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BeitragThema: Eine neue Erfahrung   Eine neue Erfahrung Icon_minitime1Fr Sep 22, 2023 9:54 am

Ich schreibe an dem Artikel für das Wissenschaftsmagazin für das ich als Freiberuflerin tätig bin. Mia, meine inzwischen 32 Monate junge Tochter spielt derweil im Kinderzimmer. Mein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es für Mia Zeit ist ins Bett zu gehen.

„Mia, Zeit fürs Bett! Räume schonmal deine Spielsachen in die Kiste!“ rufe ich von meinem Schreibtisch im Wohn-Schlafzimmer unserer kleinen Wohnung hinüber ins Kinderzimmer.

Eine größere Wohnung kann ich mir als alleinerziehende Mutter nicht leisten, seit Lars uns sitzengelassen hat. Letzte Weihnachten hat er noch nicht einmal ein Geschenk für Mia übriggehabt. Er hat sich nicht einmal blicken lassen, der Arsch!

Ich schließe meine Arbeit ab und speichere sie. Danach fahre ich den Laptop herunter und klappe ihn zu. Jetzt gehe ich hinüber ins Kinderzimmer, um zu schauen, wie weit Mia mit dem Aufräumen ist. An der Tür zum Kinderzimmer sehe ich sie vergnügt auf dem Boden sitzen und mit ihren Barbie-Puppen spielen. Anderes Spielzeug liegt verstreut auf der Auslegeware herum.

„Habe ich dir nicht gesagt, du sollst aufräumen, Mia? Wenn du nicht bald schläfst, bist du morgenfrüh wieder unausgeschlafen und unleidlich, wenn wir zur Kita müssen!“

Es ist beinahe jeden Abend das Gleiche. Wenn ich Mia etwas sage, schaltet sie auf taub! Ich bücke mich also zu den Spielsachen, die im Kinderzimmer verstreut herumliegen und beginne, sie einzusammeln.

„Komm, Mia!“ fordere ich meine Kleine auf. „Hilf der Mama.“

„Nein!“ brüllt sie los und wirft sich auf den Boden. „Ich will nicht!“

Mit ihren kleinen Fäusten trommelt sie auf den Boden und wiederholt:

„Nein! Nein! Nein!“

Ich leere meine Hände in die Spielzeugkiste, gehe zu Mia und greife sie am Oberarm, um sie hochzuziehen und zu ermahnen. Nun bekommt sie wieder ihren Tobsuchtsanfall. Sie schreit:

„Ich will nicht! Ich will nicht!“

Dabei schlägt sie mit ihren kleinen Fäusten nach mir und strampelt.

Nun hebe ich sie an, um sie auf ihr Bett zu legen und auszuziehen. Dabei tritt sie mit all ihrer kindlichen Kraft nach mir. Ich stöhne auf. Es ist fast jeden Abend dasselbe Drama. Ich weiß mir nicht anders zu helfen, als sie beim Entkleiden festzuhalten.

Endlich habe ich sie im Bett. Ich setze mich neben sie und lese ihr eine Gute-Nacht-Geschichte vor. Das Deckenlicht lasse ich von einem smarten Dimmer allmählich dunkler werden. Als sie die Augen schließt, bin ich total erschöpft.
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BeitragThema: Re: Eine neue Erfahrung   Eine neue Erfahrung Icon_minitime1Sa Sep 23, 2023 9:15 am

Ich gehe ins Wohn-Schlafzimmer zurück und ziehe die Couch auseinander. Das Bettzeug ist schnell darauf ausgebreitet. Auf dem Weg vom Bad zurück zur Schlafcouch werfe ich noch einmal einen Blick ins Kinderzimmer. Wenn Mia doch nur immer so friedlich wäre wie jetzt!

Ich liege noch lange wach, bis sich mein Adrenalin-Spiegel normalisiert hat. Am nächsten Morgen, als mein Wecker klingelt, gehe ich am Kinderzimmer vorbei ins Bad. Ich werfe einen Blick durch die Tür. Meine Kleine schläft noch selig.

Nach dem Ankleiden beginne ich das Frühstück in der Küche vorzubereiten. Auch Mias Pausenbrot für die Kita ist bald fertig. Nun ziehe ich die Rollladen im Kinderzimmer hoch und lasse Mia allmählich wach werden. Schließlich gehe ich noch einmal ins Kinderzimmer und sage im fröhlichen Ton:

„Mia! Aufstehen! Die Kita wartet.“

Sie erhebt sich und ich helfe ihr beim Anziehen. Danach frühstücken wir in der Küche. Noch ist Mia friedlich. Aber das ist nur die Ruhe vor dem Sturm! Das Anziehen ihrer Jacke wird schon wieder zu einem Kampf. Beim Schuhe anziehen geht es weiter. Sie weint und tritt nach mir. Mehrfach fliegen ihre Schuhe gegen die Wand der Garderobe. Als ich sie festhalten will, verlegt sie sich aufs Beißen.

Ich bin schon wieder unter Adrenalin und vollkommen nervös. Endlich habe ich Mia ausgehfertig und verfrachte sie auf den Kindersitz meines Kleinwagens. Als ich in Richtung Kita losfahre, mache ich nur kurz „Uff!“

Ist das bei anderen Müttern auch ein ständiger Kampf? Wann ist die Trotzphase endlich vorbei? Warum hört Mia nicht auf mich?

*

Ich bin regelrecht erleichtert, als ich für eine Recherche nach Johannesburg fliegen muss. Mia bleibt in den angedachten zwei Wochen bei meinen Eltern. Mein Auto kann für ein paar Euro extra die zwei Wochen im Flughafenparkhaus bleiben.

In Johannesburg mache ich mich sogleich auf die Suche nach Möglichkeiten, mit Mitgliedern der Volksgruppe der Khoisan Verbindung zu bekommen. Man rät mir zu einem kurzen Flug nach Windhoek in Namibia. Um nicht wieder ganz dumm dazustehen, recherchiere ich und schreibe die EHRA an. Diese Organisation unterhält Field-Guides -Ranger- in Namibia. Man verspricht mir, sich um mich zu kümmern, wenn ich am Hosea Kutako International Airport bei Windhoek ankomme.

Mit Enthusiasmus gehe ich meine Recherche an. Vielleicht kann ich bald meinen Artikel an den zuständigen Redakteur des Wissenschaftsmagazins übergeben. Wenn er gedruckt wird, erhalte ich mein Geld.

In der Ankunftshalle des Flughafens erhalte ich meinen Koffer und schaue mich nach dem Guide von der EHRA um. Bald sehe ich einen Mann, der ein selbstgeschriebenes Schild aus Wellpappe hochhält. Er sieht irgendwie aus wie eine Kopie von Indiana Jones. Auf ihn gehe ich zu und begrüße den Mann:

„Hello, how are you? I’m Mrs. Kuhrt.“

„Oh, I’m fine,“ meint er lächelnd. „Okay, please follow me.“

Er führt mich zu einem Geländewagen auf dem Parkplatz vor der Ankunftshalle und schon geht es los.

Am Abend erreichen wir eine Ranger-Station. Der ‚Indiana Jones‘-Typ bittet mich in die Wellblechhütte. Zwei weitere Männer befinden sich im Innern. Einer steht an einem Herd, den ich noch aus der Küche meiner Großmutter kenne. Er wird wohl auch mit brennbarem Material betrieben. Der andere Mann sitzt vor einem Funkgerät.
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BeitragThema: Re: Eine neue Erfahrung   Eine neue Erfahrung Icon_minitime1So Sep 24, 2023 10:32 am

Mein Guide zeigt mir mein Bett für die Nacht in einem verschließbaren Verschlag. Dort steht auch ein Gestell mit einer großen Schüssel und darunter einem Wasserkrug.

„Heute Nacht dürfen Sie noch in einem richtigen Bett schlafen,“ meint er grinsend. „Morgen geht es in die Steppe. Bis wir auf einen Clan der Khoisan treffen, übernachten wir dann auf den heruntergeklappten Sitzen im Geländewagen.“

Ich ziehe die Stirn kraus und nicke.
„Okay!“

Danach gehen wir in den Aufenthaltsraum zurück. Der Koch hat seine Kreation inzwischen gar. Wir setzen uns an den Tisch. Mein Guide holt Geschirr und Besteck heran, während der Koch sein Eintopf-Gericht auf den Tisch setzt. Das einfache Gericht ist tatsächlich schmackhaft.

