Reden Glück für die gemeinsame Zukunft zu wünschen. Auch Onkel Stefan macht mit und sagt ein paar Sätze.
Danach startet Dad die Musikanlage und bittet die Gesellschaft zum Tanz. Ob Daddy will oder nicht, jetzt ist er dran!
Wir wissen wohl, dass Daddy nicht tanzen kann, also führe zuerst ich ihn über die Tanzfläche, danach macht Andrea es mir gleich. Dabei fließen Freudentränen.
Draußen ist es schon dunkel, als das Festessen aufgefahren wird. Daher wird es gegen Mitternacht, als wir das Restaurant verlassen und unsere Gäste zu ihren Zimmern zurückbringen.
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Mi Jul 15, 2020 10:40 am

Der ‚Heimgang‘
Drei Jahre nach unserer Hochzeit hat der komplette erste Jahrgang, 44 Schüler und Schülerinnen, den Sprung zur Highschool geschafft. Die Klosterschüler aus Europa sind wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Einige haben sich für den Lehrberuf entschieden und ein entsprechendes Studium begonnen. Die Lücken haben andere interessierte Klosterschüler und -schülerinnen geschlossen.
So werden wir weitere sechs Jahre darauf mitten im schulischen Alltag von einer Gruppe von 14 jungen Männern und Frauen überrascht. Beinahe gleichzeitig mit den ersten Lehrern frisch aus dem Studium in Europa, besuchen uns die jungen Leute, die sechs Jahre zuvor von unserer Primary-School abgegangen sind. Vierzehn der 44 Schulabgänger interessieren sich für die Arbeit im Kinderheim. Fünf der Leute sprechen Daddy an. Sie möchten Mönch werden. Die anderen neun Jugendlichen geben mir, Andrea, gegenüber als späteres Berufsziel ‚Teacher‘ an. Ich bin gerührt und schaue, was ich für sie tun kann.
Die fünf Mönchs-Anwärter geben Dad, einen neuen Lebensinhalt. Ich bin froh, dass er nun wieder eine Aufgabe hat. In den letzten Monaten hat er nämlich begonnen, Anne das tiefe Meditieren beizubringen. Ich denke, das ist eine Ersatzhandlung von ihm, damit er sich nicht überflüssig vorkommt. Die Verwaltung der Foundation liegt seit kurzem ganz in Gyanas Händen. Er bezieht Dad zwar immer noch in die Entscheidungsfindung mit ein, aber damit ist er nicht mehr so aktiv wie früher.
Dad weiht die jungen Leute in die buddhistische Philosophie ein und übt mit ihnen Kungfu und Meditation. Mit Anne übt er weiterhin die tiefe Meditation. Die jungen Lehrer, die wir zum Studieren nach Europa gesandt haben, entlasten uns sehr in der Pädagogischen Arbeit.
Endlich habe ich mehr gemeinsame Zeit mit Gyana. In uns wächst der Wunsch nach einem Kind. Schließlich bin ich jetzt schon vierzig Jahre alt. Da erhalten wir von Anne eine bestürzende Nachricht.
„Daddy ist seit drei Tagen in einer tiefen Meditation versunken!“ sagt sie. „Er hat seine Schale seitdem nicht mehr angerührt.“
Ich nehme meine Schwester in den Arm und versuche sie zu trösten:
„Mach dir keine Sorgen, Anne. Bisher ist er immer wieder zurückgekehrt!“
Gyana nickt und sagt:
„Es gibt Mönche, die eine Woche oder länger meditiert haben.“
„Natürlich weiß ich davon, aber dieses Mal habe ich so ein unbestimmtes Gefühl, das ich nicht richtig lokalisieren kann. Es ist eher eine ängstliche Unruhe, die ich sonst nicht kenne, habe ich doch oft genug mit ihm zusammen meditiert,“ antwortet sie leise mit gesenktem Kopf.
Gyana rät ihr nun:
„Halte ihm Feder vor den Mund. Selbst sehr flacher Atem sollte die feinen Härchen bewegen können. Hilft das nicht, versuche seinen Puls zu fühlen. Ist auch das negativ, müssen wir den Arzt rufen!“
Anne erhebt sich bedrückt und wendet sich zur Tür. Ich rufe ihr hinterher:
„Du wirst Patentante unseres Kindes!“
Ich sehe noch, wie meine Ankündigung ihr ein Lächeln auf die Lippen zaubert bevor sie durch die Tür ist. Plötzlich habe ich ein schlechtes Gewissen, dass Gyana und ich vergangene Nacht wieder miteinander geschlafen haben. Hätten wir Daddy nicht mehr in die Verwaltung der Foundation einbeziehen müssen?
Ich erhebe mich und folge eine Viertelstunde später Anne in Dads Zimmer. Dort sehe ich Anne vor Dad sitzen. Ihr Kopf tief gebeugt, liegt in Daddys Schoß. Bei meinem Eintreten dreht sie mir den Kopf zu, mit rotgeweinten Augen.
Als ich mich zu ihr setze und ihre Schultern umfasse, flüstert Anne:
„Ich kann es nicht… Ich schaffe es nicht, mich zu konzentrieren…“
Ich flüstere ihr eindringlich zu:
„Geh du nicht auch seinen Weg, Anne! Wir brauchen dich!“
Ich nehme mein Handy und rufe den Arzt an, der immer zu uns kommt, wenn im Kinderheim irgendein medizinisches Problem auftaucht. Er verspricht, baldmöglichst zu kommen.
Eine Stunde danach stellt er Dads Tod fest. Gyana sagt, dass es immer wieder Mönche gibt, deren Meditation so tief ist, dass sie willentlich heimgehen können. Ob das auch bei Dad der Fall ist, weiß keiner so genau.
Wir haben eine Feuerbestattung beantragt und ihn in Meditationshaltung sitzend in einer Zeremonie verbrannt. Die Asche haben wir in einer Urne überreicht bekommen. Gemäß den buddhistischen Gepflogenheiten haben wir die Asche den Elementen der Natur überlassen: Ein Teil haben wir in den Wasserfall geschüttet, den man von der Bergwiese sehen kann, wo er ein Picknick mit Yong Tai gemacht hat vor ewigen Zeiten. Ein weiterer Teil haben wir auf die Bergwiese gestreut, auf der auch Andrea und Gyana gepicknickt haben. Den letzten Teil haben wir dort mit weißen Ballons aufsteigen lassen und damit den Winden übergeben.
Ein Monat später komme ich vom Frauenarzt zurück und falle als Erstes Anne in den Arm.
„Anne, ich bin schwanger!“
Dann laufe ich weiter zu Gyana. Ich treffe ihn im Büro. Er dreht sich zu mir um und lächelt mich an. Mit scheuem, ängstlichem Ausdruck im Gesicht sage ich:
„Gyana, etwas wunderbares ist geschehen! Ich bin schwanger!“
Sein Lächeln wird intensiver. Er tritt auf mich zu und sagt:
„Oh, das ist wunderschön!“
Er hebt mich an und dreht sich mit mir um seine Achse, glücklich lächelnd und mit feuchten Augen.
„Was sollen wir jetzt machen? Ich bin doch nicht mehr die Jüngste… Und dabei eine Erstgebärende!“
„Auf keinen Fall werden wir uns jetzt Sorgen machen! Einverstanden?“ sagt Gyana. „Die Ärzte verstehen ihr Handwerk! Sie wissen, was in deinem Fall zu tun ist.“
Wir fallen wir uns in die Arme und küssen uns. Tränen der Erleichterung laufen mir über die Wangen und werden von seinen Lippen aufgefangen.
„Sollte es ein Sohn werden, nennen wir ihn ‚Thaye Tenzin‘ -grenzenloses Wissen-,“ sagt Gyana. „Bei einem Namen für eine Tochter bin ich mir noch nicht sicher… ‚Yong Tai‘ vielleicht?“
„Nein!“ sage ich, wieder selbstsicher. „Nicht genauso wie die Foundation! Das wäre eine zu große Bürde für das Kind!“
„Okay, okay,“ meint er versöhnlich. „Kommt Zeit, kommt Rat!“

*

Wir haben uns im Falle eines Mädchens für ‚Meto Drime‘ -makellose Blume- entschieden. Dabei habe ich auf Gyanas Wissen vertraut, mich selbst aber eher am Klang der Namen orientiert.
Die Schwangerschaftswochen sind Wechselbäder der Gefühle. Auch mir fehlt Daddy sehr. Seine Nähe hat mir immer die nötige Sicherheit vermittelt. Bei den Untersuchungen wird schließlich klar, dass ich einen süßen Jungen unter dem Herzen trage. Wieder informiere ich Anne, meine Zwillingsschwester als Erste.
Es wird eine schwierige Geburt. Anne ist auch im Krankenhaus an meiner Seite, während Gyana die Sitzungen des Lehrerkollegiums leitet. Kurz löst sie Gyana ab, damit auch er mich besuchen kann. Endlich, nach einer Woche unter Beobachtung darf ich das Krankenhaus verlassen. Ich trage meinen Jungen Thaye Tenzin in einer Babytrage an meiner Brust.
Im Auto muss ich ihn kurzzeitig in eine Babyschale legen. Neben meinem Jungen sitzend schaue ich ihm glücklich beim Schlafen zu. Anne sitzt vor mir auf dem Beifahrersitz und einer der jungen Mönche, die Daddy ausgebildet hat, steuert den Wagen. Gyana wird neben seiner Verwaltungstätigkeit nun auch deren Ausbildung weiterführen.
Zuhause angekommen, wacht Thaye auf und beginnt zu weinen. Ich mache ihm geschwind eine Flasche fertig, die er gierig leert. Kurz darauf ist er wieder eingeschlafen.

