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BeitragThema: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Do Dez 28, 2023 10:24 am

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„…und die schlechte Nachricht ist, dass ich keine Ahnung habe, wo wir sind!“

Wir nähern uns einem gelben Stern mit einer Menge Planeten und Monde, die mit geringen Abweichungen in der Bahnebene -Ekliptik- um ihn kreisen. Nun haben wir mehrere Probleme.

Da ist zuerst die Standortbestimmung. Dazu brauchen wir mindestens zwei, besser noch drei Radioquellen, also Supernovae oder Quasare, um die Entfernung zu ihnen zu bestimmen und damit unsere relative Position zu ermitteln.

Dann hat unser Raumschiff im System dieses gelben Sterns 170 Monde und 8 Planeten ermittelt. Hinzu kommen noch Kleinplaneten und eine halbe Million größerer Planetentrümmer in einer Umlaufbahn zwischen den äußeren Gasplaneten und den inneren Gesteinsplaneten.

Wir müssen herausfinden, ob einer der Planeten eine intelligente Spezies beherbergt und wie hoch ihr Technologie-Reifegrad ist. Wir unterteilen fremde Intelligenzen in eine Skala von neun Reifegraden zwischen Grundlegende Technologie und Entwicklung der Raumfahrt. Wenn wir hier eine raumfahrende Spezies entdecken, könnten sie uns vielleicht helfen.

Unser Warp-Antrieb ist ausgefallen, nachdem er mehrfach ‚gestottert‘ hat. Dieses wechselweise Arbeiten und Ausfallen hat uns erst in die vertrackte Lage gebracht, dass wir nicht wissen wo wir uns befinden und uns erst einmal orientieren müssen.

Außerdem müssen wir versuchen, unsere momentane Geschwindigkeit weiter zu senken, damit wir manövrierfähig werden. Zum Glück hat das Raumschiff eine leistungsfähige Künstliche Intelligenz. Dieses Gehirn kontrolliert das Schiff und seine Systeme, und wird uns bald Antworten auf unsere Fragen liefern können. Damit lassen sich dann Entscheidungen zu unserem weiteren Vorgehen treffen.

Daneben ist es ihr möglich bis zu einem gewissen Grad sich selbst zu reparieren. Nach einer Weile meldet sich die Künstliche Intelligenz:

„Kommandant, ich werde in 60 Sekunden den Fusionsreaktor wieder hochfahren und meine Fluggeschwindigkeit reduzieren.“

„Genehmigt, Aro-23,“ antworte ich.

Man kann unsere Raumschiffe durch die Integration der Künstlichen Intelligenz wie einen überdimensionalen Roboter betrachten, in dem wir leben wie unsere Darmbakterien in uns selbst.

Der Fusionsreaktor fährt hoch. Er gibt Energie auf den Warp-Antrieb. Um das Raumschiff wird eine ‚Gravitations-Blase‘ aufgebaut. Das Raum-Zeit-Kontinuum wird vor Aro-23 gestaucht. Das Raumschiff verliert rapide an Geschwindigkeit. Allerdings geht es dabei nicht so glatt wie gewohnt. Der Antrieb stottert, wenn auch nicht so stark wie bei unserer Annäherung an den gelben Stern, den wir bei unserem Raumflug eigentlich gar nicht ‚auf dem Schirm‘ gehabt haben.

„Kommandant, der dritte Planet ist von einer Intelligenz der Stufe 6 bewohnt.“

Ich nicke. Stufe 6 bedeutet, dass sie in der Lage sind primitive Maschinen zu benutzen. Nicht unbedingt das, was wir gebrauchen können. Aber dort können wir wenigstens landen und abwarten, wenn die Bedingungen auch unserem Metabolismus zuträglich sind.

„Aro-23, hast du einen Bericht an unser Archiv gesandt?“

„Ja, Kommandant.“

„Was sagt dein Bordarchiv über dieses System? Ist es bekannt?“

„Die Sonne nennt man ‚Sâu‘ und der dritte Planet heißt ‚Aitha‘. Er ist der verlorengeglaubte ‚Stên se Men‘ -der Entstehungsort der Menschheit-.“

Was die KI im Bordarchiv gefunden hat, klingt so unglaublich! Nun will ich mehr darüber wissen. Ich setze mich vor den Monitor und rufe meinen Pragati –‚Fortgeschrittener‘- Hamad Dil herbei:

„Hamad, tritt näher und setz dich!“

Mein Pragati tritt heran und ich weise auf den Sessel neben mir.

„Was ist geschehen Shikshak Kee Gung?“ fragt er mich.

„Höre dir an, was Aro-23 über dieses Sonnensystem weiß! - Aro-23, beginne den Bericht!“
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Fr Dez 29, 2023 10:38 am

Die künstliche Stimme des Bordrechners ertönt aus den Lautsprechern des Monitors und Bilder werden gezeigt, die schon sehr alt sein müssen:

„Vor 204.137 Jahren ist es zu einer großen Palaayan -Flucht- von Aitha gekommen. Kurz vorher haben sich die Herrscher über die einzelnen Kontinente in einem planetenumspannenden Krieg -Vish-Yudh- über Jahrzehnte bekämpft. Jeder wollte der Oberste Herrscher sein. Als einer der Kriegsherren eine Atomrakete abgeschossen hat, haben die anderen dies ebenfalls getan. Dafür war ja nur ein Knopfdruck nötig.
Alle fünf Hauptstädte verwandelten sich in strahlende Trümmerwüsten. Die Menschen, die entfernt von den Hauptstädten lebten, haben sich in einer großen Anzahl Raumschiffen auf den Weg gemacht andere Planeten in der Galaxis zu finden und zu besiedeln. Die damaligen Raumschiffe wurden ‚Schläferschiffe‘ -Slêp Jahaaj- genannt, weil die Passagiere für die Dauer des Fluges in einen Stillstand aller Körperfunktionen versetzt wurden. Solch ein Flug mit Unterlichtgeschwindigkeit konnte mehrere hundert Jahre in Anspruch nehmen.
Sie erreichten und kolonisierten fünf Planeten, von wo sich die Menschheit über die Galaxis verbreitete und mit anderen Zivilisationen Handel und Wissenstransfer betrieb. Darüber vergaß die Menschheit ihre Herkunft von Aitha.
Doch zuvor musste erst der Überlicht-Antrieb entwickelt werden. Vor 31.783 Jahren war es endlich soweit. Auf Sona wurde ein Antrieb entwickelt, der das Raumschiff in einer Blase durch den Weltraum zog, indem er hinter dem Raumschiff eine Stauwelle der Raumzeit erzeugte. Zuerst kam man damit schnell innerhalb des Systems voran. Verbesserungen wurden nötig.
Vor 25.769 Jahren gelang der erste Überlichtflug. Infolge begegneten die Menschen noch anderen raumfahrenden Spezies in der Galaxis. Den Raumschiffen der Gyaan gelang es, immer wieder friedliche Kontakte zu knüpfen, Streit frühzeitig zu schlichten und fruchtbaren Handel miteinander zu fördern. Für menschliche Besiedelung geeignete Planeten wurden entdeckt und der Mensch verbreitete sich weiter.“

Wir sitzen mehrere Minuten stumm da, während unser Verstand das Gehörte verarbeitet. Die Gyaan gibt es noch heute und immer wieder sind sie in heiklen Missionen unterwegs. Sie haben einen hervorragenden Ruf in der Galaxis. Auch wir zählen uns dazu. Unser Auftrag ist nun weniger heikel: Wir sollen einen ‚weißen Fleck‘ in unserer Sternenkarte erforschen.

Leider schaffen wir es nun nicht mehr dorthin. Ich hoffe, dass der Notruf und der Bericht unserer Künstlichen Intelligenz an Bord gehört worden ist und man uns weiterhilft. Da wir bis dahin in diesem System festsitzen und es außerdem noch die Wiege der Menschheit ist, entschließe ich mich dazu, den dritten Planeten zu erforschen. Dadurch wird eine schmerzliche Wissenslücke geschlossen!

Also sage ich in die Luft hinein:
„Aro-23, wenn du weit genug abgebremst hast, gehe auf eine Umlaufbahn um Aitha, innerhalb der Bahn seines Mondes. Hat dieser auch einen Namen, Aro-23?“

„Wir kennen ihn als Maantha, Kommandant,“ meldet sich die KI und gibt zu bedenken: „Die heutigen Bewohner des Planeten werden andere Bezeichnungen gefunden haben.“

Ich nicke. Das ist richtig. Die heutigen Bewohner werden auch kein Meroiti mehr sprechen.

Die künstliche Intelligenz unseres Raumschiffes geht in eine Umlaufbahn um ‚Sâu‘ während sie das Raumschiff immer langsamer werden lässt. In den Phasen, in denen der Warp-Antrieb funktioniert, baut er jetzt eine Raum-Zeit-Welle vor der Blase auf, in der sich das Raumschiff befindet. Das reduziert die Geschwindigkeit weiter. Als wir nur noch eine Geschwindigkeit von weniger als einer Lichtsekunde im Schiff haben, nähern wir uns Aitha und Aro-23 geht bei immer geringerer Fahrt in eine Umlaufbahn, deren Radius etwa ein Drittel des Radius der Bahn von Maantha um Aitha entspricht.

Aro-23 richtet seine Sensoren auf den Planeten und kann uns bald seine Erkenntnisse berichten:

„Aitha besitzt Ozeane und Kontinente, die Aro-23 kartografiert hat. Stationäre und mobile Dampfmaschinen treiben primitive Industrie und Verkehr an. Viel wird aber noch mittels hölzerner Wagen transportiert, die von Zuchttieren gezogen werden. Schlanke und schnelle Zuchttiere werden genutzt, um sich auf deren Rücken fortzubewegen. Auf den Ozeanen fahren Wasserfahrzeuge, die mit Windkraft angetrieben werden. Einige wenige dampfgetriebene Wasserfahrzeuge gibt es auch. Sie transportieren Menschen und Waren.“
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Sa Dez 30, 2023 10:24 am

Nachdem wir Aitha zwanzig Schlafperioden lang umkreist haben, entscheide ich mich zur Landung. Ich möchte das Leben der Menschen 200.000 Jahre nach der Katastrophe kennenlernen. Unsere bisherigen Erkenntnisse sendet Aro-23 an unser Archiv auf Sona. Danach nähern wir uns Aitha und tauchen in die Atmosphäre ein. Ich lasse Aro-23 eine einsame Gegend suchen und dort landen. Es ist ein Hochgebirgstal.

Wir verlassen und sichern das Raumschiff und machen uns auf den Weg zu den Menschen. In unseren Rucksäcken haben wir Notrationen für fünfzehn Schlafperioden dabei. Im Verlauf eines Tages sind wir aus dem Gebirge herabgestiegen. Unterwegs haben wir an einem Wasserfall unsere Wasserbehälter gefüllt.

Am Fuß des Berges erreichen wir eine Wüste. Wir wissen, in welche Richtung wir gehen müssen und ich kontrolliere unseren Standort jede Zeiteinheit.

*

Mein Name ist Hamad. Ich gehöre zur Familie der Dil und bin im Alter von 5 Sonnenumläufen des Planeten Sona, meiner Heimat und die Hauptwelt der Menschen, zu den Gyaan gekommen. Damals wurde ich Tidde -Schüler-. Mit dem erfolgreichen Abschluss der Schule hat man mich zum Pragati -Fortgeschrittenen- hochgestuft und mit meinem jetzigen Lehrer Kee Gung auf Missionen in die Galaxis gesandt. Ich schaue ihm über die Schultern und höre aufmerksam zu, was er sagt. Auf diese Weise lerne ich. Jetzt bin ich 21 Sonnenumläufe alt.

Als ich zu den Gyaan gekommen bin, habe ich zuerst einen alten blinden Lehrer gehabt. Aber er hat mich in vielerlei Hinsicht fasziniert. Ich habe damals nicht geahnt, wie er es schafft, niemals an einen Stein zu stoßen, sowie selbst das leiseste Geräusch zu hören und richtig zu interpretieren. Heute, 16 Sonnenumläufe später, weiß ich schon etwas mehr darüber.

Nach den Vorbereitungen und der Einkleidung hat man mir gesagt, wo ich meinen alten Shikshak -Lehrer- finden würde. Dort saß er mit dem Rücken zu mir mit untergeschlagenen Beinen in aufrechter Haltung. Ich habe mich ihm ehrerbietig genähert, mich leicht verbeugt und erkenne, dass der alte Shikshak blind ist.

Erstaunt grüße ich ihn:
„Seid gegrüßt, ehrwürdiger Lehrer. Ihr könnt nicht sehen?“

„Ja, du denkst sicher, das ist sehr schlimm,“ antwortet er mit einem feinen Lächeln um die Mundwinkel.

„Von allen Dingen muss ein Leben in ewiger Dunkelheit am schlimmsten sein!“ stelle ich mir vor.

„Furcht ist schrecklicher als Dunkelheit!“ sagt er voller Überzeugung. „Nimm deinen Stab und schlag damit nach mir. Tu was ich sage! Schlag zu!“

Ich hole aus und schlage den alten Lehrer wie er mir befohlen hat. Seine Hand schnellt vor und hält den Stab fest, bevor dieser ihn erreicht. Vor Schreck habe ich meinen Stab losgelassen. Der Shikshak lässt den Stab fallen und befiehlt:

„Nochmal!“

Wieder ergreift er den Stab, bevor dieser ihm etwas tun kann. Nun erhebt er sich und wirft mir den Stab zu.

„Hier! Fang!“

Ich fange ihn auf und laufe eine Attacke gegen den Lehrer. Er wehrt die Attacke mit Leichtigkeit ab und erklärt mir:

„Glaube nie, dass ein Mann nichts sehen kann, nur weil er blind ist. Schließe die Augen! Was hörst du?“

Ich schließe meine Augen und zähle die Geräusche auf, die ich wahrnehme:
„Ich höre das Wasser, und ich höre das Zirpen der Insekten.“

In seinem Zimmer steht ein Zimmerbrunnen für das Raumklima.

„Hörst du dein Herz klopfen?“ fragt er nun.

„Nein,“ gebe ich nach kurzer Pause zu.

„Hörst du das Rascheln der Laufinsekten zu deinen Füßen?“

Verwundert schaue ich an mir herunter. Dann schaue ich den Shikshak an und frage:
„Ehrwürdiger alter Mann, wieso kannst du diese Geräusche hören?“

„Junger Mann!“ hat er mir darauf geantwortet. „Wieso kannst du sie NICHT hören?“

*
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1So Dez 31, 2023 10:45 am

Eine ganze Weile später zeigt der alte Lehrer mir eine hölzerne Zielscheibe mit einem dicken Punkt links der Mitte. Er hat einen Korb voll kleinen Pfeilen dabei, die er aus dem Handgelenk heraus auf die Scheibe wirft. Dabei erklärt er:

„Die Übung, auf diese Art ein Ziel zu treffen, stärkt die innere Kraft. Es gibt nämlich zwei Arten von Kraft. Die eine ist äußerlich. Sie nimmt mit dem Alter ab oder schwindet durch Krankheit. Dann gibt es Sleirep, die Lebenskraft. Sie schlummert in jedem von uns. Aber die Schwierigkeit ist, sie zu entwickeln. Diese innere Kraft überdauert Hitze und Kälte, Alter, und sogar den Tod.“

Er hält inne und schaut mich an.