Beim Essen erklärt mir mein Guide, dass er noch recherchieren muss, damit wir nicht kopflos durch die Gegend fahren. Nach dem Essen darf ich mich in den Verschlag zurückziehen, der von einer Taschenlampe erhellt wird. Durch die dünne Wand höre ich Geschirr klappern und mein Guide scheint das Funkgerät für seine Recherche zu benutzen.

Am folgenden Morgen geht es nach einem starken Kaffee los. Meinen Koffer mit meiner Kleidung und meinem Laptop lasse ich in der Station zurück und übergebe es den Leuten zu treuen Händen. Sie schließen meine Sachen in einen schmalen metallenen Schrank ein, hängen ein Vorhängeschloss daran und legen den Schlüssel in meinem Beisein in eine Schublade unter dem Funkgerät.

Der Mann der EHRA erklärt mir:
„Ich habe gestern Abend noch Kollegen befragt, die draußen in der Steppe unterwegs sind. Einer hatte Kontakt zu einem Clan der San, die mit ihren Tieren zu einem neuen Weideplatz unterwegs sind. Er hat mir die Koordinaten des Kontakts durchgegeben und die ungefähre Richtung des Trecks.“

Draußen im Fahrzeug tippt er die Koordinaten von einem Notizzettel in sein Navi ein. Dann fahren wir über Sandpisten in die Steppe. Unterwegs lenke ich mich etwas ab, indem ich mir vergegenwärtige, was die Khoisan eigentlich sind. Ich habe recherchiert und mir angelesen, dass dieses Wort eine Zusammenziehung ist, die die damaligen niederländischen Kolonialherren vor etwa 300 Jahren vorgenommen haben.

Es stimmt zwar, es handelt sich um eine ethnische Gruppe. Aber die San haben schon vor der Ankunft der Europäer die Viehzucht begonnen und ziehen mit ihren Herden immer auf der Suche nach den besten Weidegründen in der Steppe umher. Die Khoi, oder eigentlich ‚Khoi Khoi‘, sind dagegen Jäger und Sammler geblieben. Khoi heißt in ihrer Sprache ‚Mensch‘. Khoi Khoi würde man sinngemäß als die ‚wahren Menschen‘ übersetzen, eine Steigerungsform von ‚Mensch‘.

Da diese Indigenen nomadisieren, weiß man nie sicher, wo sie sich gerade aufhalten. Mein Guide verfolgt mit seinem Navi Informationen zu einem Clan der San, die gerade mit ihren Antilopen durch die Steppe ziehen, um neues Weideland für ihr Vieh zu erreichen. Die Sandpisten lassen die Fahrt wegen der Schlaglöcher zum Höllentrip werden.

So etwas bin ich von Europa nicht gewohnt. Zum Glück besitzt der Geländewagen Hosenträgergurte, so dass ich einigermaßen gut im Sitz festgeschnallt bin und nicht zu sehr mit dem Oberkörper herumfliege. Die Fahrt dauert nicht eben ein bis zwei Stunden, so dass wir erst in der Abenddämmerung mitten in der Wildnis anhalten.

Mein Guide zündet in einigen Metern Entfernung vom Fahrzeug ein Feuer an und entnimmt einer Vorratsbox zwei Abendessen, die er an einem Dreibein über dem Feuer erhitzt. Anschließend legt er die Sitze flach und öffnet zwei zusammengerollte Schlafsäcke. Er kriecht in einen hinein und ich nehme den zweiten in Beschlag. Den Reißverschluss bis unters Kinn hochziehend, habe ich ob der ungewohnten Verhältnisse eine unruhige Nacht.
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BeitragThema: Re: Eine neue Erfahrung   Eine neue Erfahrung Icon_minitime1Mo Sep 25, 2023 10:00 am

Am nächsten Morgen nehmen wir Wasser für unsere Morgenhygiene aus einem Kanister. Anschließend kocht der Guide Kaffee auf dem neu entzündeten Lagerfeuer. Nach einigen Scheiben Weißbrot mit Erdnussbutter geht die Fahrt weiter. Um uns herum ist nicht viel zu sehen. Vereinzelte hohe Bäume ragen aus dem Bodennebel.

Am Vormittag hat die höhersteigende Sonne den Nebel aufgelöst. Je höher die Sonne steigt, desto heißer wird die Luft draußen. Mein Guide schaltet die Klimaanlage ein. Hier und da sehe ich Wildtiere im Schatten unter den Bäumen liegen. Die Luft außerhalb unseres Fahrzeuges beginnt zu flimmern. Ich kneife hin und wieder die Augen zu, aber das Flirren bleibt.

Plötzlich hält mein Guide den Wagen an und erklärt:
„Hier ist der Punkt, an dem mein Kollege den Clan vor ein paar Tagen gesichtet hat, Mrs. Kuhrt. Er meinte, sie hätten diese Richtung genommen.“

Er hat einen Kompass aus dem Handschuhfach genommen, hält ihn vor sich und weist mit der Hand nach links, schräg voraus.

Ich nicke und antworte mit ‚Aha!“, denn mein Guide kann mit der Information sicher mehr anfangen als ich.

Er drückt sachte auf das Gaspedal und verlässt die Sandpiste nach halb links. Habe ich die Fahrt über die Sandpiste schon mit einem ‚Höllentrip‘ verglichen, so ist das, was jetzt folgt die ultimative Steigerung dessen. Das Fahrzeug kippt mal leicht nach rechts, mal nach links. Mal scheint es vorne hochzusteigen, mal einen steilen Abhang hinunter zu fahren. Mein Guide hat den Vierrad-Antrieb zugeschaltet und ich bin wieder einmal froh, in einem Hosenträger-Gurt zu stecken.

Zum Abend hin wird es kühler draußen und mein Guide hält das Fahrzeug für eine zweite Übernachtung in freier Wildbahn an. Am darauffolgenden Morgen wiederholt sich alles. Wieder liegt Bodennebel über der Landschaft. Noch einmal flimmert die Luft in der Hitze draußen, nachdem die Sonne den Nebel aufgelöst hat und erbarmungslos vom Himmel brennt. Ob ich mir jemals vorstellen könnte, in so einer Umgebung zu leben? Die Menschen hier haben sich daran gewöhnt. Sie kennen nichts anderes.

Plötzlich meine ich seitlich von uns Luftspiegelungen in der flirrenden Mittagshitze zu erkennen. Ist es eine Fata Morgana oder was sonst?

„Mr. Miller, schauen Sie bitte einmal nach links hinüber. Es sieht aus, als ob sich dort eine lange Reihe großer Tiere befindet.“

In Namibia gibt es Linksverkehr, das heißt, der Fahrer sitzt auf der rechten Seite im Fahrzeug – anders als in Deutschland üblich. Er schaut auf meiner Seite aus dem Fenster, sieht auch die lange Reihe der großen Tiere und nickt.

„Ja, das sind Gnus -Kuhantilopen-. Wir haben den Clan erreicht.“

Nun stoppt mein Guide den Wagen, betätigt den Fensterheber und schaltet gleichzeitig die Klimaanlage aus. Die heiße Luft von draußen trifft mich wie ein Hammerschlag. Wir hören Menschen.

Eine lange Reihe Gnus kommt aus einer Senke empor. Afrikaner gehen nebenher und treiben sie mit Anfeuerungsrufen und Stockschlägen vorwärts. Viele der Tiere tragen Lasten. Bald hat man uns bemerkt. Ein Mann trennt sich vom Treck und nähert sich uns. Mein Guide spricht ihn an:

„Hello, everthing okay with you?“
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BeitragThema: Re: Eine neue Erfahrung   Eine neue Erfahrung Icon_minitime1Di Sep 26, 2023 9:36 am

Der Mann mit runzliger gelbbrauner Haut entblößt eine unvollständige Zahnreihe und lächelt uns entgegen.

„Yeah, we are fine!“

Mein Guide weist auf mich und erklärt dem Mann nun:
„This lady wants to join you and ask a lot of questions over the next few days. -Diese Dame möchte sich euch anschließen und in den nächsten Tagen eine Menge Fragen stellen-!“

Nun begrüße auch ich den Mann mit dem runzeligen Gesicht und frage:
„Hello, Sir. Would you mind if I kept you company for a few days?“

Eine zweite Person kommt hinzu und bald sitzen sieben oder acht Erwachsene beiderlei Geschlechts neben dem Wagen und palavern in ihrer Sprache, unterbrochen von vielen ‚Hicks‘, während die Karawane weiterzieht. Kinder treiben die Tiere weiter voran.

