Gedankenparadies
Würden Sie gerne auf diese Nachricht reagieren? Erstellen Sie einen Account in wenigen Klicks oder loggen Sie sich ein, um fortzufahren.

Gedankenparadies

Das Gedankenparadies ist ein kleines aber feines Forum für all jene, die ihren Gedanken mal freien Lauf lassen wollen.
 
StartseiteNeueste BilderAnmeldenLogin
Die lebendigsten Themen
Musikblog from Rosy
Wiege der Menschheit
Gesunde Einstellung
Juke Box Hero
nich immer so polarisieren wg. Männer und Frauen -
Abstimmungen 2015
Flüchtlinge und Einwanderer
Anandas Evergreens
Einfach unglaublich
Yong Tai Foundation
Die meistbeachteten Themen
Musikblog from Rosy
Juke Box Hero
Anandas Evergreens
Gesunde Einstellung
Flüchtlinge und Einwanderer
nich immer so polarisieren wg. Männer und Frauen -
Abstimmungen 2015
Die Schreib-Begeisterung hier im Gedankenparadies ...
Zwischen-Meldung
Einfach unglaublich
Neueste Themen
» Wiege der Menschheit
Die Feuchtfarm Icon_minitime1Gestern um 10:12 am von hermann-jpmt

» Schneeflöckchen
Die Feuchtfarm Icon_minitime1Mo Dez 25, 2023 10:31 am von hermann-jpmt

» Eine neue Erfahrung
Die Feuchtfarm Icon_minitime1Fr Okt 06, 2023 9:28 am von hermann-jpmt

» Karthager im Amazonas
Die Feuchtfarm Icon_minitime1Mo Sep 04, 2023 9:27 am von hermann-jpmt

» Studentin hilft altem Mann
Die Feuchtfarm Icon_minitime1Di Aug 15, 2023 9:35 am von hermann-jpmt

» Sarahs Unterschlupf
Die Feuchtfarm Icon_minitime1Mo Jul 31, 2023 10:03 am von hermann-jpmt

» Vater, mein Vater -Chichiyo chichiyo-
Die Feuchtfarm Icon_minitime1Fr Jul 21, 2023 9:25 am von hermann-jpmt

» Katamaran der Lüfte
Die Feuchtfarm Icon_minitime1So Jun 25, 2023 10:11 am von hermann-jpmt

» Meine Schuld, Mama? Yenê t’ifati Imayê?
Die Feuchtfarm Icon_minitime1Mi Mai 10, 2023 9:14 am von hermann-jpmt

Umfrage
Suchen
 
 

Ergebnisse in:
 

 


Rechercher Fortgeschrittene Suche
April 2024
MoDiMiDoFrSaSo
1234567
891011121314
15161718192021
22232425262728
2930     
KalenderKalender

 

 Die Feuchtfarm

Nach unten 
AutorNachricht
hermann-jpmt
Forenmogul
Forenmogul
hermann-jpmt


Anzahl der Beiträge : 690
Anmeldedatum : 14.08.15
Alter : 59
Ort : Münster Nähe

Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1Mo Sep 12, 2022 9:48 am

„Bonjour, Monsieur Müller,“ begrüßt mich der Wirt, als ich seine Bar betrete. „Haben Sie gut geschlafen?“

„Ja, danke sehr,“ gebe ich zurück. „Ich hätte gern ein typisches Frühstück.“

„Eier in Tomatensoße mit tunesischem Brot?“

„Ja, gerne,“ bestätige ich und suche mir einen Platz.

Seit ich in Tunesien bin, gehe ich am Morgen zum Strand und verweile erst einmal in Achmeds Bar. Ich habe vor kurzem mein Studium zum Agraringenieur erfolgreich abgeschlossen. Dann hat mich das Fernweh gepackt und ich habe mich beim Deutschen Entwicklungs-Dienst beworben. Der DED führt Projekte in Asien und Afrika durch.

Bevor ich dort richtig einsteige, wollte ich zwei Wochen Urlaub an Afrikas Mittelmeerküste einschieben. Eine Woche davon ist schon vorbei. Inzwischen bin ich mit Achmed näher bekannt. Er hat mir von seiner Arbeit berichtet und Anekdoten von Touristen erzählt. Im Gegenzug habe ich ihm ein wenig von mir offenbart.

Wenige Minuten nachdem ich mich gesetzt habe, bringt er mir mein Frühstück und ein Glas Pfefferminztee an den Tisch. So früh am Morgen bin ich der einzige Gast. Deshalb setzt er sich, wie fast täglich zu mir, um die Zeit mit Reden zu vertreiben. In diesem Moment betritt ein Einheimischer die Bar und Achmed strahlt über das ganze Gesicht. Er erhebt sich und nähert sich dem neuen Gast.

„Es salam alejkum, Omar. Wie geht es dir?“

„Wa alejkum as salam, Achmed. Die Sonne küsst mich schon des Morgens.“

Der Wirt lächelt und kommt an meinen Tisch zurück. Der neue Gast folgt ihm. Bei mir angekommen, stellt er mir den Neuankömmling vor.

„Monsieur Müller, dies ist mein Vetter Omar. Er hat vor Jahren in den USA Agrarwirtschaft studiert und wollte hier eine Firma für ‚Vertical Farming‘ gründen. Leider stellen sich ihm immer wieder die verschiedensten Probleme in den Weg. Ich dachte mir nun, Sie sollten sich mal sein Projekt ansehen. Vielleicht haben Sie den einen oder anderen Rat.“

Ich nicke und erhebe mich. Dann berühre ich mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger Stirn, Mund und Herz, während ich mich leicht verbeuge. Dabei grüße ich den Neuankömmling:

„Es salam alejkum!“

Mein Gegenüber lächelt mich an, wiederholt die Geste und antwortet:

„Wa alejkum as salam.“

Wir setzen uns wieder und der Wirt bringt auch meinem Gegenüber ein Glas Pfefferminztee. Ich schaue den Mann erwartungsvoll an. Nachdem er an seinem Glas genippt hat, kommt er auf sein Thema.

Er berichtet mir, dass er auf dem Land seiner Eltern erst einmal eine Versuchsstation zum ‚Vertical Farming‘ erbaut hat. Allerdings will es einfach nicht gelingen, Pflanzen in Pflanztöpfen übereinander zu kultivieren. Er gießt sie regelmäßig in den Morgenstunden. Auch hat er probeweise einen Teil der Pflanzen in teurer Humuserde gepflanzt. Nun weiß er nicht wirklich weiter.

Statt hinunter zum Strand und dort eine Stunde Wassertreten, folge ich meinem neuen Bekannten neugierig zum Haus seiner Eltern. Dort schaue ich mir sein Arrangement an und lasse mir zeigen, wo er das Gießwasser entnimmt und wie er gießt. Ich frage ihn dabei auch, ob die Pflanzen landestypisch sind, die ich in den Töpfen sehe. Bei seinen Antworten merke ich schon, dass er in seinem Bemühen etwas über das Ziel hinausgeschossen ist.

Tags darauf fahre ich mit dem Bus nach Gabes, um mich dort mit Zeichen-Utensilien einzudecken. Am Nachmittag in meinem Zimmer zurück, beginne ich meine Ideen zu einer Farm zu Papier zu bringen, wie sie Omar vorschwebt. Meine Änderungen seines Konzepts hebe ich mit einem weichen Bleistift hervor.

Am nächsten Tag bin ich wieder in aller Frühe in Achmeds Bar. Omar will ebenfalls zum Frühstück dort erscheinen. Als ich eintreffe – nachdem ich noch ein paar schnelle Änderungen eingefügt habe, die mir in der Nacht als Idee in den Kopf gekommen sind – sitzt er schon da und schaut mir erwartungsvoll entgegen.

Nachdem wir uns gegenübersitzen, beginne ich ihm zu erklären:

„Vor 2000 Jahren war Nordafrika die Kornkammer des Römischen Reiches. Heute sind die klimatischen Bedingungen schlechter und sie dürften in Zukunft noch schlechter werden.
Ich habe mich gestern Abend im Internet schlau gemacht. Jedes Jahr im September findet in der Oase von Chenini eine Saatgutbörse des tunesischen Vereins für Permakultur statt. Dort werden alte Sorten gehandelt. Pflanzen also, die das hiesige Klima vertragen. Man kann dort Saatgut für Wassermelonen und Kürbisse erwerben, genauso wie Petersilie, Paprikas verschiedener Schärfen und Blattsalat.
Vorher sollte eine Farm entstehen. Ich habe hier eine Zeichnung gemacht…“
Nach oben Nach unten
hermann-jpmt
Forenmogul
Forenmogul
hermann-jpmt


Anzahl der Beiträge : 690
Anmeldedatum : 14.08.15
Alter : 59
Ort : Münster Nähe

Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Re: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1Di Sep 13, 2022 9:50 am

Bei den letzten Worten breite ich die DIN-A2-Zeichnung vor uns auf dem Tisch aus. Ich erkläre ihm, was er darauf erkennen kann:

„Schau, hier steht das Wohnhaus. Hier befindet sich die Halle für das ‚Vertical Farming‘ und hier stehen mehrere Säulenventilatoren. Der Wind bewegt sie und treibt dadurch Transformatoren an. Der erzeugte Strom wird in Batterien gespeichert, aus denen du einen Haushaltsstrom nehmen kannst. Die Säulenventilatoren ‚saugen‘ Frischluft in die Halle, die durch ein Granulat geleitet wird. Das Granulat ist extrem porös. Darin kondensiert das Wasser aus der Luft und wird zu einem Tank geleitet. Von dort ziehen sich die Pflanzen soviel Wasser, wie sie brauchen, um wachsen zu können. Die Menschen im Wohngebäude entnehmen Wasser zum Kochen, Trinken und für die Hygiene. Ansonsten haben die Menschen nur noch eine Kontrollfunktion.“

„Man braucht nicht mehr mit dem Eimer herumgehen und wässern?“ fragt er und schaut mich erstaunt an.