„Bei den Gyaan gibt es Tiddee -Schüler-, Pragati -Fortgeschrittene- und Shikshak -Lehrer-. Der Geist kann erst entwickelt werden, nachdem der Körper geschult wurde. Um das zu erreichen, haben uns die Ahnen gelehrt, die Natur nachzuahmen. Wenn wir die Weisheit besitzen, von ihren Kreaturen zu lernen, können sie uns ihre Fähigkeiten lehren.
Wenn wir die Methoden der Natur übernehmen, beseitigen wir den Widerstreit in uns selbst und entdecken die Harmonie von Körper und Geist. Es kann ein halbes Leben dauern, diese Lehren zu beherrschen.“

*

Auf unserem Weg frage ich meinen Lehrer:
„Ehrenwerter Shikshak, wie wehrt man sich am besten gegen Gewalt?“

Mein Lehrer hält inne und wendet sich mir zu. Er antwortet:
„Da man bei uns Ruhe und Frieden für erstrebenswerter hält als den Sieg, gibt es dafür ein einfaches und wirkungsvolles Mittel.“

„Und welches ist das?“

„Weglaufen, mein Tiddee. Benutze die Kräfte, die die Natur dir gegeben hat, um eventueller Gewalt von außen zu begegnen. Werfe dich der Woge nicht entgegen, sondern weiche ihr aus! Dann brauchst du ihrer Kraft nicht standzuhalten.
Das bedeutet jedoch nicht, dass man dem Kampf aus dem Weg gehen soll, wenn es um die eigene Existenz geht. Aber denke immer daran, dass alles Leben kostbar ist. Du hast Disziplin gelernt und dir viele Fähigkeiten angeeignet. Vergiss trotzdem niemals, dass das Leben eines Gyaan einfach ist und frei von Wünschen bleiben muss!“

Wir wandern mehrere Tage durch diese Einöde bis wir ein Haus sehen. Es ist vollständig aus Holz errichtet und hat einen Mast an einer Seite, an dessen Spitze ein Metallstab angebracht ist. Seitlich davon flattern bunte Stoffe an mehreren Leinen. Wir nähern uns und können erkennen, dass es sich bei den flatternden Stoffen um Kleidungsstücke handelt, wie sie wohl gerade auf Aitha in Mode sind.

Um unsere Identität zu verbergen, nehmen wir die Kleidungsstücke von den Leinen und probieren aus, welche unserer Größe entsprechen. Diese ziehen wir über unsere Bordkombis an. Die restlichen Kleidungsstücke hängen wir wieder an die Leinen zurück.

Nun wandern wir weiter und erreichen nach einigen weiteren Tagen eine kleine Ansiedlung. Die Landschaft hat sich inzwischen verändert. Außerhalb der Siedlung steht hüfthohes Gras, unterbrochen von vereinzelten Bäumen. Dort weiden große gehörnte Vierbeiner, die von berittenen Menschen bewacht werden.

An der breiten Straße, die durch den Ort führt, liegt ein Laden. Zwei Schwingtüren trennen ihn von der Straße. Menschen gehen dort ein und aus. Vorsichtig nähern wir uns. Mein Shikshak hält es für eine Art Versammlungsort. Drinnen sitzen Menschen an Tischen und trinken aus Bechern. Manche essen mit ungewöhnlichen Werkzeugen Nahrung aus flachen Schüsseln.

Die Menschen, die an den Tischen sitzen und trinken, vertreiben sich die Zeit, indem sie eine Anzahl Karten in der einen Hand halten und reihum eine davon auf die Mitte des Tisches werfen. Dabei lachen sie und sprechen miteinander. Andere Menschen stehen an einer Mauer mit einer breiten Auflage in Hüfthöhe und trinken dort aus ihren Bechern.

Kee Gung fordert mich auf mitzukommen und bewegt die Schwingtür nach innen um einzutreten. Wir betreten den großen Raum und schauen uns um. Eine Frau, von der Schulter abwärts in ein fast bodenlanges Tuch gehüllt, geht herum und fragt, was die Menschen haben möchten. Wir gehen weiter in den Raum hinein, bis zu der halbhohen Mauer.
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Mo Jan 01, 2024 10:43 am

Dahinter steht ein Mann, der nach Aufforderung die Becher der Menschen auffüllt. Einer der Menschen streckt sich nun, greift in seine Tasche und legt ein Stück Papier auf die Auflage. Sofort hat der Mann hinter der Auflage das Papier gegriffen und eingesteckt. Die Beiden wechseln noch ein paar Worte, dann dreht sich der Mann auf unserer Seite der Mauer um und geht auf die Schwingtür zu.

In diesem Moment wird mein Shikshak von einem Mann angesprochen, der neben ihm steht. Mein Kommunikator übersetzt:

„He, wer seid ihr? Farbige gehören hier nicht hinein. Dieser Saloon ist nur für Weiße.“

Kee Gung wendet sich zu dem Mann hinter der Mauer und fragt ihn:
„Was gibt es hier, das nichts kostet?“

Der Kommunikator meines Shikshak übersetzt und der Mann schaut misstrauisch. Er fragt zurück:

„Hä?“

Diesen Laut übersetzt der Kommunikator nicht. Bevor Kee Gung noch einmal fragen kann, meldet sich der Mann neben ihm noch einmal:

„Hast du nicht verstanden? Farbige sind hier unerwünscht!“

Gehorsam übersetzt sein Kommunikator, was der Mann sagt. Da Kee Gung immer noch nicht reagiert, fasst ihn der Mann an und will ihn in Richtung Schwingtür drehen. Kee Gung steht weiterhin auf der Stelle, aber der Mann hebt ab und fliegt auf die Tischplatte des nächsten Tisches, der unter der plötzlichen Belastung zusammenbricht. Die Männer am Tisch reagieren empört, ob der Störung ihres Spiels.

Nun rappelt sich der Mann wieder auf und stürmt auf meinen Shikshak zu. Dieser tritt ein wenig zur Seite, so dass der Mann mit dem Oberkörper auf der Auflage zu liegen kommt. Kee Gung fasst ihn an seiner Kleidung im Rücken und schon landet der Mann wieder auf dem zusammengebrochenen Tisch.

Ein zweites Mal rappelt sich der Mann auf, zieht einen Dolch aus seinem Gürtel und stürmt noch einmal gegen meinen Shikshak. Inzwischen haben die Männer in diesem Raum einen weiten Halbkreis um uns gebildet und schauen zu. Es bedarf nur einer kurzen Handbewegung und der Dolch steckt tief im Holz der Deckenverkleidung. Der Mann klappt vor Kee Gung zusammen und bleibt am Boden liegen.

Mein Shikshak wendet sich nun an mich und sagt:
„Komm, Hamad, wir sollten jetzt besser gehen.“

Während wir uns der Schwingtür nähern, weichen die anderen Männer zur Seite und öffnen uns eine Gasse, durch die wir den Raum unbehelligt verlassen. Kee Gung folgt dem Verlauf der Straße und ich folge ihm. Gemeinsam verlassen wir die Ansiedlung und wandern wieder einige Tage durch die Landschaft.

Unterwegs hören wir das Getrappel von den Füßen der Reittiere. Vorsichtigerweise lassen wir uns ins Gras fallen und warten ab. Sie reiten an uns vorbei. Als es Abend wird schachten wir an einer Stelle mit wenig Gras eine Grube aus. Wir decken die Grube mit unseren Schlafmatten ab und verteilen Sand und Steine darauf, damit es so aussieht, wie die Umgebung. Danach legen wir uns in der Nähe hin. Einer von uns bleibt wach und weckt den Anderen in der Hälfte der Dunkelperiode.

Am Morgen hören wir wieder Getrappel von Reittieren. Diesmal kommt das Geräusch aus der anderen Richtung. Als die Menschen auf ihren Reittieren heran sind, erkennen wir sie wieder. Einer der Beiden hat den Streit mit meinem Shikshak in der Siedlung begonnen und verloren. Er sinnt nach Rache wie mir scheint, ein niederes Gefühl! Die anderen Beiden sind anscheinend seine Freunde und wollen ihm beistehen.

Die Menschen springen von ihren Reittieren und der Anführer untersucht den Boden. Sie finden die Falle und rufen:

„Guten Morgen, ihr Beiden! Wir haben ein wunderschönes Geschenk für euch. Wollt ihr nicht hervorkommen und es euch ansehen? Es wäre zumindest höflich.“
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Di Jan 02, 2024 10:46 am

Wir kriechen leise näher heran. Da sich niemand aus dem Loch erhebt, halten alle Drei ihre Waffen auf die Grube und betätigen sie. Unter Getöse fliegen Projektile aus den Waffen und zerfetzen unsere Schlafmatten. In dem Lärm ihrer Waffen hören sie uns nicht, wie wir über sie kommen. Als sie das realisiert haben, liegen zwei schon auf dem Boden. Sie haben ihre Waffen fallengelassen und attackieren uns nun mit ihren Dolchen, aber wir haben gelernt, unsere Gegner zu entwaffnen.

Erst der Mann, der noch steht. Als dieser am Boden liegt, sind die anderen beiden schon wieder auf ihren Beinen und attackieren uns erneut. Ihre Gesichter sind vor Aggressivität zu Fratzen verzerrt. Leider bleibt uns nichts anderes übrig, als sie zu töten. Anschließend legen wir die Körper in die Grube und nehmen uns von ihrer Kleidung, was wir hier in dieser Gegend gebrauchen können.

Zwei ihrer Dolche nehmen wir an uns. Sie können uns als Werkzeug gute Dienste leisten. Mein Shikshak entscheidet ebenso, dass er eine der Waffen und einen Patronengurt an sich nimmt. Er möchte die hier gebräuchlichen Waffen untersuchen, um ihre Gefährlichkeit herauszufinden. Dann nehmen wir einem Reittier seine Ausrüstung ab und treiben es fort. Die anderen beiden Reittiere besteigen wir und bewegen uns auf ihrem Rücken fort. Wir haben gesehen, dass hier alle Menschen reiten. Mein Shikshak meint, wenn wir uns assimilieren, fallen wir weniger auf.

Infolge bewegen wir uns fünffach schneller fort, als zu Fuß. Schon bald erreichen wir eine andere Siedlung. Aufgrund unserer Erfahrung in der zuerst erreichten Siedlung gehen wir nicht in diesen Versammlungsort, den sie ‚Saloon‘ nennen. Wir reiten überhaupt nicht auf der Straße in die Ansiedlung hinein, sondern nähern uns dem ‚Saloon‘ von hinten. Wir springen von den Reittieren herunter und binden sie an einen hölzernen Pfahl an.

Shikshak Kee Gung klopft an eine Tür. Nach kurzer Zeit öffnet sich die obere Hälfte und eine Frau lässt sich blicken. Sie schaut prüfend und fragt:

„Was möchten Sie.“

„Haben Sie etwas, das nichts kostet?“ fragt er sie mit einem freundlichen Lächeln.

Er zieht den Hut vom Kopf, den wir von unseren Gegnern erbeutet haben und verbeugt sich leicht.

„Wasser kann ich euch geben,“ meint sie.

„Gerne,“ bestätigt mein Shikshak. „Wäre das in Ordnung, wenn auch unsere Reittiere Wasser bekommen?“

„Okay,“ bestätigt sie.

Sie holt einen hölzernen Eimer mit Wasser herbei. Während Kee Gung unsere Tiere tränkt, fragt die Frau:

„Sind Sie auf der Durchreise?“

„Wir haben kein direktes Ziel,“ bekenne ich. „Kennen Sie jemanden, bei dem wir arbeiten können, um unser Essen zu verdienen?“

Wieder trifft uns ihr prüfender Blick. Sie meint:
„Unser Schmied steht im Moment alleine da. Er kommt daher mit den Aufträgen nicht zurecht. Wenn Sie sich das zutrauen würden?“

Mein Shikshak nickt.

„Könnten Sie uns zu dem Mann führen?“

Sie nickt und ruft nach drinnen:
„James! Ich bringe zwei neue Arbeiter zu Jack. Ich bin gleich danach wieder zurück!“

„Okay!“ ruft ein Mann von drinnen.

Nun tritt die Frau vollends vor die Tür und geht ein paar Schritte an den Holzhäusern entlang. Dann dreht sie sich zu uns um und fordert uns auf:

„Folgen Sie mir bitte!“

Wir binden unsere Reittiere los und gehen hinter der Frau her. Sie führt uns drei Häuser weiter und klopft dort an eine Tür. Von drinnen sind Hammerschläge in einem hellen Ton zu hören, wie wenn jemand Metall bearbeitet.

Dann wartet sie eine Weile und als die Hammerschläge einen Moment aussetzen, klopft sie erneut. Wir haben inzwischen unsere Reittiere hier angebunden.
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Mi Jan 03, 2024 10:01 am

Die Tür öffnet sich im oberen Bereich und eine andere Frau schaut heraus. Als sie ihre Nachbarin erblickt, lächelt sie und fragt:

„Hallo Liz, was kann ich für dich tun?“

Die Frau, die uns hierhergeführt hat, zeigt auf uns und meint:
„Roger sucht doch Schmiedegesellen! Kann er sich die Beiden hier einmal anschauen? Sie suchen Arbeit.“

„Ah, interessant. Ja, ich hole ihn eben,“ antwortet die Frau des Schmieds.

Sie lässt uns kurz vor der Tür stehen. Wenig später tritt ein Mann an die Tür, öffnet auch deren untere Hälfte und kommt vor das Haus. Es ist ein Schrank von einem Mann mit umfangreichen Schultermuskeln und dicken Armen. Die Frau, die uns hergeführt hat, verabschiedet sich und geht nachhause.

„Ihr sucht also Arbeit,“ meint der Mann und mustert uns abschätzend.

„Richtig!“ bekräftigt mein Shikshak. „Wir würden gerne eine Arbeit annehmen, für die man uns gut bezahlt. Wir sind uns für nichts zu schade!“

„Habt ihr denn schon einmal in einer Schmiede gearbeitet?“ fragt er nun.