*

Während der letzten zwei Jahren hat Thaye von jedem Besucher ein Babyspielzeug geschenkt bekommen. Es hat sich inzwischen soviel angesammelt, dass ich damit den Laufstall fülle. Ich habe mich mit Gyana abgesprochen, dass wir die Spielsachen, die Thaye ‚links liegen lässt‘, an unser altes Kinderheim abgeben, wo wir vor fast vierzig Jahren entdeckt worden sind.
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Do Jul 16, 2020 9:48 am

Irgendwann sieht Thaye Daddys Drachen auf einem Sideboard liegen. Er läuft auf seinen kurzen Beinchen dorthin und reckt sich danach. Anne, die gerade auf Thaye aufpasst, folgt ihm und reicht ihm das Stofftier. Er setzt sich vor das Sideboard und knuddelt den Drachen. Nach einigen Minuten legt er es beiseite und erhebt sich, indem er sich am Möbel abstützt. Anschließend beugt er sich nach dem Stofftier und fällt auf alle Viere. Dann geht der Kleine in die Hocke und arbeitet sich wieder in den Stand, während er das Stofftier mit einer Hand festhält.
Nun kommt Thaye mit dem Drachen in der Hand strahlend auf mich zu gelaufen und breitet die Arme aus. Ich nehme ihn hoch und setze ihn auf meinen Schoß. Er kuschelt sich bei mir an und legt mir das Stofftier in die Hand. Daraufhin streiche ich ihm sanft über seinen kleinen Haarschopf. Die Geste meines Neffen weckt Erinnerungen in mir, die ich im Augenblick nicht recht verstehen kann.
In der Folgezeit schläft er nur noch mit dem Drachen an seiner Seite ruhig ein. Das andere Spielzeug wird immer nur kurze Zeit beachtet, dann muss wieder das Stofftier herhalten. Und immer wieder drückt er es mir in die Hand, als soll ich es für ihn aufbewahren.
Dieses Verhalten bleibt so bis er mit gleichaltrigen Kindern bei uns in die Vorschule kommt. Jetzt muss er bei der kleinen Gruppe Jungs, mit denen er sich einigermaßen beim Spielen versteht, in einem gemeinsamen Schlafraum übernachten.
„Tante Anne,“ sagt er am ersten Abend, bevor er dorthin geht. „Ich schenke dir den Drachen! Er wird immer auf dich aufpassen, auch wenn ich einmal nicht in deiner Nähe bin!“
Ich bin gerührt und meine Augen werden feucht. Ihn an mich drückend, sage ich:
„Du bist ein lieber kleiner Kerl, Thaye. Und du bist doch nicht allzuweit von mir weg. Dein ehrenwerter Vater hat beschlossen, dich alsbald in Kungfu unterrichten zu lassen. Dann wirst du sehr gut auf mich aufpassen können.“
Anschließend bringe ich ihn zu seinem Schlafraum, wo er mich abschließend noch einmal an mich drückt.
Mit Beginn des nächsten Schuljahres soll Thaye in die Schule des Klosters von Weiterswiller eingeschult werden, haben Gyana und Andrea beschlossen. Dort ist die Gefahr einer unbewussten Bevorzugung des eigenen Kindes nicht gegeben. Dort lehrt sein Onkel Lama Khön Trizin. Ich darf Thaye begleiten.
Wir fliegen über San Franzisko und New York um den halben Erdball nach Paris. Im Bahnhof unter dem Flughafen Charles de Gaulle kaufe ich uns Zug-Tickets nach Straßburg und endlich mit dem Bus nach Weiterswiller. Thaye hat unterwegs zweimal mit dem Kopf in meinem Schoß geschlafen. Währenddessen haben mich Gefühlsstürme wachgehalten, deren stärkstes ein Glücksgefühl gewesen ist. Ich habe das Gefühl gehabt, die ganze Welt umarmen zu können.
Zwei Tage nach der Einschulung bin ich in das deutsche Kloster weitergefahren, weil ich ein dringendes Anliegen an Seine Heiligkeit Khenchen Lama Rinpoche habe.
Dort angekommen frage ich nach einer Audienz bei Seiner Heiligkeit. Dem Gelong frage ich mit der üblichen Ehrenbezeugung:
„Wann kann ich Seine Heiligkeit Lama Rinpoche kurz sprechen?“
„In welcher Angelegenheit möchten Sie Seine Heiligkeit sprechen?“ fragt er zurück.
Ich nicke lächelnd und erkläre ihm:
„Mein Name ist Anne Mann. Mein Vater war einmal Schüler Seiner Heiligkeit. Nun ist er heimgegangen. Ich denke, das wird Seine Heiligkeit auch interessieren. Ich bin extra aus Hawaii angereist, dem letzten Wirkungsort von Lama Kyobpa.“
Der Gelong fordert mich höflich auf, ihm zu folgen. Wir gehen durch die Gänge des Klosters zu den Privaträumen des Khenchen Lama. Dort klopft er. Ein weiterer Gelong öffnet. Es ist der Sekretär Seiner Heiligkeit. Er hört sich an, was mein Führer sagt und wendet sich anschließend mir zu:
„Verehrte Schwester, Seine Heiligkeit ist gerade in Meditation versunken…“
Ich sage:
„Darf ich mich nicht leise neben ihn setzen und warten?“
Bevor der Sekretär mich abwimmelt und auf irgendwann später vertröstet, drücke ich mich an ihm vorbei und steuere direkt den Wohnraum Seiner Heiligkeit an, um mich ihm gegenüber leise niederzulassen. In dieser Stellung warte ich. Lama Rinpoche ist mit über achtzig Jahren ein Mann, der uns auch, genau wie Daddy, in einer tiefen Meditation verlassen könnte, wie ich insgeheim befürchte.
Doch plötzlich öffnet er die Augen, sieht mich und seine Augen leuchten im Erkennen auf. Er hebt mir beide Arme mit offenen Händen entgegen. Ich greife über den niedrigen Tisch und drücke sie, während ich mich tief verbeuge.
Der Sekretär tritt hinzu. Seinem Gesichtsausdruck ist zu entnehmen, dass er die ‚Störung‘ Seiner Heiligkeit auf mich abwälzen will. Aber Lama Rinpoche schickt ihn zurück. Er begrüßt mich:
„Sei gegrüßt, meine Schwester. Bringst du mir Neuigkeiten von Hawaii? Wie geht es Lama Kyobpa, deiner ehrenwerten Schwester und Seiner Eminenz Lama Khön Gyana?“
Ich habe einen Kloß im Hals und Tränen in den Augen. Eine Zeitlang kann ich nicht antworten. Seine Heiligkeit holt ein Tuch aus seinem Gewand, das er mir reicht. Nachdem ich mich wieder gefasst habe, beginne ich zu berichten:
„Der ehrenwerte Lama Kyobpa, mein geliebter Daddy, ist vor sechs Jahren heimgegangen. Er ist aus einer tagelangen tiefen Meditation nicht wieder erwacht…“
Seine Heiligkeit legt mir seine Hände tröstend auf die Unterarme.
„Dein ehrenwerter Daddy lässt dich nicht im Stich, Anne oder Yong Tai. Er hat die Foundation vertrauensvoll in eure und die Hände Seiner Eminenz gelegt und dürfte irgendwo in deiner Nähe bleiben wollen. Habt ihr schon nach einer möglichen Wiedergeburt gesucht?“
Ich schüttele den Kopf und erkläre dem Khenchen Lama:
„Seine Eminenz und meine verehrte Schwester hatten vor sechs Jahren Nachwuchs geplant, nachdem das Lehrerkollegium soweit angewachsen ist, dass sie in der Arbeit mit den Kindern kürzertreten können. Neun Monate nach Daddys Heimgang gebar Andrea einen süßen Jungen, dessen Patentante ich seitdem bin.
Ich habe mich seither oft mit Thaye beschäftigt. Irgendwann hat er den alten Drachen entdeckt: Das Stofftier, dass Daddy in seiner Jugend Yong Tai geschenkt hat! Seitdem hat er es immer zum Einschlafen gebraucht. Letztes Jahr, als er zum ersten Mal in einem Schlafsaal mit Gleichaltrigen übernachten sollte, hat er es mir geschenkt, damit es ab jetzt ‚auf mich aufpasst‘.
Nun bin ich mit Thaye nach Europa gekommen, weil seine Eltern entschieden haben, dass er die Klosterschule in Weiterswiller besucht. Nach den Feierlichkeiten bin ich nun zu Ihnen weitergereist, Eure Heiligkeit…“
„Du hast einen bestimmten Verdacht, meine Tochter…“ lässt sich Seine Heiligkeit vernehmen.
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Fr Jul 17, 2020 9:18 am

Ich nicke.
„Meiner Meinung nach muss Daddy in Thaye aufgegangen sein.“
„Hast du ihm einmal Dinge vorgelegt, die Lama Kyobpa gehört haben, ganz profane, wie seine Reisschale zum Beispiel?“
„Noch nicht,“ antworte ich ihm. „Ich will kein großes Aufhebens machen. Dass Thaye den Drachen erkannt hat und nur mit ihm in seinem Bettchen durchschlafen konnte, ist in den Augen seiner Eltern kein Beweis. Sie wollen anscheinend keine alten Geschichten aufwühlen.“
„Dir ist es aber wichtig genug, um mit dem Wissen wieder ruhig schlafen zu können. Du wärst innerlich befreit, dankbar und glücklich, wenn du in Thaye mehr als deinen Neffen sehen könntest?“
Ich lächele Seine Heiligkeit befreit an. Der alte Mann scheint mich zu verstehen.
„Wenn sich bei der Prüfung aber herausstellen sollte, dass Thaye doch nicht die Seele Noahs beherbergt… Würde das etwas an deinen Gefühlen zu dem Jungen ändern? Noah könnte doch auch hier in der Nähe des Klosters wiedergeboren sein…“
„Nein!“ sage ich, vielleicht eine Spur zu heftig. „Thaye wird immer meine Liebe als Tante behalten!“
„Okay,“ entscheidet Seine Heiligkeit nun. „Dann reise mit gutem Gewissen nach Hawaii zurück. Thaye ist in Weiterswiller in guten Händen! In den großen Ferien in einem Jahr kommst du ihn wieder besuchen und machst mit ihm eine ‚Reise in das Land seines Großvaters, des großen Lamas Kyobpa‘. Komm hierher, zeige ihm das Kloster. Bei dieser Gelegenheit werden wir ihn prüfen. Dazu musst du aber ein paar profane Gegenstände aus dem Besitz deines ehrenwerten Daddys mitbringen, von dem Thaye nichts wissen darf!“
Mit neuer Zuversicht versehen fahre ich nach Paris zurück und fliege nach Hawaii. In den folgenden zehn Monaten bin ich für ‚meine‘ Kinder als Vertrauenslehrerin aktiv. Dann stehen die Sommerferien in Frankreich an. Gyana und Andrea erlauben mir, mich mit Thaye zu beschäftigen und ihm auch das deutsche Kloster zu zeigen. Ich lege Daddys Reisschale und seinen Mönchshut zu den anderen Sachen in meinen Koffer.
In Weiterswiller gehe ich zuerst zu seinem Lehrer und höre eine sehr gute Beurteilung aus seinem Mund. Stolz auf meinen jungen Neffen steigt in mir auf. Anschließend lasse ich mich zu seinem Schlafraum führen. Dort finde ich Thaye im angeregten Gespräch mit seinen Zimmergenossen. Schon auf dem Gang hört man sie lachen. Ich denke, die meisten der Kinder werden von ihren Eltern abgeholt und sind schon in Ferienstimmung.
Als ich in der Tür des Schlafraumes erscheine, schauen zwei oder drei der Jungs auf, darunter auch Thaye. Mein Neffe strahlt über das ganze Gesicht und erhebt sich aus dem Schneidersitz. Er kommt auf mich zugelaufen und versucht mich mit seinen Ärmchen zu umfangen.
„Tante Anne! Du hier?“
„Ja, Thaye,“ sage ich lächelnd. „Ich habe gehört, dass dein Lehrer dich sehr lobt. Deshalb habe ich gedacht, wir machen eine Reise.“
„Fliegen wir nach Hawaii?“ fragt der Junge freudestrahlend.
„Nein,“ dämpfe ich seinen Optimismus. „Wir wollen in den Fußspuren deines Großvaters wandeln. Dazu müssen wir erst einmal mit dem Zug nach Köln fahren und dort umsteigen.“
„Mein Großvater… Das war doch Lama Kyobpa. Hat er in Deutschland gelebt, bevor er nach Hawaii kam?“
„Genauso ist es, Thaye.“