Ich schüttele lächelnd den Kopf und erkläre ihm, dass alle Pflanztöpfe untereinander mit einem Leitungssystem verbunden sind, aus denen Wasser austritt, wenn das umgebende Erdreich zu trocken ist. Der Fachbegriff heißt ‚Osmose‘.

„Hier im Ort gibt es allerdings zu wenig Raum für solch eine Farm,“ meint er nun. „Und das Land draußen ist kaum für Landwirtschaft geeignet.“

Ihm zunickend frage ich:
„Aber Pflanzen in Töpfen züchten, die im Schatten stehen, ist draußen vor dem Ort möglich?“

Er nickt. Also meine ich:

„Dann bauen wir deine Farm in Etappen auf: Wir beginnen mit einer Halle, deren Pflanzen dich und deine Familie ernähren. Sollte etwas übrigbleiben, könnt‘ ihr es verkaufen und damit andere Dinge des täglichen Bedarfs einkaufen. Überschüssiges Wasser könnt‘ ihr in Flaschen oder Kanistern abfüllen und ebenfalls verkaufen.“

„Bleibt überhaupt Wasser übrig?“

Wieder schaut er mich mit großen Augen an.

„Die Anlage muss sowieso auf Zuwachs ausgelegt werden. Mit der Zeit müssen mehr Säulenventilatoren und Tanks in die Erde eingelassen werden. Du möchtest sicher irgendwann eine zweite Halle für das ‚Vertical Farming‘ aufbauen. Idealerweise, wenn du genug Geld dafür erwirtschaftet hast. Dann kannst du mit den Feldfrüchten auf den Markt gehen.“

Eine Gedankenpause entsteht. Ich lasse Omar eine Zeitlang überlegen. Danach ergänze ich:

„Wichtig ist, dass du zuerst deine Familie mit der Farm unterhalten kannst. Dafür brauchst du weniger Geld, als wenn du gleich groß einsteigst, wie in der industriellen Landwirtschaft. Da beginnst du mit riesigen Schulden, und weißt nicht, ob du oder erst dein Sohn oder Enkel schuldenfrei sein werden!“

Er nickt und fragt erwartungsvoll:
„Gehst du mit mir zur örtlichen Bank?“

Ich nicke lächelnd und bestätige:
„Gerne.“

Achmed, der Wirt hat zugehört und fragt jetzt.

„Darf ich nun das Frühstück servieren, Sadiqi -mein Freund-?“

Ich schaue lächelnd auf und nicke:
„Gerne!“

Auch Omar nickt. Danach geht Achmed in die Küche und bringt uns ein Frühstück, dem eine süße Dattelspeise beigegeben ist.

*

An den folgenden Tagen begleite ich Omar zu zwei Terminen in die örtliche Bank. Am ersten Termin trägt er seinen Kreditwunsch vor und erfragt, ob die Bank grundsätzlich bereit ist einen Kredit zu geben zum Aufbau einer Feuchtfarm draußen vor der Stadt. Die Bank will allerdings eine konkrete Kreditsumme wissen, bevor sie eine Aussage trifft. Also brauchen wir einen Bauingenieur, der mit den örtlichen Verhältnissen vertraut ist und der auf deren Grundlage und meiner Zeichnung mit der dazugehörenden Beschreibung eine Berechnung der Bausumme durchführt.

Infolgedessen buche ich in meinem Hotel eine weitere Woche und muss dafür innerhalb des Hauses umziehen. Dabei sind mir die Hotelangestellten behilflich. Ich bedanke mich und gebe jedem Helfer ein Biqashish –Trinkgeld-.

Wir finden einen Bauingenieur in Gabes, der uns anhört und dann die Berechnung der Bausumme durchführt. Dafür fertigt er weitere, ins Detail gehende Zeichnungen an und lässt sich für hiesige Verhältnisse fürstlich bezahlen. Das Geld für den Bauingenieur leiht sich Omar bei Verwandten, die später auf der Baustelle als Bauarbeiter fungieren. Danach gehen wir wieder zur örtlichen Bank und Omar unterschreibt dort einen Kreditvertrag.

Jetzt zahlt Omar zuerst den Verwandtenkredit zurück. Danach beginnen die Aushubarbeiten. Ich fliege nun in die Heimat zurück, um den DED von dem Projekt zu begeistern. Man steht dem Ganzen skeptisch gegenüber, also gehe ich aufs Ganze: Ich erkläre, dass ich an dem Projekt festhalte, es gewissermaßen als mein ‚Baby‘ ansehe.
Nach oben Nach unten
hermann-jpmt
Forenmogul
Forenmogul
hermann-jpmt


Anzahl der Beiträge : 690
Anmeldedatum : 14.08.15
Alter : 59
Ort : Münster Nähe

Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Re: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1Do Sep 15, 2022 9:45 am

Da es aber meine Zeit beansprucht, gibt es für mich nur zwei Alternativen. Entweder ich kehre als Beauftragter des Deutschen Entwicklungs-Dienstes nach Tunesien und zu dem Projekt zurück, oder ich kündige meinen Vertrag mit dem DED vor meinem ersten Arbeitstag. Mein Gegenüber nickt lächelnd und wünscht mir viel Glück mit 'meinem' Projekt in Tunesien und hofft, bald gute Nachrichten davon zu hören.

Das ist jetzt der klassische Rauswurf. Der DED ist nicht bereit, Geld in ein Projekt zu stecken, das für die Organisation einen experimentellen Charakter ohne Chance auf positiven Ausgang in der Region besitzt.

'Nun denn, wer nicht will, der hat!' denke ich mir. 'Soll man ruhig auf industrielle Landwirtschaft setzen und Kleinbauern ignorieren, deren Entwicklung dem DED doch eher am Herzen liegen sollten.'

Ich regele also meine Angelegenheiten, kündige bestehende Verträge und bereite meine Auswanderung vor. Danach fliege ich vom Frankfurt International Airport nach Aeroport International de Gabès, nehme mir ein Taxi für die 24 Kilometer in die Stadt und suche im Busbahnhof nach dem Bus, den ich schon mehrfach genommen habe, um zu meinem 'Urlaubsort' zu kommen. Dort gehe ich mit meinen Koffern zu Achmeds Bar, um mich nach einer Unterkunft zu erkundigen.

Mein Wirt telefoniert und lässt mich hinsetzen. Er bringt mir den dickflüssigen und süßen Pfefferminztee und ich harre der Dinge, die heute noch auf mich zukommen werden.

Nach etwa einer halben Stunde betritt ein etwa 12jähriger Junge die Bar und geht auf geradem Weg zu Achmed. Nachdem sie ein paar Worte miteinander gewechselt haben und der Junge zu mir herübergeschaut hat, bringt Achmed ihn zu mir an den Tisch.

"Es salam alejkum," grüßt der junge Mann höflich, während er mich zurückhaltend mustert.

Ich lächele ihn an, berühre mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger meine Stirn, Mund und Herz, und antworte ihm:

"Wa alejkum as salam."

Achmed schaltet sich ein und erklärt mir:
"Dies ist Abdul, ein Neffe Omars. Sein Vater, der der Bruder von Omar ist, würde sich glücklich schätzen einen Wissenschaftler aus Europa zu beherbergen, besonders da du seinem Bruder hilfst, endlich ein eigenes Geschäft zu gründen."

Er grinst während der Erklärung bis über beide Ohren. Ich sage:
"Yikhlif alek -Möge Gott dich entschädigen-," und erhebe mich.

Ich folge dem Jungen vor die Tür und rolle meine Koffer rechts und links neben mir her. Achmed ist uns bis an die Tür seiner Bar gefolgt und antwortet mir nun:

"Ta'al kull youm -immer wieder gerne-."

Ich winke ihm lächelnd zum Abschied. Dann konzentriere ich mich auf den Jungen vor mir. Ich folge ihm in die engen und verwinkelten Gassen, die nie einen Stadtplaner gesehen haben und wo sich nur der zurechtfindet, der sich auskennt. Bald stehen wir vor einem Hauseingang unter einem vorhängenden Balkon. Der Junge drückt die Tür auf und ruft:

"Marhaban ana fi almanzil -Hallo, ich bin zuhause/wieder da-!"

Er hält mir die Tür auf und kurz darauf nähert sich mir ein Mann. Er begrüßt mich in der hier üblichen Art und ergänzt:

"Tarhib harin -Herzlich willkommen-! Ich freue mich, den Freund meines Bruders bei mir beherbergen zu können."

Nun wendet er sich an seinen Sohn und sagt:
"Zeig' dem Herrn sein Zimmer!"

Abdul führt mich zur Treppe und dort hinauf in den zweiten Stock. Er öffnet mir ein Zimmer, dessen Balkon nach hinten hinaus geht. Ich setze meine Koffer ab und bedanke mich bei dem Jungen:

"Barak allah feek -Gott segne dich-."

Abdul schaut mich lächelnd an und meint:
"La shukr'ala wajeb -Keinen Dank für die Pflicht-. Mein Vater lädt dich zum Essen ein!"

Ich lächele ihn an und folge ihm nun wieder ins Erdgeschoß. Dort sitzt die Familie schon um einige Schüsseln. Der Hausherr bedient mich. Ich fühle mich zwischen den Leuten gleich wohl. Der Mann will während des Essens nun ebenfalls mehr über mich erfahren. Ich gebe ihm bereitwillig Auskunft. Die Runde bildet der Hausherr, seine Frau, seine etwa 20jährige Tochter und der 12jährige Sohn. Die Frauen hören mir ebenfalls interessiert zu, aber sagen nichts.