„Leider nein,“ erklärt Kee Gung dem Mann. „Aber wir trauen es uns zu, wenn Sie uns in die Geheimnisse der Metallbearbeitung einweihen.“

„Da gibt es nichts Geheimnisvolles!“ stellt der Mann fest. „Na, dann kommt herein und lasst einmal sehen, wie ihr euch anstellt.“

Er hält uns die Tür auf und führt uns in ein Nebengebäude, wo ein Feuer unter einer Esse brennt. Er übergibt jedem von uns eine lederne Schürze. Wir legen sie uns in der gleichen Art um, wie er sie trägt. Danach sollen wir nähertreten und zuschauen, wie er ein längeres gebogenes Stück Metall mit dem Hammer in Form schlägt. In seiner linken Hand hält er eine Zange aus Metall mit Holzgriffen, mit der er das gebogene Stück Metall auf einem Holzblock hält. Dieser Holzblock besitzt auf seiner Plattform ein großes Metallteil mit verschiedenen Auswüchsen.

Er erklärt uns, was er gerade macht und warum. Er sagt ebenso, dass das Metall an der zu bearbeitenden Stelle rotglühend bleiben muss, damit es formbar ist. Danach übergibt er meinem Shikshak den Hammer und die Zange und geht etwas auf Abstand.

Kee Gung schaut sich die an der Wand hängenden fertigen Metallteile an, die genauso aussehen, wie das zu bearbeitende Teil und beginnt nun mit gezielten Hammerschlägen, das Teil immer wieder einmal kurz in die Glut haltend. Der Schmied scheint zufrieden zu sein. Nach einer Weile fragt er:

„Kann ihr Begleiter auch solch eine Pflugschar herstellen?“

„Der junge Mann lernt noch viel,“ äußert sich Kee Gung lächelnd und zwinkert mir zu. „Ich denke, er sollte sich die Arbeit erst einmal anschauen und einfache Dinge oder Botengänge erledigen. Dafür braucht er nicht unbedingt eine Bezahlung. Nahrung reicht aus.“

„Okay,“ meint der Schmied. „Also Nahrung für Zwei, Lohn für eine Person…“

Mein Shikshak nickt.

„Genau… Wenn das in ihrem Sinne ist.“

„Ja, abgemacht. Damit wäre ich einverstanden. Schlafen müssten Sie bei ihren Pferden im angrenzenden Stall.“

„Das geht in Ordnung!“

Während Kee Gung nun das Metallteil weiter bearbeitet, zeigt mir der Schmied den Stall. Unsere Reittiere folgen mir hinein, von der Leine gezogen. Dort darf ich die Pferde, wie er die Reittiere bezeichnet hat, mit Stroh, Futter und Wasser versorgen. Ich bereite auch unser Nachtlager aus Stroh schon einmal vor. Danach gehe ich wieder in die Werkstatt zurück.

Am Abend dürfen wir in der Küche mit dem Paar essen, was die Frau inzwischen zubereitet hat. Anschließend erhält Kee Gung ein bedrucktes Stück Papier. Der Schmied sagt dazu:

„Sie erhalten jeden Abend einen Dollar als Lohn, wenn ich zufrieden bin. Sie dürfen solange bei mir arbeiten, wie es ihnen gefällt. Wenn sie Weiterziehen wollen, ist es ihre Entscheidung. Der heutige Arbeitstag hat mir jedenfalls gefallen.“

Zwei weitere Pflugscharen, wie er die Metallteile nennt, hängen nun an der Wand.

*
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Do Jan 04, 2024 11:22 am

Ich heiße Oorja Kaam und habe die Wachzeit in der Funkzentrale der Gyaan auf Sona, als unsere Anlage ein schwaches Signal auffängt. Neugierig nehme ich ein paar Einstellungen vor, da lange nichts Besonderes geschehen ist. Endlich kann ich das Funksignal verstehen, das das Funkwellenteleskop empfangen hat:

„Aro-23 hier. Wir befinden uns in einer Notlage. Der Warp-Antrieb ist reparaturbedürftig. Statt im Zielsektor sind wir am Rand des Systems einer gelben Sonne herausgekommen. Meine Standortbestimmung ergibt folgende Werte… (Hier folgen drei Zahlenreihen). Im Anhang sende ich auf Befehl des Kommandanten, was sich über das System in meinem Archiv befand. Dies ist eine Notlage!“

Es gibt einen Anhang. Ich hoffe, dass daraus die Position des havarierten Raumschiffes ersichtlich ist. Ich lasse die künstliche Intelligenz der Anlage den Anhang öffnen. Wie erwartet, dauert es einige Zeit. Danach lese ich auf dem Bildschirm vor mir:

„Das System vor uns habe ich als das Sâu-System identifiziert. Es beherbergt unter anderem den Planeten Aitha. Er besitzt mit Maantha einen großen Mond. Da wir aus technischen Gründen nicht in der Lage sind unseren ursprünglichen Auftrag zu erfüllen, hat der Kommandant angeordnet, dass wir Aitha und seine heutigen Bewohner erforschen. Durch meine Sensoren habe ich die beherrschende Intelligenz als Spezies der Stufe 6 identifiziert.
Aithas Oberfläche habe ich kartographiert. Die dort lebende Intelligenz nutzt primitive Technik mittels Dampf- und Windkraft.“

Es folgen noch Bilder und Datenblätter, die unsere Wissenschaftler interessieren werden. Ich schicke den Anhang also weiter, während ich den Notruf an meinen Vorgesetzten weiterleite.

*

Mein Name ist Âtmán Drav. Ich bin Kommandant des Werkstattschiffes Spen-17. Wir haben eine ganze Weile auf Sona verbracht. Nun muss ich die Besatzung zusammenrufen, denn der Gyaata ka Salaah -Rat der Gyaan- hat uns einen Auftrag erteilt und mein Vorgesetzter hat unser Raumschiff dafür ausersehen.

Ich denke, wir sind alle froh. Endlich gibt es wieder etwas zu tun. Mein Vorgesetzter hat beim Briefing berichtet, dass ein Forschungsschiff der Gyaan im Weltraum havariert und auf einem Planeten notgelandet ist. Dieser Planet sei mit Intelligenzen der Stufe 6 bewohnt. Wir müssen also zurückhaltend agieren.

Die Gyaan, das sind Leute mit einerseits mönchischen Tugenden, die aber andererseits trotzdem Beziehungen pflegen dürfen, wie jeder andere Sonaer auch. Sie genießen wegen ihres umfangreichen Wissens hohes Ansehen und werden sehr gerne als Berater und Botschafter eingesetzt, aber auch als Unterhändler und Boten.

Nachdem unsere KI die Koordinaten der Havarie erhalten hat, fliegen wir ab. Am Ziel finden wir das Planetensystem eines gelben Sterns. Die künstliche Intelligenz der Spen-17 zählt 170 Monde, die 8 Planeten umkreisen. Außerdem entdeckt unsere KI noch einige Kleinplaneten und eine große Anzahl von Planetentrümmern in einer Umlaufbahn um den Stern zwischen den äußeren Gasplaneten und den inneren Gesteinsplaneten des Systems.

Wir bremsen unsere Geschwindigkeit herunter und lassen die KI den Anrufcode des Havaristen senden. Wenig später hat unsere künstliche Intelligenz den Standort des anderen Raumschiffes ermittelt. Es ist auf dem dritten Planeten gelandet. Wir nähern uns vorsichtig an und lassen die KI alle verfügbaren Daten über Aitha sammeln.

Bald erkennen wir, dass der Planet über große Wasserflächen und Landmassen verfügt. Die Atmosphäre ist für Menschen geeignet. Wir haben eine felsige Hochebene als Standort des Havaristen ermittelt und gehen tiefer, während über dem Standort die Nacht hereingebrochen ist.
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Fr Jan 05, 2024 10:37 am

Aro-23 meldet uns, dass zwei Passagiere an Bord gewesen sind. Jetzt befinden sie sich jedoch auf Erkundungstour bei den Planetariern. Das erschwert die Sache allerdings etwas. Wir müssen die beiden Gyaan suchen und mit ihnen das weitere Vorgehen besprechen. Ich denke, es ist nicht verkehrt, wenn wir in der Zwischenzeit ein Wartungsteam Aro-23 betreten lassen. Sie können versuchen, den Schaden zu beheben, soweit das möglich ist.

*

Ich besuche mit meinem Shikshak und den anderen Kameraden meines Jahrgangs eine Varieté-Veranstaltung mit Tanzvorführung. Während eine Tänzerin sich vor mir dreht und mir zuzulächeln scheint, fragt mein Shikshak plötzlich:

„Was fühlst du?“

Ich habe in seiner Nähe Platz genommen, um der Vorführung beizuwohnen. Nun schaue ich verwirrt zu ihm auf und antworte:

„Nichts.“

Er wiederholt sich:
„Was fühlst du?“

Ich gebe zu:
„Unbehagen.“

Mein Lehrer sagt nun:
„Die Seele, der Körper und der Geist sind ein Ganzes. Wenn der Körper den Wünschen der Seele und des Geistes folgt, dann befindet er sich im Einklang mit der Natur. Es gibt keinen Grund, sich wegen irgendetwas zu schämen.“

Ich fühle mich ermutigt, meinen Meister jetzt zu fragen:
„Und was ist Liebe?“

„Liebe ist Harmonie, völlige Harmonie!“ gibt er mir zur Antwort. „Jedoch: Liebe, aus Verrat geboren, soll man vergessen, weil sie nicht leben kann.“

*

Wir leben jetzt schon zwei Monate bei den Menschen von Aitha, wenn wir uns der Einfachheit halber deren Zeiteinteilung zu eigen machen. Heute ist die ganze Siedlung auf den Beinen. Vier Planwagen, von je zwei Pferden gezogen, sind angekommen. Es sind Theaterleute, die ein paar Tage hier Station machen wollen, um ihr Bühnenstück aufzuführen.

Sie haben ihre Wagen hinter dem Saloon zu einer Wagenburg zusammengestellt. Der Saloon wird umgebaut. Die Tische werden entfernt und weitere Stühle aufgestellt. Der Tresen ist umgelegt und der Boden um zwei Treppenstufen erhöht worden. Man hat eine Leine gespannt und daran Tücher befestigt, um die Bühne durch einen Vorhang vom Zuschauerraum zu trennen.

Neugierig haben wir uns auch zwei Eintrittskarten besorgt. Sie kosten uns drei Dollar pro Person. Ein einstündiges Spiel wird gezeigt, in dem vier Frauen in äußerst knappen Kostümen auftreten und verschiedene Tänze aufführen. Ein Mann, ein echter Kotzbrocken, sitzt dabei und steckt sich ab und zu einen dicken braunen Stab in den Mund, um danach Rauch in die Luft zu blasen.

In den Pausen zwischen den Tänzen kommen immer wieder Männer zu ihm und bieten Geld, um mit der einen oder anderen Tänzerin eine Nacht zu verbringen. Dann werden von jeweils drei der Frauen akrobatische Kunststücke vorgeführt. Es hat den Anschein, als ob immer eine der Künstlerinnen mit einem Mann zugange ist. Das ist eine dürftige Geschichte, aber die Show ist sehr gut.

Eine der Künstlerinnen hat mandelförmige Augen und schwarze Haare. Sie erinnert mich ein wenig an die Frauen zuhause auf Sona. Also erhebe ich mich, als die Frau einmal hinter dem Vorhang bleibt und verlasse den Saloon. Ich umrunde das Gebäude und pirsche mich leise an die hintere Tür, die ich vorsichtig öffne. Nun schleiche ich mich in Richtung Bühne und sehe die Frau mit dem Mann, der vorhin auf der Bühne Geld gezahlt hat, an einem Tisch sitzen und miteinander scherzen. Anscheinend gehört der Mann auch zu der Theatertruppe.
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Sa Jan 06, 2024 10:09 am

Ich bleibe noch, bis die Frau von einer anderen am Tisch abgelöst wird und wieder zur Bühne geht. Dann schleiche ich mich aus dem Bereich hinter der Bühne und umrunde das Haus erneut, um mich wieder neben meinem Shikshak niederzulassen. Bald darauf ist die Vorstellung beendet.

Der Mann mit dem rauchenden Stab erklärt den Zuschauern nun, dass die Vorstellung noch ungefähr eine Woche lang jeden Abend im Saloon stattfinden wird. Wer Bekannte hätte, die daran interessiert wären die Vorstellung ebenfalls zu sehen, dürfte sie gerne einladen. Wir verlassen den Saloon mit den anderen Zuschauern und gehen zur Schmiede, um dort im Stall neben den Pferden zu schlafen.

Allerdings kann ich nicht richtig einschlafen. Die Frau mit den mandelförmigen Augen geht mir nicht aus dem Sinn. Also gehe ich vor die Tür und setze mich, nicht weit von der Wagenburg, auf den Boden und beginne zu meditieren.

Zuerst beobachte ich mich selbst und meine Gedanken bei geschlossenen Augen. Dabei erkenne ich, dass sich mein Geist bestimmte Gedankenbilder vorstellt. Ich sehe mich auf Sona in der Akademie der Gyaan -Wissenden- und auf den Straßen der Hauptstadt. Ich erlebe, wie die Menschen mich ehrerbietig Kêi -Herr- nennen. Das Wort bedeutet ursprünglich ‚Älterer‘, hat sich im Laufe der Jahrtausende aber als ehrerbietige Anrede etabliert, die man auch Gleichaltrigen und sogar Jüngeren gegenüber gebraucht.

Bilder aus meinem Bewusstsein lassen sich einfangen und länger betrachten. Viele sind mit Emotionen behaftet. Plötzlich sehe ich die Künstlerin mit den mandelförmigen Augen in meinen Gedanken. Was würde wohl geschehen, wenn ich den Mut aufbrächte und sie ansprechen würde?

Zwei Abende sitze ich nun schon vor der Tür, als es in einem Wagen laut wird. Man hört männliche und weibliche Stimmen. Eine weibliche Stimme redet in Panik. Eine männliche Stimme versucht zu beruhigen, aber die weibliche Stimme lässt sich nicht beruhigen. Zwei weitere weibliche Stimmen sind nun zu hören, die beruhigen wollen. Andere männliche Stimmen melden sich nun auch. Dann fällt ein Schuss.

Ein Mann verlässt den Wagen und läuft zur Pferdekoppel. Auf der Umzäunung hängt Sattel- und Zaumzeug. Schnell hat er einem Pferd Sattel- und Zaumzeug angelegt und führt es von der Koppel. Dann schwingt er sich in den Sattel und reitet davon. Die restlichen sieben Pferde traben ebenfalls aus der offenen Koppel, obwohl nun weitere Männer aus den Wagen kommen und die Pferde zurückhalten wollen.

Frauenstimmen rufen nach einem Arzt. Ich nähere mich dem Künstlerwagen und frage:
„Kann ich helfen?“

„Ja, Sie schickt der Himmel!“ antwortet eine blonde Frau mit unstetem Blick, völlig aufgelöst.