*

Wir nehmen in der Herberge vor dem deutschen Kloster ein Zimmer und essen im Restaurant. Anschließend suchen wir unser Zimmer in den oberen Etagen. Thaye erobert sogleich das Obere des Etagenbettes und platziert den Drachen, den ich ihm aus Hawaii mitgebracht habe auf dem Kopfkissen. Ich nehme eine Handtasche mit geheimnisvollem Inhalt aus dem Koffer und sage zu Thaye:
„Komm, wir besuchen als erstes das Kloster!“
Wieder äußere ich den Wunsch, den Khenchen Lama zu sehen.
„Es ist Essenszeit,“ wird mir geantwortet. „Es wird etwas dauern bis er Audienzen macht.“
„Ich warte gerne,“ sage ich.
In einem Nebenraum des großen Foyers lasse ich mich in den Schneidersitz nieder und sage zu Thaye:
„Komm zu mir, Thaye. Lama Rinpoche wird bald für uns Zeit haben.“
Der Junge setzt sich eine Weile neben mich, dann hält es ihn aber nicht mehr an seinem Platz. Ich erlaube ihm, im Innenhof mit den hiesigen Schülern Ball zu spielen. Ich sehe durch die Tür des Besucherraums noch, wie er Gebetsmühlen dreht und dann durch die Tür zum Innenhof hinausläuft.
Vielleicht eine Viertelstunde später kommt der Gelong zu mir, der für die Besucher zuständig ist und sagt, dass Seine Heiligkeit inzwischen in seinen Privatgemächern weilt. Ich bin kurz in eine leichte Meditation versunken und erhebe mich nun.
Mit einem Riesenschreck muss ich feststellen, dass Thaye fehlt. Sofort laufe ich hinaus zum Innenhof. Die Kinder dort sagen mir, dass ein Junge, auf den meine Beschreibung passt, kurz da gewesen ist. Dann ist er aber wieder ins Gebäude zurückgegangen.
Der Gelong beruhigt mich:
„Hier im Kloster geht niemand verloren! Ich bringe Sie zu Seiner Heiligkeit und schaue mich danach nach ihrem Jungen um.“
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Sa Jul 18, 2020 9:02 am

Also folge ich dem Gelong. Im Wohnraum Seiner Heiligkeit finde ich dann Thaye im Lehrgespräch über die mönchischen Tugenden mit dem Khenchen Lama. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Nachdem ich seine Heiligkeit mit einer tiefen Verbeugung begrüßt habe, wende ich mich Thaye zu:
„Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht, Thaye! Du warst plötzlich verschwunden. Was hätte ich deinen Eltern sagen sollen, wenn dir ein Unglück geschehen wäre?“
Thaye erhebt sich und umarmt mich.
„Aber Tante Anne, hier bin ich im Haus meines Großvaters. Was soll mir hier schon passieren?“
Ich schüttele den Kopf gequält lächelnd, ob solcher Einfalt, die sicher seinem kindlichen Alter geschuldet ist. Seine Heiligkeit fragt nun:
„Hast du die Gegenstände, von denen wir beim letzten Besuch gesprochen haben, in deiner Tasche?“
Ich nicke und bestätige es. Über den Tisch hinweg reiche ich ihm die Tasche. Seine Heiligkeit öffnet den Reisverschluss und schaut hinein. Danach erhebt er sich und geht mit der Tasche zu seinem Sekretär. Er unterhält sich leise mit dem Gelong. Dieser nimmt die Tasche und verlässt den Raum.
Seine Heiligkeit nickt mir lächelnd zu und sagt:
„Wir wollen warten, bis Gelong Manfred zurückkommt. Er wird uns dann in einen Raum führen, wo etwas Interessantes für dich, Thaye, zu sehen ist!“
Als der Sekretär Seiner Heiligkeit zurückkommt und mir lächelnd meine Tasche zurückgibt, fühle ich, dass sie leer ist. Wir erheben uns und lassen uns von dem Gelong in einen Nebenraum führen. Khenchen Lama Rinpoche legt Thaye seine Hand auf die Schulter und weist auf ein seitliches Regal, auf dem vier Mönchshüte nebeneinander aufgereiht sind. Seine Heiligkeit sagt zu Thaye:
„Ich habe eine Aufgabe für dich, mein Junge. Siehst du dort die roten Hüte? Sage mir, welcher dir am besten gefällt.“
Thaye runzelt die Stirn und geht näher heran. Er dreht sich alsbald zu uns um und meint:
„Aber sie sind doch alle gleich!“
Seine Heiligkeit erklärt ihm nun lächelnd:
„Sie sehen alle gleich aus, aber sie sind es nicht, Thaye. Horche in dich hinein! Was sagt dir dein Gefühl?“
Thaye schaue noch einmal hin und wählt gefühlsmäßig den zweiten Hut von rechts. Er nimmt ihn vom Regal und übergibt ihn Seiner Heiligkeit. Dieser übergibt ihn mir und ich schaue hinein. Dann nicke ich Lama Rinpoche zu, der Thaye nun zu einem anderen Regal führt.
„Schau, Thaye. Dort stehen vier alte Reisschalen. Sie gehörten einmal verdienten Chöje -Ehrentitel für hohe Lamas- dieses Klosters. Welcher davon sagt dir gefühlsmäßig am ehesten zu?“
Der Junge wählt ohne viel zu überlegen die Zweite von links und bringt ihn Seiner Heiligkeit, der sie an mich weitergibt. Auch hier schaue ich genauer hin und bestätige ihm:
„Sie ist es, Eure Heiligkeit!“
Thaye schaut mich und Seine Heiligkeit nun unsicher an. Lama Rinpoche hockt sich nun hin und sagt zu meinem Jungen:
„Komm einmal zu mir, mein Junge.“
Seine Heiligkeit lässt Thaye sich auf seinem geraden Oberschenkel hinsetzen und sagt mit sanfter Stimme zu ihm:
„Du wirst in den kommenden Jahren in der Schule noch einiges über die Nangwa -Manifestation, Wiedergeburt- lernen. Für jetzt nur so viel: Du hast schon als Kleinkind mehr Interesse für den Stoffdrachen gezeigt, als für anderes Spielzeug. Du hast ihn zuletzt Tante Anne geschenkt, damit er auf sie aufpasst, während ihr getrennt seid.
Der Stoffdrachen hatte ursprünglich einmal deinem Großvater gehört, dem ehrenwerten Lama Kyobpa, als er noch ein kleiner Junge war und Noah Mann hieß. Dieser kleine Junge hatte eine Spielgefährtin, die Yong Tai hieß. Als die beiden sich trennen mussten, hat dein Großvater den Drachen Yong Tai als Erinnerung geschenkt.
Später wurde dein Großvater mein Schüler und brauchte im Kloster natürlich auch eine Reisschale. Als er älter wurde, wurde er zuerst zum Gelong -Mönch- und später zum Lama ernannt. Seitdem durfte er auch einen eigenen Mönchshut tragen. Nun hast du spontan Schale und Hut deines Großvaters aus je vier Möglichkeiten gewählt.
Daraus entnehmen wir, dass in dir mein ehemaliger Schüler Noah Mann und späterer Lama Kyobpa weiterlebt. Das ist insoweit bemerkenswert, da du von klein auf einen besonderen Draht zu Tante Anne hast. Tante Anne gilt als Nanwa von Yong Tai, der großen Liebe Noahs.“
Seine Heiligkeit ruft den Sekretär herbei und sagt zu ihm:
„Würdest du Thaye zu den anderen Kindern in den Innenhof bringen, mein Bruder? Und habe dort ein Auge auf ihn! Ich muss noch etwas mit der verehrten Schwester besprechen.“
Während die Beiden den Raum verlassen erhebt sich der Khenchen Lama und wendet sich mir zu:
„Meine Schwester, nun weißt du, dass Lama Kyobpa nicht von dir lassen kann. Die Liebe ist das stärkste Gefühl im Universum! Was gedenkst du zu tun?“
Ich schaue Seiner Heiligkeit direkt in die Augen.
„Darf ich um höchste Diskretion bitten?“
Seine Heiligkeit nickt mit ernstem Gesicht.
„Natürlich, meine Tochter!“ sagt er.
„Daddy hat mich vor seinem Weggang in der tiefen Meditation unterrichtet. Würde ich den gleichen Weg wählen wie Daddy, müsste ich aber meine geliebte Schwester Andrea zurücklassen…“
„Du willst wiedergeboren werden, um dann an der Seite Thayes die Foundation in dritter Generation zu leiten?“ fragt Seine Heiligkeit.
Ich nicke bestimmt.
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1So Jul 19, 2020 10:16 am