Schließlich scheint man in der Runde neben dem Wagen zu einem Ergebnis gekommen zu sein. Man ist bereit mich ein paar Tage mitzunehmen, wenn ich mich in das Leben des Clans integriere und mich zu den Frauen geselle. Ihnen könnte ich alle Fragen stellen, die in meinem Kopf entstehen. Wir einigen uns und der Guide denkt, dass er den Clan in einer Woche leicht wiederfindet, da er jetzt zwei Koordinatenpunkte in seinem Navi hat.

Danach verabschiedet er sich und verlässt uns. Nur meinen Kulturbeutel und meinen Ausweis habe ich in einem Leinenbeutel bei mir, den ich am langen Gurt über die Schulter hängen lasse. Zum Notieren der Informationen stecke ich mir Block und Stifte ein.

Ich mache mich mit den Leuten bekannt. Die Erwachsenen sprechen neben ihrer Muttersprache auch Englisch. Die Jugendlichen der San lernen von den Erwachsenen die englische Sprache, hauptsächlich um mit den Rangern sprechen zu können, oder wie in meinem Fall, wenn sich ein White einmal zu ihnen verirrt.

Die Reaktion eines kleinen Mädchens hat mich sehr überrascht. Um Vertrauen aufzubauen nehme ich aus einem zweiten Leinenbeutel einen Donut und halte ihn ihr hin.

„This is yours!“ sage ich und lächele sie dabei freundlich an.

Der Donut entstammt meinem Vorrat, den ich mir für den Fall gekauft habe, dass ich die indigenen Speisen irgendwann nicht mehr essen mag, oder eine ‚Pause‘ brauche, einmal wieder etwas bekanntes essen möchte.  

Das Mädchen nimmt mir den Donut ganz vorsichtig aus der Hand, während sie mich skeptisch anschaut. Dann schaut sie darauf und bricht ein kleines Stück ab, dass sie ihrem jüngeren Bruder reicht, der mit großen Augen stumm neben ihr steht. Nun hätte man annehmen können, dass sie das größere Stück für sich behalten würde. Aber nein! Sie wartet, bis der Kleine sein Stück Donut aufgegessen hat. Dann gibt sie ihm mehr davon ab. Erst als ihr Bruder satt scheint, steckt sie sich den kläglichen Rest selbst in den Mund. Man stelle sich einmal die gleiche Szene bei uns in Deutschland vor!

Ich werde gern als Teil dieses Clans akzeptiert, auch wenn die Frauen mich oft vor Gefahren warnen und dabei grinsend feststellen, ich benehme mich wie eins ihrer Babys.

Jeden Morgen vor Sonnenaufgang stehen wir auf. Nach meiner Morgenhygiene helfe ich das Lager abzubrechen, die Matten und Gerätschaften auf einigen Gnus festzubinden. Dabei achte ich auf die Hufe der Gnus.
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BeitragThema: Re: Eine neue Erfahrung   Eine neue Erfahrung Icon_minitime1Mi Sep 27, 2023 10:09 am

Dann wandern wir los. Sobald die Kinder ihre Köpfe aufrecht halten können, setzen die Frauen ihre Kleinen in Tücher, die sie sich umbinden. Vorher haben sie die Babys liegend in dem Tuch mit sich herumgetragen.

Mütter orientieren sich dabei nach den Bedürfnissen ihrer Babys. Sobald es die Brust sucht, wird es angehoben und angesetzt. Neben diesem Grundbedürfnis nach Nahrung, achten die Mütter auf das Grundbedürfnis nach Nähe. Die Babys werden zum Schlafen niemals allein gelassen, sondern die Mutter bleibt stets dabei.

Wieder muss ich Vergleiche zu unserer Kultur ziehen. Dort heißt es, das Baby bekommt nach der Uhr alle zwei Stunden die Flasche. Oder, wenn das Baby schlafen soll, wird es hingelegt. Nach einem Einschlafritual lässt man das Baby allein. Sollte es kurz darauf wieder wachwerden und zu Schreien beginnen, soll man es Schreien lassen.

Hier lerne ich, dass ein schreiendes Baby sofort umsorgt wird. Es mag sein, dass es von Blähungen gequält wird. Oft fehlt dem Baby die Sicherheit gebende Nähe zur Mama. Lässt man das Baby in dieser Situation schreien, kann es irgendwann vor Erschöpfung einschlafen, aber sein Gefühl der Sicherheit ist weg und damit das Vertrauen. Ein anderer Grund, dass das Baby aufhört zu schreien, ist, dass es in einen Schutzmechanismus verfallen ist, die Starre. Das ist ein Urinstinkt, der es vor wilden Tieren schützen soll.

Hier lerne ich, dass die Mutter die Grundbedürfnisse ihres Babys vor alle Andere stellen muss, um nicht das Urvertrauen ihres Babys zu zerstören – zumindest im ersten Lebensjahr.

Kinder, etwa ab dem Alter, in dem Mia jetzt ist, setzen sich während der Wanderung durch die Steppe auf dicke Aststücke, die die Frauen in ihrem Rücken mit den Händen festhalten.

Wie die Leute die Richtung bestimmen können im ewigen Morgennebel, ist mir ein Rätsel. Der Clan wandert mit den Tieren bis die Sonne am höchsten steht. Anschließend wird das Lager aufgeschlagen. Dazu werden Zweige gesammelt, mit denen man Gerüste fertigt. Darüber werden die Matten aus Stroh gelegt, und schon ist eine Hütte fertiggestellt.

Die Gnus erhalten zu trinken und zu fressen. Danach wird Feuerholz gesammelt und Kochfeuer angezündet. Nach dem Essen beschäftigen sich die Frauen mit Handarbeiten und die Kinder schauen zu. Sie dürfen auch kleinere Teile selbst herstellen. Das lernen sie von ihren Müttern nach dem Prinzip ‚Versuch und Irrtum‘. Die Mütter machen es sich zunutze, dass ihre Kinder eine Art angeborenes Helfersyndrom haben. Schon das Kleinkind ist ganz erpicht darauf zu helfen. Wahrscheinlich, weil es in der Nähe seiner Eltern sein möchte.

Die älteren Jungs orientieren sich meist an ihren Vätern. Sie wollen die Jagd mit Pfeil und Bogen, oder den Gebrauch der Speere kennenlernen. Die Männer fertigen Zielscheiben und lassen ihre Söhne daran üben. Dann gehen sie mit ihnen auf die Jagd nach Kleintieren. Da diese sich bewegen, dauert es noch einmal länger bis die Jungs Treffer landen.

Ich habe miterlebt, wie ein kleiner Bub herbeigelaufen kommt, um seiner Mutter beim Zubereiten der Speisen zu helfen. Dabei ist aber alles im Sand gelandet. Die Mutter ist nicht zornig geworden! Zuerst habe ich geglaubt, ihre sanfte Reaktion hat damit zu tun, dass ich anwesend bin. Also habe ich sie gefragt.

Die Mutter erklärt mir, dass sie sich freut, dass sich ihr kleiner Sohn überhaupt für Mamas Tätigkeit interessiert. Dafür nimmt sie die Mehrarbeit, die der Kleine verursacht, gerne in Kauf. Sie sieht diese Mehrarbeit als eine Art Einsatz für die Zukunft an. Sie bekräftigt:

„Oh no! Our Children don’t necessarily have to help!“

Auch andere Mütter erklären mir übereinstimmend das Gleiche. Sie sagen, dass sie die Arbeit auch ohne sie schaffen. Das Helfen schafft allerdings ein Gefühl der Zugehörigkeit. Es geht auch nicht darum, dass das Kind ständig hilft, sondern es reicht der kleine Beitrag.
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BeitragThema: Re: Eine neue Erfahrung   Eine neue Erfahrung Icon_minitime1Do Sep 28, 2023 10:12 am

Die Mütter erklären mir, dass die Kinder anfangs zwar noch nicht sehr hilfreich sind, aber sie helfen zu lassen, sei die einzige Möglichkeit ihnen zu zeigen wie man es macht. Das Leben bei den Khoisan hat mich gelehrt, dass das Akzeptieren des Beitrages, den das Kind von sich aus leistet, schon Motivation genug ist. Für die Hilfe des Khoisan-Kindes erhält es kein Lob oder etwa eine Belohnung! Die Eltern erkennen die Hilfe durch ein Lächeln an oder sie stimmen durch Nicken zu.

So hat ein Mädchen seiner Mutter beim Zubereiten der Fladenbrote helfen wollen. Sie werden über dem offenen Feuer ausgebacken. Das Ergebnis hat wirklich schrecklich ausgesehen. Das Mädchen schaut daraufhin die Mutter skeptisch an. Diese hat gelächelt und die Fladenbrote trotzdem angenommen. Sie hat weder genörgelt, noch ist sie ihrer Tochter dazwischengefahren. Stattdessen hat sie sie so belassen, wie sie geworden sind. Das Mädchen hat glücklich gelächelt, weil es einen Beitrag für die Familie leisten konnte.

Wenn das Kleinkind nur Unordnung fabriziert, erhält es Anleitung und beide Seiten sind froh, wenn es danach besser klappt. Khoisan-Kinder brauchen kein Lob zum Motivieren. Sie sind von sich aus durch ihr Interesse an der Tätigkeit der Erwachsenen schon motiviert genug. Ganz selbstverständlich nehmen sie das Geschirr in die Hand und reinigen es, genauso wie sie bereitwillig mit ihren Geschwistern teilen oder sich bei einem Tobsuchtsanfall schnell wieder beruhigen.

Ja, auch die Kinder der Khoisan haben Wutanfälle, aber sie verschwinden ziemlich früh wieder. Khoisan-Eltern bleiben komplett ruhig. Nein, ignorieren ist nicht ihre Antwort! Sie regeln ihre eigene Energie herunter, schimpfen nicht, schreien ihr Kind nicht an. Stattdessen sind sie für ihr Kind da. Sie nehmen es in den Arm oder legen ihm eine Hand sanft auf den Rücken und sprechen leise auf ihr Kind ein. Ihre Ruhe überträgt sich sofort auf das Kind und so lernt es mit der Zeit, seine Gefühle selbst in den Griff zu bekommen.

Wieder muss ich die Frauen unbedingt dazu befragen. Sie erklären mir:
„Children are like that!“

Die Khoisan vertrauen darauf, dass sich das mit den Monaten und Jahren ganz von alleine legt. Die Khoisan ändern ihr Leben auch nicht komplett, wenn sie Kinder bekommen, sondern sie beziehen sie in ihr Leben mit ein. So ist die Mutter, die ihr schreiendes und um sich schlagendes Kind beruhigt, auch nicht im Mittelpunkt des Interesses Umstehender. Jeder Erwachsene nimmt es als normales kindliches Verhalten hin und kümmert sich nicht weiter darum.

In der Abenddämmerung, bevor sich die Khoisan schlafen legen, vergnügen sich Männer und Frauen mit Geschichten und Liedern. Was man mir übersetzt, handelt zumeist von der Jagd der Männer. Manchmal habe ich den Eindruck, dass sehr oft geflunkert wird. Aber den Frauen gefällt es. Sie klatschen Beifall. Umgekehrt berichten die Frauen über die Viehzucht, Geburtshilfe bei Kälbchen und das Sammeln von nahrhaften Wurzelknollen.

Bei den Kleinen und ihren Eltern scheint im Tageslauf alles Hand in Hand zu gehen. Wenn die Kleinen einmal laut werden, lassen sie es mit großer Gelassenheit geschehen. Keines der Kinder im Trotzalter erhebt seine Hand gegen die Eltern. Für mich ist das immer wieder eine besondere Erfahrung, so oft ich es während der Woche bei den Leuten miterlebe.

Obwohl sie ihren Eltern oft aus eigenem Antrieb zur Hand gehen, können die Kinder durchaus mit allem spielen, was die Natur ihnen bietet. Wenn ich so darüber nachdenke, kommt es mir vor, als wollten die Eltern in unserer westlichen Kultur ihren Kindern ihre Liebe durch den Kauf von immer neuen Spielsachen zeigen. Damit vermitteln wir unseren Kindern aber nur eine durch und durch materielle Weltsicht. Wir zeigen ihnen, dass Dinge scheinbar mehr wert sind als Beziehungen.

Ganz anders hier! Die Kinder haben kein eigenes Spielzeug. Sie nehmen etwas aus der Natur und spielen damit, bis sie die Lust daran verlieren. Dennoch reagieren die Kleinen im Spiel nicht anders, als bei uns in der vielgelobten Zivilisation. Die Khoisan-Eltern gehen anders mit ihnen um. Ich nehme mir vor, wenn ich meinen Artikel abgeliefert habe und das Honorar eingetroffen ist, nehme ich Mia und komme mit ihr hierher zurück.
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BeitragThema: Re: Eine neue Erfahrung   Eine neue Erfahrung Icon_minitime1Fr Sep 29, 2023 10:45 am

Natürlich sind die Kinder der Khoisan allesamt keine kleinen Engel, sondern ganz normale Kinder, wie überall auf der Welt. Auch unter ihnen kommt es immer wieder einmal zum Streit. Khoisan-Eltern schimpfen dann nicht, aber sie nehmen ihr Kind auf die Seite und machen ihm die Konsequenzen seines Handelns bewusst. Sie drehen dabei die Perspektive um und erklären dem Kind, wie es sich anfühlen würde, wenn andere gegenüber ihm so handeln würden. Ich habe überrascht festgestellt, dass diese Erziehung überwiegend funktioniert.

Die Tage vergehen wie im Flug. Ich habe den Block fast vollgeschrieben. Dann kommt die Zeit, mich von den Leuten zu verabschieden. Gern hätte ich ihnen gesagt, dass ich in ein paar Monaten für längere Zeit wiederkomme und ihnen meine kleine Tochter vorstellen würde. Aber ob ich den nomadisch lebenden Clan wiedertreffe, wenn ich mit Mia hierher zurückkomme, ist doch mehr als fraglich.

Der Guide, der mich zu den Leuten gebracht hat, findet uns tatsächlich, bringt mich zur Ranger-Station zurück und von dort weiter nach Windhoek. Unterwegs frage ich den Guide, wie wahrscheinlich es ist, den gleichen Clan in etwa sechs Monaten wieder zu treffen, wenn ich wieder zurückkommen will. Er zieht die Stirn kraus und bestätigt meinen Verdacht, dass es dann nicht unbedingt dieselben Leute sein werden. Es sei in etwa wie ein Lotteriespiel, da man nicht genau weiß, wo die Nomaden sich immer aufhalten.

Die Aussage akzeptiere ich und fliege mit dem gebuchten Rückflug von Windhoek über Johannesburg nach Deutschland zurück. Hier hat mich bald der ‚normale Alltag‘ wieder. Ich versuche, Mia weniger zu zwingen etwas zu tun, was ich in dem Moment für richtig halte und bei ihren altersbedingten Tobsuchtsanfällen gelassener zu bleiben. So ganz halten meine guten Vorsätze im Alltag aber nicht stand.

*

Im Gegensatz zu den Khoisan, die im Clanverband zusammenleben und Großeltern, Onkel und Tanten stets greifbar sind, hat es während der letzten hundert Jahre in der westlichen Zivilisation den Trend zur Kleinfamilie gegeben. Verwandte sind oft Hunderte Kilometer voneinander getrennt. Durch diese Entwicklung zur Kleinfamilie haben die Eltern auch ihre Lehrer verloren. Wir haben niemanden mehr, von dem wir uns abschauen können, wie man ein Kleinkind mit Wutanfall beruhigt, oder größere Kinder davon abhält kleinere Geschwister zu schlagen.

Die Eltern in Europa können heute nicht mehr ihren Geschwistern, Cousins und Cousinen über die Schultern schauen. Es ist nicht mehr möglich, sich von anderen in Erziehungsfragen abzuschauen, wie es geht. Sondern wir sind auf das Studium von Büchern angewiesen, die jedoch nur die Meinung Einzelner wiedergeben.

Wir greifen zu Erziehungsratgebern aus dem Buchhandel. Als Mia ihre ersten Wutanfälle bekommen hat, bin auch ich in die Bücherei gegangen, um herauszufinden, was uns helfen könnte. Aber die Buchtipps haben die Situation nur noch schlimmer gemacht. Es hat ständige Machtkämpfe gegeben. Wir haben oft laut gestritten. Ich bin immer genervter geworden.

