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BeitragThema: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Di Jan 19, 2021 10:26 am

Meine ehrenwerten Eltern aus der angesehenen Familie Wu haben mir bei meiner Geburt den Namen Hao Ling gegeben. Das bedeutet ‚Gute Seele‘. Wir gehören einer der über fünfzig ethnischen Minderheiten innerhalb der Volksrepublik China an. Unsere eigenen Traditionen dürfen wir weitgehend unbeeinflusst leben.

Dazu gehört, dass wir im Grunde pazifistisch sind und den Militärdienst weitgehend ablehnen. Stattdessen besitzen wir eine weithin bekannte und angesehene Kunstakademie, auf der auch auswärtige Studenten zu finden sind, die nicht unserer Ethnie angehören.

Noch eine weitere Besonderheit unterscheidet uns von den meisten anderen Chinesen: Unser Volk von etwa 350.000 Seelen wird von einer Königin repräsentiert. Alle drei Jahre wird eine junge Frau in dieses Amt gewählt, die gerade die Schulzeit beendet hat. Einmal darf sie in ihrem Amt wiedergewählt werden. Dann muss es einen Wechsel im Amt geben. Wir sehen den Wandel lieber, als ein jahrzehntelanges stagnierendes Herrschertum.

Ihr zur Seite steht ein Premierminister, der alle vier Jahre vom Volk wiedergewählt wird, solange kein Gegenkandidat mehr Stimmen auf sich vereint. Eigentlich ist er der Bürgermeister unserer Heimatstadt, dem größten Ort auf dem von meiner Ethnie bewohnten Areal. Ihm zur Seite stehen etwa ein Dutzend Sekretäre, die jeder einem anderen Fachbereich in der Stadtverwaltung vorstehen.

Hinzu kommt noch ein sechzigköpfiger Stadtrat, der die internen Entscheidungen für die Stadt und die umliegenden Siedlungen berät. Die Königin kann nun die Verordnungen unterschreiben, oder sie zur erneuten Beratung zurückweisen. Sie nimmt sich auch oft ein Rederecht, um Entscheidungen des Rates in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Wir dürfen aufgrund unserer Seelenzahl einen Delegierten für die Dauer von zehn Jahren zum Volkskongress im Hohen Haus des Volkes nach Peking senden. Er vertritt dort in dem 3.000köpfigen Gremium unsere Belange. Diesem Gremium steht ein Sprecher vor, der aber nur moderierende Funktion hat. Darüber auf Regierungsebene der Volksrepublik steht das Politbüro, dessen Vorsitzender der Präsident der Republik ist.

Als ich mein Abschlusszeugnis in einer Feierstunde mit den anderen Schülern der Abschlussklasse ausgehängt bekomme, läuft gerade wieder ein Wahlkampf zur Neubesetzung des Amtes der Königin, nachdem die bisherige Königin ihre zweite Amtszeit vollendet hat. Interessiert habe ich mir die Wahlprogramme der Kandidatinnen angesehen und schwanke im Augenblick zwischen drei Kandidatinnen, deren Programme mir gefallen. Ich darf bei dieser Wahl zum ersten Mal ebenfalls wählen.

Dann ist der Wahltag heran und ich habe meine Stimme abgegeben. Eine Woche darauf finden die Feierlichkeiten zur Inthronisierung im historischen Palast unweit des Rathauses statt. Ich bin zuhause bei meinen ehrenwerten Eltern und verfolge den Ablauf der Zeremonie im Regionalfernsehen.

Mönche in braunen Roben aus dem Kloster am Rande der Stadt sind herbeigekommen und stehen nun auf der Freitreppe Spalier. Der große Platz vor dem Palast ist schwarz und bunt vor Menschen, die dicht an dicht stehen. Plötzlich öffnet sich das Haupttor des Palastes. Die Flügel schwingen nach innen und heraus tritt der Premier mit der alten und der neuen Königin zu beiden Seiten.

Ihre Majestät, die amtierende Königin trägt eine aufwendige Robe und das Zepter, während sich die neue Königin in einer einfachen blauen Robe dem Volk zeigt. Der Premier gibt das Wahlergebnis bekannt. Anschließend nimmt er das Zepter von der noch amtierenden Königin entgegen und reicht es an die neugewählte Königin weiter. Sie nimmt es und hält es in die Höhe, damit jeder Anwesende es sehen kann. Jubel brandet auf und Blütenblätter rieseln vom Balkon über dem Haupttor auf sie herab.

Nach einer ganzen Weile dreht sich die amtierende Königin um und geht zurück in den Palast. Die neugewählte Königin hält sich an ihrer Seite und der Premier bildet den Abschluss. Kurz darauf wird das Palasttor wieder geschlossen. Dann sind auch die Mönche im Inneren des Palastes verschwunden. Das Volk vor dem Palast zerstreut sich und feiert in den Fußgängerzonen der Stadt unsere neue Regentin.
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Di Jan 19, 2021 10:31 am

*

Zwei Tage nach der Inthronisierung sind die Feiern beendet. Der Alltag hat mich wieder. Ich sollte mir überlegen, was ich lernen möchte, um es später als Beruf auszuüben.

Ein Bote läutet an der Tür meines Elternhauses. Meine ehrenwerte Mama öffnet ihm. Er verbeugt sich vor ihr und gibt einen Brief ab. Mama dreht den Umschlag aus teurem Papier um und erkennt das königliche Siegel. Sie läuft sofort zu Papa in die Werkstatt, in der er kunstvolle Glasskulpturen fertigt.

Der ehrenwerte Papa legt sein Werkzeug zur Seite, als er sieht, wie aufgeregt Mama ist. Er zieht sich die dicken Lederhandschuhe aus und fasst den Brief vorsichtig an. Danach bricht er das Siegel auf und zieht einen Bogen Büttenpapier heraus, um die Nachricht zu lesen.

„Wir haben eine Einladung in den Palast für übermorgen,“ erklärt er der ehrenwerten Mama. „Hao Ling ist ebenfalls eingeladen. Den Brief hat Ihre Majestät, die neue Königin, unterzeichnet.“

Als wir uns von einer Rikscha zu dritt zum Palast fahren lassen, haben wir die schönsten Trachtengewänder angelegt, die wir im Haus haben. Junge Novizen geleiten uns unter höflichen Verbeugungen in ein Audienzzimmer.

Wenige Minuten darauf tritt ein alter Mönch mit wenigen langen Barthaaren zu uns herein. Er trägt eine safrangelbe Robe, eine graue Hose und schwarze Slipper, und stellt sich als der Verantwortliche der königlichen Palastwache vor. Sich im Schneidersitz gegenüber an den niedrigen Tisch setzend, begrüßt er meine ehrenwerten Eltern und mich, um sich dann mir zuzuwenden.

„Ich habe mich erkundigt,“ beginnt er. „Du hast in allen Fächern sehr gute Leistungen gezeigt. Darum ist dein Abschlusszeugnis auch eines der Besten. Allerdings ist mir aufgefallen, und ich habe es mir auch von deinen ehrenwerten Lehrern bestätigen lassen: Was du auch angefasst hast, du warst darin immer die Zweitbeste. Das ist bemerkenswert! Du hast dich immer hinter einem deiner Mitschüler ‚versteckt‘.“

Meine Wangen werden rot. Ich schaue zu Boden. Nach einem Augenblick redet der Mönch weiter, der die Palastwache leitet, die allesamt aus Mönchen besteht. Das unterscheidet uns von anderen! Natürlich sind es besondere Mönche. Sie verstehen sich auf die Kunst Selbstverteidigung.

„Hast du schon irgendwelche Angebote für eine Ausbildung erhalten und angenommen?“

Noch immer zu Boden schauend, schüttele ich den Kopf, hebe meine gefalteten Hände an das Kinn und antworte:

„Nein, ehrenwerter Bu Men -Meister-!“

Der Mönch greift in den Ärmel seiner Robe und zieht einen Brief hervor. Das zusammengefaltete Blatt übergibt er an den ehrenwerten Papa, der es auseinanderfaltet und liest. Er lächelt über das ganze Gesicht, als er den Brief an Mama weiterreicht. Sie macht große Augen und reicht das Schreiben an mich weiter. Es ist von der neuen Königin unterzeichnet.

Sie bietet mir an, ihre Zofe zu sein. Damit wäre ich Palastangestellte für vielleicht die nächsten sechs Jahre, und ihre nächste Mitarbeiterin. Aber warum ich? Wenn ich doch nur die Zweitbeste bin! Wenn ich doch immer anderen Mitschülern bei allem den Vortritt lasse…

Fragend schaue ich den ehrenwerten Bu Men an. Dieser lächelt mir aufmunternd zu und fragt:

„Na, Hao Ling? Nimmst du das Angebot an?“

„Ja, ich nehme es an!“ bestätige ich freudig.

Dabei beuge ich mich mit geradem Rücken nach vorne und schlage die Augen nieder.

„Dann wirst du morgen Vormittag in den Palast kommen! Diese Nacht darfst du noch zuhause schlafen und dich von deinen ehrenwerten Eltern verabschieden!“

Der Bu Men -Meister- erhebt sich und auch wir stehen auf. An der Tür des Audienzraumes grüßt der Bu Men ehrerbietig durch Zusammenlegen seiner Handflächen und führen der Hände an sein Kinn. Danach werden wir von einem Novizen aus dem Palast geleitet, der sich am Palasttor zum Abschied tief verbeugt.

*
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Di Jan 19, 2021 10:41 am

Als ich am frühen Vormittag des nächsten Tages der Torwache meinen Namen nenne, werde ich sofort eingelassen. Ein Novize löst sich aus einer Nische und führt mich zu Bu Men -Meister- Chen, den ich am Vortag schon kennengelernt habe. Er fragt mich:

„Was stellst du dir unter deiner neuen Tätigkeit vor?“

„Eine Zofe,“ antworte ich mit fragendem Gesicht, „kümmert sich um die Königin? Sie befolgt ihre Befehle und sorgt dafür, dass es ihr gut geht?“

Meister Chen lächelt.

„Das ist das, was die Öffentlichkeit weiß! Die Zofe weiß, dass es ihr eine Ehre ist, ihrer Königin zu dienen, und dass sie für die Königin sterben würde, wenn es nötig werden sollte.
Aber das ist nur der sichtbare Teil deiner Aufgabe. Du stehst im Schatten der Königin. Du bist den Leuten unwichtig und wirst daher leicht übersehen, während alle Augen auf die Königin gerichtet sind! Also fallen dir weitere Aufgaben zu:
Natürlich wirst du der Königin beim Ankleiden helfen! Dazu wirst du die Gewandmeisterin des Palastes beauftragen, das richtige Kleid für den richtigen Anlass bereitzuhalten. Du wirst die Haarkünstlerin rufen, damit sie die Königin stylt und ihr dabei zuschauen, um das Styling gegebenenfalls unterwegs nachzuarbeiten. Du wirst Botengänge für die Königin durchführen und ihr das Essen servieren, wenn sie sich zum Essen in ihre Gemächer zurückzieht.
Daneben wirst du Augen und Ohren offenhalten und in Erfahrung bringen, was in ihrer Nähe geflüstert wird, damit sie stets gut informiert ist. Und du wirst sie beschützen, falls das einmal notwendig sein wird!“

„Das will ich gerne tun, ehrenwerter Bu Men -Meister- Chen!“

„Gut, dann folge mir jetzt zu Ihrer Majestät!“

Wir verlassen den Raum und gehen einige Gänge entlang und Treppen hinauf. Als wir vor einer reichverzierten Tür stehenbleiben, schaut er mich noch einmal aufmunternd an. Dann öffnet er die Tür.

An der gegenüberliegenden Wand steht der Thron ihrer Hoheit. Zu ihm führen weitere Stufen hinauf. Auf dem Thron sitzt sie, unsere neugewählte Königin, meine neue Dienstherrin! In diesem Augenblick weiß ich nicht, wie ich mich richtig verhalte. Soll ich mich knien, oder stehenbleiben? Ich senke den Blick und bleibe neben dem Abt des Klosters am Rande der Stadt und Chefs der Palastwache stehen.

„Ihre Majestät,“ beginnt Bu Men Chen. „Darf ich Euch Wu Hao Ling vorstellen? Sie ist ausgesucht worden, um Ihrer Majestät in Zukunft als Zofe zu dienen.“

Die neue Königin neigt huldvoll ihren Kopf. Ihr Kopfputz beginnt dabei zu klimpern. Sie lächelt Bu Men Chen an und meint:

„Habt Dank, ehrenwerter Bu Men Chen. Das wäre im Moment alles!“

Meister Chen schaut überrascht, lächelt dann aber, und zieht sich diskret zurück, um mich mit Ihrer Majestät allein zu lassen. Die vier jungen Mönche, etwa in meinem Alter, die den Thron und die Tür zum Thronsaal flankieren, vermittelnden Eindruck, als wären sie nicht anwesend. Ihre Hoheit erhebt sich unter Knistern ihres offiziellen Gewandes und schreitet langsam die Stufen des Throns herunter.

Sie steuert auf mich zu, hebt ihren rechten Arm und fragt:

„Gehen wir ein Stück, verehrte Wu Hao Ling?“

Ich nicke zustimmend, wage aber nicht, meine Hand auf ihren Arm zu legen. Ihre Majestät geht langsam auf die Tür des Thronsaales zu, während ich neben ihr hergehe. Die Mönche an der Tür öffnen sie uns, so dass wir ohne anzuhalten hindurchschreiten können.

Wir gehen durch die Gänge bis wir wieder vor einer bewachten Tür ankommen. Hier sitzen junge Novizen im Schneidersitz, die sich bei unserer Annäherung erheben. Ihre Majestät macht keine Anstalten stehenzubleiben. Aber das ist auch nicht nötig. Die Tür wird geöffnet, bevor sie dagegen stößt. Wir betreten einen geschmackvoll eingerichteten Wohnraum. Hinter uns schließt sich die Tür.
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Mi Jan 20, 2021 11:34 am

„Bitte nimm Platz!“ lässt sich die Königin vernehmen.

Ich setze mich in den Schneidersitz. Bisher bin ich vollkommen fügsam gewesen und habe meine Gefühle nicht nach außen getragen. Ihre Majestät lehnt sich an einen dieser Stehsitze, der nur deshalb nicht umstürzt, weil man seinen Fuß auf den runden Fuß des Möbels stellt. Es ist sicher unmöglich, sich mit dem offiziellen Kleid auf einem Sitzkissen niederzulassen.

„Der Tradition folgend, hat die Königin eine Zofe, die ständig um sie ist und ihr zur Hand geht. Sie ist ihr in ihrem privaten Haushalt zu Diensten. Ich weiß nicht, ob der ehrenwerte Meister Chen dir die gleichen Dinge erzählt hat wie mir, aber ich suche eigentlich etwas anderes…“

Es entsteht eine kleine Pause. Ich denke, ich soll jetzt von der Unterredung mit Bu Men Chen berichten. Also beginne ich:

„Der ehrenwerte Bu Men Chen hat mir gesagt, dass dies das ist, was die Öffentlichkeit darüber weiß!
Er sagt, dass die Leute mich bei gleichzeitiger Anwesenheit Ihrer Hoheit kaum beachten. Alle Augen sind dann auf Ihre Majestät gerichtet! Also bin ich in dem Moment so eine Art Spionin. Ich halte Augen und Ohren auf und informiere Ihre Hoheit über das, was die Leute hinter vorgehaltener Hand tuscheln. Außerdem werde ich Botengänge durchführen und Ihre Majestät beschützen, falls das einmal notwendig sein wird.
Natürlich werde ich Ihrer Hoheit beim Ankleiden helfen und bei Frisur und Schminke zur Seite stehen!“

„Da hat der ehrenwerte Bu Men Chen tatsächlich unsere diesbezügliche Unterredung zusammengefasst an dich weitergegeben. Fühlst du dich denn zu alledem in der Lage, ehrenwerte Wu Hao Ling?“

„Der verehrte Bu Men Chen hat durchblicken lassen, dass Ihr Bedienstete im Palast habt, die all dies erledigen. Seid Ihr auf Reisen ist der Mitarbeiterstab natürlich nicht so groß. Ich werde daher der Gewandmeisterin und der Stylistin über die Schulter schauen und entsprechende Fragen stellen, damit ich sie ersetzen kann, wenn es erforderlich wird!“

„Das geht so in Ordnung,“ sagt Ihre Majestät und tippt Notizen in ihr Tablet. „Wie steht es mit Selbstverteidigung?“

„Ich habe in meiner Freizeit Tai-Chi gemacht. Leider habe ich keine Ahnung von Kungfu.“
Wieder tippt die Königin eine Notiz in ihr Tablet.

„Eine Grundausbildung in Kungfu wird nötig sein,“ entgegnet Ihre Hoheit. „Ich denke aber an eine andere Art Schutz. Du wirst mich in Zukunft mit deiner Identität schützen, wenn es nötig werden sollte.“

Sie schaut mich prüfend an und ich blicke ihr verständnislos in die Augen.

Ihre Majestät lächelt nun freundlich und sagt:
„Komm mit, Wu Hao Ling!“

Sie macht einen Schritt vor, was den Stehsitz zum Schaukeln bringt. Anschließend schreitet sie in Richtung einer anderen Tür. Ich erhebe mich geschwind und beeile mich, ihr die Tür zu öffnen. Ich schaue in ein Ankleidezimmer. Dort helfe ich Ihrer Hoheit aus der offiziellen Robe und hänge sie an eine Stange. Anschließend befreie ich Ihre Majestät von ihrem Kopfputz. Mich beschleicht jetzt schon ein komisches Gefühl.

Ihre Hoheit, jetzt in einem engen Hosenanzug, den sie unter der Robe getragen hat, führt mich zu einer weiteren Tür. Es ist das Bade- und Schminkzimmer. Sie stellt sich vor einen großen Spiegel, der bis zum Boden reicht, und zieht mich eng neben sich.

„Wer von uns ist die Königin? Wer die Zofe?“ fragt sie lächelnd.

Ich erblicke im Spiegel zwei fast identisch aussehende junge Frauen in verschiedener Kleidung und mache ein erstauntes, leicht erschrockenes Gesicht. Meine Gedanken überschlagen sich.

„Du wirst mich studieren, meine Mimik, meine Gestik und meine Bewegungen. Sollte einmal ein Rollentausch nötig sein, musst du die Königin überzeugend nachahmen können! Natürlich wirst du in dieser Rolle keine Entscheidungen treffen, sondern alles notieren und die Gäste auf später vertrösten!“ erklärt mir Ihre Majestät.
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Do Jan 21, 2021 10:28 am

In den folgenden Wochen und Monaten bin ich einerseits die ‚rechte Hand‘ Ihrer Hoheit und bleibe andererseits bei den offiziellen Terminen im Hintergrund, um die Leute zu beobachten, die zu Ihrer Majestät vorgelassen werden. Mein Tablet ist mit dem von Ihrer Hoheit zusammen geschaltet, so dass sie bei Bedarf meine Aufzeichnungen zeitnah lesen und entsprechend reagieren kann. Für die Besucher sieht es immer so aus, als schaue die verehrte Königin in ihren Terminkalender.

Daneben studiere ich, wie befohlen, die Körpersprache Ihrer Hoheit, um gegebenenfalls einmal selbst diese Rolle auszufüllen, wenn es für Ihre Majestät persönlich zu gefährlich wird. Zweimal am Tag erhalte ich ein Training in den Grundzügen des Kungfu, der waffenlosen Verteidigungstechnik der Mönche. Ihre Hoheit hat darauf bestanden, selbst auch an diesem Training teilzunehmen. Sie sagt:

„Wenn Wu Hao Ling in meine Rolle schlüpft, möchte ich mich in ihrer Nähe befinden! Ich bin dann die Zofe der Königin, die sie beschützt!“

Grummelnd hat Bu Men -Meister- Chen dem Wunsch Ihrer Majestät entsprochen. Entsprechend strukturiert der Palast nun unseren Tagesablauf.

In der Folgezeit bin ich mehrfach in die Rolle Ihrer Hoheit geschlüpft, auch um zu schauen, ob ich Akzeptanz als Königin finde. Die echte Königin hat mit mir Gesten als ‚Geheimsprache‘ vereinbart, die eine Verständigung zusätzlich zum Lesen des Tablets möglich macht.

*

Zwei Jahre bin ich inzwischen die Zofe Ihrer Hoheit. Ich habe im Palast in der königlichen Suite einen privaten Raum als Wohnung. Diese große Nähe zu Ihrer Majestät und das Erleben ihres privaten Charakters haben uns mit der Zeit zu Freundinnen werden lassen, die alles füreinander tun würden.

Natürlich ist dies Teil meiner Aufgabe, aber ich erlebe immer wieder, dass auch Ihre Hoheit alles für mich tun würde. Ganz besonders deutlich ist mir das geworden, als wir einmal außerhalb der Hauptstadt einen Parcours im Rahmen unserer Ausbildung in Selbstverteidigung bewältigt haben.