„Überlege dir dein Handeln gut, meine Tochter! Du könntest als Thayes Patentante ihn sein Leben lang stützen und seine Vertraute sein.“
„Sobald Thaye heiratet bin ich an der dritten oder vierten Stelle seiner vertrauten Personen…“ gebe ich zu bedenken.
„Die Yong Tai in dir möchte mit Noah in ihm alt werden! Egoismus ist eine schlechte Angewohnheit, meine Tochter!“
„Aber warum hat Daddy mich sonst in der tiefen Meditation unterwiesen vor seinem Weggang?“ halte ich dagegen. „Er möchte das sicher auch!“
„Dann wähle Ort und Zeitpunkt gut, meine Tochter! Ich wünsche dir viel Glück! Erleben werde ich es wohl nicht mehr!“
Er zieht mich hinüber in seine Räume und nimmt eine kleine goldene Karaffe vom Regal. Bevor ich mich versehe, hat er mir ein wenig des Inhalts über den Kopf gegossen.
„Ich segne dich, meine Tochter!“ sagt er, während dieser Aktion.
Ich falle ergriffen vor dem alten Mann auf die Knie und küsse seine Hand.
„Nun wollen wir nach Thaye sehen,“ meint Seine Heiligkeit, hilft mir auf und begleitet mich hinunter in den Innenhof.
Wir verabschieden uns später herzlich von Seiner Heiligkeit. Vielleicht ist dieses Treffen auch das letzte Mal, an dem wir Lama Rinpoche noch lebend sehen. Wenn Thaye seine Schulabschlussfeier hat, wäre Seine Heiligkeit schon über 90. Und ob ich ihn in den nächsten Jahren noch einmal mit Thaye besuchen kann, weiß ich noch nicht. Eines weiß ich jedoch sicher: Ich werde recherchieren müssen, ob die Familie Khön Ehepartner in der weitläufigen Verwandtschaft sucht, oder ob die jungen Leute sich kennenlernen und verlieben dürfen, ohne dass die Eltern ihnen hineinreden.
Thaye ist jetzt sieben Jahre alt. Würde ich ‚heute‘ wiedergeboren werden und in die Klosterschule eingeschult werden, wäre der Junge dann 13. Ich habe also drei Jahre Zeit bis zu seiner Schulentlassung, um ihm das erste Mal ‚über den Weg zu laufen‘ und einen Eindruck bei ihm zu hinterlassen, dass er später nach mir sucht.
Bevor wir nach Hawaii zurückfliegen, fahren wir mit dem Zug in die Stadt, in der er als Noah aufgewachsen ist. Dort verfestigt sich in mir der Eindruck, dass Daddy in Thaye weiterlebt. Er zeigt soviele gefühlsmäßige Reaktionen an den Orten mit Erinnerung, wie kein ‚normales‘ Kind.

*

In den folgenden Monaten meditiere ich in meiner Freizeit. Wenn ich spüre, dass mein Geist neben mich tritt und ich mich von außen betrachten kann, lasse ich ihn fliegen. Ich überquere im Geiste den Ozean und schaue mir die Schule des Sakya-Klosters in Weiterswiller an.
Mit Freude beobachte ich, wie Thaye lernt und debattiert, wie er Kungfu und das Meditieren übt.
Über ein Jahr ist darüber inzwischen vergangen, als ein Paar um die 30 einen Lama in Weiterswiller aufsucht, um sich segnen zu lassen. Sie sind schon acht Jahre verheiratet, erzählen sie, und immer noch kinderlos. Nun wollen sie zu einer Reproduktionsklinik nach Straßburg fahren. Ich merke auf.
Nachdem sie von einem Lama gesegnet wurden, fahren sie zuversichtlich nachhause. Ich folge ihnen im Geiste und bin auch dabei, als sie zu der Informationsveranstaltung in die Klinik fahren. Der Arzt in dem von vielen Paaren gefüllten Saal, erklärt ihnen, dass man drei Eizellen absaugt und mit dem Samen des Ehemannes im Glas befruchtet. Dann setzt man sie der Frau an ihren fruchtbaren Tagen ein und hofft, dass sich mindestens ein Ei einnistet.
Dies kann beim ersten Mal schon passieren, oder bei irgendeinem Folgeversuch. Der Arzt sagt, dass es statistisch gesehen etwa acht Versuche benötigt, bis sich ein Ei erfolgreich einnistet.
Mit etwas gedrückter Stimmung fahren sie wieder nachhause. Der Mann muntert seine Frau unterwegs auf, indem er sagt:
„Sei guten Mutes, Liebes! Wir haben nichts zu verlieren. Wir werden so oft nach Straßburg fahren bis du schwanger bist. Du kennst ja deine fruchtbaren Tage. Wenn zwei Wochen danach keine Blutung stattfindet, fahren wir wieder nach Weiterswiller um Buddha zu danken!“
Sie hängt sich bei ihm ein und lehnt sich bei ihm an. Dieses Paar werde ich in den folgenden Meditationen nicht aus meinen inneren Augen lassen!
So bin ich geistig bei jedem ihrer Besuche in der Reproduktionsklinik mit anwesend und erlebe das Wechselbad der Gefühle mit. Beinahe ein Jahr ist vergangen, als ich fühle, dass sich eine ihrer befruchteten Eizellen einnistet.
Ich verbinde mich mit diesem wachsenden Zellhaufen, der bald ein Mensch sein wird und lasse meinen alten Körper in meiner kleinen Wohnung im Internat auf Hawaii zurück. Ich bin voller Hoffnung und Zuversicht, als mich Helligkeit umfängt und mich schweben lässt.
Wieviel Zeit vergangen ist, kann ich nicht sagen. Irgendwann fühle ich mich in einer Flüssigkeit schwimmend, schwebend, geborgen. Ich spüre ein beruhigendes Klopfen über mir und bin seelig.
Wieder eine Zeitlang später spüre ich, dass sich die Wände meines Behältnisses mir nähern, mich einengen und dann wieder Platz lassen. Das wiederholt sich mehrmals und ich weiß es nicht einzuordnen. Ich bekomme Angst. Dann öffnet sich mein Behältnis an einer schmalen Stelle und die Wände versuchen, mich dort hindurch zu drücken.
Als ich draußen bin und aufgefangen werde, stoße ich als Erstes einen Schrei aus. Man legt mich einer Frau in den Arm. Wieder spüre ich das beruhigende Klopfen, jetzt viel dumpfer und an meiner Seite. Darüber schlafe ich ein.
Ich höre gut zu, wenn ich wach bin. Auch wenn ich noch nicht sprechen kann, erkenne ich bald den Sinn der Töne und kann bald Tonfolgen/Wörter unterscheiden. Der Mensch, der am meisten mit mir zusammen ist, mich pflegt und ernährt, wird Mama genannt. Der andere Mensch, der jeden Tag in den Dämmerungszeiten auch anwesend ist, wird Papa genannt.
Nachdem ich etwa ein halbes Jahr alt bin, machen die Beiden mit mir eine längere Fahrt. Wir erreichen einen Ort, an dem sich viele rotgekleidete Menschen befinden. Mama und Papa gehen zu Einem davon und lachen und scherzen mit ihm.
Ich höre, dass sie versprechen, mich später hier zur Schule gehen zu lassen.

*
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Mo Jul 20, 2020 9:34 am

Wir sind überglücklich über die Geburt unserer Tochter Minh Thuong -Intelligent, zärtliche Liebe-, und deshalb tief bestürzt, als unsere Kinderärztin uns bei einer der Untersuchungen erklärt, dass sie Hüftgelenksluxation zweiten Grades hat. Aber sie kann uns beruhigen und vermittelt gleichen einen Termin in der Chirurgie des nahen Kinderkrankenhauses. Dort wird unser Sonnenschein einige Wochen später an der Hüfte operiert.
Als unsere kleine Prinzessin ein halbes Jahr alt geworden ist, fahren wir in das Kloster nach Weiterswiller, um sie von Lama Norbu -wertvoller Stein- segnen zu lassen. Dieser Lama hat uns vor gut zwei Jahren auch gesegnet, als wir mit unserem Kinderwunsch zu ihm gekommen sind.
Minh ist auf der Fahrt sehr ruhig. Die meiste Zeit hat sie geschlafen. In den Wachphasen scheint es ihrer Mama, als beobachte sie alles sehr genau. Als wir sie Lama Norbu zeigen, lacht sie ihn an und streckt ihm seine Ärmchen entgegen. Minh scheint einen offenen Charakter zu haben, kein bisschen ängstlich.
Wir legen Minh dem Lama in die Arme. Er trägt sie zu der Schale mit dem heiligen Wasser und segnet sie. Auch das lässt sie fröhlich lachend über sich ergehen. Anschließend tragen wir dem Lama unsere Bitte vor, Minh in sechs Jahren in die Schule aufzunehmen. Er lächelt und sagt, er werde mit seinem zuständigen ‚Bruder‘ darüber sprechen und schreibt sich unsere Namen auf. Trotzdem sollen wir ein Jahr vor der Einschulung noch einmal vorsprechen.
Die Folgezeit ist eine Zeit der emotionalen Höhen und Tiefen. Minh braucht lange bis sie die ersten Schritte macht. Dabei knickt sie mit dem Standbein immer wieder ein, wodurch eine Art Watschelgang entsteht. Das hält unsere Prinzessin nur wenige Schritte durch, dann setzt sie sich wieder auf ihr Höschen.
Beunruhigt stellen wir Minh wieder der Kinderärztin vor. Inzwischen wird die Praxis von einer anderen Ärztin geführt. Sie lässt sich Minh vorführen und hat dann Falten auf der Stirn. Sie stellt fest:
„Ihre Tochter wird nie richtig gehen lernen können! Laufen schon einmal gar nicht! Sie sollten sich für Minh mit einem Rollstuhl anfreunden. Da gibt es besonders schöne Exemplare für so süße Mädchen wie sie!“
Wir schauen uns die Rollstühle an und ich kaufe ihr einen mit schräggestellten Rädern und Unterschenkelstützen, mit dem sie im Kindergarten mit den gleichaltrigen Kindern beim Spielen mithalten kann. Oft kämpfen wir mit den Tränen, Freudentränen, wenn wir die Spielfreude unserer Prinzessin beobachten können. Selten genug passiert es doch, dass sie im Spielgetümmel umstürzt. Zu Anfang ist uns selbst, aber auch anderen Eltern, das Herz dabei in die Hose gerutscht. Aber Minh steht einfach auf, bedankt sich bei denjenigen, die ihr den Stuhl wieder aufgerichtet haben, setzt sich hinein und weiter geht das Spiel.
Dann fahren wir wieder mit ihr nach Weiterswiller und melden sie an. Der Rollstuhl scheint zuerst ein Problem zu sein, weil der Lama Vorbehalte hat, wie ihre Mitschüler möglicherweise damit umgehen würden. Nach kurzer Debatte zu den mönchischen Tugenden und Berichten ihres bisherigen Verhaltens im Kindergarten, ist er aber bereit Minh aufzunehmen.
Am Tag ihrer Einschulung ist ihre ganze Familie mitgekommen. Onkel, Tanten, Neffen, Nichten und die ehrenwerten Großeltern wohnen der Feier bei. Nach Segnungen und Gebeten fahren wir wieder nachhause und lassen unsere Kleine in der Schule zurück.