Ich klettere in den Wagen und sehe viel Blut. Die Künstlerin mit den Mandelaugen liegt am Boden und rührt sich nicht mehr. Ich lege ihr einen Druckverband an, um die Blutung zu stoppen und zerreiße dafür mein Hemd. Anschließend führe ich eine Herzdruckmassage durch, im Wechsel mit Atemspenden. Nach einer Weile öffnet die Frau ihre Augen und will sich erheben. Ich drücke sie sanft auf den Wagenboden zurück und erkläre ihr:

„Bleiben Sie ruhig liegen, Miss. Sie haben einen Streifschuss erlitten und Blut verloren. Das dauert ein bis zwei Wochen und auch danach ist erst einmal nichts mit ihren wunderschönen akrobatischen Tänzen. Sie müssen sich schonen.“

„Aber ich… Wenn ich nicht arbeite, verdiene ich auch kein Geld!“

Ich schaue zu den anderen Frauen hoch, die sich über uns beugen.

„Ist das so?“

Sie zeigen einen gefassten Gesichtsausdruck und nicken.

„Ja, so ist es,“ antwortet eine.

„Okay,“ erkläre ich. „Wenn sie also dem Theaterdirektor nichts mehr nützt, kann ich sie ja auch mitnehmen und auf meine Kosten gesund pflegen!“
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1So Jan 07, 2024 11:27 am

Ich greife unter ihre Kniekehlen und Achseln und hebe sie an. Sie verzieht ihr Gesicht vor Schmerz.

„Umfassen Sie mit ihren Armen meinen Hals, Miss,“ fordere ich sie auf und zu den anderen Frauen gewendet, frage ich:

„Haben Sie hier ein Brett herumliegen, mit dem man eine schiefe Ebene vom Wagenboden zur Erde herstellen kann?“

Eine der Frauen wendet sich um und kommt mit einem Balken von zehn Zentimeter Kantenlänge an. Ich nicke. Zwei Frauen schieben ihn aus dem Wagen, bis er schräg zur Erde liegt. Ich balanciere nun mit meiner Last herunter und wende mich unten noch einmal um.

„Gute Nacht, und vielen Dank für die Hilfe!“ sage ich und bin kurz darauf in der Dunkelheit verschwunden.

Ein paar Minuten später betrete ich den Stall der Schmiede und bette die Frau auf dem Stroh. Mein Shikshak gibt ihr ein Schlafmittel.

In diesem Moment meldet sich sein Kommunikator. Nachdem die Frau versorgt ist und ich ihr Einschlafen überwache, nimmt Kee Gung das Gespräch an.

„Ich freue mich, dass Sie wohlauf sind, verehrter Kêi,“ tönt es aus dem Gerät. „Darf ich Sie abholen?“

Mein Shikshak lächelt froh und antwortet:
„Ja, bitte, gleich!“

Danach wendet er sich mir zu und fragt mich:
„Sollen wir die Verletzte der Frau des Schmiedes übergeben, damit sie sie gesund pflegt?“

Ich schüttele den Kopf und entgegne:
„Nein! Entweder bleibe ich hier, während Sie allein nach Sona zurückkehren, verehrter Shikshak -Lehrer-, oder wir nehmen sie mit und ich kümmere mich während des Fluges und in der Heimat um sie.“

„Sie ist eine ‚Stufe 6‘!“ redet er mir noch einmal ins Gedächtnis. „Wenn sie aufwacht, wird sie ganz sicher einen Kulturschock erleiden.“

Ich nicke und antworte:
„Das ist mir bewusst!“

Er nickt und meint lächelnd:
„Du musst sie sehr mögen, Hamad!“

Ich nicke zurück und lächele ebenfalls. Er legt die Stirn in Falten und meint:
„Niemand kennt ihre Gedanken und Gefühle dir gegenüber! Wollen wir hoffen, dass sich da etwas entwickelt mit der Zeit.“

In diesem Moment öffnet sich die Stalltür und zwei Sonaer in Bordkombis stehen vor uns.

„Bitte kommen Sie mit, ehrenwerte Kêi -Herren-!“ fordert uns einer der Beiden auf.

Ich nehme die unbekannte Künstlerin in meine Arme und folge Kee Gung nach draußen. Dort ist alles dunkel. Die beiden Sonaer führen uns einige Meter von der Schmiede weg. Bald spüre ich Metall unter meinen Füßen. Es geht eine kleine Schräge hinauf. Dann höre ich ein Summen. Die Klappe, die wir gerade hinaufgestiegen sind, fährt zu.

Anschließend geht das Licht an und gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass wir in einem Fahrstuhl stehen. Das ist nur natürlich, denn das Fahrzeug, das uns abgeholt hat, startet senkrecht und wird danach ins Gebirge zurückfliegen. Der Sonaer mit Rangabzeichen fragt mich nun:

„Was ist mit ihr?“

Er hat kurze Zeit gebraucht, die Frage zu formulieren. Sicher hatte er den Begriff Webh -Wesen- auf der Zunge. Dann hat er erkannt, dass sie von unserer Art ist.

„Sie wurde mit einer primitiven Waffe angeschossen,“ erklärt mein Shikshak. „Haben Sie eine medizinische Station an Bord?“

„Auf unserer Spen-17 haben wir die Möglichkeit, dass die KI sie untersucht.“

„Das ist gut! Diese Möglichkeit fehlt uns auf der Aro-23.“

Wenige Augenblicke später landet das Beiboot im Hangar und ich bringe die Künstlerin in die medizinische Station. Dort wird sie gründlich untersucht, um Daten für eine biologische Expertise über die Menschen von Aitha zu gewinnen. Ich bleibe bei ihr, obwohl Spen-17 sagt, dass sie während der Untersuchungen nicht aufwachen wird.
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Mo Jan 08, 2024 11:02 am

So kommt es, dass sie mich als ersten sieht, als Spen-17 die Narkose langsam zurücknimmt.

„Wo bin ich?“ fragt sie verstört. „Wer sind Sie?“

Ich lege ihr meine Hand sanft auf die Schulter und erkläre ihr:
„Erinnern Sie sich? Sie hatten einen Streit unter Kollegen. Es fiel ein Schuss. Ihre Kolleginnen riefen nach einem Arzt. Ich war gerade in der Nähe und fragte, ob ich helfen könne. Leider bin ich kein Arzt, aber als Ersthelfer ausgebildet. Ich habe ihre Wunde versorgt und sie dann aus ihrer Bewusstlosigkeit geholt. Anschließend hörte ich, dass sie für ihren Chef wertlos sind, während sie genesen. In dieser Zeit würden sie weder Lohn noch medizinische Versorgung bekommen. Also habe ich sie aus dem Wagen in den Stall getragen, in dem ich zusammen mit meinem Lehrer nächtige, um sie dort unentgeltlich zu versorgen.“

Sie nickt und fragt nun:
„Und wo befinde ich mich jetzt?“

„Dafür muss ich ein wenig weiter ausholen, wenn Sie gestatten, Miss. Zuerst möchte ich mich Ihnen vorstellen! Mein Name ist Hamad Dil.“

„Oh, okay. Ich heiße Miss Li. Der Theaterdirektor hat mich von einem amerikanischen Herrn abgekauft und zur Tänzerin ausgebildet. Meine Eltern sind vor vielen Jahren mit mir nach Amerika gekommen, weil sie sich ein besseres Leben erhofft haben. Die Fahrt mit dem Segelschiff hat ihr ganzes Vermögen aufgebraucht. Am Ziel mussten sie erkennen, dass das Leben nicht leichter ist als in der Heimat. Also haben sie mich als Hausmädchen an einen einflussreichen Mann weitergegeben.“

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Was ich höre, ist keine schöne Geschichte.

„Also,“ versuche ich mit meiner Geschichte abzulenken. „Wir kommen von weit her und leben in meiner Heimat weit besser als in Amerika. Unser Wagen ist hier kaputtgegangen. Deshalb haben wir um Hilfe gekabelt. Gerade in der Nacht, als Sie auf unserem Schlaflager eingeschlafen sind, haben wir ein Telegramm erhalten, dass man uns zurückholen will. Kurz darauf hat der Wagen bei uns gehalten, der uns zurückholt. Da Sie noch nicht gesund sind, stand ich vor der Entscheidung, bei Ihnen zu bleiben, oder Sie mitzunehmen. Sie einfach so Ihrem Schicksal überlassen, wollte ich nicht. Denn wenn es zu einer Komplikation kommen würde – Wundbrand -, könnten Sie sterben, ohne dass Ihnen jemand hilft.“

„Dann muss ich mich wohl bei Ihnen bedanken, Mister Dil,“ antwortet sie flüsternd. „Und wo befinde ich mich nun hier?“

Jetzt wird es schwierig für mich, meine Erklärung mit ihr bekannten Begriffen fortzuführen. Man kann ein Beiboot oder ein Raumschiff mit ‚Wagen‘ umschreiben oder den Notruf ‚kabeln‘, aber die Krankenstation? Na gut, es ist halt ein Hospital. Dass wir keinen Arzt an Bord haben, sondern eine künstliche Intelligenz, das dürfte über ihren geistigen Horizont des Jahres 1850 gehen.

Ich antworte ihr deshalb einfach:
„Ich habe Sie in unserem Hospital abgegeben, Miss Li. Hier sind Sie in guten Händen und können genesen, ohne dass es zu Komplikationen kommt.“

Abrupt setzt sie sich auf und erklärt mit schreckgeweiteten Augen:
„Ich kann mir das Hospital nicht leisten! Ich habe kein Geld.“

„Miss Li, beruhigen Sie sich bitte! Sie brauchen keinen Cent zu zahlen. Das regele ich alles für sie.“

Sie sinkt wieder in die Kissen zurück, mich anlächelnd:
„Aber wieso? Warum bemühen Sie sich so?“

„Ich fühle Zuneigung für Sie, seit ich Sie zum ersten Mal gesehen habe,“ gestehe ich ihr. „Darum war ich so besorgt, als Sie angeschossen wurden, und habe ihre Pflege übernommen.“

Sie nimmt meine Hand und schaut mir in die Augen. Nach einem kurzen Moment des Forschens in meinen Augen drückt sie meine Hand und sagt:

„Vielen Dank!“

Ich schüttele lächelnd den Kopf und antworte:
„Immer wieder gerne!“
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Di Jan 09, 2024 10:57 am

Nachdem ich eine Weile stumm neben ihr gesessen habe, frage ich sie:
„Sie haben bestimmt Hunger. Darf ich Ihnen etwas zu essen holen?“

Wieder lächelt sie mich an. Dieses Lächeln fesselt mich regelrecht. Ich zwinge mich aufzustehen und gehe an die Ausgabe an der Wand neben der Raumtür. Dort wähle ich zwei Menüs. Nach kurzer Zeit öffnet sich die Ausgabe und ich entnehme ihr ein Tablett, dass ich zu einem Tisch neben dem Bett trage. Anschließend klappe ich eine Ablage hoch, die ich über das Bett schwenke und das Menü für sie darauf platziere. Mein Menü esse ich an dem Tisch neben ihrem Bett.

*

Mit dem 3D-Drucker habe ich ein paar alte Brettspiele drucken lassen, um Miss Li die Zeit zu vertreiben. Leider konnte ich ihr keine Bücher zum Lesen geben, aber auch unsere Literatur kennt Liebesromane. Nachdem ich ihr solche Romane ins Englische übersetzen gelassen habe, zeige ich ihr, wie man Tablets benutzt und dass man sich damit solche Romane vorlesen lassen kann. Nach einer Weile fragt sie mich:

„Der Roman, den ich gerade höre, spielt in einer Gegend, die ich nicht kenne. Die Personen leben weder in China noch in Amerika. Handelt der Roman von Gegebenheiten aus Ihrer Heimat, Mister Dil?“

Ich bestätige es ihr. Sie erzählt mir ihren Traum:
„Ich möchte dieses Land sehr gerne kennenlernen, habe aber kein Geld für die Kutsche und das Segelschiff.“

Kurz meine Augen mit einem Lächeln schließend, schüttele ich verhalten den Kopf. Dann erkläre ich ihr:

„Sie brauchen keinen Cent für die Reise. Ich übernehme das.“

Nun schüttelt sie energisch den Kopf und antwortet:
„Nein, Mister Dil! Das kann ich nicht annehmen. Ich wäre es Ihnen lebenslang schuldig, wenn Sie so viel Geld für mich ausgeben.“

„Miss Li, ich habe Ihnen vor Tagen schon meine Zuneigung gestanden. Fühlen Sie nicht ähnlich? Ist es da nicht natürlich, dass man die Person, die man mag, stets in seiner Nähe haben mag – selbst wenn man in seine Heimat zurückreist?“

Nun beugt sie sich mir entgegen und drückt mir einen Kuss auf meine Wange.

„Zuneigung ist ein wundervolles Gefühl, Mister Dil. Auch ich kann es nicht leugnen, dass ich in mir dieses Gefühl für Sie entdeckt habe in den letzten Tagen. Gleichzeitig ist es aber auch sehr zerbrechlich. Ich möchte nicht enttäuscht werden!“

„Ich spreche ja nicht von Liebe und Heirat, Miss Li. Dafür ist es augenblicklich noch zu früh. Wenn wir unsere Gefühle lange genug geprüft haben, könnte es aber vielleicht dorthin führen?“

„Wer weiß, was die Zukunft für uns bereithält, Mister Dil. Ich bin Ihnen jedenfalls sehr dankbar und fühle mich zu Ihnen hingezogen. Ja, ich mag Ihre Gesellschaft sehr gerne!“

Die KI erklärt mir, dass es an der Zeit ist, Miss Li zu mobilisieren. Also biete ich ihr an, dass wir die Kleiderkammer aufsuchen und ihr ein passendes Outfit aussuchen. Sie setzt sich auf und stellt ihre Füße vorsichtig neben die Liege. Ich nehme ihre Hände und ziehe sie hoch.

„Na, wie fühlen Sie sich?“ frage ich sie.

„Ein wenig schwindlig, aber das vergeht schnell,“ meint sie nun.

Ich lege also meinen Arm um ihre Schultern, verlasse mit ihr im Schlafkleid die Krankenstation und führe sie in die Kleiderkammer. Dort wird ihr Körper gescannt. Um ihr die Angst zu nehmen, habe ich sie unterwegs auf den roten Lichtstrahl aufmerksam gemacht. Danach bietet uns die Ausgabe verschiedene Kleidungsstücke an, die junge Frauen in meiner Heimat tragen.

Miss Li wählt ein Kleid in ihrer Lieblingsfarbe und das passende Cape dazu. Danach gehen wir in die Jalapaan -‚Messe‘- und ich frage sie, welches der Menüs aus den letzten Tagen, sie am liebsten mag. Sie nennt es mir. Also bestelle ich es an der Ausgabe und bringe es an den Tisch, wo sie sich inzwischen gesetzt hat.
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Mi Jan 10, 2024 9:41 am

Ein Bildschirm an der Wand wird plötzlich hell. Er zeigt einen großen gelben Lichtpunkt in der unteren Ecke und einen blaugrünen Punkt in der Mitte. Rechts daneben macht sich ein grauer Lichtpunkt bemerkbar, der schnell größer wird. Ich deute darauf und erkläre:

„Der graue Punkt ist unser Ziel. Wir nennen ihn Pakshi. Er hat seinen Namen von einer Erzählung, die ‚Raat ka Pakshi‘ heißt, was auf Englisch ‚Vogel der Nacht‘ bedeutet. Der Blaugrüne Punkt ist ‚Sona‘, meine Heimat.“

Miss Li sitzt mit offenem Mund auf ihrem Stuhl und starrt den Bildschirm an. Ich lege meine Hand auf ihre, um ihre Aufmerksamkeit vom Bildschirm abzulenken.

„Die Fahrt ist gleich zu Ende. Wir machen in der Werft fest. Daher sollten wir uns ein wenig mit dem Essen beeilen,“ erläutere ich mit sanfter Stimme.

„Dass sich hinter der schwarzen Scheibe ein Gemälde von ihrer Heimat befindet, wusste ich nicht, Mister Dil. Und dass sich die Darstellung bewegen kann. Ist das Zauberei?“

Ich schüttele lächelnd den Kopf und verdeutliche ihr beim Essen:
„Unsere Wissenschaft ist schon ein wenig weiter als die Chinesische oder die Amerikanische, Miss Li, keine Zauberei!“

Nun kümmert auch sie sich wieder um ihr Essen, blickt aber immer wieder zum Bildschirm hoch. Das Grau der Mondoberfläche ist immer mehr zu einem Braun geworden. Nach der Landung werden wir durch ein riesiges Tor in eine noch größere Halle geschoben. Dort geht ein leichter Ruck durch das Raumschiff, als sich Spen-17 von Aro-23 trennt. Unser Expeditionsschiff wird seitlich in den Reparaturbereich davongetragen. Dann ist Zeit, das Raumschiff zu verlassen. Miss Li hat Shikshak Kee Gung schon bei kurzen Begegnungen kennengelernt. Darum ist sie nicht überrascht, als mein Lehrer jetzt die ‚Messe‘ betritt.

„Ah, Miss Li! Ich sehe, Ihnen geht es wieder gut. Darf ich Sie bitten, mir zu folgen? Wir wechseln auf ein Boot, dass uns nach ‚Sona‘ bringt. Dort ist das Leben wesentlich angenehmer. Hier auf ‚Pakshi‘ wird doch nur gearbeitet!“

Er führt Miss Li und mich durch einen langen Gang in eine Halle und von dort durch einen anderen Gang zu einem kleinen Raumschiff, das wir kurz darauf betreten. Ich habe in einem Koffer die Spiele aus dem 3D-Drucker mitgenommen, denn ich denke, dass wir sie noch brauchen werden.

Die künstliche Intelligenz des kleinen Shuttles fordert die Starterlaubnis an. Nachdem die KI des Raumflughafens von Pakshi die Kurse der an- und abfliegenden Raumschiffe geprüft hat, bekommen wir die Starterlaubnis und unser Shuttle hebt ab. Wir fliegen nach Sona und navigieren dafür durch ein Feld von Trojaner-Asteroiden. Anschließend gehen wir in der Nähe unseres Klosters ‚Kathor Parishram‘ in den Bergen nieder, indem unsere Philosophie gegründet wurde.

Wir steigen aus und gehen auf einem Bergpfad auf das Kloster zu, während das Shuttle abhebt und mithilfe seiner KI nach Pakshi zurückfliegt. Nach einer halben Stunde Fußweg betreten wir das Kloster, das auch die Zentrale der Gyaan bildet. Mein Shikshak trennt sich von uns und will dem Priesterrat über Aitha Bericht erstatten. Ich setze mich mit Miss Li in einen Raum, um sie mit den Menschen von Sona vertraut zu machen und beginne meine Erzählung:

„Vor Tausenden Jahren hat es auf der Erde einen planetenumspannenden Vernichtungskrieg gegeben. Es kam zu einer großen Flucht zu den Sternen. Andere Planeten wurden gefunden und besiedelt. Als ein verbesserter Antrieb gebaut werden konnte, begann die Kolonisierung weiterer Planeten. Handel und Wissenstransfer zwischen den Planeten blühte auf. Darüber hat die Menschheit ihre Wurzeln auf der Erde vergessen. Die Menschen begegneten auch anderen raumfahrenden Wesen.
Den Schiffen der Gyaan war es immer wieder gelungen, friedliche Kontakte zu knüpfen, Streit frühzeitig zu schlichten und den Handel miteinander zu fördern. Forschungsschiffe der Gyaan entdeckten immer wieder für die menschliche Besiedelung geeignete Planeten und der Mensch verbreitete sich weiter. Sona blieb dabei unangefochten die Hauptwelt. Hier tagt der galaktische Rat.
Die Gesellschaft auf Sona unterteilte sich im Anfang in Anlehnung an die Gesellschaftsordnung damals auf Aitha in drei Gesellschaftsschichten: Die unterste Schicht bildeten die Bauern, die durch ihrer Hände Arbeit zur Ernährung aller Menschen unverzichtbar waren. Die nächsthöhere Schicht bildeten die Ritter. Sie teilten das Land unter sich auf und die Bauern mussten ihnen Pacht zahlen. Sie züchteten Reittiere, um sich schneller fortbewegen zu können. Streitigkeiten untereinander trugen sie mit Waffengewalt aus. Man kann also sagen, dass die Menschen auf Sona anfangs der Raumfahrttechnik entsagten und ins Mittelalter zurückfielen. Diese Gesellschaftsschicht ermittelte durch ihre Scharmützel auch die Gebietsherren unter sich.
Als höchste Gesellschaftsschicht galten damals schon die Gyaan, was übersetzt die ‚Wissenden‘ bedeutet. Sie besaßen bei den anderen Gesellschaftsschichten hohes Ansehen, aber keine Macht. Keine Gesellschaftsschicht blieb eine in sich geschlossene Bevölkerungsgruppe, sondern Mitglieder der unteren Schichten konnten ohne weiteres aufsteigen, wenn sie sich durch irgendetwas hervortaten. Männer aus höheren Schichten durften Frauen aus niederen Schichten heiraten, wenn sie Gefühle füreinander entwickelten. Jede Schicht lebte nach gewissen Tugenden, an denen man sie erkennen konnte.“
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Do Jan 11, 2024 10:16 am

„Okay,“ meint Miss Li, „und wie bietet sich mir die heutige Gesellschaft auf Sona dar?“

Ich lächele sie an und erkläre:
„Ohne das geschichtliche Wissen, bleibt Ihnen manches Heutige verschlossen. Also, die drei Gesellschaftsschichten gibt es heute immer noch. Im Laufe der Jahrtausende und mit Beginn der Industrialisierung haben sie eine Wandlung erfahren:
In der untersten Gesellschaftsschicht, die die Mehrheit der Bevölkerung ausmacht, finden Sie diejenigen, die mit ihrer Hände Arbeit ihr Geld verdienen. Das sind die Bauern und Arbeiter. In der mittleren Gesellschaftsschicht finden Sie Kaufleute, Industrielle und Banker und in der Oberschicht die Priester, Wissenschaftler und Ärzte. Wie schon immer werden Mitglieder der Oberschicht von den Anderen als Berater und Schlichter herangezogen.“

„Und Sie gehören zu dieser Oberschicht, die keine Macht beansprucht und vielleicht deshalb hohe Achtung und Wertschätzung erfährt.“

Ich nicke und sie fragt:
„Woher erhaltet ihr denn euer Einkommen? Seid ihr nicht von dieser Instanz abhängig?“

Kopfschüttelnd erkläre ich:
„Die Forschungsteams füttern quasi unser Archiv und werden dafür von ihm bezahlt. Das Kloster erhält seine Einnahmen von Spenden und vom Verkauf des Wissens aus dem Archiv. Unsere Ärzte erhalten Geld von der Krankenversicherung der Menschen. Unsere Wissenschaftler von den Firmen, denen ihr Wissen nützt, und die Priester von unseren Spendeneinnahmen. So haben alle Gyaan ein Einkommen für ihren Lebensunterhalt. Auch wir müssen Steuern und Versicherungen bezahlen.“

„Okay, das System der Versicherung ist mir neu,“ entgegnet Miss Li.

„Das bedeutet, dass alle arbeitenden Menschen einen kleinen Prozentsatz von ihrem Lohn abtreten müssen. Er wird verwaltet und damit die Rechnungen von Kranken bezahlt, oder den alten Menschen einen monatlichen Betrag ausgezahlt, von dem sie leben können.“

„Oh,“ macht Miss Li da. „Bei uns ist das so, dass bei Krankheit alle Familienmitglieder zusammenlegen, um hohe Arztrechnungen zu bezahlen. Und wenn ein Mensch zu alt wird zum Arbeiten, wird er von seiner Familie mitversorgt!“

In diesem Moment kommt Kee Gung hinzu und informiert uns:
„Kommt ihr bitte mit? Der Param Gyaata -Oberste Wissender- möchte euch sehen.“

Wir folgen meinem Lehrer zum Gyaata ka Salaah -Rat der Wissenden-. Bald erreichen wir den Raum und stehen zehn Gyaan in weißen Roben gegenüber.

Ein Mann, dessen Robe eine grüne Paspelierung aufweist, kommt uns einen Schritt entgegen. Er hebt die Hand und sagt lächelnd:

„Lebe lang und in Frieden.“

Mein Kommunikator übersetzt den Gruß ins Englische, damit Miss Li alles verstehen kann. Als Nächstes wird sie unsere Sprache lernen müssen. Der Param Gyaata hört die fremde Sprache aus meinem Gerät und ignoriert es. Er redet in unserer Sprache weiter, nachdem ich mich verbeugt und den Gruß erwidert habe:

„Ich sehe, du hast eine Stufe-6-Intelligenz auf unseren Planeten gebracht.“

Ich nicke und erkläre:
„Ich hege Zuneigung zu dieser Frau. Wenn die Ahnen wollen, werde ich sie irgendwann heiraten.“

„Pragati Hamad Dil, du lädst dir damit eine große Aufgabe auf deine Schultern!“

„Das ist mir bewusst, hochverehrter Param Gyaata.“

„Du wirst wahrscheinlich eine Zeitlang in deiner Ausbildung aussetzen müssen…“

„Ich werde meine Ausbildung später beenden! Das verspreche ich.“

„Gut. Hast du dir überlegt, wo du wohnen willst?“
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Fr Jan 12, 2024 10:11 am

„Es wäre günstig, wenn ich eine Studentenwohnung in der Nähe der Akademie der Gyaan in der Hauptstadt beziehen dürfte,“ meine ich.

Der Oberste Wissende nickt mit dem Kopf.

„Ich halte dies für eine gute Wahl. So kannst du dein Wissen erhalten, bis du in einigen Jahren wieder als Pragati -Fortgeschrittener- aktiv wirst. Ich werde das Nötige veranlassen. Die Lebenskraft sei mit dir!“

Der letzte Satz ist unsere Abschiedsformel. Ich bin also ‚entlassen‘ und darf mich zurückziehen. Langsam rückwärtsgehend verlasse ich den Raum. Miss Li folgt meiner Gestik, indem auch sie den Raum rückwärtsgehend verlässt. Draußen verabschiede ich mich von meinem Lehrer und wandere auf dem Bergpfad, bis wir nach einer Stunde eine Station der Einschienenbahn erreichen. Dort steigen wir in den nächsten Zug, der uns in die Hauptstadt bringt. An der Akademie der Gyaan verlassen wir den Zug und ich wende mich zu dem Appartementhaus für Studenten der Akademie.

Am Eingang erklärt man mir, dass das Appartement teilmöbliert sei. Ich kann also mit Miss Li durch die Geschäfte streifen und uns das eine oder andere Teil noch aussuchen. Ich lasse mir die Karte geben, die mir Zutritt verschafft. Auf ihr ist auch Stockwerk und Appartement-Nummer vermerkt. Danach führe ich Miss Li zu den Aufzügen. Ich betätige den Rufknopf und warte kurz.

Ein ‚Pfffffft‘ zeigt mir an, dass eine Kabine eintrifft. Die Tür zu dieser Aufzugröhre öffnet sich und ich weise einladend auf die geöffnete Tür. Interessiert macht sie die paar Schritte an meiner Seite. Hinter uns schließt sich die Tür und ich sage „57ste“ in die Luft.

Auf einem Display erscheint zur Kontrolle die Zahl ‚57‘. Ich drücke neben einer Nummerntastatur den ‚Okay-Knopf‘ und schon geht die Fahrt los. Wir werden allmählich beschleunigt und auf etwa der Hälfte verzögert der Aufzug allmählich wieder, bis er schließlich hält und sich die Aufzugtür öffnet.

Miss Li macht große Augen. Sie meint:
„In einem der Häuser, die meinem früheren Master gehörten, gab es auch einen Aufzug für bis zu fünf Stockwerke. Da musste man ein metallenes Gitter zur Seite schieben, eintreten und das Gitter wieder schließen. Anschließend rief man seinen Wunsch in einen Metalltrichter und der Aufzug setzte sich langsam und ruckelnd in Bewegung.“

„Naja,“ untertreibe ich lächelnd. „Hier ist alles halt ein wenig moderner.“

Wir sind ausgestiegen und gehen einen hell erleuchteten Gang entlang, bis wir vor unserem Appartement stehen. Wieder vergleicht Miss Li Sona mit dem Amerika des Jahres 1850.

„Die Deckenplatten senden so ein gleichmäßiges helles Licht aus… In dem Haus meines früheren Herrn hingen an dunklen Stellen Öllampen an der Wand. Die Arbeit des Hausmeisters war auch, diese Lampen abends anzuzünden und morgens zu löschen. Wohnungen gab es da nur auf einer Seite des Ganges, weil auf der anderen Seite Licht durch Fenster hereinkam.“

Ich nicke. Jaja, so war das vor Jahrtausenden sicher auch bei uns gewesen.

Als wir unser Appartement erreicht haben, halte ich die Karte an einen Sensor und höre sofort ein ‚Klack‘. Die Tür ist ein paar Millimeter aus dem Schloss gesprungen. Ich drücke sie auf und wir stehen in der etwa zwei Quadratmeter großen Garderobe.

Mich umschauend, erkenne ich leere Kleiderhaken, einen raumhohen Wandschrank mit vielen offenen Fächern und ein paar Schubladen, sowie eine Röhre als Schirmständer, die jetzt noch leer ist. Laut sage ich:

„Ich störe jetzt!“

Danach schlüpfe ich aus meinen Schuhen und stelle sie mit den Spitzen in Richtung Tür in eins der unteren Regale. Miss Li schaut mich irritiert an. Ich erkläre ihr:

„Laut unserer Mythologie lebt in allem eine Seele. Ob nun Mensch, oder Tier, oder Pflanze oder Steine, einfach überall. Darum behandeln wir die uns umgebende Natur mit Respekt. Natürlich hat diese Wohnung, das ganze Haus, irgendein Mensch erbaut, aber mit Materialien aus der Natur. Nun habe ich der Aatma -Seele- unserer Wohnung angezeigt, dass wir eingetroffen sind.“
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Sa Jan 13, 2024 10:53 am

Allerdings müssen wir jetzt auf Strümpfen durch die Wohnung gehen, bevor wir Pantoffeln der verschiedensten Schuhgrößen angeschafft haben. Vorher können wir noch keinen Besuch empfangen. Aus dieser Garderobe betreten wir die Wohnung, indem wir eine Stufe höher gehen. So kann auch ein möglicher Straßendreck nicht in die Wohnung getragen werden. Unter diesem erhöhten Fußboden liegen die Heizschlangen einer Fußbodenheizung.

Die nächstliegende Tür ist eine Toilette. Miss Li muss sie sogleich untersuchen und die Funktion testen. Sie erklärt mir:

„Im Wagen der Theatergruppe gab es nur einen Eimer für die Frauen und einen für die Männer. Im Haus meines früheren Masters war es ähnlich. Es musste viel geputzt werden.“

Die nächste Tür auf der anderen Seite des Ganges erweckt nun ihr Interesse. Sie öffnet sie und steht in einem Schlafzimmer. Das Bett ist etwa ein Meter vierzig breit. Es gibt einen Bildschirm am Fußende des Bettes und einige Kontrollen an der Wand. Sonst ist der Raum leer. Sofort erläutere ich ihr:

„Gleich nebenan gibt es genauso ein Zimmer. So hat jeder von uns sein eigenes Zimmer, wo er sich am Abend zurückziehen kann. Sie sehen hier ein Bett. Es passt sich ihren Körperkonturen an, ganz gleich wie Ihre bevorzugte Schlafposition ist. Wenn Sie sich am Abend entkleiden, hängen sie ihre Kleidung an die Bügel hinter dieser Schiebetür. Sobald Sie die Tür zuschieben, wird die Kleidung entfernt, gewaschen, getrocknet und wieder an ihren Platz zurückgebracht. Morgens haben Sie dann immer frische Kleidung. Aber gehen Sie bitte niemals selbst hinter diese Tür und schieben Sie zu. Das könnte zu Verletzungen führen. Der Monitor an der Wand bietet ein vielseitiges Unterhaltungsprogramm. Allerdings müssen Sie dafür unsere Sprache kennen.“

„Die Wäsche wird über Nacht gewaschen, getrocknet und gebügelt?“ fragt sie erstaunt.

Ich nicke lächelnd.
„So ist es.“

Nun will Miss Li auch mein Zimmer sehen. Ich öffne ihr die Tür daneben und sie kann sich überzeugen, dass sich beide Schlafzimmer wie ein Ei dem anderen gleichen.

Geradeaus kommen wir ins Wohnzimmer. Es hat einige schulterhohe Schränke rundum und zwei unterschiedlich hohe Tische. Am niedrigeren Tisch steht ein Polstermöbel und um den hohen Tisch gruppieren sich zwei Stühle. Eine Wand ist ganz aus Glas gehalten, raumhoch und wandweit. Von dort kann man in einen Park hinunterschauen. Menschen dort unten sind nur noch winzige Punkte. Miss Li geht an die Wand und schaut hinaus. Als sie ihren Blick nach unten richtet, schwankt sie etwas und schließt die Augen. Ich stütze sie sofort und führe sie zum Polstermöbel zurück. Nachdem sie sich gesetzt hat, schaut sie zu mir auf und lächelt schwach:

„Danke, Mister Dil. Mir ist auf einmal schwindlig geworden. Aus solch einer Höhe habe ich noch nie heruntergeschaut.“

„Das verstehe ich,“ lenke ich ein. „Wie wäre es, wenn ich das Sichtfeld einschränken würde?“

Ich gehe zu den Kontrollen neben dem Fenster und manipuliere darauf herum. Kurz darauf wird das Fenster undurchsichtig, wie satiniert. Licht fällt noch ins Zimmer, aber man kann nicht mehr hindurchsehen.

Vom Wohnzimmer in Richtung des Eingangs geschaut, findet sich neben dem schmalen Flur eine Tür und daneben eine Essensausgabe wie in der Jalapaan -Messe/Mensa- auf der Spen-17, die uns nachhause gebracht hat.

Miss Li hat sich schnell erholt und nähert sich nun der letzten Tür in der Wohnung. Sie öffnet sie und ist überwältigt, sprachlos. Diese Einrichtung kennt sie nicht. Sie läuft hinein, dreht wie ein kleines Kind an jedem Wasserhahn und hält die Hand in den Strahl. Ich lasse sie lächelnd gewähren.

Nachdem sie alle Wasserhähne wieder zugedreht und die Tür hinter sich geschlossen hat, frage ich:
„Haben Sie Hunger, Miss Li?“

Sie nickt mir zu. Also gehe ich an den Automaten und scrolle die Menü-Vorschläge entlang. Zu jedem Vorschlag wird ein Bild gezeigt. Miss Li wählt nach Ansicht der Bilder ein Menü aus. Ich mache es ebenso. Diese beiden Menüs geben wir der Automatik in Auftrag und zwanzig Minuten später piept es. Die Trennscheibe fährt hoch und ich nehme die beiden flachen Schüsseln heraus, um sie an den Tisch zu tragen.
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1So Jan 14, 2024 9:52 am

Sie haben eine Abdeckung, auf der je zwei Bestecke befestigt sind, die Stäbchen aus dem ostasiatischen Raum ähneln, aber kleine Zinken am Ende aufweisen. Ich hebe die Abdeckung ab, entferne die Bestecke und stelle die Abdeckungen als Fuß unter die flachen Schüsseln. Dann wünsche ich ihr:

„Guten Appetit.“

Miss Li wünscht mir ebenfalls „Guten Appetit“ und versucht die Stäbchen wie in China gewohnt zu benutzen. Die Zinken irritieren etwas, aber es funktioniert. Ich nicke ihr zu und meine:

„Vor Jahrtausenden kannten die Menschen nur Messer und Löffel als Besteck. Messer braucht man heute nicht mehr. Das Essen wird in mundgerechten Stücken auf die Teller gegeben. Und die Löffel haben sich soweit zurück entwickelt wie Sie sehen können.“

Nach dem Essen gebe ich das benutzte Geschirr und Besteck in die Automatik, damit sie sie spült und für den späteren Gebrauch einsortiert. Anschließend packe ich den Koffer mit den Spielen aus dem 3D-Drucker auf den Couchtisch und frage Miss Li, ob sie noch ein wenig spielen mag, bis sie so müde ist, dass sie ins Bett gehen möchte.

Sie bestätigt das lächelnd. Also setzen wir uns noch für etwa zwei Stunden hin und machen Gesellschaftsspiele, die sie von der Erde kennt.

*

Am nächsten Morgen frühstücken wir gemeinsam. Danach ziehen wir unsere Schuhe in der Garderobe wieder an und nehmen unsere Umhänge vom Haken. Ich helfe Miss Li mit ihrem Umhang und öffne die Tür des Appartements mit meiner Karte. Beim Verlassen spreche ich folgenden Satz in die Wohnung hinein:

„Ich habe gestört!“

Danach verschließe ich die Tür und wir gehen zu den Aufzügen. Dort hole ich eine Kabine auf unsere Etage und wir betreten sie, nachdem sich die Aufzugtür zur Seite bewegt hat. Hinter uns schließt sich die Tür wieder und ich sage „Nullte“ in die Luft. Das Mikrofon neben dem Display nimmt meine Stimme auf. Eine Null erscheint auf dem Display und ich drücke den ‚Okay-Knopf‘. Nun sinkt die Kabine sachte in die Tiefe. Sie beschleunigt dabei etwas, um kurz vor dem Ziel genauso sachte wieder abzubremsen, bis sie hält und sich die Tür öffnet.

Wir gehen wieder das kurze Stück bis zur Haltestelle der Einschienenbahn und steigen gemeinsam mit anderen Studenten ein. Die Meisten verlassen die Bahn an der Akademie wieder. Ich fahre mit Miss Li weiter an die Peripherie des Regierungsviertels.

Mein Vater Kshamata Dil ist als Wirtschaftswissenschaftler im Beraterstab des Sekretärs für Wirtschaft und Finanzen. Meine Mutter Nivida Dil hat in ihrer Jugend auf der Akademie Finanzwirtschaft studiert. Dabei haben sich meine Eltern kennengelernt. Meine Eltern tauschen sich heute immer noch miteinander aus. Während mein Vater im Sekretariat (Ministerium) arbeitet, hat meine Mutter eine Gastprofessur an der Akademie, die sie halbtags beschäftigt.

An der Station in der Nähe des Appartementhauses, in der die elterliche Wohnung liegt, verlasse ich mit Miss Li die Bahn und wir wandern durch den Park, indem ich als Kind oft gespielt habe, auf das Appartementhaus zu. Am Eingang sitzt eine ältere Pförtnerin, die mich kennt seit ich noch Kind gewesen bin. Sie strahlt mich an und grüßt:

„Lebe lang und in Frieden. Ah, der junge Hamad besucht seine Eltern!“

Ich grinse breit und nicke ihr zu.

„Lebe lang und in Frieden. Ja, hin und wieder muss man das tun!“

„Und du bist heute in Begleitung, wie ich sehe.“

Ich neige den Kopf etwas und antworte:
„Meine Eltern werden neugierig sein.“
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Mo Jan 15, 2024 10:20 am

Nun gehe ich weiter und ziehe Miss Li mit mir. Sie hat kein Wort von der kurzen Unterhaltung verstanden. Darum erkläre ich ihr im Gehen:

„Das war gerade unsere Pförtnerin. Sie kennt mich seit ich noch ein Kind war. Sie ist über alles und jeden informiert, der hier ein und aus geht.“

Miss Li nickt. Wir fahren in die Etage, in der meine Eltern wohnen und ich betätige den Summer am Eingang. Als sich die Tür öffnet, steht dort meine Maan -Mama-. Sie lächelt freudig und breitet die Arme aus. Ich mache einen Schritt auf sie zu und wir liegen uns sekundenlang in den Armen, während sie den üblichen Gruß ausspricht. Dann tritt sie einen halben Schritt zurück, schaut mich von oben bis unten an und meint:

„Lass dich einmal anschauen, Yuva -Junge-. Wie ist es dir in der letzten Zeit ergangen?“

Ich schmunzele und antworte:
„Lass uns erst einmal hereinkommen, Maan, dann kann ich dir eine Menge berichten.“

„Oh, natürlich. Du hast jemand mitgebracht!“

„Genau, darüber möchte ich dir erzählen, Maan -Mama-. Miss Li kann unsere Sprache noch nicht sprechen.“

Sie nickt und wendet sich in die Wohnung. Dabei sagt sie:
„Okay, dann kommt herein!“

Ich schlüpfe aus meinen Schuhen und nehme mir ein Paar Pantoffeln aus dem seitlichen Regal. Miss Li stützt sich bei mir ab, nachdem sie mich entschuldigend angelächelt hat und entledigt sich ebenfalls ihrer Schuhe. Bei der Auswahl ihrer Pantoffeln berate ich sie kurz. Dann sage ich laut:

„Egh steu abhee -Ich störe jetzt-!“

Miss Li wiederholt mich flüsternd. Danach gehen wir ins Wohnzimmer und setzen uns an den Couchtisch. Mama ist zur Essensausgabe gegangen und kommt nun mit drei Tassen Tee und etwas Knabbergebäck an den Tisch. Sie setzt das Tablett auf den Tisch und setzt sich auf die Couch uns gegenüber. Ich beginne meinen Bericht:

„Du weißt ja, dass ich das Studium der Kosmochemie auf der Akademie abgeschlossen habe. Danach hat der Gyaata ka Salaah -Rat der Wissenden- mich einem Shikshak -Lehrer- zugeordnet. Kurz darauf haben wir den Auftrag erhalten, einen weißen Fleck in den Sternkarten zu erforschen. Wir sind gestartet, haben aber unser Ziel nicht erreicht. Unser Raumschiff meldete nach ein paar Tagen Unregelmäßigkeiten in der Funktion des Warp-Antriebes. Nachdem die Unregelmäßigkeiten schnell zugenommen haben, hat unser Raumschiff den Antrieb ausgeschaltet.
Wir sehen uns auf eine gelbe Sonne zufliegen. Mein Shikshak entschied nun, dass das Raumschiff mit den Möglichkeiten des Antriebs und unter Zuhilfenahme der lokalen Gravitationsfelder abbremst. Während der Manöver sollen die Sensoren unseres Raumschiffes das fremde Sonnensystem analysieren. Unser Raumschiff findet anhand mehrerer Quasare in der Umgebung mit der passenden Entfernung das fremde Sonnensystem in seinem Archiv, kann eine Standortbestimmung durchführen und sendet einen Notruf an das ‚Kathor Parisham‘.
Wir hören zu, was das Archiv über das fremde Sonnensystem aussagt. Daraufhin entschied der Shikshak, den dritten Planeten genauer abzutasten und einen abgelegenen Landeplatz zu suchen. Der Planet wird von einer Stufe-6-Intelligenz bewohnt, die menschlich scheint. Nach der Landung haben wir das Raumschiff verlassen und sind auf Erkundungstour gegangen.
Wir kamen in eine Siedlung und haben uns bei einem Handwerker als Hilfskräfte verdingt, um Geld zu erarbeiten mit dem wir etwas kaufen können, wenn nötig. Dort gab es nicht viel Zerstreuung bis eine Theatergruppe eingetroffen ist. Wir haben uns ebenfalls die Vorstellung angesehen.
Bevor ich schlafe, meditiere ich immer etwas. Eines Abends höre ich einen Schuss und anschließend aufgeregte Stimmen in einem der Wagen der Theaterleute. Ein Mann springt herunter, nimmt sich ein Reittier und entfernt sich. Ich gehe neugierig näher und frage, ob ich helfen könne. Im Wagen liegt eine angeschossene junge Frau in ihrem Blut und ihre Kolleginnen stehen geschockt herum. Ich reanimiere die junge Frau und versorge die Wunde. Eine Pflege ist von ihren Kolleginnen nicht zu erwarten und sie bestätigen mir auch, dass ihr Chef sie als nutzlos entlassen wird.
Also habe ich mich entschieden, sie gesundzupflegen und sie aus dem Wagen in unsere Unterkunft getragen. In dieser Nacht bekamen wir Kontakt zu einem zu Hilfe geeilten Werkstattschiff. Ich wollte die junge Frau nicht ohne Pflege zurücklassen. Das wäre ihr sicherer Tod gewesen. Also habe ich sie in die Krankenstation des Werkstattschiffes gebracht. Dadurch haben wir nun auch umfangreiche anatomische und biologische Erkenntnisse über die dortige Menschheits-Art erlangt.“
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Di Jan 16, 2024 10:04 am

Maan -Mama- unterbricht hier meinen Redefluss und zeigt auf:
„Hamad, du weißt, dass wir nicht eingreifen dürfen! Was auch immer fremde Wesen tun, ist deren Sache. Wir dürfen keine Partei ergreifen.“

Trotz der Ermahnung lächelt Maan -Mama-. Sie versteht meine Beweggründe.

„Maan, ich kann – gerade da es sich um Menschen wie wir handelt – nicht einfach wegsehen. Der angeschossenen Frau musste ich helfen. Seit ich sie in der Vorstellung gesehen habe, hege ich starke Zuneigung zu ihr.“

Maan -Mama- nickt lächelnd.

„Ich weiß, ich kenne dich, Hamad! Aber nun ist die junge Frau hier. Sie wird einen Kulturschock erleiden, jeden Tag aufs Neue. Vielleicht bekommt sie irgendwann Sehnsucht nach ihrem Heimatplaneten? Kein Raumschiff fliegt dorthin, nur um eine Stufe-6-Intelligenz wieder in ihre gewohnte Umgebung zu setzen. Außerdem müsste ihre Erinnerung an alles, was sie hier erlebt hat – auch an dich- gelöscht werden!“

„Ich denke, wenn ich sie langsam an Sona gewöhne, könnte sie Gefallen an unserer Gesellschaft finden,“ meine ich.

Nun grinst Maan breit und ergänzt:
„… und an der Gesellschaft mit dir! Du möchtest sie irgendwann heiraten, stimmt’s?“

Ich senke den Kopf und nicke ihr zu. Maan -Mama- kennt mich zu gut.

„Etwas anderes,“ wechselt Maan das Thema. „Das Archiv eures Raumschiffes hat die Position der gelben Sonne anhand der Entfernung zu drei Quasaren bestimmen können, sagst du, und hat daraufhin im Archiv etwas über das fremde System gefunden?“

„Ja, Maan. Wir haben durch Zufall ‚Sâu‘ wiedergefunden und den dritten Planeten ‚Aitha‘. Die Auswirkungen des großen Krieges sind nicht mehr zu spüren. Die dort verbliebenen Menschen haben sich wohl zurückentwickelt und inzwischen die Stufe 6 wieder erreicht!“

Es entsteht eine kurze Pause. Dann meint Maan:
„Dieser Planet und seine Bevölkerung wären sicher ein lohnendes Forschungsfeld! … Hast du eine Wohnung?“

„Ja, ich wohne in der Nähe der Akademie und habe vor, mich dort in der nächsten Zeit weiterzubilden, während Miss Li sich akklimatisiert. In ein paar Jahren will ich dann wieder mit Kee Gung Expeditionen durchführen.“

„Ist Miss Li ihr Name?“

Ich schüttele den Kopf und erkläre:
„Miss bedeutet ‚Kumari‘ (unverheiratete weibliche Person) und Li ist ihr Familienname.“

„Ah… Aber jetzt muss ich mich langsam fertig machen. Meine Studenten wollen eine Vorlesung hören. Kommt doch am Wochenende wieder. Dann ist auch Pita -Papa- anwesend.“

„Okay,“ meine ich und stehe auf.

Miss Li schaut zu mir auf. Ich lächele sie an und strecke ihr meine Hand entgegen, damit sie sich daran hochziehen kann.

„Meine Mutter hat uns für das Wochenende eingeladen. Dann werden Sie auch meinen Vater kennenlernen können. Jetzt muss meine Mutter noch etwas erledigen,“ erkläre ich ihr.
Wir gehen zur Garderobe, ziehen unsere Schuhe wieder an und schieben die Pantoffeln an ihren Platz zurück. Maan verabschiedet uns mit „Sleirep -Lebenskraft- sei mit euch!“

Ich lächele und sage:
„Egh steu kiya -Ich habe gestört-!“

Danach öffne ich die Wohnungstür, lasse Miss Li an mir vorbei und bekräftige nochmal gegenüber Maan:

„Wir sind am Wochenende pünktlich zu Mittag zurück.“

Mama nickt mir lächelnd zu und schließt die Tür hinter mir.
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Mi Jan 17, 2024 10:26 am

Auf Sona

Der Chef eines Wandertheaters hat mit meinem Dienstherrn gepokert und sie haben sich darauf geeinigt, dass ich dem Sieger des Kartenspiels ‚gehören‘ soll. So ist es gekommen, dass ich fortan mit der Theatertruppe umhergezogen bin. Wir sind von San Franzisko durch die Rocky Mountains nach Westen aufgebrochen, immer an der im Bau befindlichen Bahnlinie entlang.

Der Theaterchef hat mich einer der Tänzerinnen zugeteilt, die mir Can-Can und anderes beigebracht hat. Das Theaterstück, das wir in den einzelnen Flecken aufführen, ist ganz auf unser tänzerisches Können ausgerichtet. Der Chef ist der Meinung, dass wir den Leuten nach der Arbeit etwas für das Auge bieten sollen. Die Story des Stücks ist dafür äußerst seicht.

Zu unserer Truppe gehören auch vier Männer, die einerseits für den Auf- und Abbau zuständig sind, andererseits in dem Theaterstück die Nebenrollen übernehmen.

Meine drei Kolleginnen haben seichte Techtelmechtel mit diesen Männern. Ich selbst verweigere jedoch jede Annäherung, wenn dahinter keine echten Gefühle stehen! Ich will nicht jemandes Konkubine sein, sondern ich suche einen Ehemann, der mich beschützt. Bisher ist es mir immer gelungen, mich vor den Nachstellungen der Kollegen zu drücken.

Wir haben wieder einmal in einem kleinen Nest Station gemacht und unsere Vorführung gezeigt, als am dritten Abend einer der Männer in unserem Planwagen auftaucht und mich auffordert, mit ihm einen Spaziergang zu machen.

„Komm schon, du willst das doch auch!“ fordert er mich auf, nachdem ich ihn wie üblich zurückgewiesen habe.

„Geh!“ antworte ich ihm. „Ich bin kein Mädchen für eine Nacht!“

Plötzlich hat er einen Revolver in der Hand. Seine Miene ist vor Hass verzerrt. Er ruft:
„Wenn nicht ich, dann soll dich auch niemand sonst haben können!“

Ich sehe das Mündungsfeuer und höre den Knall. Dann weiß ich nichts mehr. Als ich wieder zu mir komme, liege ich auf dem Wagenboden und ein fremder Mann hat sich über mich gebeugt. Er richtet sich auf den Knien auf. Meine Kolleginnen stehen herum und schauen mit aufgerissenen Augen auf mich herab. Ich will mich aufsetzen, aber der Mann drückt mich sanft auf den Boden zurück. Er meint mit viel Mitgefühl in der Stimme, dass ich liegenbleiben soll und erklärt, dass ich einen Streifschuss erlitten habe. Er sagt, dass ich mich etwa zwei Wochen lang schonen soll.

Aber das kann ich nicht! Ich bekomme Geld für die Auftritte, indem der Chef die Einnahmen unter uns verteilt, nachdem er die Kosten abgezogen hat. Davon kann ich kaum leben. Ich schaue meine Kolleginnen an, damit sie mir gegenüber dem Mann zustimmen, der übrigens einen grauenhaften Akzent hat.

Der Mann fragt nun meine Kolleginnen und entscheidet dann, die Pflege selbst in die Hand zu nehmen. Er hebt mich an, um mich wegzutragen. Sofort schmerzt die Wunde sehr.

„Umfassen Sie mit ihren Armen meinen Hals, Miss,“ fordert er mich auf.

Ich habe mich in mein Schicksal gefügt – auch weil der Mann ein gewisses Vertrauen verströmt. Er trägt mich in einen nahen Stall und bettet mich auf ein Strohlager. Dort befindet sich ein zweiter Mann, der sich die Situation kurz berichten lässt und mir dann etwas in den Mund steckt. Danach soll ich einen Becher Wasser trinken. Nun werde ich müde und bin kurz darauf eingeschlafen.

Als ich erwache, liege ich in einem Bett. Es fühlt sich besser an, als jedes andere Bett, in dem ich jemals geschlafen habe. Um mein Zimmer in Augenschein zu nehmen, wende ich den Kopf etwas. Dabei sehe ich einen Mann in fremdartiger enganliegender Kleidung neben mir sitzen. Verwirrt frage ich ihn:

„Wo bin ich? Wer sind Sie?“

Er legt mir seine Hand behutsam auf meine Schulter und antwortet mit sanfter Stimme:
„Erinnern Sie sich? Sie hatten einen Streit unter Kollegen. Es fiel ein Schuss. Ihre Kolleginnen riefen nach einem Arzt. Ich war gerade in der Nähe und fragte, ob ich helfen könne. Leider bin ich kein Arzt, aber als Ersthelfer ausgebildet. Ich habe ihre Wunde versorgt und sie dann aus ihrer Bewusstlosigkeit geholt. Anschließend hörte ich, dass sie für ihren Chef wertlos sind, während sie genesen.“
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Do Jan 18, 2024 11:11 am

An seinem grässlichen Akzent erkenne ich ihn wieder. Er war bei mir im Planwagen, als ich auf dem Wagenboden aufgewacht bin. Er hat mich weggetragen und in einem Stall auf Stroh gebettet. Dann bin ich wieder eingeschlafen. Ich nicke verstehend und frage:

„Und wo befinde ich mich jetzt?“

„Dafür muss ich ein wenig weiter ausholen, wenn Sie gestatten, Miss,“ erklärt er. „Zuerst möchte ich mich Ihnen vorstellen! Ich bin Mister Dil.“

„Oh, okay. Ich heiße Miss Li. Der Theaterdirektor hat mich von einem amerikanischen Herrn abgekauft und zur Tänzerin ausgebildet. Meine Eltern sind vor vielen Jahren mit mir nach Amerika gekommen, weil sie sich ein besseres Leben erhofft haben. Die Fahrt mit dem Segelschiff hat ihr ganzes Vermögen aufgebraucht. Am Ziel mussten sie erkennen, dass das Leben nicht leichter ist als in der Heimat. Also haben sie mich als Hausmädchen an einen einflussreichen Mann weitergegeben.“

Er schaut mich betroffen an und beginnt nun seinerseits zu berichten:
„Wir kommen von weit her und leben in meiner Heimat weit besser als in Amerika. Unser Wagen ist hier kaputtgegangen. Deshalb haben wir um Hilfe gekabelt. Gerade in der Nacht, als Sie auf unserem Schlaflager eingeschlafen sind, haben wir ein Telegramm erhalten, dass man uns zurückholen will. Kurz darauf hat der Wagen bei uns gehalten, der uns zurückholt. Da Sie noch nicht gesund sind, stand ich vor der Entscheidung, bei Ihnen zu bleiben, oder Sie mitzunehmen. Sie einfach so Ihrem Schicksal überlassen, wollte ich nicht. Denn wenn es zu einer Komplikation kommen würde – Wundbrand -, könnten Sie sterben, ohne dass Ihnen jemand hilft.“

„Dann muss ich mich wohl bei Ihnen bedanken, Mister Dil,“ sage ich leise und frage noch einmal: „Und wo befinde ich mich nun hier?“

Mister Dil antwortet:
„Ich habe Sie in unserem Hospital abgegeben, Miss Li. Hier sind Sie in guten Händen und können genesen, ohne dass es zu Komplikationen kommt.“

Als er das Wort ‚Hospital‘ erwähnt, bekomme ich einen Riesenschreck. Arztrechnungen sind hoch! Das kann ich mir nicht leisten. Abrupt setze ich mich im Bett auf und sage es ihm:

„Ich kann mir das Hospital nicht leisten! Ich habe kein Geld.“

Er lächelt mich beruhigend an und erklärt mir:
„Miss Li, beruhigen Sie sich bitte! Sie brauchen keinen Cent zu zahlen. Das regele ich alles für sie.“

Ergeben sinke ich wieder in die Kissen zurück und frage ihn schüchtern lächelnd:
„Aber wieso? Warum bemühen Sie sich so?“

„Ich fühle Zuneigung für Sie, seit ich Sie zum ersten Mal gesehen habe,“ gesteht er mir ehrlich. „Darum war ich so besorgt, als Sie angeschossen wurden, und habe ihre Pflege übernommen.“

Nun lege ich meine Hand auf seine und schaue ihm forschend in die Augen. Danach bedanke ich mich bei ihm. Wir schweigen uns eine Weile an. Ich lasse noch einmal das letzte Erlebnis, seitdem der Scheißkerl geschossen hat, in meinen Gedanken ablaufen, als mein Retter die Stille durchbricht.

„Sie haben bestimmt Hunger. Darf ich Ihnen etwas zu essen holen?“ bietet er mir an.

Ich nicke, glücklich lächelnd. Als er sich jetzt erhebt, hat es den Anschein, als könne er sich kaum von mir trennen. Er dreht sich zur Zimmertür, bleibt aber kurz davor stehen. Neben der Tür ist ein Glaskasten in die Wand eingelassen. Dort macht er etwas, das ich vom Bett aus nicht beobachten kann. Nach wenigen Minuten öffnet sich der Glaskasten und Mister Dil greift hinein.

Er trägt ein Tablett mit zwei Schalen zu mir und setzt es auf einen Tisch neben meinem Bett ab. Jetzt klappt er eine Ablage hoch, schwenkt sie über das Bett und nimmt die zweite Schale herunter. Neben der Schale liegen metallene Essstäbchen, mit drei kurzen Zinken an der Spitze. Es ist lange her, dass ich mit Stäbchen gegessen habe! In Amerika benutzt man anderes Besteck. Seine Schale stellt er auf den Tisch und trägt einen Stuhl herbei. Dann isst er sein Menü ebenfalls. Verstohlen schaue ich zu, wie er die Essstäbchen benutzt. Es sieht so aus, als hätte er nie etwas anderes benutzt.

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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Fr Jan 19, 2024 10:48 am

In den folgenden Tagen leistet mir Mister Dil fast durchgehend Gesellschaft. Dafür bringt er Brettspiele ans Bett, von denen ich ihm erzähle. Er sagt, er würde sie nach meiner Beschreibung anfertigen lassen. Bücher und Zeitschriften scheint es hier im Hospital keine zu geben. Nach einiger Zeit bringt er mir ein gerahmtes Bild mit Knöpfen in der unteren Leiste.

Er erklärt mir, dass man sich damit Bücher vorlesen lassen könne. Im Archiv gäbe es Liebesromane. Er hätte sie ins Englische übersetzen lassen und sie befänden sich jetzt in diesem gerahmten Bild. Ich schaue ihn erstaunt an. Danach erklärt er mir die Funktionen und lässt mich einen Roman aussuchen.

Zuerst gibt es eine Liste von Titeln. Sie sind alle in einer fremden Schrift auf dem Bild zu sehen. Fahre ich mit einem Dreieck auf so einen Titel, erhalte ich ihn auf Englisch vorgelesen. Drücke ich nun einen Knopf, bekomme ich eine kurze Zusammenfassung des Romans zu hören. Das geht solange, bis ich noch einmal auf den Knopf drücke, ihn diesmal aber gedrückt halte. Dann beginnt jemand, mir den Roman vorzulesen.

Eines Morgens frage ich Mister Dil beim Frühstück, dass er wie immer bei mir am Bett einnimmt:
„Der Roman, den ich gerade höre, spielt in einer Gegend, die ich nicht kenne. Die Personen leben weder in China noch in Amerika. Handelt der Roman von Gegebenheiten aus Ihrer Heimat, Mister Dil?“

Er bestätigt es mir lächelnd. Das ermutigt mich, ihm von meinem Traum zu berichten:
„Ich möchte dieses Land sehr gerne kennenlernen, habe aber kein Geld für die Kutsche und das Segelschiff dorthin.“

Seine Antwort erstaunt und beschämt mich etwas. Er bietet mir an, dass er mir die Passage bezahlt. Das will ich nicht. Ich würde mich lebenslang in seiner Schuld fühlen, da ich weiß, wieviel die Fahrt mit dem Segelschiff von Shanghai bis San Franzisko für meine Eltern mit mir als Kleinkind gekostet hat. Das sage ich ihm auch.

Nun erinnert er mich daran, dass er mir seine Zuneigung gestanden hat und erklärt, dass das nicht so daher gesagt ist. Er fragt mich, ob ich nicht ebenso fühle, und:

„Ist es da nicht natürlich, dass man die Person, die man mag, stets in seiner Nähe haben mag – selbst wenn man in seine Heimat zurückreist?“

Ich bedanke mich für seine Fürsorge, indem ich mich vorbeuge und ihm einen Kuss auf die Wange drücke. Dazu erkläre ich:

„Zuneigung ist ein wundervolles Gefühl, Mister Dil. Auch ich kann es nicht leugnen, dass ich in den letzten Tagen dieses Gefühl für Sie in mir entdeckt habe. Gleichzeitig ist es aber auch sehr zerbrechlich. Wissen Sie… ich möchte nicht enttäuscht werden!“

Er lächelt mich gewinnend an und antwortet:
„Ich spreche ja nicht von Liebe und Heirat, Miss Li. Dafür ist es augenblicklich noch zu früh. Wenn wir unsere Gefühle lange genug geprüft haben, könnte es aber vielleicht später dorthin führen?“

„Wer weiß, was die Zukunft für uns bereithält, Mister Dil. Ich bin Ihnen jedenfalls sehr dankbar und fühle mich zu Ihnen hingezogen. Ja, ich mag Ihre Gesellschaft sehr gerne!“

Am darauffolgenden Morgen nach dem Frühstück, fragt mich Mister Dil, ob ich mich in der Lage sehe, mich aus dem Bett zu erheben und ein wenig umher zu gehen. Ich nicke. Ein Versuch ist es jedenfalls wert. Auch bin ich neugierig, was es außerhalb meines Zimmers zu sehen gibt.

„Würden Sie mich dann auf einen kleinen Spaziergang begleiten?“ fragt er mich und erklärt: „Wir gehen zur Kleiderkammer und suchen Ihnen ein passendes Outfit aus.“

Ich setze mich auf und stelle meine Füße vorsichtig neben das Bett. Er nimmt meine Hände und zieht mich hoch. Heute trägt er eine weiße Robe. Darin sieht er irgendwie feierlich aus.

„Na, wie fühlen Sie sich?“ fragt er nun und schaut mich mitfühlend an.

„Ein wenig schwindlig, aber das vergeht schnell,“ beschreibe ich.

Er legt mir seinen Arm um meine Schultern, verlässt mit mir im Schlafkleid die Krankenstation und führt mich in die Kleiderkammer. Als wir den Raum betreten, erklärt er mir, dass ich mich auf einen roten Punkt auf dem Boden inmitten einer Leiste stellen soll. Er öffnet eine Schranktür und ein Ding rollt heraus, dass sich genau auf der kreisrunden Leiste bewegt. Dabei trifft mich ein dünner roter Lichtstrahl. Damit werde ich vermessen, um meine Kleidergröße zu ermitteln, erklärt mir Mister Dil. Tatsächlich spüre ich während der ganzen kurzen Prozedur nichts.
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1Sa Jan 20, 2024 10:06 am

Nun wird ein flaches eingerahmtes Glas hell und das Bild eines Kleides erscheint darauf. Mister Dil fragt mich:

„Würden Sie so etwas anziehen wollen, Miss Li?“

„Trägt man das in ihrem Land?“ frage ich zurück.

Er nickt und drückt auf einen seitlichen Knopf. Ein anderes Kleid erscheint. Auf diese Weise zeigt er mir verschiedene Moden. Dann fragt er mich, welches Kleid mir am ehesten gefällt. Er drückt so oft, bis das Bild des Kleides wieder im Rahmen sichtbar wird. Nun fragt er, in welcher Farbe mir das Kleid am besten gefällt. Er zeigt es mir in unterschiedlichen Farben und lässt mich auch jetzt auswählen.

Wir verbringen eine Menge Zeit in der Kleiderkammer, bis ich von Unterkleidung, über Schuhe und das Kleid, bis zu einem Umhang anscheinend alles habe. Es folgen noch ein paar Accessoires wie Handtasche, Fächer und Schirm.

Ich kleide mich hinter einem Paravent um und übergebe Mister Dil das Schlafkleid. Er faltet es zusammen und legt es zu den Gesellschaftsspielen in den Koffer. Anschließend führt er mich in das Restaurant des Hospitals. Dort fragt er mich:

„Welches der Menüs aus den letzten Tagen hat Ihnen besonders geschmeckt?“

Ich sage es ihm. Er geht zur Essensausgabe und wenige Minuten später bringt er zwei Portionen des gewählten Menüs an den Tisch, an den ich mich in der Zwischenzeit schon gesetzt habe und auf ihn warte. Wir wünschen uns gegenseitig „Guten Appetit“, und beginnen zu essen.

Ein dunkler Bilderrahmen an der Wand, den es hier wohl in jedem Raum zu geben scheint, wird plötzlich hell. Er zeigt einen großen gelben Lichtpunkt in der unteren Ecke und einen blaugrünen Punkt in der Mitte. Rechts daneben macht sich ein grauer Lichtpunkt bemerkbar, der schnell größer wird. Mister Dil deutet lächelnd darauf und erklärt:

„Der graue Punkt ist unser Ziel. Wir nennen ihn Pakshi. Er hat seinen Namen von einer Erzählung, die ‚Raat ka Pakshi‘ heißt, was auf Englisch ‚Vogel der Nacht‘ bedeutet. Der Blaugrüne Punkt ist ‚Sona‘, meine Heimat.“

Ich starre verwundert auf den Bilderrahmen und lasse die Stäbchen sinken. Er legt seine Hand auf meine, so dass ich meine Augen vom Bilderrahmen abwende und ihn ansehe.

„Die Fahrt ist gleich zu Ende. Wir machen in der Werft fest. Daher sollten wir uns ein wenig mit dem Essen beeilen,“ erläutert Mister Dil mit seiner sanften Stimme.

„Dass sich hinter der schwarzen Scheibe ein Gemälde von ihrer Heimat befindet, wusste ich nicht, Mister Dil,“ bemerke ich. „Und dass sich die Darstellung bewegen kann. Ist das Zauberei?“

Er schüttelt lächelnd den Kopf und erklärt mir beim Essen:
„Unsere Wissenschaft ist schon ein wenig weiter als die Chinesische oder die Amerikanische, Miss Li, keine Zauberei!“

Während auch ich weiter esse, muss ich aber immer wieder zum Bilderrahmen hochblicken. Das Grau der Mondoberfläche wird immer mehr zu einem Braun, während es den ganzen Bereich des Bildes ausfüllt. Ein Bauwerk wird sichtbar. Dann bewegt sich kurz nichts mehr. Aber danach werden wir seitlich versetzt, ganz so, wie man das von einem Planwagen aus auch sehen kann. Dann ruckt es leicht.

Kurz darauf betritt ein Mann das Restaurant, den mir Mister Dil einmal als seinen Lehrer vorgestellt hat. Er dürfte knapp dreißig Jahre älter als Mister Dil sein. Auch er trägt heute eine weiße Robe. Er schaut lächelnd zu unserem Tisch herüber und meint:

„Ah, Miss Li! Ich sehe, Ihnen geht es wieder gut. Darf ich Sie bitten, mir zu folgen? Wir wechseln auf ein Boot, dass uns nach ‚Sona‘ bringt. Dort ist das Leben wesentlich angenehmer. Hier auf ‚Pakshi‘ wird doch nur gearbeitet!“

Wir erheben uns und Mister Dil bringt unser Geschirr und Besteck zur Essensausgabe. Dann folgen wir Mister Gung durch die Gänge. Wir gehen eine Rampe hinunter in eine riesige Halle. Mister Dil trägt meinen Koffer und den Koffer mit unseren Gesellschaftsspielen.

Mister Gung führt uns in einen anderen Gang hinein. Wie von Geisterhand fahren immer wieder Schiebetüren zur Seite, öffnen uns den Durchgang und schließen sich hinter uns wieder. Wir betreten eine Maschine, die mich entfernt an eine Lokomotive erinnert, wie ich sie in San Franzisko einmal gesehen habe. Im Inneren setzen wir uns in Sessel und sehen auf dem Bilderrahmen vor uns bald die trostlose Wüste draußen und den schwarzen Nachthimmel darüber.
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BeitragThema: Re: Wiege der Menschheit   Wiege der Menschheit Icon_minitime1So Jan 21, 2024 10:17 am

Die beiden Männer unterhalten sich mit einer Geisterstimme in einer fremden Sprache. Will ich wirklich in dem fremden Land leben, muss ich neben Englisch noch eine andere Sprache lernen. Mandarin habe ich dagegen schon fast verlernt, seit ich nicht mehr bei meinen Eltern lebe. Damals, als ich noch als Hausmädchen in San Franzisko gearbeitet habe, konnte ich meine Eltern noch mit ein paar Dollar monatlich unterstützen. Seither ist es mir nicht mehr vergönnt gewesen, meine Pflicht ihnen gegenüber zu erfüllen.

Die Farbe des Himmels wechselt bald von schwarz zu blau, nachdem auch einige Steine auf dem Bilderrahmen zu sehen waren. Ich bemerke kurz bevor die Maschine anhält, dass wir uns in einem Gebirge befinden müssen. Zum Schluss wird noch ein Weg sichtbar, der zu einem Haus führt, das an einem Gebirgsbach liegt. Dorthin führt eine Brücke über den Bach.

*

Wir haben das Gebäude betreten. Dort haben sich Mister Gung und Mister Dil getrennt und Mister Dil hat sich mit mir in einen Raum gesetzt, um mich mit einigen Gepflogenheiten in seiner Heimat vertraut zu machen. Er erzählt, dass sich die Gesellschaft in seinem Land in verschiedene Schichten gliedert und dass er, wie auch Mister Gung und noch weitere Personen, die ich hier kennenlernen werde, zur Oberschicht gehören.

Mich wundert an seiner Schilderung, dass die Mitglieder der Oberschicht zwar hohes Ansehen genießen, aber keine direkte Macht besitzen. Machtlosigkeit setze ich gedanklich mit Armut gleich, deshalb frage ich ob es da nicht gewisse Abhängigkeiten gibt. Mister Dil erklärt mir daraufhin, woher das Einkommen der Oberschicht kommt und dass auch sie darauf Steuern und Versicherungen zahlen müssen, wie jeder andere Bürger auch.

Der Begriff ‚Versicherung‘ ist mir neu, also frage ich danach. Er erklärt mir, dass alle Bürger Geld zahlen müssen, aus dem dann zum Beispiel die Arztrechnungen Einzelner beglichen werden. Darüber bin ich erstaunt und erkläre ihm, dass das bei uns die Familie regelt.

In diesem Moment erreicht uns Mister Gung und sagt etwas zu Mister Dil. Dieser erhebt sich und erklärt mir, dass wir zum ‚Supreme Knower‘ gehen. Gespannt darauf, was nun folgt, erhebe ich mich ebenfalls und folge den Männern. Wir betreten einen Raum, in dem fast ein Dutzend Männer in diesen weißen Roben stehen und uns entgegensehen. Einer der Männer tritt vor, hebt die Hand und sagt:

„Khoob jiyo aur shaanti!“

Die beiden Männer in meiner Begleitung verbeugen sich und wiederholen den Satz. Es scheint wohl ein Gruß zu sein. Dann redet der Mann weiter und Mister Dil antwortet ihm. Das geht so ein paar Mal hin und her, danach nickt der Wortführer der Männer und schließt seine Rede mit „Sleirep tumhare saath“. Danach verbeugen sich Mister Dil und Mister Gung noch einmal, wiederholen die Abschiedsformel und entfernen sich rückwärtsgehend aus dem Raum. Ich mache die Männer nach.

Draußen verabschiedet sich Mister Dil von Mister Gung, der zurückbleibt. Ich folge Mister Dil nun wieder aus dem Gebäude und wir entfernen uns über den Bergpfad bis ich in einiger Entfernung ein kleines Gebäude sehe, das ein paar Stockwerke hoch ist, wie ein Turm, nur etwas breiter. Dorthin und von dort weg führt eine dünne Brücke, die auf vielen ähnlich dünnen Beinen steht.

Dort angekommen steigen wir eine Treppe hinauf und kommen auf eine überdachte Plattform. Nach einigen Minuten trifft ein langes Fahrzeug ein. Mister Dil nennt es einen ‚Zug‘. Als die Türen aufgehen steigen viele Leute aus. Außer uns steigen nur wenige ein. Mister Dil bietet mir einen Sitzplatz an und wir setzen uns. Danach fährt der Zug mit unglaublicher Geschwindigkeit los, schneller als ein Reiter auf einem Pferd.

An der Gestik der Leute kann man erkennen, dass Mister Dil von jedem eine gewisse Ehrerbietung erfährt: Sie verbeugen sich leicht und lassen ihm mit einer einladenden Geste den Vortritt. Ob das an der Robe liegt, die er jetzt trägt?

Nachdem der Zug ein paar Mal gehalten hat, erhebt sich Mister Dil und erklärt mir, dass wir beim nächsten Halt aussteigen müssen. Also stehe ich ebenfalls auf. Als der Zug nun abbremst, hätte ich beinahe das Gleichgewicht verloren. Zum Glück hat er mich auf die Haltegriffe aufmerksam gemacht und ich sehe auch andere Menschen, die sich an Griffen festhalten, die von der Decke hängen. Trotzdem drehe ich mich unter dem Griff. Mister Dil fasst mit der freien Hand schnell zu und stabilisiert meinen Stand.
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