Das Gebiet, das unser Volk bewohnt, liegt nahe der Millionenstadt Hongkong. Unsere Produkte, wie Kunstgegenstände und künstlerische Gebrauchsgegenstände, aber in der Hauptsache Reis und Tee, verkaufen unsere Leute dort und haben dadurch einen kleinen Wohlstand erlangt.

Im zweiten Jahr der ersten Amtszeit unserer Königin haben wir nach mehreren Dürrejahren eine starke Regenzeit. Während der Amtszeit der vorigen Königin hat man den großen Fluss aufgestaut, um dem Reis seine regelmäßige Trocken- und Feuchtperiode zu geben, die er braucht.

Da geschieht die Katastrophe. Der Damm bricht und überflutet unsere Felder. Nun können wir zunächst nicht mehr unseren Lieferverpflichtungen nachkommen, die eine vormalige Königin vor vielen Jahren eingegangen ist. Der Premier versucht mit seinem Stab Reis aus dem Umland hinzu zu kaufen, aber diese Maßnahme reicht gerade, unsere eigenen Leute nicht verhungern zu lassen. Wir müssen ja weitere Finanzmittel bereithalten, um einen neuen Damm zu bauen. Ein Damm soll es werden, der einer ähnlichen Regenzeit widersteht.

In dieser Zeit bietet uns ein Milliardär aus Hongkong seine Hilfe an. Sein Abgesandter unterbreitet Ihrer Majestät einen Vertrag über Finanzhilfe, der sich bei näherer Betrachtung als Knebelvertrag herausstellt, bei dem unser Volk in den nächsten fünfzig Jahren verschuldet wäre.

Ihre Hoheit hat eine Idee und fragt den Premier:
„Wer ist alles bei solchen Verträgen unterschriftsberechtigt?“

Er antwortet ihr:
„Einzig die Königin!“

Sie hakt nach:
„Und wenn sich die Königin auf einer Reise befindet oder unpässlich ist?“

„Dann muss der Vertrag warten bis die Königin wieder ihre Amtsgeschäfte aufnehmen kann.“

Ihre Majestät ist noch nicht zufrieden.
„Und wenn die Königin ermordet wurde?“

„Dann ruht die Unterzeichnung bis eine neue Königin gewählt und inthronisiert wurde!“ gibt der Premier zur Antwort.

Ihre Majestät nickt lächelnd und antwortet:
„Ehrenwerter Premier, ich danke Euch. Das wäre es fürs Erste!“

Der Premier zieht die Augenbrauen hoch. Aber er verabschiedet sich ohne weitere Fragen. Wir gehen zurück in die Suite Ihrer Hoheit. Dort frage ich:

„Was hat Meine Königin vor? Welcher Plan nimmt in Eurem Kopf Gestalt an?“

„Ich muss etwas tun, Hao Ling! Ich kann nicht hier sitzen und warten…“

Es entsteht eine Gedankenpause, dann nimmt Ihre Majestät ihr Smartphone aus einer Tasche ihres Gewandes. Sie tippt darauf herum und wartet einen Augenblick.
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Fr Jan 22, 2021 11:33 am

„Guten Tag, verehrter Delegierter He An Jing -der Ruhige-, Ihr kennt Unser Problem. Habt Ihr es im Hohen Haus des Volkes schon ansprechen können?“ fragt sie die Person am anderen Ende der verschlüsselten Verbindung.

Ihre Majestät hat den Vertreter unseres Volkes im Hohen Haus des Volkes kontaktiert, wie des Öfteren in den vergangenen Tagen. Der verehrte Delegierte antwortet:

„Eure Hoheit wissen, dass ich nur Einer von Dreitausend bin. Ich muss also versuchen, unter Freunden ein Bündnis zu schmieden, das das Problem gemeinsam ins Plenum einbringt. Auch muss der Antrag auf Hilfe für unser Volk so formuliert sein, dass er eine Mehrheit findet. Ich würde Ihre Majestät bis dahin vom Unterzeichnen des Hongkonger Angebots abraten, wenn ich den Rat geben darf.“

„Ich weiß, Ihr tut euer Bestes, verehrter He An Jing. Informieren Sie mich bitte sofort über die Entscheidung des Volkskongresses!“

„Das werde ich, Eure Hoheit!“

„Viel Glück, verehrter He An Jing!“

„Das Gleiche wünsche ich auch Eurer Hoheit!“

Damit ist das Gespräch erst einmal beendet. Ihre Majestät seufzt. Anschließend kontaktiert sie den Premier und informiert ihn darüber, dass er die Hongkonger Delegation noch ein paar Tage vertrösten muss.

Eine Woche später erhält Ihre Hoheit mitten in einer Audienz einen Anruf aus Peking. Sie weist mich mit einer fast nicht erkennbaren Handbewegung an, den Anruf entgegen zu nehmen. Ich ziehe mich in eine Nische des Thronsaales zurück und spreche dort mit dem ehrenwerten Delegierten in Peking. Er hat schlechte Nachrichten.

„Der Antrag ist abgelehnt und in den Ausschuss, also die Gruppe der Delegierten, die den Antrag eingebracht hat, zurückverwiesen worden. Wir suchen nun nach einer Möglichkeit, den Antrag in veränderter Form ein zweites Mal dem Plenum vorzulegen. Es wird nötig sein, Inspekteure aus Peking zu Euch zu senden, die sich ein eigenes Bild von der Lage machen.“

„Wann können diese Inspekteure hier sein? Ihre Majestät möchte sie sicher persönlich herumführen!“

„Ich weiß, Ihrer Hoheit liegt das Wohl ihres Volkes sehr am Herzen. Selten hatten wir eine solch engagierte Person in diesem Amt! Ich beeile mich und schätze, dass sie sich in drei Tagen bei Ihrer Hoheit melden.“

„Gut, ich werde Ihrer Majestät ihre Worte übermitteln! Haben Sie besten Dank, verehrter Delegierter He An Jing.“

Der Delegierte im fernen Peking beendet das Gespräch mit Falten auf der Stirn. Ich schalte das Smartphone aus und nehme, noch in der Nische, mein Tablet zur Hand, um Ihrer Majestät eine kurze Zusammenfassung des Gespräches auf ihr Tablet zu senden:

„Der verehrte Delegierte He An Jing hatte schlechte Nachrichten: Antrag im Plenum gescheitert, aber nicht rundweg abgelehnt. Er überarbeitet ihn und sendet uns dafür unabhängige Inspektoren, die sich ein eigenes Bild von der Lage machen. Diese ehrenwerten Herren treten im Hohen Haus des Volkes als seine Zeugen auf. Der ehrenwerte Delegierte He An Jing denkt, dass sie sich in etwa drei Tagen bei Ihrer Hoheit melden. Solange, bittet er, dass Ihre Majestät Hongkong noch hinhält!“

Das Tablet Ihrer Hoheit piept, als ich die Meldung abgesendet habe. Sie bittet den Besuch höflich, die Störung zu entschuldigen, und liest meine Nachricht. Danach nickt sie kurz und wendet sich wieder ihrem Besuch zu.

Nachdem die Leute gegangen sind, sagt Ihre Majestät zu dem Mönch am Fuße des Thrones:
„Ich wünsche eine Pause einzulegen!“

Der junge Mann erhebt sich und informiert flüsternd die Wache an der Tür zum Thronsaal.

Ihre Hoheit kontaktiert nun den Premierminister und informiert ihn, dass Hongkong sich nun noch etwa eine Woche gedulden muss, bis eine Entscheidung getroffen werden kann. Anschließend gehen wir zum Mittagessen in den Speisesaal. Zwei Stunden später nimmt Ihre Majestät für etwa zwei weitere Stunden die Audienzen wieder auf, um danach bis in den frühen Abend gemeinsam mit mir bei einem Meister der Palastwache die Selbstverteidigung zu üben.

Am zweiten Morgen danach, wir haben gerade das Frühstück beendet und wollen mit dem Premier den Terminplan des Tages besprechen, als das wummernde Geräusch eines Hubschraubers die Luft erfüllt. Sollten das unsere Gäste aus Peking sein? Der ehrenwerte Bu Men Chen hat steile Falten auf der Stirn. Er sagt:

„Hoheit, beeilen Sie sich, um mit ihrer Zofe in ihre Suite zu kommen! Wechseln Sie dort vorsorglich ihre Identitäten!“

Der Premier schaut den Verantwortlichen der Palastwache an. Ich gehe schnellen Schrittes voraus und öffne Ihrer Majestät alle Türen unterwegs. In den Privaträumen Ihrer Hoheit angekommen, helfe ich ihr aus der offiziellen Robe. Anschließend darf ich hineinschlüpfen. Wir haben das schon mehrmals geübt und ich bin auch probeweise darin durch den Palast spaziert, um die Wirkung auszuprobieren. Nun haben wir einen Ernstfall.

Nachdem ich den Kopfputz Ihrer Majestät vor dem Spiegel in meinem Haar festgesteckt habe, wobei die Königin mir hilft, zieht ihre Hoheit die Zofenkleidung an, die für sie angefertigt wurde. Ich nähere mich neugierig dem Fenster mit den bunten Scheiben. Was ich dort sehe, lässt mich erschrecken.

„Yi Ni -die Charmante-,“ mache ich in der Rolle der Königin meine Herrin in der Rolle der Zofe auf die Geschehnisse aufmerksam. Dafür habe ich sie bei ihrem bürgerlichen Namen genannt.

Yi Ni kommt ebenfalls an das Fenster. Wir sehen, dass der Palast von einem Kreis entschlossener Männer in Waffen umstellt worden ist. Yi Ni schaut mich ernst an.

„Jetzt gilt es, Eure Hoheit! Lasst euch auf nichts ein!“ schärft sie mir ein und geht zur Tür, um sie mir zu öffnen.

Wir gehen zurück zum Thronsaal. Kein Mönch steht bereit, um Ihrer Majestät die Tür zu öffnen, also drückt Yi Ni die Klinke herunter und lächelt mich aufmunternd an. Während sie den Türflügel nach innen schwenkt, straffe ich meinen Körper und schreite hoheitsvoll in den Thronsaal. Ein fremder Mann steht dort neben dem Premier, der seine Schultern hängen lässt. Einige Mitglieder der Palastwache werden von drei seiner Männer mit der Waffe im Anschlag in Schach gehalten.

Der Mann lächelt siegessicher und begrüßt mich:
„Ich wünsche Euch einen sonnigen Tag, Eure Hoheit. Mein Name ist Wang Wei Wei. Meine Investmentfirma hat Geschäftsbeziehungen mit Euch. Eure Hoheit erinnern sich? Leider fehlt noch ein winziges Detail, bevor wir die Lieferungen aufnehmen können.“

„Wir werden mit Euch nicht kooperieren, verehrter Wang Wei Wei!“ antworte ich, nachdem ich einen kurzen Blick mit meiner Zofe gewechselt habe, die in der Zwischenzeit an der Innenwand entlang gegangen ist, so dass der Besucher nun zwischen uns steht.

Der Mann schnalzt mit der Zunge und macht ein gütiges Gesicht.

„Es freut mich, dass sich Eure Hoheit gesund im Palast aufhält, um meinen unterwürfigen Besuch zu empfangen. Ich denke, Eure Hoheit hat den Vertrag inzwischen wohlwollend geprüft. So wird die Unterschrift nur noch eine reine Formsache sein! Anderenfalls müssten wir Eure Hoheit darum bitten, mit uns eine kleine Reise zu unternehmen. Das Gästezimmer, das ich Euch anbieten kann, ist Euer Hoheit allerdings mehr als unangemessen. Auch müsste ich Eure Hoheit bitten, ein paar Armreife zu tragen.
Ich denke, dass dies alles nicht sein muss! Es sind doch nur ein paar Pinselstriche!“

Ich überschlage kurz die Lage. Der ehrenwerte Bu Men Chen ist nicht anwesend. Der Premier ist in Selbstverteidigung jahrelang nicht geübt. Die beiden Türwachen und die beiden Thronwachen werden von drei Männern mit vorgehaltenen Handfeuerwaffen bewacht. Sie warten auf einen Befehl Ihrer Hoheit oder Meister Chen, falls er auftaucht.

Wenn wir die Männer ausschalten könnten und diesen Firmenchef gefangen setzen könnten, müsste man die Einkesselung aufheben. Aber das funktioniert nur, wenn der selbstsichere Mann vor mir keine Überraschung in der Hinterhand hat.
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Sa Jan 23, 2021 10:04 am

„Wir bleiben dabei,“ entgegne ich bestimmend. „Wir werden NICHT kooperieren! Ihr Auftreten heute, hat Ihnen sämtliche Chancen verbaut!“

„Okay,“ sagt er, das westliche Wort nutzend. „Dann muss ich Sie bitten, mir eure hübschen Handgelenke entgegen zu strecken. Wir werden also eine kleine Reise unternehmen!“

Yi Ni schleicht näher, während ich dem Herrn meine Arme entgegenstrecke. Er legt mir eine Handschelle an und geht halb um mich herum, um mir die beiden Hände auf den Rücken zu fesseln. Wie aus heiterem Himmel schnellt Yi Nis Hand vor und schlägt auf seine rechte Hand, in der er noch die kleinen Schlüssel hält. Damit hat er vorhin die Handschellen geöffnet, als er sie aus seiner Tasche gezogen hat.

Das Schlüsselbund fällt zu Boden. Yi Ni bückt sich blitzschnell danach, nimmt Anlauf und springt mit den Füßen voran aus einen der tiefen Fenster mit den wunderbaren Glasbildern. Das Glas zerbricht und sie ist fort.

Verblüfft fragt der Mann:
„Was war denn das?“

Ich presse zwischen den Lippen hervor:
„Das war meine gehorsame Zofe. Sie würde für die Königin sterben, wenn es sein müsste.“

Hinter mir wird es laut. Durch die Robe leicht behindert, wende ich mich um. Ich sehe die drei Männer ausgeknockt am Boden liegen, die die vier Wachen in Schach gehalten haben. Der Premier ist dorthin gelaufen und sammelt gerade die Handfeuerwaffen ein. Die Palastwachen haben mich eng eingekreist und bilden eine lebende Schutzmauer.

Nun flüchtet der Mann aus dem Thronsaal. Der Premier postiert sich so, dass er die fremden Männer in Schach halten kann.

„Wir müssen versuchen, den Thronsaal zu halten, bis der ehrenwerte Bu Men Chen kommt,“ lässt er sich vernehmen.

„Wache!“ spreche ich den Mönch an, mit dem ich gerade Blickkontakt habe. „Hast du eine Möglichkeit, den ehrenwerten Bu Men Chen zu kontaktieren?“

„Leider nein, Eure Hoheit,“ antwortet dieser in niedergeschlagenem Ton.

„Ich weiß aber, dass der ehrenwerte Bu Men Chen ein Smartphone am Körper trägt,“ sage ich.

„Wir haben eine Ausnahmesituation!“ ergänze ich. „Taste mich an meiner rechten Seite, etwa in Gürtelhöhe ab. Sobald du mein Smartphone fühlst, nimm es und nehme Kontakt zum ehrenwerten Bu Men -Meister- Chen auf. Du darfst auch ein Messer nehmen und ein Loch in die Robe schneiden!
Ihr anderen! Lasst euch vom ehrenwerten Premier die beiden überzähligen Handfeuerwaffen geben und schützt die Tür zum Thronsaal!“

Zwei der Mönche laufen zum Premier hinüber. Inzwischen steht die Verbindung zu Meister Chen. Der Mönch mit meinem Smartphone hält es mir vor das Gesicht.

„Dem Himmel sei Dank, Ihr seid unverletzt, Eure Hoheit!“

„Ja, nur etwas gehandicapt, ehrenwerter Bu Men Chen. Meine Hände sind auf den Rücken gefesselt. Könnt Ihr eine Gruppe zum Thronsaal entsenden, die die Wache hier verstärkt, sowie drei Gefangene übernimmt und abführt?“

„Das werde ich sofort in die Wege leiten, Eure Hoheit!“ antwortet er und trennt die Verbindung.

Zu der Wache neben mir sage ich nun lächelnd:
„Vielen Dank. Du hast ab jetzt deinen Platz neben mir und hilfst mir, so mit der Außenwelt in Verbindung zu treten!“

Wir warten einige Minuten, dann wird es laut vor der Tür des Thronsaals. Als die Tür geöffnet wird, sehe ich als erstes die safrangelben Roben der heimischen Mönche. Sie gehören zur Palastwache.

Sich kurz umschauend, informieren sie sich über die Lage. Dann fesseln sie die drei Gefangenen und führen sie ab. In diesem Moment öffnet sich eine verborgene Tür hinter dem Thron und Yi Ni stürmt herein. Sie schaut sich kurz um und kommt schnellen Schrittes auf mich zu, um mich von den Handschellen zu befreien. Die Handschellen und die dazugehörenden Schlüssel übergibt sie dem am nächsten stehenden Wachmann. Der Mann gibt mir dafür mein Smartphone zurück.

Die Tür zum Thronsaal öffnet sich erneut. Sofort rucken die drei Waffen herum, die wir in Besitz gebracht haben. Herein kommen zwei Mönche in grauen Longshirts und weißen Hosen. Ihre Schuhe sind über die Waden hoch geschnürt. In ihren Gürteln hängen diverse Gegenstände. Um die Schultern tragen sie graue Umhänge. Der ehrenwerte Bu Men Chen begleitet sie.

Er schaut sich um und kommt dann lächelnd auf mich zu. Dennoch liegt seine Stirn in Falten.

„Eure Hoheit,“ begrüßt er mich und verbeugt sich leicht. „Ich freue mich, dass Ihr unversehrt seid!“

Sein Blick schweift meine Zofe Yi Ni und verweilt länger auf ihren provisorischen Verbänden. Dann schaut er zum zerbrochenen Fenster. Er sucht mit den Augen größere Scherben am Boden darunter. Das alles geschieht in einem Sekundenbruchteil. Danach weist er auf die beiden fremden Mönche.

„Darf ich Eurer Hoheit den ehrenwerten Bu Men -Meister- Zhu und seinen Schüler vorstellen? Es sind die angekündigten Inspektoren aus Peking. Unser verehrter Delegierter He An Jing war im nahen Shaolin-Kloster und hat für den Besuch bei uns geworben.“

Ich verneige mich leicht und antworte in Richtung der grauen Mönche:

„Ich grüße Euch, ehrenwerte Herren. Lieber wäre ich gastfreundlich und würde Euch Speise und Trank anbieten, eine bescheidene Lagerstatt in meinem Haus und morgen alles zeigen, sowie für alle Eure Fragen Rede und Antwort stehen.
Leider ist uns das nicht vergönnt.“

„Eure Hoheit!“ antwortet Bu Men Zhu. „Wer sind diese Leute da draußen?“

„Es sind Leute einer Investmentfirma aus Hongkong. Sie haben mir Geld geboten, um gegen die Naturkatastrophe vorzugehen. Natürlich zu Wucherzinsen. Die Unterzeichnung des Vertrages konnte ich jetzt einen Monat verzögern. Nun greift die Firma zu rabiaten Mitteln, um Uns in die Knie zu zwingen.
Zwischenzeitlich habe ich mit Hilfe unseres Delegierten He An Jing im Haus des Volkes von dort Hilfe zu erhalten versucht. Der Antrag wurde jedoch zurückgewiesen. Man will sich zuerst über Inspektoren selbst einen Überblick verschaffen und dann über einen neuen Antrag abstimmen!“ erkläre ich die Lage.

Der Mönch nickt, überlegt kurz und sagt dann:

„Ich würde Eurer Hoheit raten, nach Peking zu reisen und Euer Anliegen selbst im Hohen Haus des Volkes vorzutragen. Ich werde natürlich mitkommen! Auf der Reise dürfen Eure Hoheit auf meinen Schutz vertrauen. Im Hohen Haus des Volkes werde ich Eurer Hoheit Antrag bezeugen.“

„Verehrter Bu Men Zhu! Ich bedanke mich für Euer großzügiges Angebot, aber mein Platz ist bei meinem Volk!“ antworte ich, nachdem ich mich mit meiner Zofe Yi Ni über Augenkontakt verständigt habe.

In diesem Moment wird es vor der Tür zum Thronsaal laut. Schüsse peitschen. Wir schauen uns an. Der Premier hat lange geschwiegen. Nun äußert er sich:

„Eure Hoheit, nehmt schnell den Hinterausgang! Ich decke Euren Abgang. Denkt daran, Ihr lasst damit Euer Volk nicht im Stich, sondern holt Hilfe!“

Die ehrenwerten Bu Men -Meister- Chen und Zhu nicken dazu. Wieder verständige ich mich mit meiner Zofe. Sie hebt kurz die Schultern.