In den letzten Jahrzehnten haben wir in der westlichen Welt zwei Welten geschaffen: die Welt der Kinder mit ihrem Spielzeug und kindgerechten Events auf der einen Seite, und die Welt der Erwachsenen, die Welt der Arbeit, auf der anderen Seite. Die Welt der Kinder ist eine Phantasiewelt, eine Welt der Märchen, Träume und Rollenspiele. Dem gegenüber ist die Erwachsenenwelt eine Welt der Pflichten, Geld wird verdient, der Haushalt wird gemacht.

Ich habe nun rückblickend festgestellt, dass ich Mia nichts Gutes tue, wenn ich sie in der Fantasiewelt verweilen lasse. Es ist keine Vorbereitung auf die Pflichten der Erwachsenenwelt. Mia ist nach so einem Tag voller kindgerechter Aktivitäten, die nur auf sie zugeschnitten gewesen sind, stets völlig unleidlich. Sie möchte dann ihr Phantasieland nicht mehr verlassen, um wieder in den Alltag einzutreten.
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BeitragThema: Re: Eine neue Erfahrung   Eine neue Erfahrung Icon_minitime1Sa Sep 30, 2023 9:13 am

Als das Honorar auf meinem Konto ist, beginne ich die Reise für Mia und mich zu planen. Ich lasse die empfohlenen Reiseimpfungen bis zum vollständigen Impfschutz durchführen. Dazu brauchen wir beide mehrere Impfungen im Abstand von ein paar Wochen. Außerdem muss ich an unser Einkommen denken. Also wird die Reise kein Erlebnisurlaub werden, sondern ich muss beobachten, vielleicht auch Fotos machen und jedenfalls viel notieren. Daraus soll vielleicht ein Buch entstehen – ein etwas anderer Erziehungsratgeber.

Mias dreijähriger Geburtstag haben wir ganz sparsam zelebriert. Wir sind nur zu meinen Eltern gefahren. Ich habe ihnen in einem Telefongespräch klar gemacht, dass Mia keine neuen Spielsachen braucht. Auch einen Besuch im Freizeitpark oder Zoo soll es nicht sein. Meine Mutter fragt daraufhin:

„Aber Kind! Wie sollen wir denn deiner Meinung nach mit Mia feiern?“

„Mama!“ habe ich ihr geantwortet. „Beziehe sie in die Vorbereitung des Essens mit ein. Es ist nicht schlimm, wenn die Küche danach aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen! Mia und ich helfen dir beim Aufräumen.“

*

Als der Flugtermin herangekommen ist, lassen wir uns vom Opa zum Flughafen bringen. Bald sitze ich mit Mia im Flugzeug. Ich habe ihr vorsorglich eine Pille gegen die Reisekrankheit gegeben. Der steile Start und der Flug, sowie die Landung sind für sie ein großes Abenteuer. Auf dem Flug genießen wir eine hervorragende Betreuung durch die Flugbegleiter, die Mia immer wieder abzulenken verstehen, und eine große Geduld und Gelassenheit ihr gegenüber zeigen.

Diesmal haben wir einen Direktflug nach Windhoek gebucht. One-Way, da ich nicht weiß, wann ich wieder im Flughafen sein kann, um den Rückflug anzutreten. Am Ziel nehme ich sogleich Kontakt zu den Rangern der EHRA auf und frage an, ob am folgenden Morgen ein Mann mich und meine Tochter zu den Khoisan bringen könnte. Man sagt mir zu. Nun gehe ich zuerst zum Flughafenhotel und buche dort ein Zimmer für eine Nacht, damit ich und Mia sich akklimatisieren können.

Am darauffolgenden Tag trifft sich unser neuer Guide mit mir in der Hotellobby. Mia ist bei mir. Sie rutscht aufgeregt auf ihrem Sessel herum. Zuhause wäre sie jetzt nicht zu bremsen gewesen. Hier ist alles so neu für sie, was sie zurückhaltend sein lässt.

Wir haben gefrühstückt und ausgecheckt, als ein Mann mit breitkrempigem Hut die Hotellobby betritt und sich suchend umschaut. Ich entdecke ihn und winke ihm zu. Dann erhebe ich mich.

„Hello,“ grüßt er. „Are you, Mrs. Kuhrt?“

Ich bestätige es ihm und stelle ihm Mia vor. Anschließend führt er uns auf den Parkplatz draußen. Mia ist wie verwandelt. Sie geht brav an meiner Hand. Wir steigen in das geschlossene Geländefahrzeug mit der Aufschrift EHRA und Grafiken von Erdmännchen. Ich habe keinen Koffer dabei, sondern neben den Leinenbeuteln auch einen Känguruh-Tragesitz. Damit will ich Mia transportieren, wenn wir uns einem Treck der Khoisan anschließen dürfen.

Anfangs fahren wir, wie vor Monaten, über einen Highway ins Landesinnere. Später biegt der Guide mit dem Fahrzeug auf eine Sandpiste ab. Wir fahren direkt in die Steppe, ohne erst noch in der Ranger-Station zu übernachten. Unser Guide berichtet:

„Wir haben die Sichtungen von San aus den letzten Tagen gesammelt. Ein Clan erschien mir vielversprechend. Sie ziehen mit ihren Gnus gerade zu einem anderen Weideplatz. Wenn Sie möchten, bringe ich Sie zu diesen Leuten.“

Mir ist es im Augenblick egal, wohin mich der Guide fährt, wenn wir am Ziel auf einen Clan der Khoisan treffen, also sage ich zu. Wieder verlässt sich der Mann auf sein Navi und fährt eine bestimmte Zielkoordinate in der weiten Landschaft an. Wie sein Kollege damals, weicht er dort von der Sandpiste ab und fährt querfeldein.
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BeitragThema: Re: Eine neue Erfahrung   Eine neue Erfahrung Icon_minitime1So Okt 01, 2023 10:49 am

Das quittiert Mia allerdings mit heftigem Unwohlsein. Wir müssen halten und ich hole sie aus dem Fahrzeug, um den Kindersitz von Erbrochenem zu reinigen. Der Mann entschuldigt sich und verspricht, die Bodenwellen ab sofort langsamer zu nehmen. Ich nicke dazu und verabreiche Mia mit einem Schluck Wasser eines dieser rosa Kügelchen gegen Reisekrankheit.

Von nun an geht es langsamer weiter. Wir brauchen drei Übernachtungen in der Steppe mit Verpflegung vom Feuer, bis wir die ersten Anzeichen von Viehhirten entdecken. Unser Guide steigt aus und begutachtet die Spuren und Exkremente. Danach kommt er lächelnd zurück in den Wagen und sagt:

„Wir haben den Clan bald erreicht. Die Leute sind erst vor wenigen Stunden hier vorbeigekommen.“

Er korrigiert die Fahrtrichtung ein wenig und etwa anderthalb Stunden später treffen wir auf die Leute. Es gibt ein großes Erstaunen und freudiges Wiedersehen auf beiden Seiten. Wie ein Lotteriegewinn haben wir tatsächlich den gleichen Clan getroffen, bei dem ich vor sechs Monaten schon gewesen bin. Sie sind, wie die Zugvögel, jetzt auf dem Weg zu dem Weidegebiet, von dem sie damals aufgebrochen sind.

Die Menschen sind sehr an Mia interessiert und auch Mia zeigt sich nicht ängstlich. Unser Guide verabschiedet sich und verlässt uns, um in halsbrecherischer Fahrt mit einer weiten Staubfahne zur sandigen Piste zurückzufinden.

Ich wende mich an meine alte Freundin, die ich vor Monaten schon über die Kindererziehung der Khoisan ausgefragt habe. Es gibt doch einen großen Unterschied zur europäischen Erziehung. Zuhause habe ich zu den Gründen geforscht und festgestellt, dass die Wandlung der europäischen Kindererziehung in den letzten zweihundert Jahren durch die Publikationen verschiedener Kinderärzte und -psychologen angestoßen worden ist.

Durch die Verkleinerung der Familien bis hin zur Kleinfamilie ist der Erziehungsstress gewachsen. Früher sind Großeltern, Onkel und Tanten in der Nähe gewesen. Heute muss ich in Deutschland hunderte von Kilometern für einen Besuch fahren.

Die Frauen der Khoisan sehen, dass ich Mia in einem ‚Gestell‘ auf dem Rücken trage. Sie lächeln und lassen mich mit ihnen gehen, bis wir zur Mittagszeit Rast machen. Wieder wird ein Lager aufgeschlagen. Ich kümmere mich zuerst um Mia, indem ich sie mit einem hohen Lichtschutzfaktor eincreme. Dann sind auch schon andere Kinder heran, die Mia zum Spielen auffordern.

Mia muss sich anfangs mit der fremden Nahrung der Khoisan anfreunden. In der Steppe gibt es keinen Supermarkt, keine bunten Packungen mit Süßigkeiten. Aber nach ein paar Tagen hat sie aus dem Beispiel der anderen Kinder gelernt. Nach etwa einer Woche bekomme ich einen Streit mit, bei dem es um eine süßlich schmeckende Wurzel - ähnlich einer Möhre - geht, die Mia einem Nachbarkind streitig macht.

Ich trete hinzu und rede eindringlich auf Mia ein, nachdem ich sie mir auf einen Oberschenkel gesetzt und dem anderen Kind die Wurzel gegeben habe. Gemäß den Vorschlägen der Khoisan-Mütter während meines ersten Besuches hier, rede ich ruhig auf Mia ein, massiere liebevoll ihren Rücken und drehe die Perspektive um. Ich frage meine Kleine mit ruhiger Stimme:

„Mia, überlege mal: Was wäre, wenn das andere Kind dir etwas nicht von sich abgeben würde? Dann wärst du doch sicher traurig. Genauso hat sich die Kleine gerade gefühlt!“

Ich frage Mia, ob sie nicht schon festgestellt hat, dass die Kinder hier gerne miteinander teilen, und fordere sie auf, das in Zukunft ebenso zu tun. Umso lieber erhält sie von den anderen Kindern auch etwas zurück. Mia schaut sich bei den anderen Kindern ab, wie vorteilhaft es für alle ist, großzügig statt egoistisch zu sein. Mit der Zeit erhält sie einen Blick dafür, dass es gut ist, nett und hilfsbereit zu sein.
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BeitragThema: Re: Eine neue Erfahrung   Eine neue Erfahrung Icon_minitime1Mo Okt 02, 2023 10:31 am

Dieses Verhalten ist Mia anscheinend neu. Ob die Kita-Betreuerinnen in Deutschland darauf ein großes Augenmerk gelegt haben? Die jungen Frauen sind sicher gestresst im Arbeitsalltag…

Es dauert eine Weile bis Mia von sich aus mit den Anderen teilt. Anfangs muss ich meine Kleine immer noch dazu auffordern. Allmählich übernimmt sie die Verhaltensweisen der Khoisan-Kinder auch, und nun muss ich mich umstellen. Meine Reaktionen auf ihr Verhalten verändert sich und gleicht sich dem Verhalten anderer Khoisan-Mütter an, die das lächelnd registrieren.

Genauso geht es mit vielen anderen Verhaltensweisen auch. Mia kommt immer öfter zu mir, um zu schauen, was ich mache und fragt dann, wie das geht. Also zeige ich ihr, wie man zum Beispiel flechtet. Danach versucht sie es auch. Anfangs führe ich ihre Händchen und spreche dabei:

„So, nun musst du den Halm hier drunter herführen. Über den Nächsten wird er drübergelegt und dann wieder drunter her – und immer so weiter…“

Ihre Motorik ist anfangs noch nicht so gut. Aber ich habe noch mehr Zuschauer. Auch die anderen Kleinen probieren ihr Glück. Sie haben mehr Erfolg und präsentieren stolz ihren Müttern ihr Werk. Dafür werden sie in den Arm genommen. Mia beobachtet das und das stachelt sie an. Bald präsentiert sie mir ihre erste flache Schale aus Flechtwerk. Sie ist nicht vollkommen, aber ich freue mich trotzdem und zeige es ihr. Das motiviert Mia zum Weitermachen.

Da ich mit meiner Khoisan-Freundin ein Kochfeuer teile, werden auch deren Kinder bald wie Geschwister für Mia. So beginnt meine Kleine allmählich damit, auch meiner Freundin Handreichungen zu machen. Jetzt muss ich allerdings darauf achten, dass meine Kleine sich nicht vordrängelt. Wenn deren Kleine ihrer Mutter helfen wollen, haben sie Vorrang! Ich beauftrage Mia dann zumeist, mir etwas zu bringen.

Mit der Zeit wirkt Mia wie verwandelt. Unser Verhältnis zueinander ist viel harmonischer als noch vor unserem Abflug aus Deutschland. Oft sehe ich Mia den ganzen Nachmittag über nicht. Sie spielt mit den anderen Kindern. Wo sie anfangs noch weinend zu mir gelaufen ist, wegen eines Spielzeuges, spielen sie jetzt harmonisch miteinander.

Ich schreibe derweil Notizen für mein Buch in den Block, schaue den anderen Frauen bei ihren Tätigkeiten zu und lasse mir zeigen, wie man an diese Handarbeiten herangeht. Bei meinem ersten Besuch vor Monaten habe ich zumeist nur hingeschaut und mir Notizen gemacht. Für Selbsterprobungen hat die Zeit damals nicht gereicht.

Zumeist dauert es nicht lange, bis Mia neugierig schauen kommt, was ich mache und will es auch einmal versuchen. Gern unterbreche ich dann mein Tun und zeige Mia wie das geht, was ich mache. Sie versucht es ein paar Minuten und ist dann wieder mit den anderen Kindern zusammen. Es sei denn, ihre Spielkameraden kommen hinzu. Nun versuchen sich alle in dieser Handarbeit.

Hier bei den Khoisan habe ich es abgeschafft, Mia zu kindgerechten Aktivitäten zu ermuntern. Ich will nicht, dass Mia keine Ahnung vom Erwachsenenleben hat, wenn sie später einmal in ein eigenes Appartement ziehen möchte. Jedes Kind hat irgendwann das Bestreben selbständig zu werden. Dann soll sie wissen, was auf sie zukommt.

Natürlich ist das Erwachsenenleben in Deutschland ein völlig anderes als hier. Aber bis dahin vergehen noch viele Jahre. Wenn sie hier schon lernt, sich für meine Tätigkeiten zu interessieren und sich von den anderen Kindern abschaut, ihren Müttern zu helfen, dann wird sie das leicht auf die Tätigkeiten im deutschen Haushalt übertragen können. Also wird Mia im Gegensatz zu ihren deutschen Spielkameraden dann nicht plötzlich das Bespaßt werden vermissen.

Wie die anderen Khoisan-Eltern beziehe ich Mia in die Erwachsenenwelt ein. Sie lernt, sich einzubringen und so ein Teil unseres Mutter-Tochter-Teams zu werden. Das ist für uns beide stressfreier und Mia ist später selbständiger als ihre Altersgenossen.
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BeitragThema: Re: Eine neue Erfahrung   Eine neue Erfahrung Icon_minitime1Di Okt 03, 2023 10:01 am

Bald weiß ich nicht mehr, wohin ich noch mehr notieren soll für mein Buchprojekt. Vieles muss ich wohl aus dem Gedächtnis noch anfügen, während ich schreibe. Es wird wohl Zeit, dass wir nach Deutschland zurückfliegen. Also hole ich mein Handy hervor, um mit den Rangern der EHRA in Kontakt zu treten. Jetzt muss ich feststellen, dass der Akku leer ist. Ich krame nach der Powerbank und schließe das Handy einen ganzen Tag lang daran an.

Schließlich bekomme ich Kontakt und vereinbare mit ihnen, dass man mich abholen kommt. Da ich nicht weiß, wo ich mich mit meinem Clan genau befinde, frage ich, ob man mein Handy über Google Maps nicht anpeilen könne. Danach dauert es noch drei Tage, bis ein Geländewagen der EHRA bei uns hält.

*

Nach weiteren vier Tagen erreichen wir die Ranger-Station. Unser Guide ist vorsichtig durch die Wildnis gefahren und Mia hat sich nicht mehr übergeben müssen. Ob das an der veränderten Fahrweise liegt oder an dem rosa Kügelchen des Medikaments gegen die Reisekrankheit, weiß ich nicht zu sagen.

In der Ranger-Station übernachte ich mit Mia in dem bekannten Verschlag und am nächsten Morgen treten wir nach dem Frühstück die letzte Etappe unserer Reise nach Windhoek an. Am Nachmittag haben wir schließlich den Hosea Kutako International Airport erreicht. Dort informiere ich mich über die Flugpläne, buche den Rückflug nach Deutschland und übernachte mit Mia noch ein letztes Mal im Flughafenhotel, wobei wir uns ein ausgiebiges Bad gönnen.

Am nächsten Tag sind wir zum Abflugtermin in der Abflughalle und als unser Flug aufgerufen wird, gehe ich mit Mia zum Gate. Dort lasse ich meine Flugkarte überprüfen und werde durchgelassen, um über die Fluggastbrücke das Flugzeug zu betreten. Nachdem wir in der Luft sind, dauert es noch 14 Stunden bis zur Landung in Deutschland. Meine Eltern wollen uns am Flughafen abholen kommen.

Als wir endlich gelandet sind und in die Ankunftshalle gehen, entdeckt Mia ihre geliebte Oma und den Opa als Erste. Sie ruft freudig aus:

„Oma! Opa!“

Danach trennt sie sich von mir und läuft ungestüm auf ihre Großeltern zu. Sie nehmen Mia lachend in den Arm. Als ich die Gruppe erreiche und meine Eltern lächelnd begrüßt habe, wendet sich mein Vater zum Gehen. Wir überqueren den Parkplatz vor der Ankunftshalle ohne die vielen Taxis zu beachten.

Papa führt uns zum Parkhaus. Auf dem Weg zu seinem Auto erzählt Mia von ihren Eindrücken und Erlebnissen in Afrika. Sie ist voll in ihrer Geschichte gefangen. Oma macht ab und zu Bemerkungen wie „Aha“ und „So, so“. Aber Mia lässt sich nur kurz bremsen, als sie einsteigen und sich auf den Kindersitz setzen soll.

Wir fahren zu meinen Eltern, wo ich vor sechs Monaten meinen Wagen abgestellt habe. Dort angekommen schaue ich Papa irritiert an. Mein Wagen steht nicht mehr auf seinem Platz. Papa parkt und sieht meinen irritierten Gesichtsausdruck. Er lächelt und erklärt mir:

„Mama und ich sind übereingekommen, deinen Wagen in die Garage zu stellen. Es ist nicht gut, wenn ein Auto so lange herumsteht ohne hin und wieder bewegt zu werden. Stattdessen haben wir unseren Wagen auf den Parkplatz gestellt.“

Ich nicke. Der Gedanke ist nachvollziehbar. Mein Wagen hätte in der langen Zeit aufgebrochen werden können oder wäre Ziel von Vandalismus geworden - man weiß ja nie.
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BeitragThema: Re: Eine neue Erfahrung   Eine neue Erfahrung Icon_minitime1Mi Okt 04, 2023 10:01 am

Mama bietet uns an, zum Kaffee hereinzukommen und danach erst nachhause zu fahren. Ich nehme das Angebot gerne an und wir lassen uns ins Haus führen. Früher wäre Mia jetzt als erstes in die Spielecke im Wohnzimmer gelaufen. Ich schaue dorthin und muss grinsen. Oma hat alles für Mia bereit gemacht. Meine Kleine hat aber keinen Blick für ihre Spielsachen, sondern bleibt an meiner Seite.

Wir gehen zum Tisch in der Essecke und ich beginne damit, Kaffeegeschirr und -besteck aus den Schubladen des Wohnzimmerschranks zu nehmen, um Mama beim Decken des Tisches zur Hand zu gehen. Mia bleibt immer noch an meiner Seite und schaut mir zu. Nachdem ich zwei Kaffeelöffel auf die Untertassen platziert habe, rückt sie mir derart auf die Pelle, dass ich zu ihr herunterschaue und sie frage:

„Magst du den Kaffeelöffel auf das Tellerchen legen?“

Ich gebe ihr den Kaffeelöffel. Mia orientiert sich an meinem Tun und legt den Kaffeelöffel richtig ab. Glücklich lächelnd kommt sie zu mir zurück und ich lächele sie an. In der Zwischenzeit habe ich eine Kuchengabel neben den Kuchenteller gelegt. Die restlichen drei Gäbelchen gebe ich Mia, die nun um den Tisch geht und neben jeden Teller eine Gabel platziert. Dabei kommt sie an den Stiel einer Gabel, die nun mit einem Salto auf dem Boden landet.

Nun greift Oma ein, die gerade mit einer Thermoskanne voll Kaffee an den Tisch kommt. Sie stellt die Kanne geschwind ab und bückt sich nach der Kuchengabel. Dabei erklärt sie:

„Das brauchst du doch nicht machen, Mia!“

Da muss ich ihr widersprechen:
„Mama, alles was Mia von sich aus machen will, soll sie tun dürfen. Wenn dabei einmal etwas schiefgeht… Na und! Beim nächsten oder übernächsten Mal klappt es besser. So haben es die Kinder in Afrika gemacht und Mia hat es sich bei ihnen abgeschaut.“

Zu Mia gewandt sage ich:
„Das hast du wunderbar hingekriegt, mein Schatz!“

Mia drückt sich an mich, umarmt meinen Oberschenkel und schaut glücklich zu mir auf. Ich streiche ihr sanft über ihre Haare und gehe in die Küche, um Limo aus dem Kühlschrank zu nehmen. Oma hat ihr inzwischen ein Glas an ihren Platz gestellt.

Dabei sehe ich den Kuchen im Kühlschrank und bringe auch ihn an den Tisch. Mia versucht nun auf den Stuhl zu klettern. Oma hilft ihr dabei und setzt sie in die richtige Position. Während ich Mia ein Glas Limo ausschenke, verteilt Mama den Kuchen auf die Teller.

Ich setze mich gerade auf meinen Stuhl und rücke ihn näher an den Tisch heran, als Mia ihr Limoglas wieder abstellt, dass sie mit zwei Händen angehoben und zum Mund geführt hat. Nun will sie ihr Kuchenstück mit der Hand greifen. Ich stoppe sie gerade noch mit einem energischen „Mia!“

Danach erhebe ich mich wieder und trete hinter sie. Von dort sage ich zu ihr:
„Schau mal, wie Oma und Opa den Kuchen essen.“

Sie schaut über den Tisch und greift nach ihrer Kuchengabel. Nun hält sie ihre Gabel allerdings in ihrer Faust. Deshalb frage ich mein Mädchen:

„Kannst du deine Gabel so besser halten?“

Mia nickt.

„Okay,“ antworte ich ihr, während ich mich wieder auf meinen Platz neben ihr setze. „Dann schau mir einmal zu.“

Ich umschließe den Griff meiner Gabel nun ebenfalls mit meiner Faust und steche vorsichtig in den Kuchen. Dabei nehme ich nur ein ganz kleines Stück auf die Gabel und führe es zum Mund. Mia macht mich nach und tatsächlich landet der Kuchen unfallfrei in ihrem Mund. Oma erhebt sich allerdings wieder und holt ein Tuch, das sie Mia in den Kragen steckt. Sie lächelt entschuldigend dabei. Ich nicke ihr aufmunternd zu.

Nachdem wir satt sind, ist bei Mia etwas von ihrem Kuchen auf dem Tuch gelandet. Das übergehe ich einfach und meine:

„Das hast du wunderbar geschafft, Liebes.“

Meiner Mutter erkläre ich, dass es in Afrika kein Besteck gibt, wenn man privat zum Essen eingeladen ist. In Restaurants gibt es natürlich überall auf der Erde Besteck.

*
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BeitragThema: Re: Eine neue Erfahrung   Eine neue Erfahrung Icon_minitime1Do Okt 05, 2023 10:52 am

Nachdem wir wieder in meinem kleinen Appartement wohnen und ich am Laptop zuhause für mein Buch über die Erziehungsmethoden der Khoisan schreibe, bleibt Mia zuhause. Ich melde sie nicht mehr in der Kita an, denn ich möchte mich nicht mehr mit meiner Kleinen von Kindergeburtstag zu Kindergeburtstag der Kita-Kinder hangeln.

Stattdessen werde ich mit Mia mehr solche Aktivitäten machen, die ich früher mit meinem Ex Lars gemacht habe, bevor der uns verlassen hat und bevor Mia geboren war. Ich habe bei meinem Verlag gekündigt, um meine Zeit zwischen dem Laptop und Mia frei einteilen zu können. Natürlich bedeutet das, dass wir von meinem Ersparten leben müssen.

Das erste, das ich zuhause mache, ist Mia zu fragen:
„Mit welchen Spielsachen hast du eigentlich seit langem nicht mehr gespielt?“

Sie schaut mich fragend an, also ergänze ich:
„Schau mal, Liebes: Du hast so viele Spielsachen! Andere Kinder haben viel weniger. Magst du nicht anderen Kindern eine Freude machen, indem du ihnen Spielsachen von dir schenkst? Es gibt Vereine, die kennen bedürftige Leute und die freuen sich, wenn du etwas von dir abgibst.“

Nun beginnt Mia hochmotiviert einen Teil ihrer Spielsachen auszusortieren. Wir packen zwei Umzugskisten voll und Mia begleitet mich zu den Büros der Vereine. Dort bedankt man sich freudig, besonders bei Mia. Auch in den nächsten Jahren erhält Mia weiterhin Spielsachen geschenkt. Natürlich nimmt sie sie neugierig in die Hand und probiert sie aus. Aber danach schaut sie die meisten Sachen nie wieder an. Auch dieses Spielzeug bringen wir gemeinsam den Vereinen.

Welche Aktivitäten mache ich nun zusammen mit Mia? Wandern zum Beispiel! Ich habe mir Naturführer gekauft, um meiner Kleinen etwas über die Pflanzen und Tiere an den Wanderrouten erzählen zu können. Auf den Rastplätzen an den Wanderrouten lasse ich sie laufen. So hat Mia die Möglichkeit, selber Pflanzen und Kleintiere zu entdecken und kann ihrerseits mir davon erzählen.

Die Wochenenden zelebrieren wir, indem wir zusammen Pancakes backen. Danach putzen wir gemeinsam die Wohnung. Ich frage mich auch bei den Schrebergarten-Vereinen durch, um eine kleine Parzelle zu pachten. Es hat lange gedauert und Papas Intervention gebraucht, aber dann gehe ich mit Mia, die inzwischen in der Grundschule ist, in ihrer Freizeit auf unsere Parzelle und kultiviere Küchenkräuter, Erdbeeren und andere leckere Pflanzen.

Wenn wir uns jetzt mit Freunden oder der Familie treffen, oder sie zu uns einladen, ist das etwas ganz anderes als die bisherigen Treffen mit den Eltern und anderen Kita-Kindern auf den Spielplätzen. Natürlich gibt es Betätigungen, die ein Kind gerne machen würde, aber nicht ich bin es, die Mia dorthin schleppt. Mia sieht etwas im Fernsehen oder erfährt etwas in der Schule und möchte es ausprobieren. Das fördere ich gerne.

Seitdem wir wieder in Deutschland zurück sind, halte ich mich daran, dass ich Mia keine unnötigen Aufgaben gebe, nur damit sie beschäftigt ist und mich am Laptop nicht stört. Die Mütter der Khoisan, die ich kennengelernt habe, haben mir gezeigt, dass ihre Kinder ‚echte‘ Aufgaben brauchen, zu denen sie in ihrem jeweiligen Alter schon in der Lage sind. Das fördert Mias Glückserleben. So fühlt sie sich als ein Teil der Kleinfamilie.

Da gibt es je nach Mias Alter verschiedene Möglichkeiten. So zum Beispiel die Bitte „Wischst du bitte den Tisch ab?“, bevor ich Lebensmittel vom Herd auf den Esstisch bringe.

Ein anderes Mal kann ich Mia bitten:
„Räumst du bitte das Buch weg? Oma und Opa sind gleich da!“

Oder:

„Holst du mir bitte den Staubsauger?“, um ein Missgeschick auf dem Boden zu beseitigen, solange Mia noch nicht kräftig genug ist, den Staubsauger selbst zu bedienen.
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BeitragThema: Re: Eine neue Erfahrung   Eine neue Erfahrung Icon_minitime1Fr Okt 06, 2023 9:28 am

Ich habe festgestellt, dass sich Mia – genau wie andere Kinder, die sich am Haushalt beteiligen dürfen – freut, helfen zu können. Die Herausforderungen, die sich dabei ergeben, kann man mit dem Alter der Kinder langsam steigern.

Wir haben einmal eine Silvesterparty gehalten. Ihre besten Schulfreundinnen und deren Eltern sind gekommen. Dazu haben wir vorher gemeinsam eingekauft. Nachdem die Gäste gegangen sind, haben wir uns in unsere Betten verkrümelt – todmüde, wie wir waren.

An Neujahr bin ich durch Klimpern aus der Küche wachgeworden. Da hat meine inzwischen 12jährige Mia doch tatsächlich selbständig mit der Küchenarbeit begonnen, die wir in der Nacht zuvor liegengelassen haben. Lächelnd habe ich mich noch einmal umgedreht. Nach etwa einer halben Stunde hat mich meine Neugier aber doch von der Couch getrieben.

Ich habe meinen Kopf in die Küche gesteckt und erkannt, wie umsichtig das Mädel die Spülmaschine befüllt und eingeschaltet hat, um danach einige wenige Sachen noch auf der Hand zu spülen und auf die Abtropffläche zu legen. Danach ist Mia ins Bad gegangen und schließlich in ihrem Zimmer verschwunden. Stolz auf ihr Handeln habe ich auf dem Weg zum Bad meinen Kopf in ihr Zimmer gesteckt und einfach nur „Danke!“ gesagt.

Sie hat mich breit lächelnd angesehen und „Viel Glück im Neuen Jahr!“ geantwortet.

Beim Frischmachen im Bad, immer noch stolz auf Mia, denke ich mir, dass das nicht hätte sein müssen. Aber alles, was Mia freiwillig macht, darf ich auch nicht mit der Bemerkung „Das erledige ich schon!“ abwürgen. Sollte sie einmal ein eigenes Ein-Zimmer-Appartement beziehen, weiß sie was zu tun ist.

Inzwischen bin ich eine gefeierte Autorin und könnte mir eine Menge leisten, aber das brauche ich nicht. Eines gibt es aber, dass es für kein Geld der Welt zu kaufen gibt: Die Liebe. Durch Lesungen komme ich viel herum. Zumeist sind es aber Journalistinnen, mit denen ich ins Gespräch komme. Sie haben oft ähnliches mit ihren Kindern erlebt wie ich mit Mia als Kleinkind.

Irgendwann treffe ich bei diesen Lesungen einen Mann in meinem Alter. So Mitte bis Ende Dreißig mag er sein. Später lädt er mich zu einem Kaffee ein. Wir kommen ins Gespräch. Der Mann ist mir sogleich sympathisch. Ich lade ihn daher zu mir nachhause ein.

Mia erzähle ich zuhause von meiner neuen Bekanntschaft. Inzwischen ist meine ‚Große‘ schon sechzehn Jahre alt und hat die mittlere Reife geschafft. Nach den großen Ferien wird sie auf ein Berufskolleg gehen und dort in drei Jahren ihr Abitur machen.

Als der Termin mit meiner neuen Bekanntschaft heran ist und der Mann klingelt, haben wir beide den Tisch gedeckt und in der Küche süßes Gebäck hergestellt. Ich lasse den Mann herein und stelle ihm Mia vor. Die Beiden lächeln sich freundlich reserviert an.

Danach bitte ich den Mann zum Esstisch, auf dem der Kaffee und etwas Gebäck bereitsteht. Wir unterhalten uns diesmal nicht über mein letztveröffentlichtes Buch. Irgendwie kommen wir auf das Thema Reisen. Er ist schon mehrfach in Andalusien und Italien gewesen. Südafrika kennt er nicht.

Als seine Cappuccino-Tasse leer ist, frage ich ihn:
„Magst du einen Espresso, Daniel?“

Er lächelt mich an und antwortet:
„Gerne.“

Mia erhebt sich, bevor ich aufstehen kann, geht in die Küche und betätigt unseren Kaffeeautomat. Wenig später serviert sie ihm formvollendet seinen Espresso.

Daniel schaut überrascht auf und bedankt sich höflich, worüber sich Mia freut. Anscheinend findet auch sie Daniel sympathisch.
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