"Ich bin erfreut, dass du zum Projekt meines Bruders zurückgekommen bist. Sicher willst du es begleiten und meinen Bruder beraten. Heißt das, dass die Organisation - für die du arbeitest - dahintersteht?"
Nach oben Nach unten
hermann-jpmt
Forenmogul
Forenmogul
hermann-jpmt


Anzahl der Beiträge : 690
Anmeldedatum : 14.08.15
Alter : 59
Ort : Münster Nähe

Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Re: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1Fr Sep 16, 2022 9:57 am

Ich mache einen enttäuschten Gesichtsausdruck und antworte meinem Gastgeber:
„Leider interessiert sich der Deutsche Entwicklungsdienst nicht für dieses Projekt. Daher habe ich gekündigt und bin aus Deutschland ausgewandert, denn es wird einige Jahre dauern Omars Projekt zu begleiten. Wo werde ich in der Zeit wohnen? Ich freue mich über die gastfreundliche Aufnahme in deinem Haus, aber irgendwann werde ich ein eigenes Haus brauchen.“

„Hm,“ macht der Herr. „Ein Haus braucht eine Frau, die es sauber hält und dir zu einem Heim macht, indem du dich abends entspannen kannst…“

Nun lächele ich und meine:
„Soweit ist es ja noch nicht!“

Seine Vorstellungen von einem Heim kommen mir im Augenblick wie eine Utopie vor. Nach dem Abendessen bedanke ich mich höflich und gehe auf mein Zimmer, um dort die Nacht zu verbringen. Allerdings ist die Tochter ‚Anour‘ -Licht- gleichzeitig mit mir aufgestanden, um die restlichen Speisen in die Küche zu bringen. Ich verharre im Schritt, lasse sie vorbei und sage dabei:

„Asefon -Entschuldigung-.“

Sie drückt sich schüchtern lächelnd an mir vorbei. Dann bin ich schon auf der Treppe.

*

Am nächsten Morgen lasse ich mich nach dem Frühstück von Anour zur Baustelle führen, da ihr Bruder Abdul in der Schule ist. Ich schaue mir an, wie die Baufirma die Zeichnung des Bauingenieurs umsetzt. Sie haben ineinandergreifende Stahlplatten in die Erde gerammt und damit einen großen und einen kleinen Halbkreis gebildet, die von zwei geraden Wänden aus diesem Flachstahl verbunden werden. In diesem Raum stehen Omar und einige andere Männer und schaufeln Sand und kleine Steine in Fässer, die hinaufgezogen und geleert werden, wenn sie voll sind. Auf diese Weise wächst einerseits das Loch, andererseits auch die Halde, rund um das Loch.

Ich lasse mir von dem Chef der Baufirma vor Ort ihr Vorgehen erklären. Er sagt, dass sie zuerst einmal ein vier Meter tiefes Loch ausheben wollen. Danach soll eine Bodenplatte aus Beton gegossen werden. Eine zweite Stahlwand soll rundum aufgestellt werden und mit Beton ausgegossen werden. Danach will man mit Mörtel und Ziegeln Innenwände hochziehen, wo die Zeichnung sie vorgibt. Anschließend folgt eine Zwischendecke aus Beton außerhalb des großen kreisrunden Bauwerks.

Auf der Betonmauer des großen kreisrunden Bauwerks soll eine kleine Ziegelmauer errichtet werden, die mit Kalkputz versehen wird. Darauf kommt eine flache Kuppel aus Karbonelementen, die ebenfalls weiß angestrichen wurde und innen Verstrebungen zur Verstärkung aufweist. Rechts und links des Ganges zum kleinen kreisrunden Bauwerk werden Stahltanks versenkt und mit Rohrleitungen versehen.

Der Gang in der Mitte führt schließlich zum Wohnhaus des Bauern. Auch hier wird eine Mauer aus Ziegeln bis in etwa anderthalb Meter Höhe errichtet und darüber eine halbkugelige Kuppel gemauert. Eine Treppe führt ein wenig in die Tiefe zum überdachten Eingang.

Ich bedanke mich für die Information und finde, sie decken sich mit meinen Vorstellungen. Also steige ich in das Loch und helfe den Leuten beim Ausschachten. Später beim Herstellen des Mörtels und des Kalkputzes wird ein Teil des ausgeschachteten Sandes verbraucht. Der Rest wird von der Baustelle weggeschoben und die Hügel dadurch abgeflacht.

Jeden Mittag kommen die Frauen der Bauarbeiter, die alle zu Omars Familie gehören und bringen das Mittagessen auf die Baustelle. Auch Frau und Tochter seines Bruders sind darunter. Ich bedanke mich jedesmal höflich bei den Frauen.

Nach einigen Monaten steht der Rohbau endlich. Nun kümmere ich mich um die Installation der Technik. Eine Installationsfirma, die sich mit dem Verlegen von Rohren auskennt, habe ich beauftragt die Geräte herzustellen, die Wasser aus der Luft gewinnen sollen.

Dafür habe ich einen Säulenventilator gekauft und mit dem Chef vereinbart, dass er das Prinzip nicht zum Blasen, sondern zum Saugen nutzt. Das Langloch in der Seite des äußeren Rohres wird von einer ‚Windfahne‘ am oberen Ende des Rohres immer in den Wind ausgerichtet.

Im Inneren des Rohres wird eine ‚Schnecke‘ vom Wind gedreht, die die Luft nach unten ins Innere lenkt. Am unteren Ende der Schnecke sitzt ein Dynamo, der Strom erzeugt. Die Luft wird an ihm vorbei in eine Tonne gelenkt, in der sich Wasserabsorber befinden. Dabei handelt es sich um viele kleine Stücke eines speziellen Materials, das eine kristalline Struktur besitzt mit unzähligen Mikroporen. So kann ein solcher ‚MOF‘-Würfel von der Größe eines Zuckerstücks die Fläche von sechs Fußballfeldern erreichen, wie mir die Wissenschaftler erklären. Entsprechend teuer ist das Material denn auch.
Nach oben Nach unten
hermann-jpmt
Forenmogul
Forenmogul
hermann-jpmt


Anzahl der Beiträge : 690
Anmeldedatum : 14.08.15
Alter : 59
Ort : Münster Nähe

Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Re: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1Sa Sep 17, 2022 10:15 am

Dieses Material kann dadurch Wasserdampf unter normalen Umgebungsbedingungen sehr effektiv absorbieren. Ist es gesättigt, treten Wassertropfen daraus hervor, die durch eine Membran in ein Rohr geleitet werden. Über das Rohr wird der Frischwassertank gefüllt. Die Firma stellt mir gleich sechs dieser Geräte her, die im Umkreis um die Feuchtfarm aufgebaut, im Boden verankert und mit dem Wassertank verbunden werden.

Der Strom, den die Dynamos erzeugen, wird in einem speziellen Batterieraum gesammelt und zu Tageslichtlampen auf LED-Basis unter die Kuppel des großen kreisförmigen Raumes geleitet, in dem später unsere Pflanzen wachsen sollen. Außerdem erhält das Wohnhaus einen Anschluss an den Batterieraum, um von dort Strom zu beziehen.

Nun gehe ich mit Omar zu Herstellern von Kunststoffrohren. Sie sollen etwa einen halben Meter Durchmesser haben und werden an Boden und Decke verschraubt. Seitlich schneiden wir ovale Löcher hinein, in die wir große Pflanztöpfe schräg einhängen. Mit Sand aus der Umgebung gefüllt, schauen wir uns die Stabilität der Rohre an. Schließlich entscheiden wir uns doch für Metallrohre.

Damit füllen wir die Halle so, dass wir uns spiralförmig an den Säulen vorbei bewegen können und verlegen Wasserschläuche, die das Wasser von den Tanks zu den Pflanzen transportieren sollen. Leider würden osmotische Schläuche unser Budget wieder sprengen, also werden kleine Ventile in jeden Pflanztopf eingebaut.

„Naja,“ meint Omar grinsend. „Damit brauche ich zumindest kein Wasser mehr schleppen.“

Die Installationsfirma verlegt mittels Wasserrohre vom Frischwassertank einen Kreislauf über Küche und Bad des Farmhauses in den zweiten Tank. So dass das Abwasser dort gereinigt, desinfiziert und in den Kreislauf der Pflanzenbewässerung geleitet werden kann. Die festen Bestandteile aus der Abwasserreinigung werden zur Düngung der Pflanzen verwendet.

Bei nachfolgenden Tests haben wir täglich etwa ein drittel Liter Wasser pro Kilogramm der ‚MOV‘-Würfel gewinnen können. Unser Frischwassertank ist so schnell voll, dass wir Omars weitläufige Familie eingeladen haben, mit Kanistern bei uns Wasser zu zapfen. Dafür sollen sie ihm leere PET-Flaschen und Kästen bringen. Wir füllen sie ebenfalls und verkaufen sie auf dem Markt. Jeder Wasserkäufer, der Tage darauf seine Flaschen zurückbringt erhält ein geringes Pfandgeld dafür, damit wir wieder Flaschen haben, die wir neu befüllen können.

Im September dieses Jahres fahren wir mit dem Bus zur Oase von Chenini, um dort die Saatgutbörse zu besuchen. Omar erwirbt Saatgut für die unterschiedlichsten Pflanzen. Es sind alles alte Sorten, die das tunesische Klima gut vertragen.

Nachdem Omar den Händler nach dem Preis gefragt hat, grinst er breit und zeigt seine Zahnlücke. Es entspannt sich eine Diskussion, die etwa eine Stunde dauert und mehrere Gläser Tee verbraucht. Danach hat man einen Preis gefunden, mit dem Omar und der Händler zufrieden sind. Zum Abschied verspricht Omar, beim nächsten Mal auf jeden Fall wieder vorbei zu kommen.

Zuhause zurück, pflanzt er das Saatgut in die Töpfe an den Metallrohren. Nun sind wir gespannt, ob sie in den nächsten Monaten wachsen und wie groß Omars erste Ernte sein wird.