„Also gut!“ meine ich und bewege mich, so schnell es mit der Robe geht, zur schmalen Tür hinter dem Thron.

Nachdem der Schüler von Bu Men -Meister- Zhu als Letzter die Tür schließt, fliegt die breite Tür zum Thronsaal auf. Schüsse peitschen, während wir hintereinander den schmalen Gang entlanglaufen und die Treppe hinunter zum verborgenen Hinterausgang.

Mit Hilfe der Mönche durchbrechen wir den Ring der Leute dieses Herrn aus Hongkong um den Palast und steigen in eine schwarze Limousine, die am Straßenrand parkt. Der ehrenwerte Bu Men Zhu weist den Fahrer an, zum städtischen Flughafen zu fahren. Dieser hat auch einen militärischen Teil, der allerdings dem Politbüro in Peking untersteht.

Dort führt uns Meister Zhu zum Kommandierenden Offizier Major Li. Er berichtet ihm über die Vorgänge in der Stadt und empfiehlt, gegen die Verbrecher vorzugehen, die den Palast besetzen. Meister Chen trennt sich hier von uns, um Major Li zur Hand zu gehen.
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1So Jan 24, 2021 11:15 am

Nun führt uns der ehrenwerte Bu Men Zhu zu einem Militärhubschrauber. Als wir ihn erreichen, kommt eine Gruppe von acht Soldaten auf uns zu gelaufen. Sie besetzen das Cockpit und die Maschinengewehre, mit denen das Fluggerät bewaffnet ist.

Nachdem wir alle angeschnallt sitzen und der ehrenwerte Inspektor Bu Men Zhu sein Okay gibt, fährt der Pilot die Maschine hoch und hebt vom Boden ab. Wir haben alle unsere Kopfhörer aufgesetzt, die das Maschinengeräusch reduzieren und ein Gespräch über Mikrofon erlauben.

Meister Zhu wirkt leicht entspannt, als er mich auffordert, ihm nun die Schäden zu zeigen. Sofort finde ich mich in der Rolle der Gästeführerin und lasse den Piloten die überschwemmten Felder abfliegen. Ich zeige dem ehrenwerten Inspektor Bu Men Zhu den gebrochenen Damm.

„Der Damm ist während des letzten starken Regens gebrochen, als er das Wasser nicht mehr halten konnte, Eure Hoheit?“ fragt der ehrenwerte Meister Zhu.

Ich bestätige ihm das. Genauso hat es mir der Verwaltungsmitarbeiter berichtet, in dessen Ressort die Landwirtschaft fällt. Der ehrenwerte Bu Men Zhu lässt den Hubschrauber tiefergehen und beauftragt seinen Schüler, verschiedene Bodenproben zu nehmen. Anschließend sollen sich zwei der Soldaten den zerstörten Damm anschauen. Dazu sollen sie Metalldetektoren mitnehmen.

Nach einer Stunde des Suchens bringen sie einen schmalen Zylinder mit zerrissenen Rändern an Bord. Der Oberkommandierende im Hubschrauber, ein Leutnant, begutachtet den zerfetzten Zylinder und sagt zu Meister Zhu:

„Schauen Sie hier, verehrter Bu Men Zhu. Herstellungsort ist Hongkong.“

„Stecken Sie es in eine Plastiktüte und verschließen Sie sie gut, Leutnant! Hierbei handelt es sich um einen Tatgegenstand.“

Der ehrenwerte Bu Men -Meister- Zhu wendet sich zu mir:
„Noch ist alles hypothetisch, Ihre Majestät, aber es sieht so aus, als wäre der Damm nicht durch Überlastung gebrochen, sondern wäre gesprengt worden. Das wurde verdeckt durch einen besonders starken Regen, der vermutlich durch das Impfen der Regenwolken mit Silberjodid ausgelöst wurde. Die also künstlich erzeugte Notlage wurde dann versucht mit der Aussicht auf einen umfangreichen Kredit zu beheben. Haben Eure Hoheit zufällig den Knebelvertrag dabei?“

Normalerweise hätte ich jetzt milde lächeln und mit den Schultern zucken müssen. Aber ich beuge mich lächelnd zu ihm und wende mich an meine Zofe Yi Ni. Sie zieht ihr Tablet aus der Innentasche ihrer Jacke, startet es, tippt ein wenig darauf herum und reicht es dem ehrenwerten Inspektor Bu Men Zhu, der sich die Datei aufmerksam durchliest.

Danach gibt er ihr das Tablet zurück und nickt mir zu:
„Ihr habt Recht getan, diesen Vertrag nicht zu unterzeichnen. Auch diese Datei sollte ich als Tatgegenstand konfiszieren! Ich bitte Euch, sie mir zu überlassen.“

„Kann ich sie auf Euer Gerät überspielen lassen, ehrenwerter Bu Men -Meister- Zhu?“

„Ich bitte darum, Eure Hoheit! Der feine Herr aus Hongkong wird vor Gericht landen!“

Es dauert zwölf Stunden bis der Hubschrauber Peking erreicht. Dort trennen sich kurz unsere Wege. Ich begebe mich mit meiner Zofe Yi Ni zum ehrenwerten Delegierten He An Jing, während Meister Zhu ins Justizministerium geht. Der Leutnant informiert seine übergeordnete Dienststelle im Verteidigungsministerium.

Der ehrenwerte He An Jing zeigt uns eine kleine Suite mit zwei Schlafzimmern. Wir sind zwar auf dem Flug eingenickt, aber entspannt schlafen können wir erst jetzt. Am nächsten Tag essen wir mit dem ehrenwerten Delegierten und besprechen unser weiteres Vorgehen. Wir haben nach dem Aufwachen unsere Identitäten wieder getauscht. Ab jetzt bin ich wieder die Zofe meiner Königin.

Es dauert zwei Tage, bis der ehrenwerte Delegierte He An Jing und Ihre Hoheit einen neuen Text verfasst haben und von der Verwaltung des Hohen Hauses des Volkes einen Termin erhalten haben, den Antrag vorzustellen. Der Text wird eingereicht und im Kongress an alle Delegierten verteilt.

Als die Beratung des Antrages im Plenum beginnen soll, erhebt sich der ehrenwerte Delegierte, stellt dem Hohen Haus des Volkes seine Königin und den ehrenwerten Bu Men -Meister- Zhu vor und übergibt das Wort an Ihre Hoheit.

„Hohes Haus, ehrenwerte Delegierte,“ beginnt Ihre Majestät. „Hier stehe ich mit der Bitte, meinem Volk zu helfen. Mein Volk und seine Königin stehen loyal zur großen Republik des Volkes und sind Opfer eines gerissenen Geschäftemachers aus der Sonderverwaltungszone Hongkong geworden.“

Ihre Hoheit trägt die offizielle Robe der Königin mit dem kunstvollen Kopfschmuck unseres Volkes. Sie redet weiter:

„Diesen Geschäftsmann kann man mit Fug und Recht einen Piraten nennen, denn er ist mit Waffengewalt in unser aller Land eingedrungen, um die Königin zur Unterzeichnung eines Knebelvertrages zu zwingen. Er hat in verbrecherischer Absicht vorher die Situation geschaffen, die ihn in die Lage versetzen konnte, der Regierung meines Volkes ein Angebot zu unterbreiten, das sie auf ewig zu seinem Schuldner machen würde. Der ehrenwerte Bu Men Zhu vom Shaolin-Kloster in Peking kam als Inspektor im Auftrag des ehrenwerten Delegierten des Hohen Hauses He An Jing und kann ihnen allen berichten, was er gesehen und erlebt hat. Ich übergebe deshalb das Wort nun an den ehrenwerten Bu Men Zhu.“

Ihre Hoheit setzt sich wieder auf ihren Platz und der ehrenwerte Bu Men Zhu erhebt sich.

„Ehrenwerte Delegierte, als ich der Regierung des hier vom ehrenwerten Delegierten He An Jing vertretenen Volkes meinen Besuch abstatten wollte, fand ich den Palast eingekesselt vor. Im Thronsaal sind der Premier und Ihre Majestät in Geiselhaft genommen worden. Es gelang mir, Ihre Majestät zu befreien und aus dem Kessel hinaus zu schaffen. Anschließend habe ich mir den gebrochenen Damm und die überschwemmten Felder angesehen. Die Wolken sind mit Silberjodid zum verstärkten Abregnen gebracht worden und der Damm wurde gesprengt. Anschließend hat man der Regierung des Volkes einen Knebelvertrag vorgelegt, der sie nach Unterzeichnung für mindestens einhundert Jahre an die Investmentfirma dieses Hongkonger Geschäftsmannes gebunden hätte.
Ich habe die Beweisstücke an das Justizministerium weitergeleitet. Der ehrenwerte Offizier, der mich begleitet hat, hat seinerseits das Verteidigungs-Ministerium informiert. Ich denke, dass im Augenblick eine Polizeiaktion läuft, um das Gebiet von den Piraten zu säubern. Gleichzeitig wird wohl ein Gerichtsverfahren eröffnet, mit dem Ziel, das Privat- und Geschäftsvermögen dieses Mannes einzuziehen.
Aktuell jedoch braucht das Volk eine Aufbauhilfe, gerne in Form eines Kredites zu normalen Konditionen. Ich bitte die ehrenwerten Delegierten im Hohen Haus dies zu berücksichtigen und der Bitte um Hilfe stattzugeben.“

Der Sprecher des Hohen Hauses setzt wenige Minuten nach den Plädoyers die Abstimmung an. Noch einmal wenige Minuten danach steht das Ergebnis fest und die Beratung des nächsten Antrages beginnt.

Ihre Hoheit und der ehrenwerte Delegierte bedanken sich mittels Verbeugens, wie es unter uns üblich ist, beim ehrenwerten Shaolin-Meister Zhu. Anschließend begleite ich Ihre Majestät zurück in die Suite. Bu Men Zhu begleitet uns ein Stück und fragt:

„Was habt Ihr weiter vor, Eure Hoheit?“

Sie antwortet ihm, höflich lächelnd:
„Mein Platz ist bei meinem Volk. Ich werde also schnellstmöglich abreisen. Meine Zofe wird ein Transportmittel finden…“

„Darf ich Eure Hoheit einladen, mit einem Hubschrauber des Verteidigungs-Ministeriums zu fliegen?“

„Wir nehmen die Einladung gerne an!“ bestätigt Ihre Majestät dankbar lächelnd.

„Ich werde den kommandierenden Major davon in Kenntnis setzen. Er transportiert ungern Zivilisten, noch dazu eine hochgestellte Person wie Euch! Aber ich werde als Eure Leibwache in Begleitung meines Schülers mitkommen! Ein Fahrzeug wird Euch heute Abend zum Flughafen bringen.“

„Gut, ehrenwerter Bu Men -Meister- Zhu. Wir freuen uns.“

*
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Mo Jan 25, 2021 10:39 am

Über Videotelefonie kommt die Nachricht des ehrenwerten Delegierten He An Jing herein, dass dieser auf dem Weg zu uns ist, um seine Stimme abzugeben. Fünf Jahre sind vergangen, seit dem verbrecherischen Eingreifen dieses Hongkonger Geschäftsmannes. Die zweite Amtszeit Ihrer Hoheit neigt sich ihrem Ende zu und dauert nun nur noch wenige Tage.

Nach der Katastrophe in der Regenzeit, während des zweiten Jahres der Regentschaft Ihrer Hoheit, ist das Land aufgeblüht. Weitere Felder wurden in die Hänge der umliegenden Hügel gebaut. Pumpen befördern das Wasser dorthin. Mehrere hintereinanderliegende Dämme halten das Wasser zurück.

So kann unser Volk eine Überproduktion erzeugen, die auf den umliegenden Märkten außerhalb des Wohngebiets unseres Volkes verkauft wird. Damit kann ein Teil des Staats-Kredits aus Peking zurückgezahlt werden. Der andere Teil kommt durch Energie-Erzeugung. Da der Wind das ganze Jahr über weht, die Pumpen aber nur kurze Zeit Energie benötigen, leiten wir die Überproduktion an Energie gegen Geld in das staatliche Netz.

Der ehrenwerte Delegierte erhält ein Appartement im Palast, das für Staatsgäste reserviert ist, als er eintrifft. Anschließend bittet er um eine Unterredung. Ihre Hoheit spricht eine Einladung zum Abendessen aus, an dem auch der Premier teilnimmt.

Wir treten auf die Terrasse neben dem Thronsaal hinaus. Das Küchenpersonal hat den Tisch gedeckt. Ein malerischer Sonnenuntergang taucht alles in wunderbares Licht. Heimatliche Musik untermalt das Essen.

Der ehrenwerte Bu Men -Meister- Chen tritt hinzu und sagt:
„Eure Hoheit, es ist mir eine Ehre, den ehrenwerten Delegierten He An Jing anzusagen!“

Ihre Hoheit und der Delegierte nähern sich einander gemessenen Schrittes und lächeln sich an. Beide haben in den vergangenen Jahren zum Wohle unseres Volkes perfekt zusammengearbeitet. Der ehrenwerte Delegierte kann noch auf ein weiteres Jahr im Hohen Haus des Volkes blicken, bis seine Wiederwahl ansteht, sollte er es sich nicht anders überlegen.

„Eure Hoheit,“ sagt er mit einer Verbeugung. „Danke, dass Ihr mich empfangt. Ich muss Euch von den letzten Entwicklungen im Hohen Haus des Volkes berichten. Außerdem möchte ich natürlich meine Stimme persönlich abgeben. Leider kann ich nicht lange genug bleiben, um der Inthronisation der neuen Königin beizuwohnen.“

Ihre Majestät nickt und weist auf den Tisch.

„Kommen Sie. Setzen Sie sich, ehrenwerter He An Jing. Beim Essen lässt sich reden und der ehrenwerte Premier kann dann in einigen Tagen Ihre Majestät, unsere neue Königin unterrichten!“

Während sich die Gesellschaft an den Tisch setzt und zu speisen beginnt, stelle ich mich an die Wand, die die Terrasse vom Thronsaal trennt und gehe meiner Hauptbeschäftigung nach: dem Beobachten.

„Ich werde morgen Vormittag nach der Stimmabgabe schon wieder zurückreisen,“ sagt der ehrenwerte Delegierte. „Habt Ihr schon überlegt, was Ihr nach Eurer Amtszeit unternehmen wollt?“

Ganz leicht zuckt Ihre Hoheit bei der Frage zusammen. So direkt hat bisher niemand danach gefragt.

„Ich glaube, meine größten Stärken sind meine Entschlossenheit und meine Verhandlungskunst. Ich werde wohl meinen ehrenwerten Vater bei seinen Hilfsprojekten unterstützen.“

„Unsere einzigartige Kultur birgt die verschiedensten persönlichen Ausdrucksformen. Um ein anderes Thema anzuschneiden: Ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten für Euch. Die Investmentgesellschaft aus dem nahen Hongkong bietet die besten Anwälte auf, um gegen den Einzug ihres Vermögens vorzugehen. Das Verfahren läuft immer noch. Das Justizministerium tut sich schwer…“

Etwas lauter als beabsichtigt, mit eisiger Stimme und steinerner Miene entgegnet Ihre Majestät:
„Leider weiß ich, wie Politik funktioniert! Ich danke Ihnen für die Information, verehrter He An Jing!“

„Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten für Euch,“ seufzt der Delegierte und meint: „Ich bitte Euch, mir zu erlauben, mich zurückzuziehen. Die Reise war doch sehr anstrengend! Für Eure Zukunft wünsche ich Euch alles erdenklich Gute.“

Ihre Hoheit nickt. Gleichzeitig ist es ein Zeichen der Bestätigung und dass er sich zurückziehen darf. Der ehrenwerte Delegierte erhebt sich, verbeugt sich noch einmal und verlässt die Runde. Nicht lange darauf hebt Ihre Majestät die Tafel mit den Worten auf:

„Entschuldigt, ehrenwerte Herren, dass ich mich in meine Suite zurückziehe.“

Der zurückbleibende Premier und Bu Men -Meister- Chen verbeugen sich und werden sicher auch bald die Tafel verlassen. Ich begleite Ihre Majestät zu Ihrer Suite, wo auch ich mein Zimmer habe. Unterwegs spricht sie mich an:

„Ich wünschte, ich hätte zuerst mit dir über meine Zukunft gesprochen. Ich liebe es, mich vor richtungweisenden Entscheidungen mit dir abzustimmen, wie du weißt. Findest du meine Entscheidung gut?“

„Eure Hoheit hat ein Betätigungsfeld gewählt, dass Eurem Charakter und Euren Stärken entspricht! Wir werden herausfinden, was am ehesten Erfolg verspricht,“ antworte ich ihr.

„‚Wir?‘“ fragt Ihre Hoheit, sichtlich berührt.

Sie ist stehen geblieben und schaut mir direkt in die Augen.

„Natürlich ‚Wir‘,“ wiederhole ich. „Ihr habt während der letzten sechs Jahre nicht mehr die eigenen Schuhriemen gebunden. Ihr werdet jede Hilfe brauchen, die Ihr erhalten könnt!“

„Das ist nicht wahr!“ erwidert Yi Ni lachend. „Fast jedes Paar meiner Schuhe hat gar keine Schuhriemen!“

„Das ist wohl wahr,“ lenke ich augenzwinkernd ein. „Aber Ihr könnt stets auf mich zählen!“

„Danke, meine Freundin!“ sagt die Königin mit viel Wärme in der Stimme.

Dann haben wir die Suite erreicht und schauen zuerst, was das Fernsehen an Zerstreuung anbietet. Über eine Stunde später ziehen wir uns auf unsere Zimmer zurück.

Eine knappe Woche später ist die Wahl gelaufen und die neue Königin hat das Zepter übernommen. Ich begleite Yi Ni zum Haus ihrer Eltern.

*

Nachdem ich von Yi Nis ehrenwerten Eltern herzlich aufgenommen worden bin, die sich mir gegenüber unendlich dankbar gezeigt haben, bin ich zu meinen ehrenwerten Eltern weitergereist, um mich als gehorsame Tochter im Garten nützlich zu machen.

Nach einer Woche verabschiede ich mich wieder von ihnen. Sie lassen mich ungern ziehen, zeigen aber Verständnis, als ich ihnen erkläre, dass ich meine Freundin Yi Ni nicht allein lassen kann.

In Yi Nis Elternhaus bereitet man gerade eine Reise nach Afrika vor. Yi Nis Vater ist als Ingenieur im Entwicklungsdienst tätig. Wir fliegen gemeinsam nach Ostafrika, um ein Dammbau-Projekt an einem der Nilzuflüsse zu beaufsichtigen. Der Damm soll ganzjährig Wasser für die Felder der Bauern liefern und gleichzeitig Strom erzeugen.

Während Yi Nis ehrenwerter Vater die Arbeiten beaufsichtigt und die Materiallieferungen koordiniert, möchte sich Yi Ni die Lebensbedingungen der ansässigen Bevölkerung anschauen. Wir haben manchen schönen Kontakt zu den Einheimischen. Dabei sehen wir aber auch, dass viele Frauen eine Beschäftigung brauchen, mit der sie etwas herstellen und selbständig auf dem Markt verkaufen können.

Die Finanzmittel von Yi Nis ehrenwertem Vater lassen es zu, dass sie ein eigenes Budget erhält. Die Frauen sind uns dankbar. Unsere Hilfe spricht sich herum, so dass die Leute mit ihren Bitten nun gezielt Yi Ni ansprechen. Sie hat für alle ein offenes Ohr, lässt sich zeigen, worum es den Leuten geht und legt dann Prioritäten fest.

Mitten in der Arbeit erhält Yi Ni eine E-mail mit dem offiziellen Siegel der neuen Königin unseres Volkes. Sie schreibt, dass der ehrenwerte Delegierte He An Jing bei der nächsten Wahl zum Volkskongress nicht wieder antreten möchte. Ihre Majestät setzt großes Vertrauen in die Arbeit Yi Nis, steht darin, deshalb wünscht sie, dass Yi Ni die Nachfolge als Delegierte übernimmt, falls sie gewählt wird.

Das bedeutet nun, dass wir Afrika unverzüglich verlassen und nachhause zurückkehren müssen. Wir stehen ein halbes Jahr vor der Wahl. Sollte Yi Ni antreten, wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit gewählt, weil sie in der Krise um die Hongkonger Investmentfirma einen kühlen Kopf bewahrt hat und dem Volk danach Wohlstand gebracht hat, von dem die jetzige Königin noch profitiert.

Yi Ni bespricht sich mit ihrem ehrenwerten Vater, nachdem sie mich gefragt hat. Meine Antwort ist so kurz wie klar gewesen:

„Du kannst immer auf mich zählen, Yi Ni! Auch eine Delegierte im Hohen Haus des Volkes bedarf des Schutzes.“
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Di Jan 26, 2021 10:49 am

Sie lacht befreit, meint aber:
„Soweit ist es noch lange nicht! Erst muss das Volk mich zu seiner Delegierten wählen.“

„Und du glaubst, dass einer deiner Mitbewerber überhaupt eine Chance gegen dich hat?“ frage ich mit ernstem Blick.