*

Vier Monate bin ich, Nguyen Minh Thoung, nun schon in der Klosterschule. Obwohl meine ehrenwerten Eltern und Verwandten vietnamesischer Abstammung sind (meine Großeltern sind damals als sogenannte ‚Boatpeople‘ aus Vietnam geflüchtet), werde ich hier wie jedes andere Kind behandelt. Auch der Rollstuhl ist kein Grund großer Rücksichtnahme.
Allerdings habe ich nur wenige Freundinnen. Einige der Jungs verspotten mich manchmal, wenn wir auf dem Innenhof gemeinsam spielen. Aber da stehe ich drüber!
Gleichaltrige Jungs gehen nicht darüber hinaus. Einige haben sogar Respekt vor meiner Schnelligkeit mit dem Spezial-Rollstuhl. Bis ich auf einmal von hinten von zwei 12jährigen Jungs attackiert worden bin. Einer hat irgendeinen Gegenstand in die Speichen gesteckt, so dass ich mit einem Aufschrei umgestürzt bin. Das ist so schnell geschehen, dass ich zuerst ziemlich benommen gewesen bin.
Einer der Schüler aus der Abschlussklasse, die sich in der Pausenaufsicht immer in Zweiergruppen abwechseln, kommt zu mir gelaufen und hilft mir auf. Mit einem Fuß stellt er den Stuhl wieder aufrecht. Danach hebt er mich in seine Arme und setzt mich in den Stuhl zurück. Ich umfasse seinen Hals und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.
In der Zwischenzeit hat sein Klassenkamerad zwei Jungs am Kragen und schleppt sie in das Gebäude.
Mein Helfer fragt mich nach meinem Namen und nennt mir auch seinen. Er heißt Khön Thaye, sagt er. In der Folgezeit sehe ich ihn immer, wenn er Pausendienst hat und ich gleichzeitig Pause habe, in meiner Nähe. Nicht direkt in meiner Nähe, nein, aber er ist nicht weit entfernt und scheint mich immer im Auge zu haben.
Wenige Monate darauf ist wieder einmal Schulabschlussfeier. Die meisten Schüler verlassen die Schule mit einem Zeugnis. Eine Handvoll Schüler bleiben, um als Schüler eines Lamas den Weg zum Mönch einzuschlagen. Wir sind dabei, um die jungen Männer mit einem Lied zu verabschieden. Mein Beschützer Khön Thaye ist einer derjenigen, die uns verlassen. Das stimmt mich traurig. Ich überdecke dieses Gefühl mit Neugier.
Thaye erzählt mir, dass er aus Hawaii kommt, nach der Klosterschule eine Banklehre macht und dann nach Hawaii zurückkehrt. Bei der Nennung des Namens ‚Hawaii‘, unterbreche ich ihn forsch und frage:
„Das muss wunderschön sein, auf Hawaii! Nimmst du mich mit?“
Thaye lacht und beugt sich zu mir herunter. Er flüstert:
„Meine Eltern leiten dort auch eine Schule. Irgendwann übernehme ich die Leitung. Du müsstest dann studieren und Lehrer werden, wenn du nach Hawaii willst!“
„Das werde ich!“ sage ich mit fester Stimme.
„Hm,“ macht er da. „Weißt du, ich hatte eine sehr liebe Patentante. Meine ehrenwerten Eltern haben mir bei ihrem ersten Besuch hier – sonst ist Tante Anne immer gekommen – gesagt, dass sie während einer tiefen Meditation heimgegangen ist. Seither frage ich mich, ob ich jemals ihre Wiedergeburt finden werde…“
Ich streiche ihm über den Oberarm und tröste ihn:
„Ganz bestimmt wirst du sie irgendwann wieder treffen, Thaye! Du bist so… so… Dich muss man mögen!“
Er lacht und meint:
„Man hat mir einmal gesagt, dass ich früher einmal zu ihr gesagt haben soll: ‚Wir werden uns ewig lieben‘. Aber wenn man sich aus den Augen verliert…“
„Das Schicksal wird euch bestimmt wieder zusammenführen, mein starker Beschützer!“ sage ich und assoziiere in Gedanken dabei ein Märchen von einem Prinzen, der seine Prinzessin vor einem Drachen beschützt. Das sage ich ihm dann auch.
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Di Jul 21, 2020 9:40 am

Er schaut mich mit ernsten Augen an und fragt mich nach meinem Geburtstag. Dann stellt er sich hinter mich und schiebt den Rolli zu einer Gruppe Erwachsener. Ich lache verunsichert und frage:
„Was machst du, Thaye? Entführst du mich?“
Dann werde ich stumm, als ich die Menschen erkenne, zu denen er mich schiebt. Er ist Seine Heiligkeit Khön Trizin und Seine Eminenz Khön Gyana. Ersterer lehrt im angegliederten Kloster und Lama Khön Gyana habe ich auf Bildern in einem Schulbuch gesehen. Bei ihnen stehen zwei Frauen in Nonnengewändern, jedoch mit kunstvollen Stickereien. Das müssen die Frauen der hohen Persönlichkeiten sein! In diesem Moment fällt mir siedend heiß ein, dass Thayes Familienname ebenso Khön ist. Sollte Thaye der Sohn von Seiner Eminenz Khön Gyana sein? Je näher mich Thaye schiebt, desto größer werden meine Augen. Ich schaue verschämt zu Boden, als suche ich dort etwas bestimmtes.
Thaye fragt:
„Verehrte Mum, an welchem Datum ist die verehrte Tante Anne genau heimgegangen?“
Die Frau, die sich ihm nun zuwendet, nennt ihm ein Datum. Thaye nimmt sein Handy und vergleicht das Datum mit meinem Geburtsdatum, das ich ihm eben genannt habe. Das Ergebnis zeigt er der hohen Frau und fragt:
„Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich hier in meiner Nähe auf einen Menschen treffe, der genau neun Monate nach Tante Annes Weggang geboren wurde?“
Sie nickt und schaut mich intensiv an. Man hat den Eindruck, als durchdringt mich ihr Blick. Ich lächele verlegen. Dann antwortet sie Thaye:
„Die Wahrscheinlichkeit ist sicher äußerst gering. Trotzdem kann es ein Zufall sein. Das bedarf weiterer Prüfungen!“
Thaye nickt:
„Du hast sicher recht, verehrte Mum!“
Er dreht den Rollstuhl herum und entfernt sich mit mir. Seine Mutter ruft ihm hinterher:
„Mach dich fertig. Wir wollen bald fliegen!“
„Ja, verehrte Mum,“ ruft er über die Schultern.
Anschließend sagt er mit gedämpfter Stimme zu mir:
„Ich fahre mit meinen Eltern nach Paris zum Flughafen und komme dann mit Onkel und Tante zurück. In den nächsten Jahren mache ich in der Nähe eine Banklehre und wohne dabei im Kloster. Nebenbei schlage ich den Weg eines Mönches ein… Aber ich werde Zeit finden, mich immer wieder einmal mit dir zu treffen, kleine Minh!“
Thaye hält Wort. Wenn möglich kommt er jeden Sonntagnachmittag zu mir. Wir reden über Schulisches. Er erklärt mir vieles und dann spielen wir ein Gesellschaftsspiel, das er mitbringt, bis es Zeit zum Schlafengehen ist. Auch er muss dann in seine Unterkunft im Kloster zurück. Irgendwann zu Beginn der Treffen bringt er neben dem Gesellschaftsspiel auch einen uralten, mehrfach geflickten chinesischen Drachen mit.
„Der soll dich immer an mich erinnern, Minh. Und er soll ein Versprechen sein, dass ich immer wieder zu dir zurückfinde!“
Hui, ich bin jetzt neu Jahre alt und er ist achtzehn! Was ist, wenn ihm ein hübsches gleichaltriges Mädchen über den Weg läuft, die keine Behinderung hat?
Aber ich freue mich jedesmal, wenn er mich besucht und wir über die Schule und meine kindlichen Problemchen reden können.

*

Eines Tages kommt er zu mir und sagt, dass er die Banklehre abgeschlossen hat und bald nach Hawaii fliegen wird. Ich bin inzwischen elf Jahre alt. Ein starker Schmerz scheint mein Herz zu treffen. Es ist wie von einem Schwert durchbohrt zu werden. Ich schaue ihn flehend an und frage ihn:
„Wirst du mich nicht vergessen, Thaye?“
Er gibt mir einen sanften Kuss auf die Wange und antwortet:
„Leider kann ich dich nicht während der Ferien besuchen. Hawaii liegt quasi auf der anderen Seite der Erde. Aber ich werde zu deiner Abschlussfeier anwesend sein! Versprochen!“
In den folgenden Jahren bekomme ich pünktlich zu meinen Geburtstagen liebe Botschaften auf Postkarten mit Fotos von der grandiosen Natur Hawaii auf der Vorderseite. Ich habe mir ein Kästchen gekauft, in das die Postkarten hineinpassen und das abschließbar ist. Dort verwahre ich alle Karten von Thaye auf.
Fast ein halbes Jahr vor dem Schulabschluss sind meine ehrenwerten Eltern an meinem Geburtstag anwesend. Ich bin unruhig. Das fällt meiner ehrenwerten Mama natürlich auf und sie fragt nach dem Grund.
Ich antworte wahrheitsgemäß, dass ich dringend zur Poststelle rollen muss. Ich erwarte ein liebes Schreiben. Sie lässt mich die Teetafel verlassen, ermahnt mich aber, sofort zurück zu kommen. Erleichtert verspreche ich es ihr.
In der Poststelle lächelt mir die Mitarbeiterin entgegen:
„Hallo Minh! Schau mal, was ich hier für dich habe!“
Sie überreicht mir die Postkarte. Langsam beruhigt sich mein Herz. Als ich meine ehrenwerten Eltern wieder erreiche überzieht ein glückliches Lächeln mein ganzes Gesicht.
Mama schaut mich an und sagt mir auf den Kopf zu:
„Du bist verliebt, liebste Minh!“
Ich senke den Blick und fühle meine Wangen heiß werden.
„Du brauchst dich nicht schämen, liebste Minh! Du bist heute 16Jahre alt geworden… Darf ich wissen, wer es ist?“
Ich reiche ihr die Karte und schaue die ehrenwerte Mama dabei unsicher an. Darf ich überhaupt das Geheimnis zwischen Thaye und mir preisgeben? Was ist, wenn meine ehrenwerten Eltern mir die Beziehung verbieten? Vielleicht haben sie sich insgeheim schon Gedanken zu dem Thema gemacht und bei den Eltern eines altersgemäßen Jungen vorgefühlt?
Die ehrenwerte Mama schaut sich das Foto auf der Vorderseite intensiv an. Anschließend dreht sie die Karte herum und liest die Worte auf der Rückseite. Sie schaut mich daraufhin an. Tränen glitzern in ihren Augen. Zitternd versucht sie dem ehrenwerten Papa die Karte über den Tisch zuzuschieben. Dabei fällt die Karte zu Boden. Papa bückt sich danach und liest die Rückseite, während er sich wieder aufrichtet. Er schaut mich mit ernstem Gesicht an und sagt:
„Dein Liebster heißt Khön Thaye und lebt auf Hawaii? Wie hast du den jungen Mann kennengelernt – bei dieser Entfernung?“
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Di Jul 21, 2020 9:41 am

Er schaut mich mit ernsten Augen an und fragt mich nach meinem Geburtstag. Dann stellt er sich hinter mich und schiebt den Rolli zu einer Gruppe Erwachsener. Ich lache verunsichert und frage:
„Was machst du, Thaye? Entführst du mich?“
Dann werde ich stumm, als ich die Menschen erkenne, zu denen er mich schiebt. Er ist Seine Heiligkeit Khön Trizin und Seine Eminenz Khön Gyana. Ersterer lehrt im angegliederten Kloster und Lama Khön Gyana habe ich auf Bildern in einem Schulbuch gesehen. Bei ihnen stehen zwei Frauen in Nonnengewändern, jedoch mit kunstvollen Stickereien. Das müssen die Frauen der hohen Persönlichkeiten sein! In diesem Moment fällt mir siedend heiß ein, dass Thayes Familienname ebenso Khön ist. Sollte Thaye der Sohn von Seiner Eminenz Khön Gyana sein? Je näher mich Thaye schiebt, desto größer werden meine Augen. Ich schaue verschämt zu Boden, als suche ich dort etwas bestimmtes.
Thaye fragt:
„Verehrte Mum, an welchem Datum ist die verehrte Tante Anne genau heimgegangen?“
Die Frau, die sich ihm nun zuwendet, nennt ihm ein Datum. Thaye nimmt sein Handy und vergleicht das Datum mit meinem Geburtsdatum, das ich ihm eben genannt habe. Das Ergebnis zeigt er der hohen Frau und fragt:
„Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich hier in meiner Nähe auf einen Menschen treffe, der genau neun Monate nach Tante Annes Weggang geboren wurde?“
Sie nickt und schaut mich intensiv an. Man hat den Eindruck, als durchdringt mich ihr Blick. Ich lächele verlegen. Dann antwortet sie Thaye:
„Die Wahrscheinlichkeit ist sicher äußerst gering. Trotzdem kann es ein Zufall sein. Das bedarf weiterer Prüfungen!“
Thaye nickt:
„Du hast sicher recht, verehrte Mum!“
Er dreht den Rollstuhl herum und entfernt sich mit mir. Seine Mutter ruft ihm hinterher:
„Mach dich fertig. Wir wollen bald fliegen!“
„Ja, verehrte Mum,“ ruft er über die Schultern.
Anschließend sagt er mit gedämpfter Stimme zu mir:
„Ich fahre mit meinen Eltern nach Paris zum Flughafen und komme dann mit Onkel und Tante zurück. In den nächsten Jahren mache ich in der Nähe eine Banklehre und wohne dabei im Kloster. Nebenbei schlage ich den Weg eines Mönches ein… Aber ich werde Zeit finden, mich immer wieder einmal mit dir zu treffen, kleine Minh!“
Thaye hält Wort. Wenn möglich kommt er jeden Sonntagnachmittag zu mir. Wir reden über Schulisches. Er erklärt mir vieles und dann spielen wir ein Gesellschaftsspiel, das er mitbringt, bis es Zeit zum Schlafengehen ist. Auch er muss dann in seine Unterkunft im Kloster zurück. Irgendwann zu Beginn der Treffen bringt er neben dem Gesellschaftsspiel auch einen uralten, mehrfach geflickten chinesischen Drachen mit.
„Der soll dich immer an mich erinnern, Minh. Und er soll ein Versprechen sein, dass ich immer wieder zu dir zurückfinde!“
Hui, ich bin jetzt neu Jahre alt und er ist achtzehn! Was ist, wenn ihm ein hübsches gleichaltriges Mädchen über den Weg läuft, die keine Behinderung hat?
Aber ich freue mich jedesmal, wenn er mich besucht und wir über die Schule und meine kindlichen Problemchen reden können.

*

Eines Tages kommt er zu mir und sagt, dass er die Banklehre abgeschlossen hat und bald nach Hawaii fliegen wird. Ich bin inzwischen elf Jahre alt. Ein starker Schmerz scheint mein Herz zu treffen. Es ist wie von einem Schwert durchbohrt zu werden. Ich schaue ihn flehend an und frage ihn:
„Wirst du mich nicht vergessen, Thaye?“
Er gibt mir einen sanften Kuss auf die Wange und antwortet:
„Leider kann ich dich nicht während der Ferien besuchen. Hawaii liegt quasi auf der anderen Seite der Erde. Aber ich werde zu deiner Abschlussfeier anwesend sein! Versprochen!“
In den folgenden Jahren bekomme ich pünktlich zu meinen Geburtstagen liebe Botschaften auf Postkarten mit Fotos von der grandiosen Natur Hawaii auf der Vorderseite. Ich habe mir ein Kästchen gekauft, in das die Postkarten hineinpassen und das abschließbar ist. Dort verwahre ich alle Karten von Thaye auf.
Fast ein halbes Jahr vor dem Schulabschluss sind meine ehrenwerten Eltern an meinem Geburtstag anwesend. Ich bin unruhig. Das fällt meiner ehrenwerten Mama natürlich auf und sie fragt nach dem Grund.
Ich antworte wahrheitsgemäß, dass ich dringend zur Poststelle rollen muss. Ich erwarte ein liebes Schreiben. Sie lässt mich die Teetafel verlassen, ermahnt mich aber, sofort zurück zu kommen. Erleichtert verspreche ich es ihr.
In der Poststelle lächelt mir die Mitarbeiterin entgegen:
„Hallo Minh! Schau mal, was ich hier für dich habe!“
Sie überreicht mir die Postkarte. Langsam beruhigt sich mein Herz. Als ich meine ehrenwerten Eltern wieder erreiche überzieht ein glückliches Lächeln mein ganzes Gesicht.
Mama schaut mich an und sagt mir auf den Kopf zu:
„Du bist verliebt, liebste Minh!“
Ich senke den Blick und fühle meine Wangen heiß werden.
„Du brauchst dich nicht schämen, liebste Minh! Du bist heute 16Jahre alt geworden… Darf ich wissen, wer es ist?“
Ich reiche ihr die Karte und schaue die ehrenwerte Mama dabei unsicher an. Darf ich überhaupt das Geheimnis zwischen Thaye und mir preisgeben? Was ist, wenn meine ehrenwerten Eltern mir die Beziehung verbieten? Vielleicht haben sie sich insgeheim schon Gedanken zu dem Thema gemacht und bei den Eltern eines altersgemäßen Jungen vorgefühlt?
Die ehrenwerte Mama schaut sich das Foto auf der Vorderseite intensiv an. Anschließend dreht sie die Karte herum und liest die Worte auf der Rückseite. Sie schaut mich daraufhin an. Tränen glitzern in ihren Augen. Zitternd versucht sie dem ehrenwerten Papa die Karte über den Tisch zuzuschieben. Dabei fällt die Karte zu Boden. Papa bückt sich danach und liest die Rückseite, während er sich wieder aufrichtet. Er schaut mich mit ernstem Gesicht an und sagt:
„Dein Liebster heißt Khön Thaye und lebt auf Hawaii? Wie hast du den jungen Mann kennengelernt – bei dieser Entfernung?“
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Mi Jul 22, 2020 10:19 am

„Thaye war hier Schüler. Danach hat er in der Nähe Bankkaufmann gelernt und wurde gleichzeitig der Schüler eines Lamas aus dem Kloster hier. Bevor er nach Hawaii abgereist ist, wurde er zum Gelong -Mönch- geweiht. Seitdem bekomme ich jedes Jahr zum Geburtstag eine Karte. Er hat mich also nicht vergessen. Er hat mir versprochen, bei meiner Schulentlassung dabei zu sein!“
„Sein Familienname ist Khön…“ flüstert Papa, als spricht er zu sich selbst. Dann fragt er mit fester Stimme: „Gibt es da eine Verbindung zu Seiner Heiligkeit Khön Trizin?“
„Ja, verehrter Papa,“ bestätige ich seine Vermutung. „Khön Thaye ist Sohn Seiner Eminenz Khön Gyana, des hohen Bruders von Seiner Heiligkeit.“
Die Karte hat mein ehrenwerter Papa auf den Tisch abgelegt. Sofort angele ich sie mir, um sie später zu den Anderen zu legen. Die ehrenwerte Mama hat immer noch Tränen in den Augen und versucht, sie mit einem Tüchlein zu trocknen. Papa legt ihr beruhigend seine Hand auf ihren Unterarm.
„Wir haben noch fünf Monate,“ sagt er, als müsse er nicht nur Mama, sondern auch sich selbst beruhigen.