In einer stillen Stunde berichtet er mir, dass er eine junge Frau aus dem Nachbarort kennengelernt hat und sich mit ihr gut versteht. Ihr ist allerdings wichtig, dass er mit seiner Arbeit eine Familie ernähren kann. Daher fragt sie ihn bei ihren heimlichen Zusammenkünften immer wieder, was die Feuchtfarm so hergibt. Er berichtet ihr wahrheitsgemäß von unserem Wasserhandel und den ersten landwirtschaftlichen Versuchen.

Ich wundere mich, denn ich habe ihn bisher noch nicht in Begleitung einer Frau gesehen. Er erklärt mir lächelnd:

„Paare sollten ihre Zuneigung in der Öffentlichkeit höchstens durch ‚Händchenhalten‘ bekunden. Alles andere ist Privatsache und gehört hinter die Mauern der Häuser. So siehst du auch manchmal junge Männer ‚Händchenhalten‘. Das heißt nur, dass die Beiden eng befreundet sind, nicht mehr!
Solltest du dich einmal für eine tunesische Frau interessieren, gibt es eine ganze Reihe von heimlichen und auch offensichtlichen Annäherungsversuchen: Der Augenkontakt, ein Lächeln, blumige Komplimente, kleine Liebesbotschaften auf Zettelchen zustecken, ihr ein Lied singen, ein Gedicht per SMS zusenden, Geschenke, ein Tanz… Man muss ihr jedenfalls immer mit Respekt und Achtung begegnen.“

*
Nach oben Nach unten
hermann-jpmt
Forenmogul
Forenmogul
hermann-jpmt


Anzahl der Beiträge : 690
Anmeldedatum : 14.08.15
Alter : 59
Ort : Münster Nähe

Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Re: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1So Sep 18, 2022 10:32 am

Ich freue mich auf die bevorstehende Feier! Mein Onkel Omar wird bald Nashoa heiraten. Zwei Jahre ist er nun schon mit ihr verlobt. Sie stammt aus dem Nachbardorf. In den letzten Monaten ist sie nicht mehr aus dem Haus gegangen. Sie hat ihrer Mutter im Haushalt geholfen. Eigentlich arbeitet sie als Hotelangestellte in Tunis. Dort hat sie gekündigt.

Es ist ein Schönheitsideal, eine weiße Hautfarbe zu haben. Deshalb geht sie seit Wochen nicht mehr in die Sonne. Durch die Arbeit im Haushalt will sie allen beweisen, dass sie eine untadelige Hausfrau sein kann. Was sie denkt und fühlt, zeigt sie niemandem, aber sicher ist da Zukunftsangst und Unsicherheit darunter.

Onkel Omar hat mich gefragt, ob ich gerne während der Hochzeit an der Seite der Braut sein möchte. Was für eine Frage! Es ist der Traum eines jeden Mädchens, den Übergang zur Frau – also eine Hochzeit – einmal aus nächster Nähe miterleben zu dürfen. Mein Vater hat zugestimmt. Also bin ich am ersten Tag der Hochzeit zu den Eltern der Braut gebracht worden. Ich darf mich mit der Braut unterhalten. Wir sind uns sympathisch und sie entscheidet, dass ich mich in ihrer Nähe aufhalten darf.

Heute ist die zivile Trauung. Im Elternhaus der Braut finden sich nur noch weibliche Verwandte der Braut und des Bräutigams, während die Männer aus beiden Familien im Haus meiner Großeltern versammelt sind. Dorthin geht der Standesbeamte zuerst, damit die Ehekontrakte unterzeichnet und die wichtigen Fragen geklärt werden.

Danach kommt der Beamte in das Haus der Frauen. Nashoa erwartet den Mann völlig verhüllt. Ihr zur Seite stehen ihre Mutter, eine Lieblingstante und ich darf dabei sein. Die anderen Frauen der Hochzeitsgesellschaft warten gespannt im Innenhof des Hauses. Der Mann nähert sich uns mit gerunzelter Stirn. Ihm scheint sichtlich unwohl zu sein bei so viel Frauen. Der Beamte hat noch zwei männliche Zeugen mitgebracht, denen ebenfalls unwohl zu sein scheint.

Der Standesbeamte fragt die verschleierte Braut nun, wer sie ist und ob sie mit dieser Hochzeit überhaupt einverstanden ist. Auch fragt er, ob sie den Bräutigam schon kennt und wie der Verwandtschaftsgrad zwischen den zukünftigen Eheleuten ist. Hinter dem Schleier ertönen dumpf Nashoas Antworten. Der Beamte hat die vom Bräutigam unterschriebenen Dokumente dabei und Nashoa unterschreibt nun ihrerseits.

Mutter und Tante beginnen zu trillern. Ich falle darin ein und auch die Frauen im Hof beginnen jetzt zu trillern, als sie uns hören. Der Beamte übergibt die Morgengabe, einen symbolischen Dinar, den der Bräutigam ihm zum Übermitteln mitgegeben hat. Danach treten die Männer schnell den Rückzug an.

Nun strömen immer mehr Frauen in den Raum, um ihr zu gratulieren. Anschließend verlässt uns Nashoas Mutter und es gibt zu essen. Nach dem Essen holen einige Frauen Trommeln hervor und beginnen zu singen und zu tanzen. Nur die verschleierte Braut, ihre Tante und ich verbleiben im Raum. Ihre Tante fungiert während der ganzen Hochzeit als Hüterin über Sitte, Anstand und Moral.

Der erste Henna-Abend wird vorbereitet. Für die Braut gibt es Henna Noir. Es wird in einem wunderschönen Muster auf Hand- und Fußrücken aufgetragen und verbleibt etwa zwei Stunden dort. Eine sehr alte, weise Frau betritt danach den Raum. Sie wird Nashoa vor dem bösen Blick schützen und sie von allen schlechten Einflüssen reinigen.

Dazu werden die Türen verschlossen. Nashoa entkleidet sich und ich werde zur Hüterin ihrer Gewänder. Die alte Frau reibt Nashoa nun mit Salz und Schwarzkümmel ein. Auf dem Boden steht ein Weihrauchgefäß. Der Weihrauch wird angezündet und Nashoa geht mehrmals durch die Schwaden des Weihrauchs hin und her. Anschließend darf sie sich mit Rosenwasser waschen. Währenddessen wird draußen immer noch gesungen und getanzt. Nach dem Waschen darf sich Nashoa wieder anziehen und wir gehen zusammen zu den Anderen in den Hof.

Bis vier Uhr morgens erklingen die Lieder und die Trommeln. Auf Matratzen und Matten haben es sich die Frauen bequem gemacht. Inzwischen tragen viele der Frauen ebenfalls Henna an Händen und Füßen. Um vier Uhr morgens ist endlich Ruhe und alle Frauen schlafen kurz ein.

Nur etwa anderthalb Stunden darauf ist die Ruhe wieder vorbei, denn die Haustiere verkünden lautstark den neuen Tag und wollen gefüttert werden. Unter Mühen raffen sich einige Frauen auf, füttern die Tiere und machen das Frühstück. Die Frauen mit Henna an Händen und Füßen sitzen mit noch feuchten Gliedmaßen herum und werden von helfenden Händen gefüttert. Davon gibt es genug: Vor allem honigtriefende Kinderhände, die nur zu gerne füttern. Für sie ist das Ganze ein Riesenspaß. Einiges landet auf der Kleidung und klebt. Zu Mittag gibt es Hammel.

Am Nachmittag wird es unruhig. Viele neue Gäste treffen ein, darunter auffallend viele junge Mädchen. Nach Sonnenuntergang nehmen sie Trommeln zur Hand und beginnen auf der Straße zu singen. Sie rufen die Braut, denn sie wollen mit ihr durch den Ort ziehen. Es heißt, jedem unverheirateten Mädchen bringe es Glück, wenn sie mit einer jungfräulichen Braut von Haus zu Haus zieht. So geht es nun unter Singen und Trommeln mit der tief verschleierten Braut, die ich führe, ins erste Nachbarhaus.
Nach oben Nach unten
hermann-jpmt
Forenmogul
Forenmogul
hermann-jpmt


Anzahl der Beiträge : 690
Anmeldedatum : 14.08.15
Alter : 59
Ort : Münster Nähe

Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Re: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1Mo Sep 19, 2022 9:09 am

Die Nachbarin scheucht alle eventuell vorhandenen männlichen Wesen energisch hinaus und bringt uns Getränke und Feigen. Drei anzügliche Lieder werden von den jungen Frauen geschmettert und man macht sich auf ins Nebenhaus.

Nachdem wir eine Handvoll Häuser besucht haben, hören wir plötzlich Männergesang! Sie kommen im Auftrag des Bräutigams und sollen die Braut mit Geschenken wieder nach Hause locken. Nashoa lässt sich die Geschenke vorführen. Teppiche, Stoffe, Kleider und vor allem Goldschmuck wird ihr gezeigt. Alle Geschenke, die eine Braut erhält, und auch die Aussteuer, gehen in ihren alleinigen Besitz über und die Listen werden den Hochzeitsdokumenten angefügt.

Nach der Rückkehr helfen die nächsten weiblichen Verwandten beim Auspacken. Die Geschenke werden gebührend bewundert. Immer, wenn ein Geschenk geöffnet wurde, ertönen Triller. Viele glückbringende Dinge sind darunter, aber auch viel Praktisches für den Haushalt. Natürlich finden sich darunter auch viele Dinge, die die Schönheit der Braut unterstreichen, wie Goldschmuck.

Während des Auspackens bereitet die ‚Hüterin der Moral‘, Nashoas Tante, den zweiten Henna-Abend vor. Das Henna der Braut soll schließlich schwarz werden und damit doppeltes Glück bringen. Wieder machen viele der Frauen mit und auch dieser Abend endet erst am frühen Morgen.

Am Vormittag des dritten Tages des Hochzeitsfestes kommt die Hennana. Sie trägt bei der Braut und allen, die das wünschen eine spezielle Bemalung auf. Gegen Mittag ist sie fertig und alle Frauen immer noch müde. Nun wird der Innenhof für alle Zaungäste geschlossen. Hauptsächlich Knaben aus der Nachbarschaft werden weggeschickt.