Sie schüttelt lächelnd den Kopf. Nachdem ihr ehrenwerter Vater informiert ist, fliegen wir in die Heimat, um die Wahlkampagne zu starten. Yi Ni gewinnt den alten Premier als Berater im Wahlkampfteam.

*

Der Tag der Wahl ist angebrochen. Seit ein paar Tagen hat Yi Ni im Gästetrakt des Palastes ein Appartement zugewiesen bekommen. Sie hat gegenüber Ihrer Hoheit, der neuen Königin, durchgesetzt, dass ich ein Zimmer neben dem ihren erhalte – mit Zwischentür.

Als die Sonne aufgeht betrete ich Yi Nis Appartement und sehe sie sich im Bett räkeln.

„Aufstehen, Euer Excellenz!“ sage ich lächelnd. „Ich möchte Euch für den Tag zurecht machen. Ihr kennt eure heutigen Termine.“

Grummelnd schlägt Yi Ni die Decke zur Seite und setzt sich auf. Sie reibt sich den Schlaf aus den Augen und streckt sich. Obwohl sie davon weiß, fragt sie mich:

„Was steht an erster Stelle auf dem Tablet, Hao Ling?“

„Ihr habt ein offizielles Frühstück mit Ihrer Majestät und den beiden Gegenkandidaten. Ihre Majestät ist zur Neutralität verpflichtet, wie Ihr wisst.“

„Ich kann mich erinnern,“ antwortet Yi Ni mit einem Augenzwinkern.

„Also dann, ab ins Bad!“ sage ich lachend.

Yi Ni erhebt sich und mault grinsend:
„Ja, meine ehrenwerte Gouvernante!“

Dann geht sie mit kleinen schnellen Schritten ins Bad und macht sich frisch. Anschließend helfe ich ihr in ein neutrales Kleid, das sie jedoch in Gegenwart Ihrer Hoheit, der Königin, tragen kann. Ich trage ein einfaches Longshirt und eine Hose aus erlesenem Stoff. Auf meinem Herzen prangt das Wappen unseres Volkes. Wir machen uns gegenseitig die Haare. Nun gehen wir zum Thronsaal. Ein Weg, den ich inzwischen mit geschlossenen Augen finden könnte.

Nach den üblichen Höflichkeiten, mit denen Ihre Majestät alle drei Kandidaten gleichbehandelt, wird an einem Tisch vor dem Thron gefrühstückt. Der ehrenwerte Bu Men -Meister- Chen ist als Vertreter der Palastwache ebenfalls anwesend. Als Vertreter der Regierung nimmt der neue Premier am Frühstück teil.

Nach dem Frühstück geben wir unsere Stimmen ab und ein Bote bringt die Stimmen aller Personen aus dem Palast zur Verwaltung ins dortige Wahlamt. Danach haben wir Freizeit, bis wir am Abend wieder in den Palast zurückkehren müssen. Dort warten wir in Gegenwart Ihrer Majestät und der Gegenkandidaten, sowie des ehrenwerten Premiers und Bu Men Chen, das Wahlergebnis ab.

Ein kleines Studio ist in einem Nebenraum eingerichtet worden, in dem der neu gewählte Delegierte unter den Augen des Volkes von Ihrer Hoheit seine Ernennungsurkunde erhält. Dafür stehen im Studio Kameras bereit und der Premier moderiert die Sendung.

Als die Wahlergebnisse der einzelnen Wahlbüros hereinkommen und im Wahlamt addiert werden, ist schnell klar, wer der neue Delegierte für das Hohe Haus des Volkes sein wird, den unser Volk dorthin entsendet. Die beiden Gegenkandidaten Yi Nis haben nicht den Hauch einer Chance gegen die frühere Königin!

Beide gratulieren in der folgenden Sondersendung aus dem Palaststudio höflich der neugewählten Delegierten unter Verbeugungen und treten in den Hintergrund. Anschließend gratuliert der Premier ihr und übergibt an Ihre Majestät, der die Ernennungszeremonie nun obliegt. Als die Kameras danach abgeschaltet sind, bittet Ihre Hoheit zu einem Sektempfang. Die Gegenkandidaten haben inzwischen das Feld geräumt, so dass die Königin mit der neuen Delegierten, dem Premier, Bu Men Zhu und mir alleine ist.

Es ist schließlich spät geworden, bis wir zu Bett gehen können. Yi Ni hat an diesem Abend nur kurz über das Smartphone mit ihren ehrenwerten Eltern reden können. Dafür fahren wir am nächsten Tag zum Haus ihrer Eltern. Yi Ni hat die Kleidung einer Delegierten des Hohen Hauses des Volkes angelegt. Wir kommen nur langsam voran, da Passanten ihr immer wieder ihre Glückwünsche aussprechen.

Im Haus ihrer ehrenwerten Eltern essen wir zu Mittag. Auf der Fahrt zurück zum Palast lässt Yi Ni den Fahrer einen Umweg machen, so dass auch ich mich bei meinen Eltern verabschieden kann. Im Palast ist am Abend ein Arbeitsessen geplant, bei dem Ihre Majestät mit der Delegierten Lai Yi Ni einige Dinge bespricht, bevor wir am nächsten Tag nach Peking starten.

*

Die Fahrt mit dem Zug dauert 20 Stunden. Wir haben ein eigenes Abteil mit Abteilservice. Am frühen Morgen des nächsten Tages kommen wir an und fahren mit einem Taxi zu dem Appartement, das der ehrenwerte Delegierte He An Jing während seiner Amtszeit bewohnt hat.

Wochen sind seither vergangen. Entsprechend sieht es in den Räumlichkeiten aus. Laut Yi Nis Terminplanung haben wir eine Woche Zeit, uns zu akklimatisieren. Zuerst sind wir beide damit beschäftigt, die Räume zu säubern. Am Abend wickeln wir uns in Decken und fallen in einen tiefen Schlaf.

Nachdem wir am darauffolgenden Morgen in einer nahen Garküche gefrühstückt haben, misst Yi Ni mit meiner Hilfe die Räume aus. Die Zahlen gibt sie telefonisch an ihren ehrenwerten Vater weiter, der einen Plan der Wohnung zeichnet und ihr verspricht, einige Möbelstücke zu senden, die ihr ans Herz gewachsen sind. Auch ich darf meine ehrenwerten Eltern um solche Möbelstücke bitten.

Da diese Möbelstücke in vier Tagen erst ankommen und am fünften Tage an ihren Plätzen stehen werden, informiert sich Yi Ni über Möbelhändler am Ort. Mit einem der Händler macht sie einen Vertrag. Gleich tags darauf werden weitere Möbel geliefert und aufgebaut. Das bedeutet noch einen Tag in Decken gehüllt auf dem Fußboden schlafen.

Das Appartement hat mehrere kleine Zimmer. Yi Ni entscheidet, dass dies unsere Schlaf- und Gästezimmer werden sollen. So hat auch jede von uns ihren eigenen Bereich, und es können Gäste aufgenommen werden. Nachdem wir endlich eine Nacht in richtigen Betten geschlafen haben, lässt sich Yi Ni zum Hohen Haus des Volkes fahren. Dabei begleite ich sie. Wir stehen schließlich vor dem imposanten Gebäude und betreten es durch den Haupteingang mitten im Strom der Besucher.

Drinnen werden die Besucher in Gruppen unterteilt und durch das Gebäude geführt. Als wir die große Halle des Volkes betreten bin ich wieder einmal wie erschlagen. Von dem jetzigen Standort auf der untersten Ebene kann ich die drei Riesenbalkone erkennen. Wenn der Volkskongress tagt, mit seinen 3.000 Delegierten, ist jeder Platz in den vier Ebenen besetzt. Als vor über vier Jahren Yi Ni in ihrer Funktion als Königin von einem der Balkone aus gesprochen hat, ist dieser Ort für mich schon überwältigend gewesen.

Nach zwei Stunden erreichen wir mit unserer Gruppe wieder den weitläufigen Eingangsbereich. Yi Ni hat ein Schreiben der Verwaltung des Hohen Hauses des Volkes mit einer Beschreibung des Weges zu ihrem Delegiertenbüro. Wir schauen uns um und gehen auf eines der Treppenhäuser mit Aufzügen zu. Dort muss Yi Ni einem Uniformierten ihren Delegierten-Ausweis zeigen. Sie erklärt mich als ihre Mitarbeiterin und der Mann lässt uns passieren.

Mit der Wegbeschreibung in ihrer Hand erreichen wir nach einigen Minuten das Büro im sechsten Stockwerk des Gebäudes. Sie schiebt ihren Ausweis in einen Schlitz an der Türzarge und die Tür entriegelt sich selbsttätig. Sie drückt die Tür auf. Ich schiebe mich an Yi Ni vorbei, um sie vor irgendeiner unangenehmen Überraschung schützen zu können. Das Büro ist jedoch bis auf die Büromöbel leer. Die Wände sind kahl. Ich lasse Yi Ni vortreten.

„Da wären wir also,“ meint sie lächelnd. „Für die Wände werde ich auch noch mit meinem ehrenwerten Vater reden. Dort werden bald Bilder mit der wunderbaren Natur unserer Heimat hängen.“

Ihr Tablet meldet sich mit einem ‚Pling‘. Neugierig schaut sie nach und sagt zu mir:

„Die neuen Delegierten sind aufgefordert, sich in einem Saal in der vierten Ebene zu treffen. Da wir soviel Zeit mit der Führung zugebracht haben, sollten wir uns beeilen!“

Wir eilen an das Ende des Ganges mit den Büros und nehmen einen anderen Aufzug, der uns in die vierte Etage bringt. Yi Ni schlägt den Weg in einen anderen Flügel des Gebäudes ein und bald stehen wir vor der offenen Saaltür. Je näher wir dem Saal kommen, desto lebhafter wird es auf dem Gang davor.
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Mi Jan 27, 2021 9:43 am

Am Eingang des Saales werden wieder unsere Ausweise kontrolliert. Wieder muss Yi Ni mich als ihre Mitarbeiterin vorstellen, danach dürfen wir den Saal betreten. Auch hier gibt es Sitzreihen und vorne eine Bühne mit einem Rednerpult. Dahinter hängt ein riesiger Bildschirm an der Wand.

Yi Ni steuert eine Stelle in den Sitzreihen an, wo sich noch mehrere freie Plätze befinden und lässt sich dort nieder. Ein junger Delegierter macht uns lächelnd Platz. Ich setze mich neben Yi Ni. Meine Aufgabe ist es, weniger dem nun folgenden Vortrag zu folgen, als vielmehr soweit wie möglich die anwesenden Delegierten im Blick zu haben.

Eine Frau stellt sich als Mitarbeiterin der Verwaltung des Hohen Hauses vor und fordert uns auf, uns gegenseitig vorzustellen, danach erklärt sie den Anwesenden wie der Volkskongress arbeitet. Sie erklärt, was ein Plenum ist und was es macht. Danach geht sie in die Details und erklärt, was die kleineren Gremien tun, die Ausschüsse. Anschließend geht sie auf den durchgeplanten Tagesablauf eines Delegierten ein und schärft ihren Zuhörern die Wichtigkeit ihres Tablets ein.

Dort hinein wird die Verwaltung jede Woche die Sitzungstermine der kommenden Woche übertragen. Dennoch sollte man jeden Morgen noch einmal darauf schauen, denn es könnten sich kurzfristige Änderungen ergeben, die dann zeitgleich jedem Delegierten zugesandt werden.

„In der sitzungsfreien Tageszeit könnten jedoch Ausschusssitzungen liegen,“ meint sie mit einem feinen Lächeln, „die allerdings in den Ausschüssen terminiert werden.“

Etwa anderthalb Stunden später verlassen wir die Veranstaltung zur Terminplanung im Hohen Haus des Volkes und suchen als nächstes das Restaurant auf unserer Ebene des Bürotraktes auf. Auf jeder Ebene gibt es ein solches und jedes ist für das leibliche Wohl von 250 Delegierten zuständig.
Als wir gestärkt in Yi Nis neuem Büro zurück sind, bemerkt sie eine Nachricht auf ihrem Handy.

„Mein ehrenwerter Vater berichtet, dass die Möbel für das Appartement unterwegs seien,“ berichtet sich mir.

Sofort schreibt sie ihm über den Messenger, dass sie für ihr Büro Bilder braucht. Ihr ehrenwerter Vater verspricht, sich auch darum zu kümmern.

Danach streben wir dem Ausgang des Hohen Hauses zu. Für heute haben wir genug über die Arbeit eines Delegierten gehört und gesehen. Die eigentliche Arbeit im Hohen Haus des Volkes geschieht in den Ausschüssen. Yi Ni hat noch vier Tage Zeit sich zu entscheiden, wo sie mitarbeiten möchte.
Bis dahin möchte sie täglich für etwa vier Stunden ins Hohe Haus des Volkes fahren, um sich allmählich in die Arbeit einer Delegierten hineinzufinden. So hat sie Zeit, bei der Ankunft unserer persönlichen Möbel im Appartement anwesend sein.

Das Hohe Haus des Volkes ist mit seinen 3000 Delegierten wie ein kleines Dorf in der Millionenstadt Peking. In kleinen Dörfern werden oft auch hinter vorgehaltener Hand Geschichten über Dörfler von Dörflern verbreitet. Hier gibt es einen Kanal, den man über sein Tablet empfangen und lesen kann. Diese virtuelle Klatschzeitung zu überwachen ist meine Aufgabe, während Yi Ni sich über die existierenden Ausschüsse informiert und was dort beraten wird.

*

Kindliche ‚Monarchin‘ kehrt in Kongress zurück

Wer schon länger politisch interessiert ist, wird sich vielleicht an die junge Königin der Volksgruppe der Deng erinnern. Vor fünf Jahren kam sie nach Peking, wo sie eine Polizeiaktion im Hauptort des Siedlungs-gebietes ihres Volkes gegen den ehrenwerten Geschäftsmann Wang Wei Wei aus der chinesischen Provinz Hongkong erwirkte. Obwohl niemand stich-haltige Beweise gegen die Firma des ehrenwerten Herrn vorbringen konnte, gelang es ihr, die Delegierten durch ihre aufwühlende Rede zu überzeugen.
Wenn man ihr Alter zu dem Zeitpunkt bedenkt, kann diese Rede nur von einer geschulten Person für sie geschrieben worden sein. Nun ist sie selbst zur Delegierten des Hohen Hauses gewählt worden, der jüngsten seit Jahren! Wir fragen uns, was sie in ihrem jugendlichen Überschwang in den nächsten Jahren im Kongress anrichten wird. Werden ihre Initiativen aus ihr selbst kommen, oder wer zieht heute an ihren Fäden?
*

Mein Name ist Wu Hao Ling. Ich bin die Vertraute der Delegierten Lai Yi Ni aus der Volksgruppe der Deng. Meine Aufgabe ist es, der ehrenwerten Lai Yi Ni den Rücken frei zu halten und die Stimmung im Hohen Haus des Volkes zu erspüren. Dazu lese ich unter anderem die Artikel in der Klatschzeitung.

Plötzlich stutze ich. Da steht ein Artikel, der Bezug nimmt auf den Dammbruch im zweiten Regierungsjahr unserer damaligen Königin. Er verunglimpft sie als Marionette irgendwelcher wirtschaftlichen Interessen, die gegen die Investmentfirma des Geschäftsmannes aus Hongkong gerichtet sind und mutmaßt, dass diese Interessen mittels der Delegierten Lai Yi Ni nun weiter gegen ihn vorgehen wollen.

Das hat sich der Autor natürlich aus den Fingern gesogen. Aber so wird negative Stimmung gegen meine liebe Freundin erzeugt, die ihre Arbeit im Kongress erschweren wird.

Ich suche den Autor des Artikels in der Liste der akkreditierten Herausgeber von Zeitungen. Als ich den Herausgeber habe, schaue ich mir an, welche Firmen an ihm beteiligt sind. Ich finde in der Liste die Investmentfirma des Wang Wei Wei aus Hongkong und informiere die ehrenwerte Lai Yi Ni in einer Pause darüber, was sich da hinter ihrem Rücken zusammenbraut.

Lai Yi Ni nickt, nachdem sie den Artikel ebenfalls gelesen hat. Sie zeigt eine sorgenvolle Miene.

„Ich werde ab jetzt von den Delegierten des Hohen Hauses kritisch beobachtet werden. Sie werden mich für inkompetent halten und mir entsprechend zurückhaltend begegnen.“

„Wang Wei Weis dritter Berufungsprozess ist gerade in vollem Gange,“ erkläre ich ihr. „Er hat es auf Euch abgesehen, auf Euch persönlich. Ich möchte nicht, dass ein Handlanger nahe genug an Euch herankommt, um Euch zu schaden!“

„Wir können legal wohl nichts gegen diese Leute unternehmen. Ich werde einfach ins Plenum gehen und versuchen, mich nicht wie ein Shagua -Einfaltspinsel- zu benehmen!“

„Das ist die richtige Einstellung, hohe Dame!“ pflichte ich ihr bei und versuche, sie aufzumuntern. „Und ich werde auf Euch aufpassen.“

An der Plenarsitzung des folgenden Tages will sie teilnehmen, um sich ein Bild von der Arbeit zu machen. Vor fünf Jahren ist sie ja ins Plenum ‚geplatzt‘, um den Delegierten die Dringlichkeit begreiflich zu machen. Sicher hat das den Ablauf der damaligen Plenarsitzung etwas durcheinandergebracht. Nun will sich Lai Yi Ni als ernstzunehmende Delegierte präsentieren und dabei die Geschäftsordnung respektieren.

Wir gehen zum Plenarsaal und besetzen unsere Plätze. Auf unserem Balkon sitzen annähernd eintausend Personen, 750 Delegierte und vereinzelte Mitarbeiter. Die ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni geht in der Menge unter. Erst, wenn der Sprecher des Volkskongresses ihr das Wort erteilt, werden sich Scheinwerfer und Kameras auf sie richten.

Ein Gong ertönt und der Sprecher erhebt sich von seinem Platz. Kameras und Scheinwerfer nehmen ihn ins Visier und gleichzeitig erscheint er überlebensgroß auf dem Riesen-Bildschirm an der gegenüberliegenden Wand über der Bühne des Politbüros.

„Hiermit erkläre ich die heutige Sitzung für eröffnet!“ erklärt er. „Der Delegierte Huang An Jing aus dem Ausschuss für Transporte hat das Wort.“

Das Bild auf dem riesigen Monitor wechselt und zeigt einen ehrwürdigen älteren Mann, der sich von seinem Platz erhebt und zu sprechen beginnt.

Er trägt einen Antrag bezüglich des Güterverkehrs innerhalb der Grenzen Chinas vor. Anschließend lässt der Sprecher über den Antrag abstimmen. Lai Yi Ni überlegt, welche der Tasten ihres Abstimmungsgeräts sie drücken soll. Auf dem Bildschirm, der jetzt geteilt ist und den Sprecher, sowie den Vorsitzenden des federführenden Ausschusses zeigt, laufen Zahlen. Schließlich bleiben sie stehen und der Sprecher verkündet das Ergebnis der Abstimmung.

Den ganzen Sitzungstag geht es so weiter. Anträge werden vorgetragen und zur Abstimmung gestellt.
Bei klarer Zustimmung wird der Antrag zur weiteren Bearbeitung an das Politbüro weitergeleitet. Bei knapper Zustimmung oder Ablehnung wird eine Aussprache angesetzt. Hier kann jeder Delegierte, seine Für- oder Wider-Argumente vortragen.

Anschließend geht der Antrag an den federführenden Ausschuss zurück, wo er neu beraten wird. Bei klarer Ablehnung ist der Antrag gescheitert.

Die Zeit verfliegt und irgendwann ertönt wieder ein Gong und der Sprecher erklärt den Sitzungstag für beendet. Zwischendurch sind immer wieder Delegierte aufgestanden und haben sich entfernt. Andere sind hinzugekommen, um an der Sitzung des Volkskongresses teilzunehmen. Auch der Sprecher hat zwischendurch gewechselt. Genauso hat es die ehrenwerte Lai Yi Ni gemacht: Sie ist zwischendurch aufgestanden und hat mich aufgefordert, mit ihr zum Restaurant zu gehen, um etwas zu essen. Zehn Minuten später betreten wir das Restaurant auf der Ebene ihres Delegiertenbüros. Wir wählen etwas aus und gehen damit zu einem Tisch.
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Do Jan 28, 2021 10:45 am

„Es ist schwierig, sich zu all den Anträgen eine eigene Meinung zu bilden, um dann angemessen abstimmen zu können,“ seufzt Lai Yi Ni. „Es sind effektiv zu viele und alles ist straff durchorganisiert – folgt einem zu schnellen Takt… Jedenfalls aus der Sicht eines Anfängers, wie mir!“

Ich nicke ihr zustimmend zu.

„Und dann ist der Inhalt all der Anträge so trocken, wenig emotionsgeladen,“ ergänze ich.

„Politiker dürfen sich nicht von Emotionen leiten lassen,“ erklärt sie. „Die Fakten müssen sprechen.“

„Okay,“ meine ich, „aber Ihr Auftritt vor dem Kongress damals basierte zwar auf Fakten, war aber dennoch sehr emotionsgeladen und hat womöglich deshalb Stimmen gebracht.“

Die Delegierte Lai Yi Ni nickt.

„Das war aber auch eine Ausnahmesituation gewesen! Formal muss ich es so halten, wie mein ehrenwerter Vorgänger He An Jing: Ich muss Koalitionen schmieden, um für den Fall gerüstet zu sein, dass Ihre Majestät sich mit einem ähnlichen Hilferuf an mich wendet. Daneben sollte ich mir einen Ausschuss suchen, der Themen bearbeitet, die mir liegen. Dort kann ich mich besser einbringen, als in Sitzungen des Volkskongresses. Die Arbeit ist ehrlicher.“

Nachdem wir unser Mittagessen beendet haben, gehen wir wieder in den Plenarsaal zurück. Dort verfolgen wir den weiteren Tagesablauf, bis der Sprecher den Sitzungstag schließt.

Lai Yi Ni lässt sich in ihren Sitz zurücksinken, während ich pflichtbewusst die Umgebung beobachte. Sie schaut geschafft und erledigt aus. Um uns herum erheben sich die Delegierten und streben den Ausgängen zu. Gerade noch rechtzeitig sehe ich, wie sich eine Kamera in unsere Richtung dreht. Ich hüstele zweimal.

Die ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni versteht das Zeichen. Ihr Körper strafft sich und ihre Miene wird wieder freundlich unverbindlich. Sie erhebt sich selbstsicher und weist mich an, ihr zu folgen. Gemeinsam verlassen wir den Balkon und streben ihrem Büro zu.

„Endlich ist der lange Tag vorbei!“ äußert sich jemand in unserer Nähe.

„Das ist er, Delegierter Sun Shi Yan. Aber die Arbeit beginnt ja erst!“ meint Lai Yi Ni lächelnd zu ihm. Es ist der junge Mann, der uns vor ein paar Tagen in der Informationsveranstaltung begegnet ist und höflich Platz gemacht hat.

Er lächelt zurück.

„Sie erinnern sich an mich!“ freut er sich.

„Möchten Sie mich ein Stück begleiten?“ fragt sie ihn zuvorkommend.

Sun Shi Yan freut sich offensichtlich. Wir legen den Weg zu unseren Büros nun langsam schlendernd zurück. Er redet unterwegs ohne Punkt und Komma. Größenteils geht es ihm darum, zu erklären, wie überwältigend hier alles für ihn ist. Lai Yi Ni hört ihm höflich zu und bewahrt eine neutrale Miene.

„Ich bin sicher, Sie haben inzwischen ähnliche Eindrücke sammeln können,“ schließt Sun Shi Yan seinen Redefluss.

Lai Yi Ni schaut ihn freundlich neutral an. Nun wird er nervös. Wir sind vor den Aufzügen stehengeblieben. Mit unruhiger Stimme flüsternd, meint er:

„Wegen der Nachrichten, meine ich. Nicht dass ich Sie für unqualifiziert halte. Ganz bestimmt nicht! Sie sind nur neu, genau wie auch ich. Vielleicht könnten wir gemeinsam vorankommen.“

Lai Yi Ni antwortet, selbstbewusst lächelnd:
„Ich denke, wir werden hier alle sehr schnell lernen, wie wir unsere Überzeugung einbringen können.“

Sie scheint von Sun Shi Yan angenehm berührt zu sein. Fürs Erste trennen sich hier ihre Wege. Als der Aufzug hält, steigen wir ein und fahren auf unsere Ebene. Eine ältere Delegierte, die sich schon im Aufzug befunden hat, steigt mit uns aus und spricht Lai Yi Ni dabei an:

„Sie haben heute eine gute Figur gemacht, verehrte Kollegin.“

„Was macht Sie da so sicher, hohe Dame?“ fragt Lai Yi Ni zurück.

„Sie haben ein gutes Stehvermögen, zeigen weder Enttäuschung noch Entmutigung angesichts der Realität der Arbeit eines Delegierten. Viele kommen mit großem Enthusiasmus hierher, wollen viel erreichen und hangeln sich enttäuscht von Hürde zu Hürde.“

Lai Yi Ni zwinkert lächelnd.

„Ah,“ antwortet sie. „Wenn das die einzige Voraussetzung ist, dann muss ich wohl für das Leben als Delegierte geboren worden sein.“

„Und Zähne zeigen können Sie auch!“ lacht die ältere Delegierte. „Mein Name ist Lang Jin Jin.“

„Nun, ich habe sechs Jahre die Staatsgeschäfte der Deng geführt. Außerdem habe ich meinen ehrenwerten Vater oft bei Projekten im Ausland begleitet, soweit es meine Zeit erlaubte. Dabei lernt man eine distanzierte Herangehensweise, obwohl die Emotionen immer mitschwingen. Ich denke aber, ich sollte mich auch gegenüber anderen Methoden aufgeschlossen zeigen.“

„Ich weiß! Letzteres habe ich bei ihrem Auftritt vor fünf Jahren vor dem Hohen Haus miterlebt. Sie haben die richtigen Worte zur richtigen Zeit gefunden!“ urteilt die ehrenwerte Delegierte Lang Jin Jin. „Ich war damals noch ganz neu im Volkskongress. Es ist sehr interessant, ihren Wechsel in die große Politik mitzuerleben.“

„Es ist eine große Herausforderung!“ gesteht ihr Lai Yi Ni. „Und nicht einfach, seine Heimat hinter sich zu lassen, um einem größeren Ziel zu dienen.“

„Ich denke, Sie werden hier gut zurechtkommen, ehrenwerte Kollegin Lai Yi Ni. Ich will Ihnen ein Geheimnis verraten: Sie können soviel lesen wie sie wollen. Seine eigentliche Arbeit erledigt der Delegierte bei Empfängen. Eine Abstimmung aus Überzeugung ist nicht falsch, aber Verbündete sind besser. Wir sind nur noch nicht sicher, ob wir mit Ihnen zusammenarbeiten können.“

„Wer interessiert sich denn für eine Zusammenarbeit mit mir?“ fragt Lai Yi Ni und bleibt stehen. Wir haben ihr Büro schon fast erreicht. „Sprechen Sie von einer bestimmten Gruppe oder meinen Sie das Hohe Haus im Allgemeinen, ehrenwerte Kollegin Lang Jin Jin?“

„Sie kommen direkt auf den Punkt! Das gefällt mir,“ antwortet die Delegierte Lang Jin Jin. „Wir haben alle unsere kleinen Arbeitsgruppen. Manchmal überlappen sich die Interessen, manchmal nicht. Finden Sie es heraus.“

„Ich arbeite daran!“ sagt Lai Yi Ni höflich distanziert.

„Die Klatschpresse brauchen Sie nicht zu beachten. Die Leute mögen Sie! Sie haben einen guten Ruf. Geben Sie der Klatschpresse nur kein weiteres Futter!“ rät unsere neue Begegnung.

„Was kann ich tun?“ fragt Lai Yi Ni interessiert.

„Machen Sie einfach Ihre Arbeit und tun Sie nichts, was man ausschlachten könnte. Solange die Klatschpresse keinen echten Grund zum Schreiben hat, können Sie sie ignorieren.“

„Danke, werte Dame,“ antwortet ihr Lai Yi Ni. „Ich hätte nicht erwartet, dass mir hier irgendwer einen wirklich nützlichen Rat geben würde.“

„So schlimm sind wir ältere Kollegen doch gar nicht. Na, mit der Zeit werden Sie das schon selbst herausfinden. Für heute wünsche ich Ihnen alles Gute!“

„Zai Jian -auf Wiedersehen-,“ wünscht Yi Ni und neigt den Kopf, während sie die gefalteten Hände zum Kinn hebt.

Lang Jin Jin geht ihrer Wege und wir betreten Lai Yi Nis Büro. Dort macht sie gewissenhaft den Tagesabschluss. Sie vermerkt auch die Leute, die wir kennengelernt haben. Ich übergebe ihr das Ergebnis meiner Recherche über die Delegierten. Anschließend verlassen wir das Hohe Haus und lassen uns zu unserem Appartement bringen.

*

Nach der Atmosphäre im Hohen Haus des Volkskongresses empfinde ich den Nachtclub „Lu Long -Grüner Drache-“ als einen regelrechten Kulturschock. Ähnliches ist mir aus der Heimat auch nicht bekannt.

Der Delegierte Sun Shi Yan hat Lai Yi Ni diesen Treffpunkt genannt, um ungestört reden zu können. Die Musik rüttelt an der Wirbelsäule. Wir setzen uns auf eine halbrunde Sitzbank und schauen uns die Gäste des Clubs an. Irgendwie fühle ich mich overdressed. Sicherlich geht es Lai Yi Ni genauso.

Nach einiger Zeit nähert sich uns eine Gestalt in Jeans und Hoodie mit übergezogener Kapuze. Ich versteife mich, bereit, sofort meine Kenntnisse in Selbstverteidigung einzusetzen.

Die Gestalt holt einen Stuhl von einem nahen Tisch, lässt sich bei uns nieder und lüpft die Kapuze ein wenig.

„Sun Shi Yan!“ sagt Lai Yi Ni, gerade so laut, dass nur wir uns verständigen können. „Wie sind Sie auf dieses Etablissement als Treffpunkt gekommen?“
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Fr Jan 29, 2021 9:04 am

„Ich dachte mir, dass wir hier ungestört reden können. Im Hohen Haus fühle ich mich von Kamera-Drohnen verfolgt. Ich hoffe, der Lärm und die Art der Gäste, stören Sie nicht allzu sehr, verehrte Kollegin Lai Yi Ni.“

Lai Yi Ni lacht fröhlich auf. Die Spannung ist fürs erste verschwunden.

„Machen Sie einfach ihre Arbeit, werter Kollege! Ignorieren Sie die Kameras einfach – und auch die Artikel in der Klatschpresse. Haben Sie sich eigentlich schon für ein spezielles Arbeitsfeld entschieden – neben der Bearbeitung der Petitionen aus ihrer Heimatprovinz?“

„Ich bin noch unentschlossen,“ gibt der Delegierte zu. „Da ich aus dem Bankfach komme, wäre ein Ausschuss aus dem Bereich Finanzierungen, Steuern, interessant. Aber man muss erst einmal Anschluss finden und eine Einladung bekommen.“

„Mein Interesse liegt auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe,“ gibt Lai Yi Ni offen zu. „Mein Vater ist Ingenieur im Entwicklungsdienst und ich durfte ihn in der Vergangenheit öfter begleiten. Vor Ort hat mich die Armut der Menschen immer sehr mitgenommen. Hier gäbe es eine Überschneidung.“ Sie zeigt ihm ein gewinnendes Lächeln. „Zuerst sollten wir uns um Anwesenheit bei Empfängen bemühen! Dort trifft man viele ältere Kollegen.“

Sun Shi Yan nickt bedächtig. Es ist offensichtlich, dass er sich unter den vielen Delegierten trotzdem einsam fühlt. Dazu kommt noch, dass die Klatschpresse den Neuen nachstellt, auf der Jagd nach Artikeln, die man sensationsheischend aufbauschen kann.

Lai Yi Ni macht nun Anstalten, sich zu erheben. Sie zieht ihre Stirn in Falten und sagt:

„Wir wollen gehen. Ich glaube, die Musik und die Atmosphäre hier ist nicht ganz nach unserem Geschmack! Sie können aber gerne noch bleiben.“

Er macht ein unglückliches Gesicht.

„Darf ich Sie hinausgeleiten? Das sage ich nur, um Ihnen meinen Schutz anzubieten.“

Lai Yi Ni wirft mir einen vielsagenden Blick zu. Danach lächelt sie den jungen Mann dankbar an.

„Gerne, werter Sun Shi Yan.“

Nun verlassen wir zu dritt das „Lu Long“ und winken draußen einer Motorrad-Rikscha.

*

Ein leises Piepen zeigt an, dass der Terminplan der Kongressverwaltung für den nächsten Tag auf dem Tablet eingetroffen ist. Die nächsten zwei Stunden verbringen wir damit die Abstimmungen über die Eingaben zu beraten und herauszufinden zu versuchen, welche Delegierten untereinander verbündet sind.

„Ich muss in einen der Ausschüsse!“ stelle ich frustriert fest.

„Die ehrenwerte Delegierte Lang Jin Jin leitet einen Ausschuss der sich mit Bildung in den ärmeren Regionen am Rand der Gebi -Wüste Gobi- beschäftigt,“ werfe ich ein.

Ich habe die Liste der Ausschüsse durchgesehen und dabei ihren Namen dort gefunden.

Anschließend gehen wir zu meinem Platz im Plenarsaal und ich verfolge die Abstimmungen über die Eingaben, die auf der Tagesordnung stehen. Währenddessen recherchiert Hao Ling im Archiv des Hohen Hauses die Aufzeichnungen über vergangene Sitzungen des Ausschusses, den die ehrenwerte Lang Jin Jin leitet.

In der Mittagspause nehmen wir unser Mahl mit ins Delegiertenbüro. Dort lege ich mir die richtigen Worte zurecht. Anschließend bringen wir das Geschirr ins Restaurant zurück. Dort sehen wir die Delegierte im Gespräch mit einem grauhaarigen Mann. Gemessenen Schrittes nähere ich mich den Beiden, während Hao Ling im Hintergrund bleibt.

„Ni hao, xiawu hao, gewei daibiao Lai Yi Ni -Hallo, guten Tag-, ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni-,“ begrüßt mich die ältere Kollegin, als sie mich bemerkt. „Darf ich Ihnen den ehrenwerten Delegierten Li Yun Tao vorstellen?“

Ich verbeuge mich leicht und führe die gefalteten Hände freundlich lächelnd an mein Kinn.

„Der Kollege Li Yun Tao ist als Experte Mitglied des Ausschusses für die Bildung der Bewohner der Randgebiete der Gebi -Wüste Gobi-.“

Der Mann mustert mich eine Zeitlang, während er mich begrüßt:
„Hallo, Kollegin Lai Yi Ni. Sie sind ja schon sehr bekannt im Hohen Haus.“

„Leider erhält man nicht nur Freunde in dieser Position,“ erkläre ich mit bedauerndem Tonfall. „Nach meinen Recherchen werden die Nachrichten von einem Hintermann forciert, dem ich in einem früheren Leben einmal auf die Füße getreten bin.“

„So etwas kommt vor!“ antwortet er. „Das geht vielen Delegierten so, denn leider gibt es immer Leute, denen unsere Arbeit nützt, während wir anderen dadurch in die Parade fahren.“

„Begleiten Sie uns doch in den Plenarsaal zurück!“ schlägt die ehrenwerte Lang Jin Jin vor.

„Sehr gerne,“ bestätige ich.

Wir gehen los und Hao Ling folgt uns in gebührendem Abstand. Unterwegs fragt der grauhaarige Delegierte:

„Was wissen Sie über die Gebi -Wüste Gobi- und ihre Bewohner?“

„Leider erst einmal nur das, was man im Schulunterricht mitbekommt. Aber ich habe meinen zunjing de fuqin -ehrenwerten Vater- öfter nach Afrika zu Entwicklungsprojekten begleiten dürfen. Dort hat mich die Armut und Bildungsferne der ländlichen Bevölkerung immer berührt. Ich habe schon mehrfach die Gründung von Minifirmen angeregt, um den Lebensstandard der Leute ein wenig anzuheben. Aber ich habe dabei das Gefühl, Wasser auf einen heißen Stein zu tropfen…“

„Ah, natürlich gibt es da Unterschiede, aber der Ansatz dürfte ähnlich sein!“ meint der Delegierte Li Yun Tao. „Dann treffen wir uns morgen nach der Sitzung, würde ich sagen. Ich schicke Ihnen einen Mitarbeiter, der Sie führt.“

Die beiden älteren Kollegen verabschieden sich höflich und entfernen sich, sich angeregt unterhaltend. Hao Ling schließt zu mir auf und gemeinsam gehen wir an unseren Platz im Plenarsaal.

Die Arbeit in Lang Jin Jins Ausschuss scheint interessant zu werden. Ich habe das Gefühl helfen zu können, etwas aufzubauen, so wie mein zunjing de fuqin -ehrenwerter Vater- es mir vorgelebt hat, während ich ihn auf seinen Reisen begleiten durfte. Und ganz nebenbei wird es mir gelingen Allianzen zu schmieden, die mir helfen könnten, wenn Ihre Majestät, unsere Königin, sich mit einer Bitte an mich wenden würde.

Nachdem der Sprecher den Sitzungstag beendet hat, einen Tag nachdem ich die beiden älteren Kollegen kontaktiert habe, werde ich von einem jungen Mann am Ausgang des Plenarsaales auf meiner Ebene angesprochen.

„Ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni?“

Ich wende mich ihm zu und nicke.

„Ja?“

„Guten Tag, mein Name ist Liu Si No. Der ehrenwerte Li Yun Tao schickt mich, sie zu führen.“

„Das ist sehr freundlich! Dies ist meine Mitarbeiterin Wu Hao Ling. Sie führt Protokoll für mich.“

Ich stelle dem jungen Mann Hao Ling vor, damit er sich nicht über meinen ‚Schatten‘ wundert. Anschließend lassen wir uns in einen anderen Flügel des Kongressgebäudes führen.

Mit am Tisch sitzen zwei Hände voll Delegierte, von denen nur drei aus dem Randgebiet der Gebi -Wüste Gobi- stammen, wie der ehrenwerte Delegierte Li Yun Tao. Die Meisten lassen Diktiergeräte mitlaufen, um später in ihren Unterkünften eine Zusammenfassung der Diskussion zu erstellen und daraus Argumente für das nächste Treffen zu gewinnen. Für mich übernimmt Hao Ling diesen Job.
Nach zwei Stunden des Geplänkels schließt die Delegierte Lang Jin Jin die Ausschuss-Sitzung. Wir streben, wie die Anderen dem Ausgang zu, aber der ehrenwerte Li Yun Tao hält uns zurück.

„Nun, ehrenwerte Kollegin,“ fragt er mich, „war unsere Besprechung interessant und informativ für Sie?“

„Allerdings!“ sage ich lächelnd. „Wir könnten so viel mehr tun, wenn die Verantwortlichen nur zuhören würden.“

„Oh, sie hören zu,“ antwortet er. „Sie nehmen es nur nicht ernst!“

Viel Neues in der Sache habe ich nicht erfahren, aber ich habe im Verlauf der beiden Stunden gelernt, wie man Vorschläge einbringt und dass Diskussion und Verhandeln nicht zwei verschiedene Künste sind, sondern sich gelegentlich überschneiden.

Lang Jin Jin nickt nun und verspricht:
„Ich informiere Sie, sobald wir uns das nächste Mal treffen, und ob es wieder in diesem Raum stattfinden kann. Hoffentlich haben wir den Antrag rechtzeitig fertig, damit ihn die Verwaltung zur Abstimmung auf die Tagesordnung setzen kann.“

Die Beiden verlassen nun auch den Raum. Ich folge ihnen und Hao Ling bildet den Abschluss. Draußen verabschieden wir uns voneinander und streben in unterschiedlichen Richtungen davon.

Nach der Ausschusssitzung fahren wir in unser Appartement, um erst einmal bei einem gemeinsam zubereiteten Essen zu entspannen.

*
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Sa Jan 30, 2021 10:29 am

Wir sitzen zur Mittagszeit im Restaurant auf unserer Ebene des Hohen Hauses, als sich der Delegierte Sun Shi Yan mit seinem Tablett unserem Tisch nähert.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen, ehrenwerte Damen?“ fragt er.

Lai Yi Ni nickt freundlich, während ich mich versteife. Der Delegierte Sun Shi Yan lässt sich bei uns nieder und schaut von mir zu Lai Yi Ni. Er beginnt zu essen, sagt aber nach einer kurzen Weile:

„Haben Sie inzwischen einen Ausschuss gefunden, um dort mitarbeiten zu können, verehrte Lai Yi Ni?“

Lai Yi Ni nickt wieder. Sie zeigt einen gespannten Gesichtsausdruck. Worauf will der junge Mann hinaus?

„Ich leider noch nicht. Ein Ausschuss, der sich mit Finanz- und Steuersachen beschäftigt, scheint es nicht zu geben.
Aber mir ist etwas Interessantes zu Ohren gekommen. Möglicherweise interessiert es Sie auch: Die Delegierte von Lhasa aus der Volksgruppe der Tibeter Nyinje Pelmo -die Ruhmreiche- gibt nächste Woche eine Party. Man munkelt, dass sie die Party nur als Fassade nutzt, um sich ungestört unterhalten zu können.“

„Wie kommen Sie darauf?“ fragt Lai Yi Ni, mit einer steilen Falte auf der Stirn.

„Sie plant, ein paar Leute als Ablenkung für die Klatschpresse einzuladen…“

„Hm, da gibt es nicht viele, die die Aufmerksamkeit der Klatschpresse binden können.“

„Das habe ich mir auch gedacht,“ nickt der junge Mann. „Deshalb habe ich Sie darauf angesprochen.“

„Vielen Dank, ehrenwerter Sun Shi Yan!“ lächelt Lai Yi Ni freundlich. „Dann warte ich einmal, ob ich eine Einladung bekomme. Sind Sie übrigens auch da? Sie wissen ja: Kontakte knüpfen kann wichtig sein für den Delegierten. Vielleicht lernen Sie ja jemand kennen, der Sie auf einen interessanten Ausschuss hinweisen kann!“

Kurz darauf haben wir fertig gegessen und bringen unser Tablett zur Ausgabe zurück. Am Abend dieses Tages piepst Lai Yi Nis Tablet und sie liest die offizielle Einladung zu einem Empfang der tibetischen Gruppe. Zu dieser Gruppe zählen elf Delegierte, weil die Volksgruppe fünf Millionen Seelen umfasst.

„Ehrenwerte Kollegin Lai Yi Ni. Ich gebe nächste Woche einen kleinen Empfang und würde Sie und ihre Assistentin gerne dazu einladen.
Nyinje Pelmo, Vorsitzende der tibetischen Delegation.“

„Hm,“ murmelt Lai Yi Ni, wie im Selbstgespräch. „Ich kann nicht ablehnen, aber ich will auch nicht der Mittelpunkt der Party sein! Ich will wissen, worüber sie sprechen…“

„Wir werden die Plätze tauschen, Hohe Dame. Dann stürzen sich alle auf mich und ihr könnt schauen, wo sich die Gruppe um diese Tibeterin trifft, wer an der Besprechung teilnimmt und über was sie reden.“

„So etwas haben wir seit Jahren nicht mehr gemacht!“ wirft die verehrte Lai Yi Ni ein.

„Aber deshalb begleite ich Euch ja auch ständig. Ich weiß genauso viel wie Ihr und kann sagen, was Ihr sagen würdet!“

„Genau wie in alten Zeiten!“ kommentiert Lai Yi Ni und lächelt mir zu.

*

Wu Hao Ling trägt ein tiefblaues Kleid mit vielen Stickereien. Es ist ein Kleid aus unserer Heimat. So zurecht gemacht begleite ich, Lai Yi Ni, sie als ihre Mitarbeiterin in einem schlichten Hosenanzug zu dem Empfang. Wu Hao Ling spielt heute die Delegierte Lai Yi Ni. Wir gehen gemessenen Schrittes durch das Gebäude des Volkskongresses zum Park zwischen den beiden Seitenflügeln.

Als wir die Treppe vom Hochparterre zur Ebene des Parks heruntersteigen, drehen sich alle Köpfe der anwesenden Gäste in unsere Richtung. Wu Hao Ling in der Rolle der Delegierten Lai Yi Ni achtet darauf, dass die Lampen sie optimal beleuchten. Dabei bewegt sie sich betont langsam und würdevoll, wie ein Fotomodell, was sie im Moment auch tatsächlich ist: Immer mehr Handykameras lassen ihren Blitz aufleuchten. Schon taucht der erste kamerabestückte Quadrokopter der Klatschpresse auf.

Ich entdecke Lang Jin Jin, die Ausschussvorsitzende im Gespräch mit einer mongolisch aussehenden Frau. Sie macht ihre Gesprächspartnerin bei unserer Annäherung auf Wu Hao Ling aufmerksam. Ich gehe einen Schritt schräg hinter ihr. Die Gastgeberin lächelt zufrieden, als sie die Aufmerksamkeit bemerkt, die Wu Hao Ling auf sich zieht.

Leute in Bediensteten-Livrees treten auf uns zu und führen uns mit Verbeugungen und Komplimenten zu einem Tisch, wo wir Erfrischungen finden. Die Gäste sind sehr gesittet. Diejenigen, die ein Bild haben wollen, bleiben auf Abstand und lächeln entschuldigend. Einige nähern sich der ‚Delegierten Lai Yi Ni‘, nur um kurz „Hallo“ zu sagen. Hier macht es sich bezahlt, dass Wu Hao Ling mich während der letzten Wochen stets begleitet hat.

„Ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni, schön, Sie einmal persönlich kennen zu lernen.“

„Ehrenwerter Zhang Lee Aang!“ entgegnet Wu Hao Ling mit Freude in der Stimme.

In diesem Moment ruft ein anderer Delegierte Lai Yi Nis Namen und der Delegierte Zhang Lee Aang verabschiedet sich höflich. Wu Hao Ling nickt freundlich und schaut sich etwas um. Sie wählt eine Bank, ein Dutzend Meter tiefer im Park gelegen, geht darauf zu und dreht sich mit dem weiten Kleid, um sich niederzulassen.

Ich nicke ihr zu. Sie wird ihre Rolle gut spielen! Lang Yin Yin kommt mit der Gastgeberin, der Delegierten Nyinje Pelmo auf uns zu.

„Ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni! Wie schön, Sie hier begrüßen zu dürfen. Aber jetzt müssen Sie mich entschuldigen. Es gilt noch so viele andere Gäste zu begrüßen.“

„Ich hoffe, wir können uns später noch unterhalten,“ antwortet Wu Hao Ling als ‚Delegierte Lai Yi Ni‘ und neigt lächelnd den Kopf.

Die beiden Frauen sind kurz darauf in der Schar der Gäste verschwunden.

Minuten später trenne ich mich von ihr, um die beiden Frauen wiederzufinden, die bei unserer Ankunft so zufrieden gelächelt haben. Niemand macht zuvorkommend Platz. Also muss ich mich zwischen den Gästen hindurchschlängeln, die in Grüppchen zusammenstehen und sich angeregt unterhalten.

Irgendwann höre ich vertraute Stimmen und wandere schnellen Schrittes in diese Richtung, um an dieser Gesprächsgruppe vorbeizugehen und einen Bogen zu schlagen. Schließlich positioniere ich mich so hinter einem Busch, dass ich dem Gespräch folgen kann.

Li Yun Tao, der im Ausschuss als Experte für die Gebi -Wüste Gobi- fungiert, sagt gerade:

„Könnte man die werte Kollegin Lai Yi Ni nicht mit der stellvertretenden Ministerin im Bildungsministerium bekannt machen? Möglicherweise erfahren wir so Internes, das wir als Hebel ansetzen können!“

Der Kollege Zhang Lee Aang hält dagegen:
„Unterschätzen Sie die ehrenwerte Lai Yi Ni nicht! Sie wird es bemerken, wenn man sie als Werkzeug benutzen will! Schenken wir ihr doch reinen Wein ein. Wenn wir sie überzeugen, haben wir mehr gewonnen!“

„Ist sie denn loyal?“ wirft die Ausschussvorsitzende Lang Jin Jin ein.

„Ich denke schon,“ antwortet der Delegierte Zhang Lee Aang.

„Also sprechen wir offen mit ihr,“ meint der Experte Li Yun Tao. „Am besten sofort, falls wir es schaffen, sie von der Presse zu trennen.“

‚Oh, nein!‘ denke ich, und wende mich zum Gehen. ‚Ich muss sofort zu Hao Ling und mit ihr zusammen auf die Damentoilette, damit wir dort die Rollen zurücktauschen!‘

Wieder muss ich mich zwischen den Grüppchen der Gäste durchschlängeln, die mich, die ‚Bedienstete‘, kaum beachten. Plötzlich höre ich einen gellenden Aufschrei:

„Bang wo! -Helft mir!-“

Das war Wu Hao Lings unverstellte Stimme! Ich halte den gestreckten rechten Arm mit der gestreckten Hand gerade vor mich und beschleunige meine Schritte. So laufe ich durch die Gästegrüppchen hindurch, auf den Standort meiner Doppelgängerin zu.

Ich komme gerade recht, als Wu Hao Ling auf einem jungen Mann kniet und ihn mit einem Kungfu-Griff am Boden hält. Im selben Augenblick erreichen zwei Männer der Wache des Hohen Hauses den Tatort. Sie nehmen den jungen Mann in die Mitte und lassen sich von der ‚Delegierten Lai Yi Ni‘ den Hergang berichten.

„Was ist hier geschehen, ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni?“

„Der Delegierte Sun Shi Yan, näherte sich mit einem Getränk und fragte, ob er sich neben mich setzen dürfte.
Ich erklärte ihm, dass ich eine solch intime Nähe nicht möchte.
Daraufhin ließ er sein Glas fallen, seine freundliche Miene änderte sich in einen hasserfüllten Gesichtsausdruck. Er zückte ein Messer, rief die Worte ‚Für Wang Wei Wei!‘ und drang auf mich ein.“

Einer der Wachen hält den Arm Sun Shi Yans in seinem Rücken fest, während der Andere das Messer vom Boden aufhebt und mit zwei Fingern in ein Tuch einwickelt. Dabei fragt er die umstehenden Gäste:

„Ist es so gewesen, wie die ehrenwerte Dame sagt?“

„Ja, so war es!“ lassen sich nun mehrere Partybesucher vernehmen.

Der junge Delegierte wird abgeführt.

Inzwischen ist auch der ältere Delegierte Li Yun Tao heran. Er verbeugt sich vor meiner Doppelgängerin und meint:

„Ich bedauere die Unannehmlichkeit sehr, in die Sie hier geraten sind! Ist dieser Wang Wei Wei ein persönlicher Feind von Ihnen?“

„Vielen Dank für Ihren Zuspruch, ehrenwerter Kollege Li Yun Tao. Das ist eine lange Geschichte! Ich erzähle sie Ihnen gern ein andermal. Dieser Wang Wei Wie befindet sich gerade im dritten Berufungsprozess, den seine Anwälte für ihn ausfechten. Bitte entschuldigen Sie mich. Ich möchte mich gerne zurückziehen!“
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1So Jan 31, 2021 11:40 am

Er nickt mit ernstem Gesicht und sagt:
„Das verstehe ich! Lassen Sie sich nachhause fahren und entspannen Sie.“

Wir steigen nun die Treppe hinauf, um durch das Kongressgebäude zu gehen. Vor dem Haupteingang nehmen wir eine Rikscha und lassen uns zu unserem Appartement bringen.

Zuhause berichte ich Wu Hao Ling vom belauschten Gesprächsfetzen. Dann sage ich unter dem Eindruck des Erlebten:

„Danke, meine Freundin!“

Wu Hao Ling lächelt mich an und antwortet:
„Wenn es nicht gerade um Leben und Tod geht, kann man es sogar genießen, Ihr Double zu sein. Und der ehrenwerte Bu Men -Meister- Chen hat ganze Arbeit geleistet beim Lehren der Selbstverteidigung.“

„Ich bin sehr froh, dass es so gut ausgegangen ist. Jetzt lass uns schlafen gehen,“ meine ich.

Anschließend gehen wir schlafen, auch wenn es eine Zeitlang dauert, bis ich eingeschlafen bin. Mich erschreckt, wozu der Hass einen Menschen befähigen kann. Auch Wu Hao Ling wird in ihrem Zimmer noch lange wach liegen.

*

Naive Delegierte entgeht einem Mordanschlag

Die Politik ist schockiert über das Verbrechen, das sich im Hohen Haus des Volkes ereignet hat. Anscheinend hat die schöne junge Delegierte Lai Yi Ni einem Kollegen so den Kopf verdreht, dass dieser sterben und sie in den Tod mitnehmen wollte.
Niemand kann sich an einen vergleichbaren Vorfall in der Vergangenheit erinnern, wo doch die gewählten Delegierten im Hohen Haus Politik für das Volk machen – und sich nicht in Liebeleien ergehen und damit dem Hohen Haus schaden werden.
*

Langsam schlendere ich, Lai Yi Ni, in Begleitung der Ausschussvorsitzenden Lang Jin Jin und dem Experten Zhang Lee Aang durch den Park des Kongressgebäudes. Wu Hao Ling habe ich an der Freitreppe zum Park zurückgelassen.

„Die Immunität des Delegierten Sun Shi Yan wurde aufgehoben. Ein Anderer wird seinen Platz einnehmen…
Was passiert ist, ist eine schlimme Sache und wirft ein schlechtes Licht auf den Volkskongress als Ganzes…
Sie sind ständig mit einem ‚Schatten‘ unterwegs. Dürfen wir den Hintergrund erfahren? Vielleicht können wir Ihnen über unsere Verbindungen helfen?“ fragt der Delegierte Zhang Lee Aang mit Pausen.

„Ich war noch die Königin meines Volkes, als nach einem starken Regen ein Damm brach. Wir waren noch mit der Katastrophenbewältigung beschäftigt, als ich das Schreiben eines gewissen Wang Wei Wei, CEO einer Investmentgesellschaft in Hongkong erhielt. Darin bot er uns seine Hilfe an. Die Zinsen seines Kreditangebotes hätten uns auf Jahrzehnte verschuldet und uns somit von ihm abhängig gemacht.
Ich wendete mich an unseren ehrenwerten Delegierten He An Jing, aber der Volkskongress verschleppte die Hilfe. Man sendete uns Inspektoren. Diese fanden heraus, dass der Starkregen durch Impfen der Wolken mit Silberjodid und der Dammbruch durch eine gezielte Explosion herbeigeführt wurde. Gleichzeitig gab sich Wang Wei Wei zu erkennen, indem er den Palast mit bewaffneten Söldnern umstellen ließ und persönlich im Thronsaal erschien, um die Unterschrift unter den Kreditvertrag zu erzwingen.
Der ehrenwerte Inspektor Zhu, ein Bu Men -Meister- aus dem Pekinger Shaolin-Kloster öffnete den Belagerungsring, brachte mich zum Hohen Haus und spielte die Beweise des Verbrechens dem Justiz- und dem Verteidigungsministerium zu. Wang Wei Wei sollte verhaftet und sein Vermögen beschlagnahmt werden.
Hier musste ich feststellen, dass er scheinbar noch immer auf freiem Fuß ist und inzwischen das dritte Berufungsverfahren angestrengt hat. Das geht nur mit hochbezahlten Anwälten und noch anderen Maßnahmen: Eine Nachrichtenagentur, die die Klatschpresse mit Artikeln versorgt – und ihm gehört – ist auf mich angesetzt und macht Stimmung gegen mich im Volkskongress.
Der Höhepunkt ist nun der Mordanschlag, zu dem der Delegierte Sun Shi Yan bestimmt in irgendeiner Weise von Wang Wei Wei ‚überzeugt‘ worden ist.“

„Sie sprechen mit beeindruckender Ruhe über diese ganze Sache!“ meint der ehrenwerte Zhang Lee Aang. „Jetzt verstehe ich, warum Sie diesen speziellen Schutz benötigen. Es braucht einige Zeit und Recherche, bis Sie jemandem Vertrauen können.“

„So ist es,“ antworte ich ihm lächelnd. „Aber haben Sie Beide nicht auch ein paar Fragen an mich?“

„Neben Vertrauen ist Loyalität eine weitere wichtige Eigenschaft,“ lässt sich die ältere Kollegin Lang Jin Jin nun vernehmen. „Loyalität gegenüber der Volksrepublik, genauso wie gegenüber seinen Kollegen.“

„Das ist eine Selbstverständlichkeit! Ich möchte mich aber nie dazu hergeben, irgendjemand im Kongress oder der Regierung auszuspionieren. Den demokratischen Prozess durch den Austausch von Argumenten möchte ich nicht untergraben!“

„Und die Nachrichtenagentur wird schon bald das Interesse an Ihnen verlieren, verehrte Kollegin Lai Yi Ni. Unsere verehrte Kollegin Lang Jin Jin kennt ein paar Leute, die Ihnen diese Tintenkleckser vom Hals halten können!“ wirft der verehrte Kollege Zhang Lee Aang dazwischen.

„Freut mich zu hören!“ sage ich, erleichtert lächelnd.

Die nächsten Monate meiner Amtszeit im Hohen Haus des Volkskongresses verlaufen deutlich entspannter. Dank meiner Mentorin, der älteren Kollegin Lang Jin Jin, werde ich in verschiedene Ausschüsse eingeladen. Dort werde ich aufgrund meiner Erfahrungen als frühere Königin meines Volkes um meine Meinung gefragt.

Wieviel davon letztendlich in deren Anträge einfließt, kann ich nicht feststellen. Aber es gibt mir mehr und mehr Selbstsicherheit unter den meist älteren Kollegen zu sprechen.

Meine Mentorin und ich sind durchaus nicht immer einer Meinung, wenn es um die Politik geht. So diskutieren wir lange und oft abwechselnd in meinem oder ihrem Büro. Zu Beginn vertritt sie eine eher extreme Position und fordert dadurch meine Gegenrede heraus. So geht es oftmals Hin und Her, wobei die ehrenwerte Lang Jin Jin immer kompromissbereitere Töne anschlägt.

Wie Wu Hao Ling mir meist anschließend sagt, hätte sie gegen Ende der Debatten den Hauch eines Lächelns auf ihrem Gesicht entdeckt. Ehrlich gesagt, gefallen mir diese Diskussionen sogar selbst. Ich lerne viel bei diesen Disputen. Sie helfen mir, meine Argumente präziser zu formulieren. Auch die Strategie, die meine ältere Kollegin an den Tag legt, möchte ich ebenfalls verinnerlichen.

Das Ende des Sitzungszyklus ist auf diese Weise fast unbemerkt näher gerückt. Die Delegierten bereiten sich für die Rückkehr zu ihren Volksgruppen vor, um die Sommerpause des Volkskongresses dort zu verbringen. Rückblickend denke ich, dass ich stolz auf meine geleistete Arbeit sein kann.

Ich helfe meiner Zofe Wu Hao Ling beim Koffer packen. Irgendwie empfinde ich es als seltsam beruhigend, die Kleider zu falten und den Schmuck in die Kästchen zurück zu legen. Anschließend wuchten wir die Koffer auf einen Kofferkuli und lassen uns zum Bahnhof bringen. Nun steht uns wieder eine zwanzigstündige Zugreise bevor.

Einen großen Teil der Zugfahrt verbringen wir schlafend in unserem Abteil. Unser Essen lassen wir uns vom Zugpersonal bringen.

In unserer Heimatstadt angekommen, schlage ich Hao Ling vor, dass wir den Weg vom Bahnhof zum Palast der Königin zu Fuß machen wollen. Für unsere Koffer leihen wir einen Kofferkuli. Wu Hao Ling lässt es sich nicht nehmen, ihn allein zu schieben. So kann ich die Eindrücke meiner Heimatstadt unbeeinflusst auf mich einwirken lassen.

Jeder Schritt führt mich tiefer auf vertrauten Boden. Ich fühle mich so gut, wie seit Monaten nicht mehr und bin froh, wieder in der Heimat zu sein. Bald bin ich wirklich wieder zuhause. Zuerst steht aber ein Treffen mit Ihrer Majestät, der Königin, an.

Unterwegs kommen uns zwei ältere Mönche der Palastwache entgegen. Einer davon ist der ehrenwerte Bu Men Chen. Wir verbeugen uns lächelnd gegenseitig. Dann aber winkt der Meister der nächsten leeren Fahrrad-Rikscha und heißt uns aufsteigen. Die Koffer werden verladen und der Begleiter des ehrenwerten Bu Men -Meister- Chen macht mit dem leeren Kofferkuli kehrt. Er bringt ihn zum Bahnhof zurück, während der ehrenwerte Bu Men Chen auf dem Bürgersteig neben uns hertrabt. Der Rikschafahrer steht auf den Pedalen, um das Gewicht der Koffer und uns fortzubewegen.

Minuten später erreichen wir den Palast. Junge Palastwachen säumen die Treppe zum Tor, das weit offensteht. Meister Chen beauftragt die am nächsten stehenden Palastwachen, sich um die Koffer zu kümmern. Dann begleitet er uns die Treppe hinauf und durch das Tor in den Palast. Er ist noch nicht einmal außer Atem!

Von der Treppe hätte ich den Weg zum Thronsaal auch ohne Hilfe mit verbundenen Augen gefunden. Schließlich betreten wir den lichterfüllten Saal, nachdem die Türwachen die Tür geöffnet haben. Ich verbeuge mich angemessen vor Ihrer Majestät.

„Ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni,“ begrüßt mich die Königin. „Wir freuen uns Ihre Excellenz wieder bei uns empfangen zu dürfen und von Ihren Fortschritten zu hören. Bitte, setzen Sie sich!“

Ich bewege mich auf einen der leeren Sessel neben der Königin zu. Wu Hao Ling platziert sich hinter mich. Der ehrenwerte Bu Men Chen stellt sich hinter die Königin, nachdem diese nun an dem Konferenztisch vor der Thronempore Platz genommen hat. Mir gegenüber setzt sich der Premierminister. Es fühlt sich beinahe so an wie früher.

Ich verbeuge mich in seine Richtung und grüße ihn:
„Ehrenwerter Premier.“

Nachdem wir sitzen und junge Palastwachen uns mit Tee und süßem Gebäck versorgt haben, hebt Ihre Majestät an:

„Darf ich Sie zuerst um ihren Bericht bitten, verehrte Lai Yi Ni?“

„Vielen Dank, Ihre Majestät,“ beginne ich. „Offen gestanden, ist mein Amtsantritt im Hohen Haus etwas holprig verlaufen. Ich musste vieles lernen. Inzwischen habe ich mich mehreren Ausschüssen angeschlossen, um mich besser im Kongress einbringen zu können. Auch habe ich mir ein Netzwerk aufbauen können.“


Zuletzt von hermann-jpmt am Mo Feb 01, 2021 10:48 am bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Mo Feb 01, 2021 10:34 am

„Ich beneide Sie nicht um ihre Position, Eure Hoheit,“ lässt sich der Premierminister vernehmen. „Das lässt Eure Verhandlungskunst erkennen.“

„Wohl wahr,“ fügt Ihre Majestät hinzu. „Ihr Volk ist sehr dankbar für ihre Arbeit!“

Die Königin dreht sich etwas mehr, so dass sie Wu Hao Ling direkt anschaut, die sich hinter mir aufgebaut hat.

„Ihr Name ist Wu Hao Ling, nicht wahr?“

„Ja, Eure Majestät!“ antwortet meine Zofe gleichmütig und verbeugt sich.

Sie lässt es sich nicht anmerken, ob sie überrascht ist, dass Ihre Hoheit ihren Namen kennt.

„Sind Sie auch hier, um über die Arbeit im Volkskongress zu sprechen?“

„Nicht wirklich,“ antwortet Hao Ling.

Ihr Kopf erscheint in meinen Augenwinkeln.
„Mit Ihrer Erlaubnis, Excellenz?“

„Natürlich!“ antworte ich Wu Hao Ling, die nun die Königin in Kenntnis setzt:
„Ich habe im Hohen Haus verdeckt gearbeitet, um den Schutz der ehrenwerten Delegierten zu gewährleisten.“

„Ist denn das Hohe Haus kein geschützter Ort?“ fragt Ihre Majestät.

„Zwischen Anspruch und Wirklichkeit können sich Welten auftun! Leider wurde auf die ehrenwerte Delegierte ein Mordanschlag verübt.“

„Schon wieder dieser Wang Wei Wei?“ entfährt es dem Premierminister.

„Vieles deutet darauf hin,“ antwortet die verehrte Wu Hao Ling. „Aber die Nachforschungen dauern noch an. Das dritte Berufungsverfahren dieses Herrn ist bald zu Ende, und ich weiß nicht, ob die Sache danach wirklich überstanden ist.“

„Das sehe ich ebenso,“ äußert sich Ihre Majestät. „Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um ihre Sicherheit zu gewährleisten, ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni! - Excellenz, würden Sie mich auf einen kleinen Spaziergang über die Terrasse begleiten?“

Wir erheben uns höflich, weil auch Ihre Hoheit von ihrem Sessel aufsteht. Während sich der Premierminister entschuldigt und den Thronsaal verlässt, nimmt Meister Chen Wu Hao Ling zur Seite. Ich folge Ihrer Majestät durch die Tür auf die Terrasse.

*

Als Ihre Majestät mit der ehrenwerten Delegierten auf die Terrasse tritt, spricht mich der Leiter der Palastwache, der ehrenwerte Bu Men Chen, an:

„Verehrte Wu Hao Ling, du hast einen Mordanschlag auf die ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni erwähnt. Darf ich darüber näheres erfahren?“

„Gerne, verehrter Bu Men Chen. Dafür muss ich allerdings etwas ausholen: Unter den neuen Delegierten zu Beginn der vergangenen Sitzungsperiode befand sich ein junger Mann, Sun Shi Yan, von dem die ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni bei ihrem ersten Zusammentreffen angenehm berührt war.
Der junge Mann hatte die gleichen Startprobleme im Hohen Haus. Die ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni gab ihm einen Rat, über den er sich erfreut zeigte. Auch, dass er sie ein Stück Weg begleiten durfte, gefiel ihm.
Ich recherchierte und fand heraus, dass der junge Mann Verbindungen zu Finanzhäusern unterhielt, bzw. von dort stammt, und diesen Leuten sicher verpflichtet ist.
Dann hat die ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni eine Einladung zu einer Party von Delegierten bekommen. Zu dieser Zeit hatte sich die Klatschpresse auf sie eingeschossen. Wir besuchten die Party, wobei meine Wenigkeit die Rolle der Delegierten übernommen hat. Die verehrte Delegierte Lai Yi Ni wollte auf der Party verdeckt recherchieren, weshalb die ‚Delegierte der Deng‘ die Drohnen der Redaktionen an sich binden sollte, um anderen Delegierten eine ungestörte Unterhaltung zu ermöglichen.
Es ging bei der Unterhaltung dieser Personen um die Loyalität der Delegierten der Deng. Man fragte sich, ob man sie in einen Ausschuss einladen soll. Die Unterhaltung kam zu dem Schluss, dass man es mit der Delegierten der Deng versuchen sollte.
Gleichzeitig nutze ein junger Delegierter, eben jener Sun Shi Yan, die Aufmerksamkeit der Medien an der Delegierten Lai Yi Ni, um sich ihr ungebührlich zu nähern. Er ahnte nicht, dass sich meine Wenigkeit in der Rolle befand. Ich wies ihn ab. Daraufhin änderte sich sein Antlitz. Das freundliche Gesicht wurde zu einer Fratze der Wut. Er zückte ein Messer und drang auf meine Wenigkeit in der Rolle der Delegierten ein.
Ich wehrte ihn ab und überwältigte ihn. Auf meinen Hilferuf stürmten zwei Wachen des Hohen Hauses hinzu und nahmen den Delegierten fest. In diesem Moment kam die ehrenwerte Lai Yi Ni hinzu, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Rolle meiner Zofe befand.“

Meister Chen neigt lächelnd seinen Kopf. Er antwortet:

„Es ist gut, dass ihr das damals erlernte noch nicht vergessen habt, verehrte Wu Hao Ling. Andererseits ist es nicht gut, dass ihr es immer noch anwenden müsst! Eine direkte Verbindung zu Wang Wei Wei oder zumindest seiner Investmentgesellschaft gibt es also nicht, wie Ihr sagtet?“

„Nein, aber über einige Strohmänner sicher. Wie gesagt, die Recherche ist noch nicht abgeschlossen, ehrenwerter Bu Men Chen.“

Ich mache eine Geste der Niedergeschlagenheit. Meister Chen sagt:

„Seid nicht traurig, verehrte Wu Hao Ling. Ich bin sehr stolz auf Euch! Was eure Sicherheit angeht, da setze ich mich mit dem ehrenwerten Bu Men Zhu im Pekinger Shaolin-Kloster in Verbindung. Er wird sich zu Beginn der nächsten Sitzungsperiode mit der ehrenwerten Delegierten Lai Yi Ni in Verbindung setzen!“

Mir fällt ein Stein vom Herzen. Dementsprechend überschwänglich bedanke ich mich bei dem ehrenwerten Bu Men Chen.

*

Ihre Majestät bittet mich, Lai Yi Ni, zu einer Unterredung unter vier Augen auf die Terrasse neben dem Thronsaal. Der Premierminister entschuldigt sich, dass ihn die Amtsgeschäfte rufen. So bleiben nur Bu Men Chen, der Leiter der Palastwache und Wu Hao Ling, meine liebe Freundin und Zofe im Thronsaal zurück.

„Mein Gefühl sagt mir, dass Ihr ungern nach Peking zurückkehren wollt, meine liebe Lai Yi Ni?“ sagt die Königin und schaut mich fragend an, als wir auf die Terrasse hinaustreten.

Ich schaue Ihre Majestät offen an. Sie hat die vertraue Anrede gewählt, sicher um eine vertrauliche Antwort zu erhalten.

„Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich die richtige Person für diese Position bin,“ antworte ich ihr wahrheitsgemäß. „Vor meinen Pflichten vor dem Volk will ich mich jedoch nicht drücken.“

„Nach dem zu urteilen, was Sie mir berichtet haben, sind Sie perfekt für diese Position geeignet, verehrte Delegierte!“ entgegnet mir Ihre Majestät.

„Viele Delegierte wussten anfangs nicht, was sie von mir denken sollten. Dann wurde ich zusätzlich noch von der Klatschpresse in der Luft zerrissen. Das förderte Zweifel an meiner Loyalität gegenüber der Volksrepublik als Ganzem. Man sah mich als Delegierte, die primär die Deng im Blick hat,“ beschreibe ich meine Arbeit. „Ich musste mein Engagement den mongolischen Familien der Gebi -Wüste Gobi- widmen, die Armut leiden. Sie sind gezwungen, ihre Nahrung zu erjagen. Sie haben kein Geld, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Solche Verhältnisse habe ich zwar schon erlebt, als ich meinen ehrenwerten Vater auf seiner Entwicklungsmission in Ostafrika begleiten durfte. Dass ich hier in der Heimat mit den gleichen Verhältnissen konfrontiert werde, hat mich betroffen gemacht. Dass sich ein Ausschuss des Hohen Hauses damit befassen muss, und die parlamentarische Arbeit alles verzögert, macht mich traurig!“

Die Königin hat mir geduldig zugehört. Sie sagt dazu:

„Genau dieses Engagement macht Sie zu einer hervorragenden Wahl für die Position der Delegierten, verehrte Lai Yi Ni,“ erwidert sie mir nun. „Und was das Problem in der Gebi angeht… Ich denke, sprechen sie vor dem Stadtrat. Malen Sie die Situation in der Gebi dort genauso aus, wie Sie es gerade vor mir getan haben. Der Rat wird Ihnen sicher helfen können!“

Wir gehen ein paar Minuten schweigsam nebeneinander her. Plötzlich sagt Ihre Majestät:

„Sie haben in ihrer früheren Position als Königin der Deng schon einmal die staatlichen Organe in Peking in Zugzwang gebracht. Nun fürchten Sie, es wieder zu tun!“

„Damit haben Sie Recht, Ihre Majestät. Aber ich würde es wieder tun! Für jedes notleidende Volk, nicht nur für die Deng!“

Wir schlendern noch eine Weile am Rand der Terrasse entlang. Wieder bricht die Königin das Schweigen:

„Wir finden, Sie sollten nach der wohlverdienten Erholung nach Peking zurückgehen! Zeigen Sie allen, dass die Deng die politische Reife besitzen, zu tun was getan werden muss! Zeigen Sie dem Volkskongress, dass Sie für jedes chinesische Volk genauso kämpfen würden, wie Sie es für die Deng getan haben!“
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Di Feb 02, 2021 10:48 am

Ich überdenke die Worte Ihrer Majestät und komme zu der Erkenntnis, dass ich weiterhin mein Bestes geben werde. Kein System ist perfekt. Es gibt nie nur eine richtige Methode. Politik ist keine exakte Wissenschaft, wie zum Beispiel die Mathematik. Die einzige unveränderliche Größe ist: man darf nie aufhören sein Bestes zu geben.

„Danke, Ihre Majestät,“ erwidere ich.

„Nun, dann haben wir alles besprochen, was heute besprochen werden musste,“ erklärt die Königin. „Ich wünsche Ihnen einen entspannenden Urlaub im Kreis ihrer Familie.“

„Danke, Ihre Majestät,“ wiederhole ich und verbeuge mich.

Anschließend entferne ich mich gemessenen Schrittes in Richtung Thronsaal, wo ich Wu Hao Ling nur noch alleine vorfinde. In ihrer Begleitung verlasse ich den Palast. Draußen halten wir zwei Rikschas an und lassen uns in verschiedenen Richtungen zu unseren jeweiligen Familien bringen.

*

Eine halbe Stunde später hält der Fahrer der Fahrradrikscha vor dem Haus meiner Eltern. Er hievt meinen Koffer von der Rikscha und hält kurz inne. Dann trägt er mir den Koffer die Treppe zum Eingang hoch. Ich lächele ihn dankbar an und entlohne ihn großzügig. Als ich mich zur Eingangstüre umdrehe, wird sie gerade geöffnet und meine ehrenwerte Mutter empfängt mich herzlich.

„Mama nin hao -hallo Mama-,“ sage ich.

„Yi Ni! Wie wundervoll, dich zu sehen!“ antwortet sie und macht die Tür frei, damit ich mit dem Koffer hindurch komme.

Ich streiche mit den Fingern gedankenverloren über die kunstvolle Schnitzerei am Türrahmen, als ich eintrete. Im selben Moment erkenne ich meinen ehrenwerten Vater auf mich zukommen.

„Fuqin -Papa-!“ lache ich.

Meine ehrenwerte Mutter führt mich ins Wohnzimmer. Ich soll mich an den Tisch setzen und Mama bewirtet mich nun. Etwas später kommt auch Papa hinzu. Danach beginnen wir alle drei zu Abend zu essen.

Mein ehrenwerter Vater fragt unvermittelt:

„Hat Ihre Majestät sich dazu geäußert, wie lange man dich in Peking brauchen wird?“

„Nein,“ antworte ich. „Sie hat mich nur gebeten, wieder zurückzukehren.“

„Und,“ wirft Mama ein, „wirst du es tun?“

Ich blicke meine Eltern nacheinander an, lasse dann den Blick durch den Raum schweifen und sage schließlich:

„Ja, ich werde wieder zurückgehen. Ihre Majestät setzt großes Vertrauen in mich und im Hohen Haus wartet eine Aufgabe auf mich.“

„Du musst tun, was du tun musst, Yi Ni. Aber jetzt wollen wir nicht mehr über Politik reden!“

„Es ist vielleicht nicht das Leben, das du dir für mich gewünscht hast, Mama. Ich selbst weiß, dass ich nicht bis ins Alter in der Politik bleiben will. Aber ich weiß auch, dass ich bis dahin mein Bestes für die Völker der Volksrepublik geben werde.“

*

Zwei Wochen später kommt eine Einladung vom Premierminister. Infolge skizziere ich vor dem Stadtrat die Situation der Mongolen in der Gebi. Der ehrenwerte Bu Men Chen spricht in seiner Funktion als Klostervorsteher in unserer Stadt und macht den Vorschlag, dass eine Gruppe von zwanzig Mönchen des Klosters sich dort einmal umschaut. Sie sollen einen Platz für ein weiteres Kloster herausfinden und Lastwagen mit Baumaterialien dorthin dirigieren. Grundwasserbohrungen sollen tiefliegendes Grundwasser anzapfen, das dort Landwirtschaft und Viehzucht ermöglicht.

Der Vorschlag wird mit Mehrheit angenommen und Meister Chen trifft die Vorbereitungen für die Expedition.

Ihre Majestät bittet mich, die letzten Tage meines Urlaubs im Palast zu verbringen. Ich beziehe gemeinsam mit Wu Hao Ling zwei Gäste-Appartements dort und habe den Vorzug, gemeinsam mit Ihrer Majestät zu speisen. Dabei beginnt die Königin eine Konversation über die Eigenheiten des Regenten-Daseins, ein Thema, bei dem ich mithalten kann. Schließlich bin ich ihre Vorgängerin im Amt gewesen.

Wir zählen Aspekte ihrer und meiner vergangenen Regentschaft auf, die sich gleichen und sprechen über diejenigen, die sich unterscheiden. So ist das Essen wie im Flug vorüber gegangen.

Dann ist der Tag der Abreise angebrochen. Unsere Koffer werden zum Bahnhof gebracht und ich verabschiede mich herzlich von Ihrer Majestät, dem Premierminister und Bu Men Chen, dem Chef der Palastwache und unserem strengen Lehrer für die Selbstverteidigung.

Anschließend fahren wir zum Bahnhof. Wu Hao Ling beobachtet die vorbeiziehende Stadtlandschaft und den Park. Ich lege meine Hand auf ihre und sage:

„Wir werden wiederkommen! Wir werden tun, was getan werden muss und dann kommen wir zurück.“
Sie wendet mir den Blick zu, lächelt und nickt.

*

Die Bewohner der Gebi darben – wann kriminalisieren sie sich aus Not?

Die Bewohner der Gebi -Wüste Gobi- nagen am Hungertuch und niemand scheint es zu interessieren. Wann werden sie sich auf ihren berühmten Vorfahren besinnen und sich nehmen, was sie zum Überleben brauchen – oder vielleicht sogar mehr? Wie lange will der Volkskongress diesem Problem noch zuschauen? Können sich die ehrenwerten Delegierten endlich auf ein Hilfspaket einigen, bevor es zu spät ist?
*

Wieder haben wir eine 20stündige Zugfahrt hinter uns. Wir nehmen ein Taxi zu unserem Appartement. Während der Fahrt fühle ich in meinem Inneren, das ein Teil von mir die Hauptstadt wohl vermisst hat, obwohl ich mir das ungern eingestehe.

Ich freue mich auf die intellektuellen Herausforderungen im Hohen Haus des Volkes. Dabei appelliere ich an mich, bei allem nicht zu vergessen, dass Menschen, Bürger, von unserer Arbeit betroffen sind.

Einen Tag vor Sitzungsbeginn versuchen wir, uns wieder in unser Appartement einzuleben. Heute Abend werden ich schon von der Verwaltung des Volkskongresses die Sitzungstermine der kommenden Woche auf mein Tablet erhalten. Außerdem soll ich mich beim ehrenwerten Bu Men Zhu melden, der auf Anraten von Bu Men Chen unsere Sicherheit gewährleisten soll. Ob das Berufungsverfahren gegen Wang Wei Wei inzwischen abgeschlossen ist und wie das Urteil aussieht, wissen wir noch nicht.
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Mi Feb 03, 2021 11:21 am

Nach einem Essen in einem Restaurant in unauffälliger Zivilkleidung machen wir uns auf den Weg in das Shaolin-Kloster. Der ehrenwerte Bu Men Zhu stellt uns Seng -Mönch- Yin vor, der von nun an zusätzlich unsere Sicherheit gewährleisten soll.

Schweren Herzens gehe ich auf die Vereinbarung ein. Als er nach dem ehrenwerten Bu Men Chen fragt und was er neben seiner Tätigkeit als Chef der Palastwache macht, sage ich:

„Nun, verehrter Bu Men Zhu, Sie wissen ja, dass der ehrenwerte Meister Chen auch Klostervorsteher ist. In dieser Funktion hat er eine Expedition in die Gebi entsandt, um irgendwann auch dort ein Kloster zu gründen. Die Familien dort brauchen jemand, der sich um sie kümmert!“

„Ah!“ meint der ehrenwerte Bu Men Zhu. „Wenn ich mich recht entsinne, haben Sie vor Monaten die Familien unter die Fittiche ihrer politischen Arbeit genommen. Es ließ Sie anscheinend auch in ihrem Urlaub nicht los.“

Er grinst von Ohrläppchen zu Ohrläppchen und meint nach einer Gedankenpause:
„Wollen wir hoffen, dass ihre Kollegen mit ihrem Alleingang einverstanden sind.“

„Man muss es ja niemandem auf die Nase binden…“ antworte ich zwinkernd.

„Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Glück für ihre Arbeit im Hohen Haus, ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni!“ sagt er nun und erhebt sich.

Danach verlassen wir das Kloster in Begleitung des ehrenwerten Seng Yin, um ihm die Lage unseres Appartements zu zeigen. Er wird eins der Gästezimmer beziehen, wie auch Wu Hao Ling eins für sich hat.

Die folgenden Wochen verlaufen in der üblichen Parlamentsroutine. Endlich haben wir im Ausschuss den Antrag hieb- und stichfest, wie wir glauben. Der Experte Li Yun Tao stellt ihn im Plenum vor.
Anschließend eröffnet der Sprecher des Plenums die Aussprache. Der ehrenwerte Li Yun Tao hat mit den Ausschussmitgliedern lange diskutiert und auf diese Weise eine Menge Argumente gesammelt. Nun erlebe ich in der Plenarsitzung ein Déjà-vu.

Der Nachfolger des Delegierten Sun Shi Yan, ebenfalls mit Verbindungen zum nationalen Bankenverband, macht den Vorschlag, doch erst einmal eine Gruppe Inspektoren in die Gebi -Wüste Gobi- zu entsenden, bevor man ins Blaue hinein entscheidet.