*

Ich habe mich sehr angestrengt, seit Thaye nach Hawaii abgereist ist. Sein Umgang mit meinen schulischen Problemchen hat mit gezeigt, welche Herangehensweise am Ehesten Erfolg verspricht. So habe ich auch in der Vergangenheit schon meine ehrenwerten Eltern mit sehr guten Zeugnissen erfreuen können.
Endlich ist der Tag der Zeugnisvergabe gekommen. Der letzte Schultag meiner Klasse soll feierlich begangen werden. Dazu ist Seine Heiligkeit anwesend. Er sitzt uns gegenüber auf seinem erhöhten Thron. Wir haben uns im Schneidersitz halbkreisförmig vor ihn platziert und tragen alle die weiße Festkleidung. Hinter uns stehen ausgewählte Schüler der unteren Klassen.
Sie haben einige Lieder einstudiert. Rechts und links von uns stehen die Eltern der Schulabgänger, die heute ihr Zeugnis bekommen. Bei der Hektik der Vorbereitung habe ich meine ehrenwerten Eltern noch nicht entdeckt. Dann beginnt die Veranstaltung.
Seine Heiligkeit rezitiert ein uraltes Gebet. Dann leitet er über in eine kleine Ansprache. Anschließend gibt ein Lehrer den Schülern hinter uns ein Zeichen und sie beginnen, ihr erstes Lied vorzutragen. Nach Ende des Liedes nimmt Seine Heiligkeit einen Stapel Formulare in die Hand. Nun ruft er uns nacheinander zu sich und teilt die Abschlusszeugnisse aus.
Dabei hat er für jeden Schüler noch ein persönliches Wort. Ich muss gestehen, dass ich aufgrund der Aufregung vergessen habe, was Seine Heiligkeit mir auf meinen Lebensweg mitgegeben hat. Zum Schluss singt die Gruppe hinter uns noch ein Lied. Danach leert sich der Saal allmählich. Ich gehe Schritt für Schritt dem Ausgang entgegen, mich immer wieder nach meinen Eltern umschauend. Auch frage ich mich, wo Thaye ist. Hat er es am Ende doch nicht geschafft rechtzeitig hierher zu kommen? Zunehmend niedergeschlagener werdend, fühle ich, wie mich jemand am Ärmel zieht.
Ich wende mich um, und erkenne Thaye. Er trägt eine rote Mönchsrobe. Im ersten Impuls will ich ihm um den Hals fallen. Er kräuselt die Stirn und hält mir die offenen Handflächen entgegen. Aber in seinen Augenwinkeln erkenne ich Lachfältchen.
„Endlich sehe ich dich wieder, liebste Minh!“ sagt er. „Unsere Freude sollten wir freien Lauf lassen, sobald wir alleine sind!“
Ich schlucke und nicke. Dann sind auch schon meine ehrenwerten Eltern heran. Sie haben teure Kleidung angelegt. Papa beugt sein Knie vor Thaye und hebt die gefalteten Hände an sein Kinn. Die ehrenwerte Mama neben ihm geht vollends auf die Knie und verbeugt sich tief.
„Seid gegrüßt, ehrenwerte Eltern von Nguyen Minh Thoung,“ beginnt Thaye und hebt seine gefalteten Hände ebenso an sein Kinn.
Meine ehrenwerten Eltern erheben sich und Thaye zieht zwei weiße Schals aus seinem Gewand. Er legt Papa und Mama je einen Schal um die Schultern und verbeugt sich nun seinerseits vor ihnen. Damit hat er ihnen sein Interesse an mir bekundet. Nun müsste ein Ehevertrag ausgehandelt werden, nach buddhistischer Tradition – wenn meine ehrenwerten Eltern nicht ablehnen.
Er bietet ihnen an:
„Darf dich den ehrenwerten Herrschaften das Teehaus vorschlagen, unweit von hier?“
Mein verehrter Papa nickt und so verlassen wir vier das Gelände der Schule und des Klosters, um unweit davon ein Teehaus zu betreten. Papa lässt es sich nicht nehmen, die kulinarische Seite des Nachmittags mit dem Kellner zu besprechen. Während die Angestellten des Teehauses ihre Arbeit beginnen und uns einen freien Tisch zuweisen, habe ich ‚rote Ohren‘. Ich muss wirklich nachfühlen. Sie sind tatsächlich wärmer als der Rest des Kopfes, genau wie die Stirn - auch sie fühlt sich heiß an. Der ehrenwerte Papa scheint heute keine Kosten zu scheuen!
Nachdem Gebäck und Tee auf dem Tisch stehen, eröffnet Papa:
„Der hohe Herr interessiert sich für unsere niedere Tochter…“
Damit begännen jetzt eigentlich die Verhandlungen zu unserer Verlobung. Aber Thaye macht es kurz:
„Ehrenwerte Eheleute Nguyen. Ich werde Minh Thoung stets Respekt und Ehrerbietung entgegenbringen. Ich werde sie lieben bis zum letzten Atemzug! Sie muss allerdings das Abitur machen und Sozialwissenschaften studieren. Das ist die Voraussetzung, dass sie irgendwann an meiner Seite das Internat auf Hawaii leitet, dessen Leitung jetzt noch in Händen Seiner Eminenz Khön Gyana liegt.“
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Do Jul 23, 2020 9:25 am

„Ich denke, dass Minh das schaffen wird!“ sagt Papa und nickt mir zu.
Ich halte die Luft an. Natürlich will ich sämtliche staatlichen Mittel beantragen, die mir zustehen. Hoffentlich reicht das! Trotzdem nicke ich ebenfalls meine Hand sucht unter dem Tisch die Hand Thayes und findet sie. Thaye drückt sie und nickt mir aufmunternd zu.
Anschließend folgen zwei Stunden Smalltalk und danach gehen wir gemeinsam zum Bahnhof der Stadt. Dort endlich darf ich Thaye um den Hals fallen und auch meine ehrenwerten Eltern verabschieden sich – ganz europäisch – mit Handschlag von dem ‚hohen Herrn‘ Khön Thaye Tenzin.

*

Wieder bin ich fünf Jahre von Thaye getrennt gewesen. Nun bin ich mit 21Jahren ausgebildete Sozialpädagogin. Mein Thaye hat das dreißigste Lebensjahr erreicht. In den vergangenen Jahren sind Thaye und ich per Whats App verbunden gewesen. So konnte er mich oft beraten und immer wieder Mut machen.
Thaye ist aus Hawaii angereist. Seine Heiligkeit hat als Adresse der buddhistischen Hochzeit das Restaurant ‚Palais de Chine‘ in Straßburg festgelegt. Meine ehrenwerten Eltern haben wieder ihre Kleidung aus dem Schrank genommen, die sie zu meiner Schulentlassung angelegt gehabt haben.
Ich selbst trage einen Traum in Weiß mit goldenen Applikationen. Die Familie Khön hat mir das Kleid zukommen lassen. Wir lassen uns von einem Großraum-Taxi zum Restaurant fahren. Thaye hat meinen ehrenwerten Eltern bei meiner Schulentlassung schon die Hadas geschenkt, die weißen Schals. Diese Geste gilt als Antrag. Darauf hätte das Verfassen eines Heiratsvertrages erfolgen sollen. Thaye hat damals dazu den Besuch der Teestube in Weiterswiller angeregt. Aber es wurde letztlich nur ein mündlicher Vertrag mit Handschlag besiegelt.
Meinen ehrenwerten Eltern hat das Wort des ‚hohen Herrn‘ Khön Thaye Tenzin ausgereicht. Nun steht meine Hochzeit mit Thaye unmittelbar bevor. Meine Eltern sind von ihm reich beschenkt worden, wie es üblich ist.
Als wir vor dem Restaurant aus dem Taxi aussteigen, kommen junge Mönche, um uns respektvoll zu begrüßen und ins Innere zu geleiten. Mein Rollstuhl wird aufgeklappt und mein ehrenwerter Papa schiebt mich in das Restaurant, während meine ehrenwerten Großeltern und die nächsten Verwandten uns folgen. Wir dürfen zuerst an den Tischen Platz nehmen.
Anschließend setzen sich Thaye, sein Onkel und seine Tante und einige verdiente Lamas hinzu. Thaye nimmt neben mir Platz und strahlt mich an. Als alle Anwesenden Platz genommen haben, erhebt sich Seine Heiligkeit Lama Khön Trizin und rezitiert einige weise Sprüche, die auf Buddha zurückgehen.
Nach dem Eröffnungstrunk erheben sich die Gäste nacheinander und überreichen dem Hochzeitspaar, Thaye und mir, je einen Hada. Danach wird getanzt. Thaye umtanzt gekonnt meinen Rollstuhl, mit dem ich ein paar Wendungen auf der Tanzfläche mache. Wir lachen fröhlich und glücklich wie kleine Kinder.
Anschließend verteilt das Hochzeitspaar, wir, Wein und Hadas an die Gäste. Dann bitten die Kellner uns respektvoll an die Tische zurück. Sie tischen nun ein üppiges Festmahl auf, das eines Prinzen würdig wäre. Stunden nach Beginn der Hochzeit findet noch eine Zeremonie statt, bei der Seine Heiligkeit uns mit heiligem Wasser segnet.
Erstaunt mache ich große Augen, als Seine Heiligkeit Thaye mit dem Titel eines Lamas anspricht. Mir werden die Knie weich. Spontan hake ich mich bei Thaye unter, der mir aufmunternd zulächelt.
Kurz vor Schließung des Restaurants verabschieden sich die Gäste. Auch meine ehrenwerten Großeltern und Eltern kommen zu uns. Sie gehen vor uns auf die Knie und drücken ihre Lippen auf unsere Handrücken. Sie benennen meinen Thaye mit dem Titel ‚Seine Eminenz‘; mich nennen sie ‚Ihre Exzellenz‘!
Ich mag das nicht und beuge mich zu ihnen hinunter, um sie zu umarmen. Unter Freudentränen lassen sie es zu und wir liegen uns minutenlang in den Armen.
Anschließend begleiten wir Seine Heiligkeit in ein Straßburger Hotel. Am nächsten Tag ist eine Bootsfahrt auf der Ill vorgesehen mit allen Hochzeitsgästen. Auch lassen wir uns von einem Fotografen an die verschiedenen Plätze in Straßburg führen, wo er Bilder macht, die wir den Gästen später zukommen lassen.
Wir bleiben danach noch ein paar Tage in einem Zimmer bis der Rückflug feststeht. Dann fahren wir mit dem Zug nach Paris und starten vom Flughafen Charles de Gaulle in Richtung Hawaii.
Dort angekommen fügen wir uns in das Lehrerkollegium ein. Während Thaye die Leitung des Sportunterrichtes übernimmt, soll ich das Büro seiner verstorbenen Tante Anne beziehen und mich mit den Vertrauensschülern unterhalten. Sie machen mich auf Problemschüler aufmerksam, um die ich mich besonders kümmern muss.
Es dauert ein wenig, bis ich mit den amerikanischen Gepflogenheiten klarkomme. Abends bespreche ich mit Thaje verschiedene Situationen, in denen ich mich unsicher gefühlt habe. Er nimmt mich ernst und erklärt mir, wie ich mich in einer ähnlichen Situation zukünftig verhalten kann. Dadurch lebe ich mich immer besser auf Hawaii ein.
Einen Tag soll ich mir von Terminen freihalten, schlägt er mir nach etwa einem Vierteljahr vor. Er möchte mit mir eine Inselrundfahrt machen. An besagtem Tag hat er einen Korb voller Lebensmittel in der Hand und eine Decke über eine Schulter gelegt.
Wir gehen auf den SUV Seiner Heiligkeit zu und Thaye füllt den Laderaum des Fahrzeugs. Anschließend öffnet er mir die Beifahrertür und lässt mich aus dem Rolli aufstehen. Nun trägt er mich an das Fahrzeug und lässt mich auf den Beifahrersitz rutschen. Danach klappt er den Rolli zusammen und verstaut ihn hinter den Vordersitzen.
Bis heute habe ich das Internat noch nicht verlassen können. Entsprechend aufgeregt bin ich jetzt. Thaye fährt mit mir über die Insel und zeigt mir die grandiose Natur. Ich bin der Meinung, dass man dieses Potential unbedingt schützen muss!
Gegen Mittag hält er am Rande eines Weges neben einer Wiese mit leichtem Gefälle. Im Hintergrund rauscht ein Wasserfall. Es ist ein idealer Ort für ein Picknick!
Thaye holt die Decke aus dem Auto und breitet sie in einiger Entfernung vom SUV aus. Danach trägt er den Korb dorthin und setzt ihn mitten auf die Decke. Nun öffnet er die Beifahrertür und hebt mich aus dem Auto, um mich auf die Decke abzusetzen.
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BeitragThema: Re: Yong Tai Foundation   Yong Tai Foundation - Seite 2 Icon_minitime1Fr Jul 24, 2020 8:48 am