Ein Wasserschlauch wird von draußen hereingehängt und der Innenhof in ein Hammam verwandelt. Die Sonne wärmt das Wasser alsbald auf. Nashoa wird hineingeführt und erst mit Milch, anschließend mit Wasser gewaschen. Plötzlich erhebt sich großes Geschrei. Später erfahre ich, dass sich drei kleine neugierige Jungs aus der Nachbarschaft auf das Flachdach geschlichen haben, um das Treiben im Innenhof zu beobachten. Sie sind entdeckt und lautstark vertrieben worden, auch durch Nassspritzen mit dem Wasserschlauch.

Nach der Reinigung wird die Braut noch mit Rosenwasser und Jasmin-Essenz betupft. Zurückblickend wird die Sehnsucht in mir immer stärker, bald selbst eine Braut zu sein!

Am späten Nachmittag wird Nashoa wieder angekleidet und geschminkt. Sie trägt nun die traditionelle Kleidung aus dieser Gegend Tunesiens. Ihre Haare sind zu Zöpfen geflochten. Jetzt wird ihr der Goldschmuck angelegt. Darüber legt man ihr den Sefsari -traditioneller tunesischer Schleier-, den Gesichtsschleier und den Khomsas gegen den bösen Blick an. Die Trommeln rufen schon.

Nashoa betritt den Innenhof und die Frauen strömen herein. Wer die Schönheit der Braut sehen will, muss zahlen! Und es wird viel gezahlt...

Für jeweils einen 10Dinar-Schein lüftet die Hüterin der Moral, Nashoas Tante, den Schleier und die Braut nimmt ihre Hände vor dem Gesicht weg. Als Antwort ertönen Triller. Ja, die Braut ist so schön wie der Mond! Darüber wird es allmählich dunkel.

Plötzlich ertönt draußen auf der Straße eine Autohupe. Die Braut wird vor das Haus gebracht und steigt in den wartenden Wagen ein. Auf der Fahrt in den 30 Kilometer entfernten Wohnort des Bräutigams entwickelt sich ein lärmender und schneckenartig langsam kriechender Konvoi. Die Leute, einschließlich der Polizei, freuen sich.

Am Haus der Männer, dem Haus der Eltern des Bräutigams, werden alle Ankommenden lautstark begrüßt. Der Bruder der Braut tritt hervor und trägt diese tiefverhüllt in das Haus. Wenn ich mir überlege, mein kleiner Bruder müsste diese Aufgabe bei meiner Hochzeit ausfüllen... Da frage ich lieber meinen Onkel!

Sie wird in das Kinderzimmer des Bräutigams getragen, das heute Nacht als eheliches Schlafzimmer herhalten soll. Nun protestiert der Bruder der Braut, der seine Schwester auf seinen Schultern trägt und andere Verwandte fallen in den lautstarken Protest ein:

Das Schlafzimmer entspräche nicht den Vorstellungen von Nashoas Familie! Ein solch wertvolles Gut soll in solch einem schäbigen Raum die Nacht der Nächte verbringen?? Niemals! Viel Geschrei und Tränen seitens der künftigen Schwiegermutter. Die Beruhigungsversuche schlagen erst einmal fehl. Solange muss die tiefverhüllte Braut über der Schulter ihres Bruders verharren. Etwa zehn Minuten des Geschreis später beruhigt sich die Hochzeitsgesellschaft wieder, als zwei kleine Mädchen mit Körbchen voller Blüten in das Zimmer gehen und die Blüten verteilen. Die Braut ist sicher kurz vor dem Ersticken...

Nashoa wird heruntergelassen und von ihrer Mutter wieder passabel hergerichtet. Nun geht es in den Innenhof dieses Hauses und auch hier dürfen die Frauen gegen den Obolus von 10Dinar die Schönheit der Braut bewundern. Die Männer sind vorher hinausgeschickt worden. Anschließend wird gegessen und getrunken, nach Geschlechtern getrennt, und wir können erst einmal durchatmen.
Nach oben Nach unten
hermann-jpmt
Forenmogul
Forenmogul
hermann-jpmt


Anzahl der Beiträge : 690
Anmeldedatum : 14.08.15
Alter : 59
Ort : Münster Nähe

Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Re: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1Di Sep 20, 2022 10:03 am

Nach einer guten Stunde beginnt Nashoa nervös zu werden. Ich fasse mir ein Herz und frage sie nach dem Grund.

„Mein Mann kommt gleich, um mich zu sich zu holen,“ antwortet sie mir, während ihre Blicke unstet umherschweifen.

Nashoas Tante, die Hüterin der Moral, erhebt sich und führt die Braut mit mir ins Schlafzimmer. Nashoa setzt sich und ihre Tante verschleiert sie wieder total. Danach verlässt uns die Tante, um die Männer zu holen. Ich bleibe bei der Braut, denn ich habe noch eine spezielle Aufgabe.

Nach einer Weile klopft es zaghaft an die verschlossene Zimmertür. Ich rühre mich nicht und die Tür wird auch nicht von außen geöffnet.

Beim zweiten Klopfen hört sich das Geräusch schon fordernder an. Aber weder von innen durch mich noch von außen wird die Tür geöffnet. Als es ein drittes Mal klopft, gehe ich zur Tür und öffne.

Der Bräutigam steht mit der gesamten männlichen Verwandtschaft draußen im Gang und Treppenhaus. Er bittet mich um Einlass. Daraufhin frage ich ihn:

„Bist du bereit für die Ehe und kannst du später auch eure Kinder ernähren?“

Leicht zittrig bejaht er meine Frage. Nun frage ich:
„Wirst du deine Frau immer sorgsam behandeln und auf ihren Rat hören?“

Wieder bejaht er meine Frage. Die Männer hinter ihm klatschen. Bevor er nun ins Schlafzimmer darf, rufe ich Allahs Zorn auf ihn herab, wenn er ihr in dieser Nacht nicht gerecht wird.

Ich glaube, mein Onkel Omar ist genauso nervös wie seine Braut. Beide gehen jungfräulich in die Ehe, haben also keinerlei sexuelle Erfahrung. Ich habe ihn in das Zimmer gelassen und alle anderen Männer lautstark verscheucht, damit die Beiden endlich ihre Ruhe haben.

Die Hochzeitsgesellschaft verstreut sich und ich bekomme das erste Mal seit drei Tagen wieder ausreichend Schlaf. Der darauffolgende Tag beginnt ruhig. Am Nachmittag bricht aber dezente Panik aus. Heute Abend wird das traditionelle erste Essen der Brautleute sein. Es soll im Elternhaus der Braut stattfinden.

Zu diesem Zweck werden hundert Stücke Fleisch und hundert Eier gekocht. Ein riesiger Topf mit Graupen und Soße wird mit dem Fleisch und den Eiern gefüllt. Alles soll in unversehrtem Zustand dreißig Kilometer über die staubige Straße zu seinem Ziel gebracht werden. Die Zahl 100 symbolisiert den Wunsch, dass niemals die Nahrung ausgehen möge.

Ein Wagen mit Pritsche hinter den Vordersitzen wird gefunden. Ein Kamel hilft beim Hochhieven und der Topf wird gesichert. Da der Topf keinen Deckel hat, nimmt man eine gereinigte Matte und schnürt sie rundherum fest.
Nach oben Nach unten
hermann-jpmt
Forenmogul
Forenmogul
hermann-jpmt


Anzahl der Beiträge : 690
Anmeldedatum : 14.08.15
Alter : 59
Ort : Münster Nähe

Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Re: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1Mi Sep 21, 2022 9:44 am

Am Ziel treffen wir wieder auf das Brautpaar. Beim nun folgenden gemeinsamen Hochzeitsessen füttern sich die Brautleute gegenseitig und fünf kleine Nachbarskinder, stellvertretend für die noch nicht vorhandenen eigenen Kinder. Während die Hochzeitsgesellschaft munter bis gegen 3 Uhr morgens weiterfeiert, haben sich die Brautleute zurückgezogen. Wie mir Onkel Omar später erzählt, sind sie an die Bar eines nahen Hotels geflüchtet, nachdem sie sich aus der traditionellen Hochzeitskleidung geschält haben.

Ich selbst bin nach diesen vier Tagen völlig erschöpft. Für uns Frauen ist es das Fest unseres Lebens. Darum wird so viel Aufwand getrieben.

*

Ich wohne inzwischen schon seit zwei Jahren im Haus des Bruders von Omar, als dieser heiratet und mit seiner Frau in die Feuchtfarm einzieht. Nashoa hat das Regiment in Omars Haushalt übernommen. Sie macht es ihm wirklich heimelig. So ist an einen Männerhaushalt nicht mehr zu denken. Ich muss mich umorientieren.

In den letzten Monaten ist aus der anfänglichen Sympathie zu Anour -Licht-, Abduls Schwester und Nichte von Omar, mehr geworden und sie scheint ähnlich zu fühlen. Unser Verhältnis zu einander, wie auch zum Rest der Familie ist von Vertrauen geprägt. Ich habe sie einmal zur Seite genommen und gefragt, ob sie sich eine Beziehung zu mir vorstellen könnte, wenn ich mit Omar eine Genossenschaft gründe.

Sie hat mich zweifelnd angeschaut und gemeint:
„Du hast Omar zu einer gutgehenden Farm verholfen. Nun halte dich weitgehend aus seinen Angelegenheiten heraus, es sei denn, er fragt dich um deinen Rat. Baue lieber eine eigene Farm in seiner Nachbarschaft auf, so dass ihr euch gegenseitig unterstützen könnt!“

„Eine eigene Farm wäre schon schön,“ resümiere ich. „Besonders, wenn ich mir vorstelle, dass du dort den Haushalt führst, Anour. Ich mag dich sehr!“

Sie lächelt mich verführerisch an und meint:
„Seit wenigen Jahren erst, dürfen tunesische Frauen auch Nichtmuslime heiraten! Daher stünde von staatlicher Seite einer Hochzeit nichts entgegen. Also folge meinem Rat, Lieber!“

„Meine Idee mit der Genossenschaft entsprang der Erkenntnis, dass ein Ausländer, und noch dazu ein Christ, wohl kaum einen Kredit bei einer Bank hier in Tunesien bekommt,“ erkläre ich ihr meinen Gedankengang von vorhin.