Dieser Vorschlag findet lautstarken Zuspruch, so dass der Sprecher darüber abstimmen lässt, ob unser Antrag oder der Vorschlag aus der Finanzwelt den meisten Zuspruch erhält. Wie befürchtet, wird der Vorschlag des Delegierten Ba Tai Ji angenommen. Als Inspektoren werden der ehrenwerte Kollege Ba Tai Ji bestimmt, dessen Vorschlag es gewesen ist, zuerst Inspektoren zu senden, und die Vorsitzende unseres Ausschusses bestimmt, die ehrenwerte Kollegin Lang Jin Jin. Ich rufe ihre Nummer in meinem Handy aufs Display und bitte um eine Unterredung.

Sie sagt, ich solle mich mit den anderen Ausschussmitgliedern in unserem Besprechungsraum einfinden. Dort wird die neue Lage besprochen. Nach einer halben Stunde löst sich die außerplanmäßige Ausschusssitzung auf, aber ich habe keine Eile in den Plenarsaal zurückzukehren. Stattdessen begleite ich meine Kollegin in ihr Büro.

Dort stellt sie fest:
„Verehrte Kollegin Lai Yi Ni, Sie sind seit der Sitzung heute so aufgeregt…“

„Ich hatte ein Déjà-vu,“ gebe ich unumwunden zu. „Genau wie jetzt ist es meinem ehrenwerten Vorgänger ergangen, als er Hilfe für das Volk der Deng angefragt hat. Auch damals sollten erst Inspektoren vor Ort ergründen, ob Hilfen überhaupt und in welcher Höhe angemessen seien.“

Sie neigt den Kopf.

„Das ist parlamentarische Praxis, ehrenwerte Kollegin Lai Yi Ni!“ antwortet sie mir.

Ich nicke und sage: „Ja, leider. Ich muss Ihnen etwas beichten, verehrte ältere Kollegin: Mich hat das Thema ‚Gebi‘ auch im Urlaub nicht ruhen gelassen. Also habe ich mit unserer verehrten Königin darüber gesprochen. Anwesend war auch der Bu Men unseres Klosters und der Premierminister. Zu Viert haben wir einen Plan erarbeitet, der natürlich mit finanzieller Hilfe aus Peking effektiver umgesetzt werden könnte. Ich will damit auch klarstellen, dass meine Loyalität nicht nur meinem Volk gilt, sondern allen Chinesen. Wobei mein Herz denen gehört, die in Not geraten sind!“

Die ehrenwerte Lang Jin Jin schaut mich gespannt an. Ich greife noch einmal zurück:

„Sie haben es ja miterlebt, unser Notfall vor Jahren ist in verbrecherischer Absicht herbeigeführt worden. In der Gebi liegen die Dinge etwas anders. Sie sind eher vergleichbar mit den Verhältnissen in Ostafrika, wohin ich meinen Vater zu einer Entwicklungshilfe-Mission begleiten durfte. Auch dort darben die Menschen und die fehlende Bildung verhindert, dass sie ihr Schicksal selbst verbessern können.
Nun hat der ehrenwerte Bu Men Chen eine Gruppe aus zwanzig Mönchen zu den Familien in die Gebi entsandt, um dort zu sondieren und einen Ort für ein Kloster zu finden. Es soll gewissermaßen ein Kristallisationspunkt werden. Die jungen Menschen sollen dort geschult werden und später Arbeit finden. Die umherziehenden Familien sollen dort Wasser für ihre Tiere erhalten und Nahrung finden.“

„Das ist ein sehr ambitioniertes Projekt!“ antwortet die Ausschussvorsitzende.

„Ich weiß,“ pflichte ich ihr bei. „Es braucht Zeit zum Wachsen und etwas Geld im Rücken wäre auch nicht schlecht… Aber ich möchte nicht, dass der Bankenverband etwas davon erfährt! Meine Mitarbeiterin, die ehrenwerte Wu Hao Ling, hat Verbindungen des Sun Shi Yan zu dem verurteilten Wang Wei Wei herausgefunden. Dieser bekam Anweisungen zu seiner parlamentarischen Arbeit vom Bankenverband, genau wie der Kollege Ba Tai Ji. Die Verbindung des Wang Wei Wei zum Bankenverband ist noch nicht restlich geklärt. Da Sun Shi Yan aber einen Mordanschlag auf mich ausführte, muss es da eine Verbindung geben. Aus diesem Grund hat der ehrenwerte Bu Men des Pekinger Shaolin-Klosters mir den Seng -Mönch- Yin als Leibwache zur Seite gestellt.“

Die ehrenwerte Delegierte Lang Jin Jin nickt bedächtig mit dem Kopf. Dann meint sie:

„Wissen Sie, was wir machen? Ich werde Sie dem werten Kollegen Ba Tai Ji als meine Begleitung vorstellen! Begründung: Sie sind noch jung und wenig erfahren in der politischen Arbeit. Ich gebe Ihnen die Chance zu lernen. Gleichzeitig haben sie schon in der Entwicklungshilfe gearbeitet unter ihrem Vater, dem ehrenwerten Ingenieur Lai, und haben daher einen gewissen Blick auf verschiedene Dinge, der uns fehlt.“

Ich lächele erfreut. Anschließend verabschiedet sie mich mit der Bemerkung, nun einige Vorbereitungen treffen zu müssen. Der ehrenwerte Seng Yin hat während der Unterredung draußen im Gang vor dem Büro gestanden. Nun gehen wir zu dritt in mein Büro.

*

Eine Woche nach dieser Unterredung starten wir. Wieder ist ein Armeehubschrauber mit Angehörigen der Nationalen Volksarmee unser Fortbewegungsmittel. Die verehrte Wu Hao Ling bleibt in Peking zurück. Ich bin mit ihr über Handy in Kontakt. Statt ihrer begleitet uns der ehrenwerte Seng -Mönch- Yin.

Wir überfliegen die trockene Steppe und landen bei den ersten Jurten, die wir erspähen. Dort interviewen die beiden älteren Kollegen die Menschen. Es handelt sich um eine Familie, bestehend aus Großeltern mit drei Söhnen, deren Frauen und Kinder. Sie besitzen eine kleine Herde Kamele, die ihren Hausstand tragen, wenn sie weiterziehen müssen.
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Do Feb 04, 2021 9:32 am

Wir nehmen die Einladung der Leute an und übernachten bei ihnen in der Jurte, während die Soldaten im Hubschrauber schlafen. Am nächsten Tag drängt der werte Kollege Ba Tai Ji zum Aufbruch. Wir setzen also unseren Erkundungsflug fort. Auf diese Weise nehmen wir Informationen über die Lebensart, den Bildungsstand und die Ernährungsgewohnheiten der Menschen auf.

Ich übermittele alles an meine Zofe und Freundin Wu Hao Ling. Von ihr kommt schließlich die Information, dass unsere Gruppe von Mönchen sich auf einer weiten Hochebene niedergelassen hat. Ihr Kloster besteht vorerst aus einer Ansammlung von Jurten. Ingenieure der Deng haben bei Probebohrungen fossiles Grundwasser in größerer Tiefe entdeckt und einen Brunnen gebaut. Auch hat man begonnen, durch Bewässern ein Stück Land fruchtbar zu machen.

Danach frage ich die Leute, die wir treffen. Es muss doch möglich sein, dass die Mundpropaganda der Hirten so etwas weiterträgt. Nach einer Woche habe ich die ersten Indizien und spreche die ehrenwerte Kollegin Lang Jin Jin darauf an. Wir fliegen dorthin und lassen uns ihr Konzept erklären. Auch diese Informationen sollen in den Bericht an das Hohe Haus einfließen, damit die Delegierten etwas Konkretes vor Augen haben, wenn sie abstimmen.

Wie immer, erhält Wu Hao Ling den Stand des Berichtes auf ihr Handy.

*

Wir arbeiten schon so lange eng zusammen, dass mich Lai Yi Nis Entscheidung enttäuscht, nur in Begleitung des Mönches Yin in die Gebi zu fliegen. Ich verstehe natürlich, dass das Kontingent begrenzt ist. Dafür will mich Lai Yi Ni ständig auf dem Laufenden halten, so dass ich meine Protokollfunktion auch in der Ferne erfüllen kann.

Nachdem das Inspektoren-Komitee schon über zwei Wochen recherchiert hat, bricht plötzlich die Verbindung ab.

Tage später sehe ich einen Bericht in der Zeitung, dass Partisanen einen chinesischen Hubschrauber in der Gebi angegriffen haben und von deren Bordwaffen vernichtet wurden. Ein männlicher Zivilist aus dem Hubschrauber sei in ein Krankenhaus der nächsten größeren Stadt gebracht worden. Ein Mönch und zwei weibliche Zivilisten hätten den Angriff nicht überlebt. Die Hubschrauberbesatzung hätte auch ein Opfer zu beklagen.

Erschrocken und völlig außer mir fällt mir in dem Moment nur Bu Men -Meister- Zhu ein, der Abt des Pekinger Shaolin-Klosters. Ich packe meine wichtigsten Sachen und lasse mich von einem Taxi sofort zu dem Kloster fahren.

Es dauert etwas, bis ich zu Meister Zhu vorgelassen werde, da wir auch schon eine fortgeschrittene Tageszeit haben. Ich spreche mit ihm über den Nachrichtenbeitrag. Er bietet mir an, diese Nacht im Kloster zu übernachten.

Als ich am darauffolgenden Tag wach werde und zum Speiseraum gehe, setzt sich alsbald ein Mönch zu mir und sagt, dass der Meister mich erwartet. Dort angekommen, fragt mich Bu Men Zhu:

„Kann man die Aufzeichnungen für den Bericht auf eine Speicherkarte laden?“

Ich bestätige das und er klappt einen Laptop auf. Danach übergibt er mir die Speicherkarte und sagt:

„Verehrte Wu Hao Ling! Bringe diese Karte zu dem ehrenwerten Delegierten Li Yun Tao. Er wird den Bericht zu verwenden wissen.“

„Gibt es Überreste der Toten?“ wage ich den ehrenwerten Bu Men Zhu zu fragen.

Der Mann nickt.

„Der Hubschrauber hat die Toten nach Peking überführt, wie ich hörte. Man wird die ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni in den nächsten Tagen in ihre Heimat überführen.“

„Ich möchte dabei sein!“ wünsche ich.

Meister Zhu nickt.

„Ich werde das arrangieren.“

Danach mache ich mich auf den Weg ins Hohe Haus und setze mich in das Restaurant, in dem die ehrenwerten Delegierten Lang Jin Jin und Li Yun Tao immer ihre Mittagspause halten. Ich bin mit meiner Herrin und Freundin Lai Yi Ni zusammen ebenfalls oft hierhergekommen. Als ich den ehrenwerten Delegierten im Gespräch mit der Kollegin Nyinje Pelmo, der Vorsitzenden der tibetischen Delegation, hereinkommen sehe, warte ich bis sie sich ihr Essen ausgewählt haben und einen Tisch suchen. Ich erhebe mich und verbeuge mich in ihre Richtung. Sie kommen auf mich zu und ich biete ihnen Platz an meinem Tisch an.

„Haben Sie auch schon von dem Überfall auf das Inspektionskomitee erfahren?“ fragt der ehrenwerte Li Yun Tao. Ich nicke und mache ein trauriges Gesicht.

„Ja, gestern Abend in den Nachrichten,“ bestätige ich seine Frage.

Dann nehme ich den Umschlag mit der Speicherkarte aus der Tasche und übergebe sie ihm mit den Worten:

„Ich möchte Ihnen das Vermächtnis der ehrenwerten Delegierten Lai Yi Ni überreichen. Machen Sie etwas Gutes daraus!“

Er nickt und bedankt sich vielmals. Dann verlasse ich das Hohe Haus. Ich habe keinen Hunger. Von unserem Appartement aus rufe ich den verehrten Herrn Lai an, Yi Nis Vater. Unter Tränen berichte ich ihm, was passiert ist. Er entscheidet, dass ich ein Umzugsunternehmen kontaktieren soll und dem Mitarbeiter dort seine Telefonnummer geben darf.

Am nächsten Tag erhalte ich von Meister Zhu die Nachricht, dass der Transport des Sarges in unsere Heimat bevorsteht. Er nennt mir den Zug und wünscht mir alles Gute, nachdem er noch einmal versucht hat, mich seelisch aufzurichten. Ich lasse mich zum Bahnhof bringen und steige in den Zug, nachdem ich mich davon überzeugt habe, dass man den Sarg in den Frachtwaggon am Ende eingeladen hat.  

Unterwegs während der Zugfahrt erhalte ich einen Anruf. Ich schaue auf das Display und erkenne die Journalistin, mit der ich öfter schon Kontakt gehabt habe, während meiner Recherchen.

„Ehrenwerte Wu Hao Ling?“

„Ja?“

„Ich war im Gericht anwesend, als gegen Wang Wei Wei verhandelt wurde. Sie wissen, die letztmögliche Berufungsverhandlung! Wang Wei Wei wurde für unschuldig erklärt. Er behält sein Vermögen und seine Stellung. Es gibt Gerüchte, wonach er einen Preis auf den Kopf der ehrenwerten Delegierten Lai Yi Ni ausgesetzt hat. Eine schwindelerregende Summe!“

Ich schüttele den Kopf und antworte leise:
„Die Auszahlung des Preises kann er sich sparen. Soldaten der Nationalen Volksarmee haben die Mörder erledigt. Aber sein Ziel hat er letztendlich doch erreicht: Die ehrenwerte Delegierte Lai Yi Ni ist tot!“

Mir rollen Tränen über die Wangen. Ich bekommen gerade noch die Worte „Inspektorenkomitee Gebi“ über meine Lippen, dann trenne ich die Verbindung.

*


Zuletzt von hermann-jpmt am Fr Feb 05, 2021 10:48 am bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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BeitragThema: Re: Hao Ling - Im Lande der Deng   Hao Ling - Im Lande der Deng Icon_minitime1Fr Feb 05, 2021 10:37 am

Kopfgeldjäger ermorden Delegierte des Volkskongresses
Der letztinstanzlich freigesprochene Wang Wei Wei hat ein hohes Kopfgeld auf die ehrenwerte Delegierte des Hohen Hauses Lai Yi Ni ausgesetzt, die ihn in das langjährige Gerichts-verfahren gezwungen hat, wegen seiner verbrecherischen Handlungen im Land der Deng vor über sechs Jahren. Damals war die verehrte Delegierte die Königin der Deng.
Das Kopfgeld über 10 Millionen Yuan hat sich eine Gruppe Verbrecher sichern wollen und das auf Inspektionsreise in der Gebi befindliche Komitee, bestehend aus den ehrenwerten Delegierten Lang Jin Jin, Lai Yi Ni und dem Mönch Yin aus dem Shaolin-Kloster in Peking überfallen. Die anwesenden tapferen Soldaten der Nationalen Volksarmee haben das Feuer erwidert und die Verbrecher ausgeschaltet.
Leider sind die namentlich genannten ehrenwerten Personen dabei ums Leben gekommen. Das Hohe Haus hat eine Trauerzeremonie angeordnet.

*

Die Delegierte Lai Yi Ni liegt friedlich und reglos im offenen Sarg. Ihr schwarzes Haar umschmeichelt ihr blasses Gesicht, das wie schlafend wirkt. Ihre Augen sind geschlossen und ihre Hände gefaltet. Man hat ihr ihr Lieblingskleid aus ihrer Zeit als Königin der Deng angezogen.

Die Menschen ziehen in einer langen Prozession am Sarg vorbei, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Die Mönche der Palastwache brauchen nicht einzuschreiten. Es gibt keine Rangeleien. Auf dem ganzen Gebiet unseres Volkes gedenken die Menschen einer verehrten Königin, einer geachteten Delegierten. Sie hat uns in ihrer kurzen Lebenszeit gut gedient. In ihren Ämtern ist sie schnell weiser und erfahrener geworden. Jetzt ist ihre Zeit zu Ende gegangen.

Nach dem Staatsbegräbnis, dem ich als Zaungast beigewohnt habe, gehe ich nach Hause. Es gibt keinen anderen Ort mehr, wohin ich gehen könnte. Meine ehrenwerte Mutter öffnet mir stumm die Haustür, und ebenso stumm umarmt sie mich. Beim Essen fragt mich mein ehrenwerter Vater:

„Was wirst du ohne sie nun tun?“

Ich weiß es nicht. Alles ist so sinnlos. Die Deng haben eine Delegierte verloren, eine frühere Königin. Ich jedoch habe eine liebe Freundin verloren, für die ich in all den Jahren mein Leben riskiert hätte. Und jetzt gibt es sie nicht mehr. Meine Träume sind mit ihr dahin… Sind sie es? Ich weiß es nicht.

Wieder helfe ich meiner ehrenwerten Mutter im Garten, auch um mich von meiner Trauer abzulenken und etwas zu tun zu haben.

Es vergehen zwei Wochen auf diese Weise. Ein Bote bringt einen an mich adressierten Brief mit dem Siegel des Premierministers. Er lädt mich ein, an einer Sitzung im Palast teilzunehmen.

Neugierig lasse ich mich zum anberaumten Termin von einer Rikscha in den Palast fahren. Im Thronsaal finde ich am Konferenztisch Ihre Majestät, Seine Excellenz der Premierminister und den ehrenwerten Bu Men Chen.

Als ich den Thronsaal betrete, begrüßt mich Ihre Majestät und bietet mir an, am Tisch Platz zu nehmen. Ich verbeuge mich tief und setze mich auf den freien Platz neben dem ehrenwerten Chef der Palastwache.

Während nun junge Mönche mir Tee servieren, erhebt die Königin das Wort:
„Wir sitzen hier, um über das Projekt der ehrenwerten Delegierten Lai Yi Ni zu sprechen. Darf ich um ihre Stellungnahmen bitten, ehrenwerte Herren?“

Der Leiter des Klosters am Rande unserer Stadt, Bu Men Chen, berichtet nun über den aktuellen Stand des Projektes der verstorbenen Lai Yi Ni, ein Zweigkloster in der Gebi -Wüste Gobi- zu gründen und zu unterhalten. Er erklärt, dass die Erstausstattung mit Jurten wohl auf absehbare Zeit beibehalten werden muss, da die dortige Bevölkerung zu arm ist, über Spenden mit der Zeit einen festen Bau zu errichten. Die nomadisierenden Familien können sich weder Schulgeld leisten, um einen Teil ihrer Kinder von den Mönchen unterrichten zu lassen, noch Einnahmen über den Verkauf von Weberzeugnissen generieren.

Ihre Majestät dankt dem ehrenwerten Bu Men Chen und wendet sich an den Premierminister.
Dieser legt eine Berechnung seines Sekretärs für die Finanzen vor, was es die Deng kosten würde, Baumaterialien mit LKWs dorthin zu senden und einen Bus mit Bauarbeitern und Baugerät mitzuschicken und zu versorgen.

Nun schaut mich Ihre Majestät direkt an. Sie fragt:

„Ehrenwerte Wu Hao Ling, Sie haben die verehrte Delegierte Lai Yi Ni auf Schritt und Tritt begleitet. Ich habe gehört, dass Sie das Vermächtnis der verehrten Delegierten an ihren Kollegen in dem Ausschuss des Hohen Hauses, der sich mit der Problematik befasst, weitergegeben haben. Können Sie trotzdem aus dem Gedächtnis heraus eine Einschätzung abgeben?“

„Ja, Ihre Majestät,“ antworte ich und erkläre, dass sich ohne Vorleistungen unsererseits oder der Volksrepublik dort nichts ändern wird. Wollen wir das Vermächtnis der ehrenwerten Delegierten Lai Yi Ni nicht mit ihr begraben, müssen wir also die infrastrukturellen Voraussetzungen für das Gelingen selbst schaffen.

Im folgenden Gespräch erlebe ich ihre Majestät als Fürsprecherin der Nomaden in der Gebi. Aus dem Staatshaushalt der Deng und dem Spendenaufkommen unseres Klosters soll der Bau des Klosters in der Gebi bezahlt werden. Zusätzlich soll jede Familie dort eine junge Kamelstute und eine Handvoll Schafe erhalten, damit sie leichter an Wolle für ihre Webstühle kommen und seltener Wildtiere für den Eigenbedarf jagen müssen.

Gegen Ende des Gesprächs ernennt ihre Majestät mich zu ihrer persönlichen Beauftragten für das Projekt. Ich erhalte dafür ein Satellitentelefon, da es in meinem neuen Arbeitsgebiet keine Funkmasten gibt. Das Gerät funktioniert auch als mobiles WLAN, so dass ich mein Tablet nutzen kann.

Ihre Majestät steht auf dem Standpunkt, dass die Deng es ihrer früheren Königin und späteren Delegierten schuldig sind, das Projekt Ihrer Exzellenz weiter zu führen. Dies nimmt mich sehr für sie ein!
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