Er sichert anschließend das Fahrzeug und setzt sich mir gegenüber auf die Decke. Während er mich bedient, frage ich ihn:
„Thaye, dieser Platz hier… Die abschüssige Wiese mit dem Wasserfall im Hintergrund… Ich weiß, es klingt verrückt, hier zu sitzen kommt mir irgendwie vertraut vor… Weißt du da mehr darüber?“
„Schatz, horche in dich hinein… Lass die Umgebung hier auf die wirken und fühle dem Klang des Namens ‚Yong Tai‘ nach. Assoziiere den Namen einmal nicht mit der Foundation, sondern stelle dir in Gedanken eine Person dieses Namens vor. Was fühlst du?“
Ich versuche es, schließe die Augen, nehmen den Duft und die Geräusche der Umgebung auf und sehe plötzlich eine ältere Frau vor meinem inneren Auge. Sie ist eindeutig eine native Hawaiian. Sie lächelt mir zu. Aber die Erscheinung verblasst wieder, lässt sich nicht festhalten. Als man das Gesicht nicht mehr erkennen kann, kehrt sich die Entwicklung um.
Jetzt wird eine andere Frau immer deutlicher vor meinem inneren Auge. Es ist eine Asiatin wie ich, nur wenig älter und hochschwanger. Auch diese Frau lächelt mir zu. Sie nickt, als ich ‚Yong Tai‘ gedanklich artikuliere, und verbeugt sich leicht. Sie zeigt auf sich und dann von sich weg. Ich habe den Eindruck, als zeigt sie auf mich. Dabei hält sie zwei Finger der anderen Hand hoch, schaut darauf, schüttelt den Kopf und bedeckt die beiden Finger mit der anderen Hand. Anschließend zieht sie die Hand weg und zeigt nur noch den hochgereckten Daumen der anderen Hand. Dann macht sie eine Geste, als will sie mich einladen, in ihre Arme zu kommen, mich von ihr umarmen zu lassen.
In diesem Moment schlage ich die Augen wieder auf und schaue Thaye verstört an. Ich erzähle ihm, was ich gesehen habe und er lächelt mich verliebt an.
„Ich könnte jetzt aufspringen, den Hang ein kurzes Stück hinunterlaufen und mich dann fallen, als wäre ich über etwas gestolpert. Ich würde nicht mehr aufstehen… Was ginge da in dir vor? Was würdest du tun?“
„Wahrscheinlich würde ich nach dir rufen und in Sorge um dich zu dir hinrobben, da ich mich nicht traue hier zu gehen. Unterwegs würde ich immer wieder nach dir rufen. Mein Herz würde aussetzen. Ich hätte Angst um dich!“
„Halt!“ sagt er da. „Lass die Phantasie nicht zu sehr mit dir durchgehen!“
„Thaye!“ antworte ich ihm empört. „Das ist keine Phantasie! Du hast mich gefragt und ich habe dir ehrlich geantwortet!“
„Ich weiß es ja,“ meint er versöhnlich und zieht an meiner Schulter, dass ich auf seinen Oberschenkeln zu Liegen komme.
„Schau mal,“ sagt er nun, während er mir zärtlich eine Haarsträhne aus der Stirn schiebt. „Du hast sicher schon einmal den Spruch gehört ‚Die Liebe ist die stärkste Macht im Universum. Sie verbindet über den Tod hinaus.‘“
„Ich liebe dich auch, Thaye!“ flüstere ich.
Thaye hebt mich etwas an und beugt sich gleichzeitig zu mir herunter. Ich umfasse seinen Nacken mit meinen Armen und wir küssen uns innig. Die Welt um uns versinkt in Bedeutungslosigkeit. Nur wir Zwei sind jetzt wichtig.
Danach lässt er mich wieder auf seine Oberschenkel zurücksinken und redet weiter:
„Vor vielen Jahren hat mein ehrenwerter Großvater, Lama Kyobpa, seiner Frau Yong Tai versprochen, dass er sie ewig lieben würde. Durch einen feigen Anschlag verstarb seine große Liebe viel zu früh. Sie war da hochschwanger, sollte in wenigen Tagen ihr Baby zur Welt bringen. Lama Kyobpa suchte nach ihrer Wiedergeburt und fand Zwillinge in einem Kinderheim, die die Prüfungen bestanden. Mit ihnen baute er das Internat auf.
Ein Zwilling heiratete und bekam neun Monate nach seinem Tod einen Sohn. Der andere Zwilling, seine Tante, ließ den Jungen prüfen, ob er vielleicht die Wiedergeburt ihres geliebten Daddys, des Lama Kyobpa sei. Die Prüfung fiel positiv aus. Wenige Jahre darauf starb auch sie. Dann traf der Junge, in dem Lama Kyobpa weiterleben soll, ein Mädchen, das neun Monate nach dem Heimgang seiner Tante geboren worden war.
Die, inzwischen junge Frau, wurde diskret getestet. Der Junge war sich einigermaßen sicher und heiratete die junge Frau. Nicht nur in Europa, auch und gerade hier auf Hawaii gibt es spirituelle Orte, die an die große Liebe des Lamas erinnern. Nur die junge Frau kann dort ihre früheren Wesenheiten treffen…“
Atemlos habe ich Thayes Erzählung gelauscht. Das Gehörte muss ich erst einmal verarbeiten. Thaye lässt mir die Zeit und streicht mir derweil zärtlich durchs Haar. Dann flüstere ich:
„Ich habe eben meditiert, ist das richtig?“
Thaye nickt.
„Es war eine Vorstufe der Meditation…“
„Und ich habe zwei Frauen gesehen: Kurz eine ältere Hawaiianerin, die dann verblasste und anschließend eine Asiatin, nur wenig älter als ich und schwanger.“
„Du hast dich in die Vergangenheit dieses Ortes zurückversetzt, Schatz. Dabei hast du zuerst meine Tante gesehen und schließlich Yong Tai. Tante Anne ist verblasst, weil sie Träger der Seele von Yong Tai war.“
„Ah, deshalb hat die Asiatin zuerst zwei Finger gehoben, dann die Hand abgedeckt und schließlich nur noch einen erhobenen Finger gezeigt hat.“
Thaye nickt und meint:
„Das könnte die Zeichensprache bedeuten!“
„Und was bedeutet das jetzt für uns?“ frage ich ihn.
Ich blicke ihn erwartungsvoll an.
„Wir führen die Liebe meines Großvaters in mir und seiner großen Liebe in dir weiter,“ ist er sich sicher. „Unsere Liebe währt ewig!“
Wieder beugt er sich zu mir herunter. Ich rutsche von seinen Oberschenkeln und er legt sich neben mich auf die Seite, stützt sich mit dem Ellbogen ab und beobachtet mich verliebt.
Ich schaue in den Himmel und beobachte die Wolken.
„Was ist, wenn wir einmal nicht einer Meinung sind? Kommt es dann zum Streit? Wirst du mich dann verlassen?“
Thaye lächelt und sagt:
„Wir sind asiatisch erzogen und haben lange im europäischen Kulturraum gelebt. Deine letzten Fragen entspringen der Sorge, die eine europäische Frau umtreibt! Aber auch für europäische Frauen, wie deine früheren Mitstudentinnen gilt: Streit kann aus einer Lapalie entstehen. Erst einmal sollte man sich beruhigen, dann beim Gegenüber entschuldigen und schließlich darüber sprechen, was der Auslöser war und wie man sich in Zukunft verhält.
Frauen im asiatischen Kulturraum lassen sich meist von ihren Ehemännern führen, bedienen ihn und achten darauf, dass es der Familie gut geht. Außerhalb der Familie, gegenüber Fremden wechseln sie vom Charakter eines Lammes zum Charakter einer Löwin, wenn es gilt sich durchzusetzen zum Wohle der Familie.
Und natürlich gibt es noch unzählige Facetten zwischen diesen Polen. Wo unsere Reise hingeht, wird sich zeigen, geliebte Minh! Wir werden mit der Zeit unseren Platz in der Beziehung finden, denn wir lieben uns.“
Stumm umfasse ich seinen Nacken, ziehe mich hoch und gebe ihm einen Kuss, den er erwidert und mit Zungenspiel garniert. Ich bin ein glücklicher Mensch! Thaye wird es ebenso ergehen.
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