„Dann sprech‘ mit Onkel Omar darüber,“ rät sie mir nun. „Sag‘, er soll bei dem Banker, bei dem er seinen Kredit erhalten hat, einen Folgekredit zur Vergrößerung seiner Farm beantragen. Sie soll ein Ebenbild seiner Farm darstellen und etwas näher an der Felswand liegen. Die Wand spendet zur Mittagszeit mehr Schatten. Onkel Omar soll dich als Verwalter angeben.“

„Okay,“ meine ich und lächele zurück.

Sie kennt die tunesische Mentalität besser. Also wird der beschriebene Weg wirklich gangbar sein. In den nächsten Tagen besuche ich Omar und gehe mit ihm in die Produktionshalle. Dort unterbreite ich ihm Anours Idee. Er grinst von einem Ohrläppchen zum anderen und sagt mir zu, dass er ein Gespräch mit der Bank führen will. Die Bank ist grundsätzlich bereit, fordert aber Bürgen für den Kredit. Sein Bruder und Achmed, sein Cousin, sind bereit für den Kredit zu bürgen.

Der Vertrag wird unterschrieben und die Baufirma, die Omars Farm erbaut hat bekommt den Auftrag, nun eine weitere Farm zu bauen. Sie kommen mit einem Lastwagen und einer Ramme zur Baustelle und rammen dort die Stahlplatten in der gleichen Art in den Boden. Anschließend kommen drei Kräne und Omar mit seinen männlichen Verwandten schaufeln den Raum zwischen den Stahlplatten leer.

Nachdem der Sand aus dem Loch gehoben, aber das Loch noch nicht tief genug ist, kommen mehrere Presslufthämmer zum Einsatz, um dem Sandstein zu Leibe zu rücken. Anschließend wird die Bodenplatte aus Beton gegossen und eine zweite Stahlwand vor die Erste gestellt. Dazwischen wird die Kellerwand aus Beton gegossen. Auch die Zwischenwände werden gegossen.

Wir beauftragen die Installationsfirma, die uns in Omars Farm die Tanks, Rohrleitungen und die Technik zur Wassergewinnung aus Luft eingebaut hat. Sie statten auch die zweite Farm aus.

Bei der Ausstattung des Bades mache ich dem Mann jedoch einige Vorgaben. Im Haus von Omars Bruder, in dem ich lange gewohnt habe, hat es auf der Toilette nur einen Eimer, einen Wasserschlauch, sowie zum Abtrocknen ein Handtuch gegeben. Dort geht man folgendermaßen vor:

Man setzt sich auf den Eimer, oder steht über ihm, und verrichtet seine Notdurft. Anschließend nimmt man den Wasserschlauch und reinigt seine Rückseite. Wichtig dabei ist, dass man den Schlauch in die rechte Hand nimmt und sich mit der linken Hand säubert. Daher gibt man sich zur Begrüßung auch immer die rechte Hand! Anschließend trocknet man die nassen Stellen und die Hand mit dem Handtuch.
Nach oben Nach unten
hermann-jpmt
Forenmogul
Forenmogul
hermann-jpmt


Anzahl der Beiträge : 690
Anmeldedatum : 14.08.15
Alter : 59
Ort : Münster Nähe

Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Re: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1Do Sep 22, 2022 10:15 am

Das habe ich aber immer tunlichst unterlassen und habe mir einen Vorrat an alten Zeitungen angeschafft. Nach der Säuberung wird Wasser aus dem Schlauch in den Eimer gefüllt, dieser damit gespült und in einem kleinen Gulli auf der Toilette entleert. Erwischt man einen 'schlechten Tag' fehlen Eimer und Handtuch, weil die Tochter des Hauses gerade bei der Reinigung gestört wurde. Jetzt muss man sich über den Gulli halten und die Toilette nachher provisorisch reinigen.

Das will ich ändern und rege den Einbau eines europäischen Wasser-Closets an. Jetzt muss ich natürlich ein Verwirbelungssystem in ein Becken dahinter schalten, das mit einem Deckel versehen werden kann. Auch das Abwasser aus Wanne und Spülbecken wird dorthinein und dann in den Abwassertank geleitet. Ob man das danach als Pflanzendünger verwenden kann, muss ich noch erproben. Das überschüssige Abwasser leiten wir nach draußen in den Sahara-Sand.

In der Zwischenzeit haben wir in Eigenarbeit die Kellermauern mit Ziegeln und Sandsteinbruchstücken erhöht. Für den Mörtel haben wir wie bei Omars Farm Beton mit einem Teil des Sandaushubs gemischt und danach alles mit Kalkputz geweißt. Auf die Produktionshalle setzen wir wieder einen Deckel aus Karbonelementen und das Wohnhaus erhält die gleiche halbkugelförmige Kuppel. Über den Tanks und einem Geräteraum wird eine Decke eingezogen, die eine Last von etwa einem Meter Sand aushält. Dann wird die Baugrube zugeschüttet.

Nun beauftragen wir den Elektriker, der die Elektroinstallationen in Omars Farm übernommen hatte. Die Handwerker sind erfreut, wieder solch einen Großauftrag zu erhalten. Während deren Männer und Omars Verwandte auf der Baustelle arbeiten, bringt Nashoa mit Anours Hilfe den Leuten das Essen. Immer wenn Anour mich bedient, leuchten ihre Augen. Sie sieht ihr späteres Heim wachsen.

Während Omar mit mir die Produktionshalle einrichtet, kümmert sich Anour um die Einrichtung des Wohnhauses. Sie verteilt auch unser erstes Wasser an die Verwandten, die beim Bau mitgeholfen haben. Wieder reisen wir zur Oase von Chenini und kaufen meinen ersten Samen für die Pflanztöpfe. Bis zur ersten Ernte ist mein einziges Handelsgut Wasser aus den Tanks. Davon lebe ich und bestreite die Rückzahlungsraten für den Bankkredit.

*

Bald darauf halte ich bei Anouks Vater um die Hand seiner Tochter an. Nach einem kleinen freundschaftlichen Geplänkel erklärt er sein Einverständnis. Von nun an sind wir verlobt. Ich beginne mir Gedanken zur Hochzeit zu machen. Anouk hat mir von der Hochzeit ihres Onkels erzählt. Ich weiß, wieviel helfende Hände ich beim Bau der Farm gehabt habe und rechne einmal mit der doppelten Anzahl Männer. So viele Personen kann ich nicht unterbringen. Also kaufe ich nacheinander eine entsprechende Anzahl Beduinenzelte.
Nach oben Nach unten
hermann-jpmt
Forenmogul
Forenmogul
hermann-jpmt


Anzahl der Beiträge : 690
Anmeldedatum : 14.08.15
Alter : 59
Ort : Münster Nähe

Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Re: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1Fr Sep 23, 2022 10:09 am

Als der Hochzeitstermin gekommen ist, tauchen bei mir mehrere Dutzend Männer auf. Achmed, der Wirt der Strandbar und Omars Cousin, hat sich bereit erklärt für die Bewirtung meiner Gäste zu sorgen. Die halbwüchsigen Jungs aus der Verwandtschaft bringen die Speisen unter Abduls Kommando zur Farm.

Anour, meine Braut, wird in ihrem Elternhaus zurechtgemacht. Ihr Elternhaus ist für die Dauer der Hochzeitsfeierlichkeiten das 'Frauenhaus'. Männer, und seien sie noch so jung, sind dort ausgeschlossen. Am Vormittag des ersten Tages kommt der Standesbeamte zu uns heraus. Er hat verschiedene Formulare dabei. Eines nennt sich 'Ehefähigkeitszeugnis'. Hier muss ich bezeugen, dass ich nicht mit Anouk verwandt bin. Das fällt mir als Deutscher leicht. In Tunesien darf man erst ab dem Großcousinen-Status heiraten.

Natürlich muss ich daneben auch die Heiratsurkunde unterschreiben. Dabei fragt mich der Beamte, ob ich meine zukünftige Frau gut behandeln werde. Als Antwort erwartet er von mir einen heiligen Schwur. Danach kommt er auf die 'Morgengabe' zu sprechen. Ich überreiche ihm einen symbolischen Dinar, den er später im 'Frauenhaus' abgibt. Anschließend geht er mit den Formularen zum 'Frauenhaus', um auch von Anour ihre Unterschriften zu erhalten.

Nun wird das Essen aufgetragen und wir 'schlagen uns die Bäuche voll'. Nach dem Essen holen einige Männer trommeln hervor und es werden Lieder 'gegrölt'. Immer wieder werden kleine Snacks gereicht und Pfefferminztee. Als es dunkel wird, legen sich die Männer auf die Teppiche und schlafen bald ein.

Am Morgen des zweiten Tages bringen die Jungs das Frühstück, gegen Mittag das Mittagessen. Ich habe in den letzten Tagen wohlweißlich eine Anzahl Geschenke gekauft von denen Anour nichts weiß. Sie sind wohlverpackt. Am Abend sende ich Abdul mit einer Handvoll Männern in den Ort. Sie sollen Anour finden und zur Rückkehr ins 'Frauenhaus' bewegen. Dazu schleppen sie meine Geschenke in den Ort und machen durch Gesang auf sich aufmerksam. Erst nach einer ganzen Weile kehren sie zurück und legen sich unter die Beduinenzelte auf Teppichen schlafen.

Den dritten Tag vertreiben sich die Männer mit Essen und sportlichen Spielen. Alle sind aufgeregt, denn nach Sonnenuntergang wird die Braut hergeführt.

Als es dunkel wird, kommt eine lärmende Menge aus dem Ort auf die Farm zu. Nachdem sie uns erreicht haben, werden sie lautstark von den Männern begrüßt, die bei mir unter den Zelten ausgeharrt haben. Omar nimmt seine tiefverschleierte Nichte auf die Schulter und trägt sie in das Wohnhaus. Er kennt den Weg zum Schlafzimmer, denn mein Wohnhaus gleicht dem seinen wie ein Zwilling.

Auf einmal gibt es Geschrei. Das Schlafzimmer entspräche nicht den Vorstellungen von Anours Familie. In solch einem schäbigen Raum soll die Braut die Nacht der Nächte verbringen?

Ich habe schon zwei Körbchen mit duftenden Blüten vorbereitet und winke nun zwei kleine Mädchen herbei. Achmed sagt ihnen, was sie damit machen sollen und führt sie in den Raum, wo Omar mit seiner Nichte auf der Schulter steht. Nachdem die Mädchen den Inhalt ihrer Körbchen verteilt haben, setzt er die Braut ab.

Anours Mutter kommt heran und richtet ihre Tochter wieder her. Anschließend kommen alle wieder nach draußen und das Abendessen wird verteilt. Nach einer guten Stunde verlassen uns Anour, Nashoa und Fatma, Anours Mutter. Sie gehen ins Haus.

Als Fatma zurückkommt, ist es an mir, das Haus zu betreten. Ich gehe zum Schlafzimmer. Die nächsten männlichen Verwandten der Braut folgen mir dichtauf.

Ich klopfe an der geschlossenen Schlafzimmertür. Keine Reaktion von drinnen. Da ich zögere, stacheln mich die anderen Männer hinter mir an. Also klopfe ich erneut, etwas energischer. Immer noch keine Reaktion. Nun klopfe ich ein drittes Mal.

Jetzt wird die Tür geöffnet und Nashoa füllt den Rahmen aus. Sie verwehrt den Blick auf Anour. Stattdessen schaut sie mich an und fragt mich, ob ich überhaupt bereit wäre, die Ehe einzugehen, und ob ich die Braut und spätere Kinder ernähren könnte. Sie fragt auch, ob ich meine Frau sorgsam behandeln und auf ihren Rat hören werde. Ich kann alle Fragen mit gutem Gewissen beantworten. Dann kommt in gespieltem Ernst die Androhung von Allahs Zorn, wenn ich der Braut in dieser Nacht nicht gerecht werde.

Jetzt werde ich endlich in das Zimmer gelassen, während Nashoa hinausgeht, die Schlafzimmertür hinter sich schließt und die Männer aus dem Haus scheucht. Wir beide haben heute zum ersten Mal Sex miteinander. Ich spüre, wie nervös Anour ist und helfe ihr beim Entkleiden. Danach legen wir uns auf das Bett. Wir küssen und streicheln uns ausgiebig und kuscheln miteinander.
Nach oben Nach unten
hermann-jpmt
Forenmogul
Forenmogul
hermann-jpmt


Anzahl der Beiträge : 690
Anmeldedatum : 14.08.15
Alter : 59
Ort : Münster Nähe

Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Re: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1Sa Sep 24, 2022 10:13 am

Der vierte Tag beginnt erst wieder ruhig. Wir kuscheln miteinander und stehen erst spät auf. Anour will dem Treiben im Bett ein Ende setzen und erhebt sich, um am Waschbecken im Bad ihre Morgenhygiene zu beginnen. Ein spitzer Schrei lässt mich aus dem Bett springen. Ich laufe ins Bad, darauf gefasst, dass sich dort ein Skorpion oder ähnliches Ungeziefer eingenistet hat.

Die Badtür öffnend, sehe ich Anour vor der Wanne stehen. Sie zeigt mit zitternder Hand auf die Einbauten, die andere Hand vor den Mund haltend.

„Was ist das?“ fragt sie, obwohl sie sich die Antwort denken kann.

Ich nehme sie in den Arm und streiche ihr übers Haar, während sie sich bei mir anlehnt.

„Eine Wanne,“ meine ich einfach, als sei es das selbstverständlichste von der Welt. „Du darfst dich ins Wasser setzen, zum Entspannen und um dich zu pflegen. Wasser ist dafür genug vorhanden, wenn sonst niemand zu Besuch kommt, nur um zu baden!“

Sie schaut mich verliebt an und reckt sich, um mir einen Kuss auf die Wange zu drücken. Später gesellen wir uns in der Festtagskleidung wieder zu den Gästen. Anour fällt es sichtlich schwer, kein Wort über unser Bad zu verlieren. Draußen wird Musik gespielt, gesungen und getrommelt. Dabei werden kleine Häppchen gegessen. Am Abend soll das große Hochzeitsessen als Abschluss der Hochzeitstage stattfinden.

Am Spätnachmittag sehe ich die jungen Männer, die uns während der letzten Tage aus Achmeds Bar versorgt haben, sich mit einem Handkarren im Schneckentempo nähern. Auf diesem ist ein riesiger Topf festgemacht worden. Statt eines Deckels hat man eine Matte auf den Topf gelegt und rundherum festgezurrt.

Wir setzen uns alle und lassen uns von Abdul und seinen Kumpels bedienen. Anour hat mir den Ablauf des Essens erklärt. Ihre Mutter winkt eine Handvoll Kindergartenkinder heran und nun füttern wir die Kinder und uns gegenseitig. Als wir satt sind, verkrümeln wir uns leise und schlafen den Rest der Nacht wieder beieinander, wobei wir den unbekannten Körper des Partners erkunden und entdecken, wo er oder sie ein Kitzeln spürt oder anderes.

*

Beinahe ein Jahr sind Anour und ich inzwischen verheiratet, als ihr Großvater zu einem Fest einlädt. Dazu sollte ich sagen, dass in Tunesien eine Art Patriarchat gilt. Die Aufgaben von Männern und Frauen sind voneinander getrennt. Einem tunesischen Mann würde es nie einfallen, im Haushalt zu helfen.

Er geht arbeiten und bringt das Geld nachhause. Dadurch ist er überwiegend außer Haus. Nach der Arbeit sitzt er in einem der zahlreichen Cafés und beteiligt sich am alltäglichen Palaver, oder er geht einkaufen oder widmet sich einer anderen ‚wichtigen‘ Sache, nur um seine Frau und die gemeinsamen Töchter nicht bei der Arbeit zu stören. Selbst ein arbeitsloser Mann würde nicht auf die Idee kommen, seiner Frau im Haushalt zu helfen.

Die Gesellschaft ist allmählich im Wandel begriffen, da sie sich mit dem Zuwachs der Rechte der Frauen ständig verändert. Heute drängen immer öfter junge, gut ausgebildete Frauen auf den Arbeitsmarkt, obwohl die Ehe immer noch eine erstrebenswerte Institution bleibt. Und damit bleibt auch die Bedeutung der Großfamilie in den Köpfen der Menschen.

Nun sind wir ebenfalls in das Haus des Großvaters eingeladen. Im Vorfeld haben wir Besuch von Abdul, Anours jüngerem Bruder erhalten. Ich habe ihn in den Pflanzsaal geführt und gefragt, was sie für das Festessen brauchen. Er ist schließlich mit einen vollen Handkarren zum Haus seiner Großeltern zurückgegangen.

Auch die anderen Familienmitglieder haben ihren Anteil hinzugesteuert. Zwar gehört Anour streng genommen nicht mehr zu ihrer Großfamilie, aber da meine Familie in Deutschland wohnt, zähle ich mich zumindest hin und wieder zu Anours Großfamilie hinzu. Auch in Tunesien, besonders in den Großstädten, ist die Kleinfamilie auf dem Vormarsch, aber eine Großfamilie hat auch ihre guten Seiten.

So ist der Zusammenhalt in der Familie sehr groß und man hilft sich untereinander bei den großen und kleinen Problemen des Alltags. Man feiert gemeinsame Feste und wenn jemand ohne Einkommen ist, wird er von der Großfamilie versorgt.

Die Tage bei Anours Großeltern haben allerdings unter keinem guten Stern gestanden. Der Opa ist beim Essen zur Seite gekippt. Achmed, der ihm am nächsten gesessen hat, denkt zuerst, er sei übermüdet eingeschlafen. Aber leider ist der Großvater während des Essens verstorben. Nun ist aus dem Ganzen eine Trauerfeier mit Beerdigung geworden. Was mich erstaunt hat, ist die Großmutter gewesen.
Nach oben Nach unten
hermann-jpmt
Forenmogul
Forenmogul
hermann-jpmt


Anzahl der Beiträge : 690
Anmeldedatum : 14.08.15
Alter : 59
Ort : Münster Nähe

Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Re: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1So Sep 25, 2022 10:31 am

Sie hat den Verlust ihres Mannes lautstark beweint und auch die anderen weiblichen Familienmitglieder haben laut getrauert. Als der alte Mann unter der Erde gewesen ist, hat sie ‚das Zepter in die Hand genommen‘ und seinen Platz als Familienoberhaupt eingenommen. Sie hat entschieden, was weiterhin getan wird.

*

Dann ist Anour schwanger geworden. Hier auf dem Land ist sie nach dem Ausbleiben der Regel zur Hebamme in den Ort gegangen, die sie untersucht und ihr die frohe Botschaft gesagt hat. Sie bietet ihr ab der 28. Schwangerschaftswoche einen Geburtsvorbereitungskurs an. Sie soll einmal wöchentlich für zwei Stunden zu ihr kommen, für die Dauer von acht Wochen. Ich entscheide mich dazu Anour zu dem Kurs zu begleiten, damit ich weiß, was uns im letzten Drittel der Schwangerschaft erwartet. Wenn alles normal verläuft, wird sie unserem Kind in der 40. Schwangerschaftswoche auf die Welt helfen.

Irgendwie fühle ich mich deplatziert, als wir die Praxisräume der Hebamme betreten. Wir sollen uns im Kreis um eine Schüssel Wasser und Gebäck auf dem Boden niederlassen. Wir… Das sind fünf hochschwangere Frauen mit dicken Babybäuchen auf noch dickeren Kissen gebettet, eine energische einheimische Hebamme, die mich konsequent übersieht, und ich. Da bin ich gerade Anfang Dreißig. Anour streicht sanft über die große Wölbung ihres Babybauchs.

Ich denke an Deutschland. Die meisten meiner Bekannten haben schon ein Kind. In den Chatgesprächen erzählen sie von ihren Besichtigungen im Kreißsaal, von den Vorgesprächen mit den Hebammen, oder von Kanutouren mit der neuen erweiterten Familie, während der Elternzeit.

Die Hebamme, bei der wir uns eingefunden haben, arbeitet mit dem Krankenhaus in der nahen Stadt zusammen. Doch, was heißt hier in Tunesien nah? Jemand aus Anours Familie wird uns 30 Kilometer über eine Sandpiste mit Schlaglöchern fahren, wenn es soweit ist.

Draußen pulsiert das Leben und wir sitzen hier im Kreis und atmen auf Geheiß der Hebamme, einer Franco-Tunesierin in den Bauch. Zu Beginn habe ich die angehenden Muttis in unserer Runde vorsichtig gefragt, ob es für sie in Ordnung ist, dass ich – ein Mann - anwesend bin. Aber die Frauen in der Runde sind lässig drauf und Anour lächelt still.

Die Hebamme geht gleich ‚in die Vollen‘ und spricht von den Geburtsschmerzen und dass es vollkommen normal sei, dabei hysterisch zu werden. Das läge den Frauen am Mittelmeer so im Blut. Die Dame wirbt für die Periduralanästhesie, als handele es sich um ein zwingend notwendiges Busticket. Sie meint, dann sei die Geburt auch für das Personal einfacher. Außerdem könne das der Arzt zusätzlich von der Krankenkasse abrechnen.

Nach Nebenwirkungen wird sie aus der Runde ängstlich befragt. Sie wiegelt ab und meint, normalerweise keine. Die werdenden Muttis nicken. Eine der Frauen, erzählt nebenbei, dass sie ihren Mann bei der Geburt nicht dabeihaben will, damit er sie ‚nicht so sieht‘. Selbst von ihrem männlichen Frauenarzt hat sie sich nicht berühren lassen und sich den Stab für das vaginale Ultraschall in dessen Praxis selbst unter der Kleidung gelegt. Verstohlen hat sie dabei in meine Richtung geschaut.

Nun übernimmt die Hebamme wieder und es folgt ein Biologie-Grundkurs mit Plakaten an der Wand. ‚Hier ist die Gebärmutter. Da ist das Kind, das dann durch das Becken herausrutscht. Und zwar so, mit dem Kopf voran.‘

„Wenn die Wehen kommen, einfach einatmen, ausatmen,“ bemerkt sie und lässt es uns alle ein paar Mal üben. „Ça va. Das wird schon! Ihr nehmt ja eh alle die Betäubung, oder?“

Nach dem Wickeln und Waschen fragt eine Andere der Damen in der Runde. Geduldig erklärt sie auch das. Es sei sowieso nicht die Domäne des Mannes, meint sie.

Dann ist dieser erste Kurstag schon vorbei. Die Hebamme verteilt noch einige Prospekte, während die Teilnehmerinnen nach draußen gehen. Anour bekommt ihre Prospekte in die Hand gedrückt, dann schaut die Hebamme auf und fragt mich:

„Und Sie sind?“

Ich antworte provokativ mit einem zwinkernden Auge:
„…der Mann, der in ein paar Wochen mit im Kreißsaal sein wird!“

„Ach, wirklich?“ fragt sie grinsend zurück und kümmert sich dann um die Schwangere hinter uns.

Mit jeder Woche, die vergeht, wird der Kurs größer. Nach und nach bringen auch die anderen werdenden Muttis ihre Männer mit. Irgendwann scherzt der Mann der Frau, die ihn eigentlich nicht dabeihaben wollte:

„Wie weit der Muttermund ist? Ach, das guck ich selber nach.“
Nach oben Nach unten
hermann-jpmt
Forenmogul
Forenmogul
hermann-jpmt


Anzahl der Beiträge : 690
Anmeldedatum : 14.08.15
Alter : 59
Ort : Münster Nähe

Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Re: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1Mo Sep 26, 2022 9:45 am

Wenn er wüsste, was auf ihn zukommt. Die Themen werden mit der Zeit immer spezieller. Die Hebamme referiert über Schleimabgänge, die verschiedenen Formen von Ausfluss und die richtige Massagetechnik, um die Brust auf das Stillen vorzubereiten.

Dann ist der Geburtstermin da. Anour weckt mich mitten in der Nacht, dass sie Wehen spürt. Also kleiden wir uns an und ich ziehe die vorsorglich gepackte Tasche näher heran. Mit der anderen Hand angele ich das Handy und rufe den werdenden Opa an. Er hat sich angeboten uns zu fahren. Es dauert eine halbe Stunde, bis er wach ist. Noch einmal eine halbe Stunde später hält der werdende Großvater bei uns.

Was dann folgt, kann man fast als Höllentrip bezeichnen. Der werdende Opa will so schnell wie möglich am Krankenhaus ankommen, und das bei dem Straßenzustand! Anour atmet die Wehen weg, wie die Hebamme es ihr beigebracht hat. Ich sitze neben ihr auf der Rückbank und rede derweil beruhigend auf sie ein und halte ihre Hand. Eine hysterische Gebärende muss ich nicht haben.

Wir schaffen es tatsächlich, das Krankenhaus vor der Geburt zu erreichen. Dann geht es aber schnell. Bei den Voruntersuchungen hat man uns gesagt, dass wir ein Mädchen erwarten. Wir haben uns auf ‚Neyla‘ -Erfüllung- geeinigt. Als ich ein paar Tage später Mutter und Kind mit mir nachhause bringen darf, nehmen wir den Bus. Klein-Neyla schläft in einem Tuch unter Anours Brust, wie in einer Hängematte.

Wir schlafen die ersten Jahre zu dritt im Ehebett. Anour findet Gefallen daran, Neyla so nahe bei sich zu haben und Neyla ist selig, sofort an die Brust zu kommen, wenn sie aufwacht. So entwickelt sich über die Zeit eine starke Mutter-Kind-Beziehung. Anour beginnt, Neyla zu lesen, also aus ihrer Mimik und den Reaktionen zu erkennen, wie es unserer Kleinen geht.

Tagsüber geht sie ihrer Hausarbeit nach, wobei sie Neyla immer in der ‚Hängematte‘ unter ihrer Brust mit sich führt. Später, als Neyla nach ein paar Monaten selbst sitzen kann, kaufen wir eine Känguruh-Tragetasche. Jetzt nehme ich Anour auch schon mal Neyla ab, wenn sie Ruhe braucht und trage unsere Kleine in der Halle des ‚Vertical Farming‘ herum, während ich dort zu tun habe.

Sie mag wohl lieber bei ihrer Mumiya -Mama- sein, als bei ihrem Alab -Papa-. Aber die Halle mit den vielen Pflanzen ist doch immer wieder ein Erlebnis. Trotzdem achte ich darauf, sie ins Wohnhaus zurückzubringen, wenn sie unruhig wird. Später, als sie laufen kann, hat Anour ihre liebe Not mit der Kleinen. Sie ist kaum zu bremsen. Wir haben ihr einen kleinen Besen und andere Haushaltsgegenstände in Klein gekauft, mit denen sie ihrer Mumiya helfen kann. Zwar muss Anour das Zimmer, das Neyla ‚gereinigt‘ hat, noch einmal machen, aber sie ist der Meinung, dass Neyla dadurch lernt. Natürlich führt Anour die Nachreinigung erst durch, wenn Neyla schläft, damit die Kleine nicht frustriert ist, wird sie doch für das Helfen gelobt.
Nach oben Nach unten
hermann-jpmt
Forenmogul
Forenmogul
hermann-jpmt


Anzahl der Beiträge : 690
Anmeldedatum : 14.08.15
Alter : 59
Ort : Münster Nähe

Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Re: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1Di Sep 27, 2022 10:14 am

Ich habe ja in den zwei Jahren, in denen ich bei Anours Vater ein Zimmer gehabt habe, ein wenig mitbekommen, wie das Leben in einer muslimischen Familie funktioniert. Anour hat einen acht Jahre jüngeren Bruder. Dieser hat mehr Freiheiten gehabt als Anour. Während Abdul bei Tisch sitzen geblieben ist, wenn der Vater mich gefragt hat, ob ich noch eine Süßigkeit beim Tee nach dem Essen möchte, ist Anour sofort aufgestanden und in die Küche gelaufen. Dafür habe ich mich bei Anour stets bedankt. Tunesische Männer hätten das eher als eine Selbstverständlichkeit angesehen und nichts gesagt.

Sollten wir irgendwann noch einen Jungen bekommen, denke ich mir, dass ich ihn genauso einbinde. Der tunesischen Tradition folgend, damit es kein Gerede gibt, zwar eher im Bereich des ‚Vertical Farming‘, aber er soll sich später nicht wie ein Pascha aufführen. Eine führende Position in der Familie kann man auch mit helfender Hand ausfüllen!
Nach oben Nach unten
Gesponserte Inhalte





Die Feuchtfarm Empty
BeitragThema: Re: Die Feuchtfarm   Die Feuchtfarm Icon_minitime1

Nach oben Nach unten
 
Die Feuchtfarm
Nach oben 
Seite 1 von 1

Befugnisse in diesem ForumSie können in diesem Forum nicht antworten
Gedankenparadies :: Userbereiche :: Hermann-jpmt-
Gehe zu: