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BeitragThema: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Mi Nov 16, 2022 9:40 am

Seit Generationen leben wir mit den Menschen und dem Rest der Natur im Einklang. Wir hetzen unsere Beute bis sie stirbt. Dann frisst jeder so viel er kann. Ein Teil davon würgen wir in unserer Wohnhöhle wieder hervor, um unsere Welpen zu ernähren und gehen dann wieder auf die Jagd.

Den Menschen gehen wir so gut wie möglich aus dem Weg. Auch sie laufen mit Stöcken hinter ihrer Beute her, bis sie zusammenbricht. Nun haben die Menschen die Möglichkeit entdeckt Stöcke fliegen zu lassen. Sie bohren sich in den Körper der Beute und töten sie auf diese Art. Manchmal helfen sie mit scharfen Steinen nach.

Immer aber erweisen sie ihrer Jagdbeute ihren Respekt und danken ihr dafür, dass sie sich hat jagen gelassen. Ich bewundere sie dafür! Natürlich sind nicht alle Menschen so. Es gibt auch solche, die ihre Beute schlecht behandeln. Ich möchte hier von einer Menschin berichten, die meinen Respekt und Hochachtung erlangt hat.

*

Wir zählen uns zu den Tlingit-First Nations und gehören zum Wolfs-Clan. Ich bin die Schamanin des Laxgibuu -Wolfs-Clans- seit meine Mutter in die ewigen Jagdgründe heimgegangen ist. Wir sind matrilinear organisiert, das heißt bei uns gilt die weibliche Linie, weil die Mutter eindeutig bestimmbar ist, nicht aber der Vater. Unser Volk ist im Laufe vieler Generationen aus dem Norden Alaskas immer weiter nach Süden gezogen und siedelt jetzt am großen Wasser.

Meine Tochter ist nun alt genug für den Initiationsritus. Wir haben meine Tochter feierlich verabschiedet. Sie trägt ein rituelles Messer aus Obsidian mit sich, sowie Pfeil und Bogen, mit dem sie sehr gut umzugehen weiß. Der Initiationsritus besagt, dass sie einige Tage auf sich gestellt im Wald überleben muss.

*

Ich bin die Tochter unserer Schamanin und inzwischen alt genug für den Initiationsritus. Mein Clan der Wolfsmenschen hat mich unter Trommelklängen und ethnischem Tanz aus unserer Siedlung verabschiedet. Von meiner Mama weiß ich, wie ich mich verhalten muss, welche Pflanzen essbar sind und welche ich meiden muss. Zur Verteidigung gegen den Schwarzbären bin ich mit Pfeil und Bogen ausgestattet. Durch Übung von Kindheit an, weiß ich ihn zu benutzen. Ich muss nur immer möglichst cool bleiben und rational überlegen.

Am frühen Morgen des dritten Tages wache ich auf. Es ist die Zeit, in der die Beutegreifer unterwegs sind und ich muss achtgeben, nicht selbst zur Beute zu werden. Ich habe mich an einem nahen Bach frischgemacht. Wir haben Winter und es ist sehr kalt. Ich muss also erst ein Loch durch die dünne Eisdecke über dem Wasser bohren, dann eine kleine Eisplatte abheben, bevor ich an das Wasser komme.

Anschließend ziehe ich mich wieder zwischen die Birken zurück und verharre horchend. Nach einiger Zeit höre ich ein Tier durch den Schnee stapfen. Es gebraucht allerdings einen ungewöhnlichen Rhythmus dabei. Ich lege einen Pfeil auf die Sehne und spanne den Bogen. Dann drehe ich mich um mich selbst, um nach allen Seiten zu sichern.

Plötzlich sehe ich einen silbergrauen Wolf zwischen den Bäumen, der sich mir langsam nähert. Wir haben eine spirituelle Verbindung zu den Wölfen, nach denen auch unser Clan benannt ist. Mama, unsere Schamanin erneuert die Verbindung rituell in regelmäßigen Abständen. Dennoch muss ich vorsichtig sein.
Ich richte den gespannten Bogen auf den Wolf, aber erkenne bald, dass von ihm keine Gefahr für mich ausgeht. Der Wolf hinkt. Er hat sich eine seiner Pfoten verletzt. Etwa zwei oder drei Jahre dürfte er alt sein.

Auf drei Pfoten kann er seine Beute nicht hetzen, bis sie zusammenbricht. Also wird er eine Gefährtin mit gerade geborenen Welpen nicht ernähren können. Aber auch ihm selbst scheint es nicht gut zu gehen. Er ist stark abgemagert und scheint ziemlich kraftlos. In einigen Schritten Entfernung legt er sich auf den Schnee ab und schließt die Augen, als ergebe er sich in sein Schicksal. Ich kann dabei nicht zusehen!


Zuletzt von hermann-jpmt am Sa Nov 19, 2022 10:47 am bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Do Nov 17, 2022 10:17 am

Den Bogen entspannend und den Pfeil in den Köcher zurückschiebend, nähere ich mich dem Wolf. Er öffnet müde die Augen, als ich neben ihm auf die Knie gehe und den Bogen auf den Schnee neben mir ablege.

Ich nehme das Obsidian-Messer aus meinem Gürtel und lege ihm die Hand auf den Kopf. Ich rufe den Großen Geist in einem Gebet an, das Mama mir schon oft vorgesprochen hat, wenn ich bei ihren schamanischen Ritualen zugeschaut habe. Dann hebe ich den Unterkiefer des Tieres vor mir vorsichtig an. Der Wolf zeigt keine Gegenwehr. Mich trifft ein Blick aus seinen Augen und er zieht die Lefzen lang.

Mit einem schnellen kraftvollen Schnitt schneide ich ihm die Kehle durch und öffne die Halsschlagader. Danach drehe ich den Wolf auf den Rücken und enthäute ihn. Anschließend sammele ich Steine entlang des Baches und lege sie um und auf den Leichnam. Wieder rufe ich Manitou an, damit der Große Geist sich seiner annehmen möge. Dann bearbeite ich die Hautseite des Wolfsfelles und mache mich auf den Rückweg zu unserer Siedlung. Auf meiner Wanderung muss ich noch einmal in der Wildnis übernachten. Im Schlaf habe ich die Vision, dass ein Wolf mit der Fellfärbung und dem abgemagerten Aussehen wie der den ich getötet habe, an meiner Seite bleibt und mich beschützt.

Am nächsten Tag erreiche ich unsere Siedlung. Das Wolfsfell liegt über meiner rechten Schulter. Als erstes treffe ich einen jungen Mann, der mir schon früher unangenehm aufgefallen ist. Er schaut mich an, sieht das Wolfsfell und sagt:

„Wölfe jagt man nicht! Du hast einen Frevel gegen die Geister begangen!“

„Nein!“ entgegne ich entschieden. „Ich habe ihn von seinem Leiden erlöst!“

Er nähert sich mir ungebührlich und will eine intime Geste erzwingen. Ich stoße ihn zurück und stelle fest:

„Ihr Männer dürft mich nicht berühren! Ich hatte noch nicht meine erste Blutung. Halte dich daran!“

Er meint darauf:
„Was soll das? Du bist mir seit Jahren versprochen!“

Ihn abwehrend, erkläre ich:
„Ich bin niemandem versprochen!“

Sein Gesicht verhärtet sich. Er droht mir:
„Deine Mutter kann nichts gegen mich tun. Auch wenn sie eine Hexe ist!“

Ich lasse ihn stehen und betrete unsere Siedlung. Die Frauen, die vor den Zelten sitzen, schauen mir lächelnd entgegen. Ein weiterer Mann kommt nahe an mir vorbei und schaut mich merkwürdig an. Kleinere Kinder hüpfen um mich herum und kündigen meine Rückkehr an. Die Schamanin unseres Clans tritt vor das Zelt. Ich hebe den Kopf des Wolfsfelles an, so dass er Mama anschaut.

Sie begrüßt mich mit ernster Miene:
„Meine Tochter spielt mit ihrem Leben!“

„Ich habe ihn von seinen Qualen erlöst!“ antworte ich.

Nun lächelt sie und ruft laut aus, dass jedes Clanmitglied in unserer Siedlung sie hören kann:
„Meine Tochter hat ihre Kindheit hinter sich gelassen. Ab jetzt wird man sie als ‚Wolfskind‘ kennen!“

*
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Fr Nov 18, 2022 9:58 am

Die Winter sind hier lang und kalt. Wenn viel Schnee fällt ist es schwierig, sich zu orientieren. Denn man darf sich nicht nur auf Gehör und Geruch verlassen. Man muss die Gegend schon oft im Sommer durchwandert haben, um zu wissen, wo Gefahren unter der tiefen Schneedecke lauern. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass einer von uns einen Fehltritt macht.

Wenn man nur mit dem Bauch im Schnee landet und sich dann wieder aufrappelt, ist das soweit in Ordnung. Anders ist das, wenn man sich das Fußgelenk verknackst und nur noch humpelnd auf drei Pfoten vorankommt. Das ist mir vor einigen Tagen passiert. Nun kann ich meine Beute nicht mehr hetzen.

Wäre ich noch ein Rudelmitglied, würden die anderen mich mitversorgen. Aber ich habe mein Rudel vor einigen Monden verlassen, um eine Wölfin zu finden und mit ihr ein eigenes Rudel zu gründen. Jetzt werde ich wohl verhungern müssen, wenn ich nicht zufällig ein Aas finde.

Eine junge Wölfin hat meine Aufmerksamkeit erregt, als ich hier in die Gegend gekommen bin. Sie zeigt mir ein Loch unter einem riesigen Baum, dass sie gegraben hat. Ich finde Gefallen an ihr und etwa zwei Monde später kommen vier Welpen zur Welt. Während sie bei der Fähe saugen, bin ich für die Jagd zuständig. Das kann ich nun leider nicht mehr.

Eine junge Menschin von einem Rudel, ein paar Tage entfernt, durchstreift mit ihren Stöcken den Birkenwald. Sie bleibt stehen und richtet einen Stock waagerecht vor sich. So dreht sie sich um ihre Achse und sichert.

Ich bin schon so geschwächt, dass ich mich am liebsten irgendwo im Schnee ablegen und auf den Hungertod warten möchte. Ich humpele näher an die Menschin heran, kauere mich in den Schnee und schließe ergeben die Augen.

Sie hat mich erspäht und nähert sich mir. Neben mir kniet sie sich in den Schnee, nimmt einen scharfen Stein aus ihrem Fell und schneidet mir die Kehle durch. Während sie mich nun auf den Rücken wälzt und beginnt, mich aus meinem Fell zu schälen, schaue ich ihr zu. Ich habe das Gefühl, auf allen Vieren neben ihr zu stehen. Meine Pfoten sinken nicht, wie üblich, in den lockeren Schnee ein.

Sie erhebt sich nun und sammelt Steine in der Umgebung, mit der sie meinen Körper bedeckt. Ich bin ihr für das alles auf ewig dankbar! Sie hat mich vor dem Verhungern gerettet. Mein Lebenshauch wird ihr folgen und sie beschützen, nehme ich mir vor! Ab jetzt bin ich ihr Totemtier, wie die anderen Mitglieder ihres Rudels das nennen.

Meine Gefährtin ruft mit Wolfsgeheul nach mir. Das Verantwortungsgefühl lässt mich nicht los. Ich nähere mich ihr und drücke mich an ihre Seite. Bald hat sie erkannt, dass sie selbst jagen muss, damit ihre Milch nicht versiegt. In dieser Zeit bleibe ich bei meinen Kindern und achte auf sie. Dabei habe ich immer eine gefühlsmäßige Bindung zu ‚Wolfskind‘.

Meine Gefährtin führt unser Rudel weiter. Einmal hat sie aus der Ferne miterlebt, wie Menschen, die keine Achtung vor dem Leben haben, andere Menschen in den Wald getrieben haben. Dort haben sie ihre Vorderläufe auf die Menschen gerichtet, die große Angst verströmt haben. Dann hat man knallende Geräusche gehört und die verängstigten Menschen sind umgefallen.
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Sa Nov 19, 2022 10:45 am

Unser kleines Rudel ist auf der Jagd gewesen und hat aus der Deckung neugierig zugesehen. Dann ist die eine Gruppe der Menschen weggegangen. Meine Gefährtin hat sich den liegenden Menschen genähert. Sie beobachtet, wie ein menschlicher Welpe unter einer toten Menschin hervorkrabbelt. Der Welpe schaut zu ihr und krabbelt dann auf allen Vieren auf sie zu.

Meine frühere Gefährtin entfernt sich und schaut zurück. Der menschliche Welpe folgt ihr. So führt sie es zu unserer Wohnhöhle und versorgt es mit. Leider wird der Welpe im kommenden Winter krank. Es gibt bellende Geräusche von sich und bewegt sich trotz aller Fürsorge bald nicht mehr.

Als meine Gefährtin gestorben ist und unsere Kinder abgewandert sind, wandert ein neues Rudel in das Revier ein. Ich scheuche des Öfteren Jagdbeute auf, die sich bei den Hetzjagden vor meinen Artgenossen verstecken will. Dazu muss man nur die Panik der Tiere verstärken. Damit erlange ich als Geist das Vertrauen des Alphatieres.

*

Eines Morgens wache ich auf und sehe Blut an meinen Oberschenkeln. Mama beginnt sofort mit dem Ritual, das mich zur Frau macht. Magische Zeichen malt sie mit einer Paste aus Holzkohle und Fett auf meine Haut und spricht im Beisein der alten Frauen unseres Clans Gebete an Manitou und unser Totem, den Wolf.

Einige Tage darauf, inzwischen weiß der ganze Clan davon, bin ich wieder einmal im Wald unterwegs, um für die Schamanin Kräuter und Pilze zu sammeln. Plötzlich erhalte ich einen gewaltigen Stoß in den Rücken, der mich vornüber stolpern lässt. Mich umwendend erkenne ich den jungen Mann, dessen Frau ich niemals sein möchte. Ich laufe weg.

Immer wieder schaue ich über meine Schultern, aber er bleibt mir auf den Fersen. Wieder erhalte ich einen Stoß in den Rücken. Diesmal falle ich auf den Bauch. Bevor ich mich am Boden drehen kann, packen mich zwei starke Hände und drehen mich auf den Rücken. Ich sträube mich, aber es gelingt mir nicht, mich aus dem Griff zu befreien.

Ich schaue in das hassverzerrte Gesicht des jungen Mannes, der mich nach meiner Initiation als Erster angesprochen hat. Vor Verzweiflung beginne ich zu weinen und stoße einen langgezogenen Schrei aus, wie es die Wölfe tun, wenn sie sich sammeln.

Vielleicht eine Minute später, während ich mich verzweifelt wehre, brechen zwei Hände voll Wölfe zwischen den Bäumen hervor. Sie knurren gefährlich und haben ihre Zähne gefletscht, während sie uns einfach überrennen.

Der Angreifer, der auf mir liegt, rappelt sich nun auf und sucht sein Heil in der Flucht.

Die Wölfe sind stehengeblieben, haben sich zu uns umgewandt und drohen. Nachdem der Mann ein paar Meter Abstand zu mir hat, laufen sie hinter ihm her. Zusammen verschwinden sie unter den Bäumen.
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1So Nov 20, 2022 11:21 am

Einer der Wölfe ist stehengeblieben. Nun nähert er sich mir ganz langsam. Ich bleibe ganz ruhig auf dem Rücken liegen. Als er mich erreicht, legt er sich mit Körperkontakt neben mich ab. Ich wende mich ihm zu und nähere mich mit meiner Hand vorsichtig seinem Kopf. Sanft streiche ich ihm zwischen den Ohren über das Fell. Er genießt meine dankbaren Zärtlichkeiten.

Plötzlich höre ich einen Schrei, gefolgt von einem Grollen, wie von einem Steinschlag. Bald darauf ist das Rudel zurück bei mir. Sie zeigen mir gegenüber keine Drohgebärden. Der Alpharüde an meiner Seite erhebt sich nun, stupst mich mit der Nase an und verlässt mich. Kurz darauf ist das ganze Rudel zwischen den Birken verschwunden.

Auch ich erhebe mich und gehe langsam in unsere Siedlung zurück. Leider bringe ich meiner Mama heute keine Kräuter und Pilze aus dem Wald. Stattdessen setze ich mich stumm neben sie und lehne mich bei ihr an. Sie lässt mich zur Ruhe kommen.

*

‚Wolfskind‘, wie die junge Menschin von ihresgleichen genannt wird, seit sie mit meinem Pelz zu ihrer Familie zurückgekehrt ist, kommt eines Tages in den Wald gelaufen. Voller Angst schaut sie zwischen den Birken immer wieder hinter sich. Sie wird von einem Menschen aus ihrer Gruppe verfolgt.

Ich führe das neue Rudel in die Nähe.

Nun hat der Mensch ‚Wolfskind‘ erreicht und wirft sie um. Die Menschin fällt auf den Bauch. Der Mensch verströmt triumphierende Gefühle. Er dreht sie auf den Rücken und nestelt an ihrem Fell herum. ‚Wolfskind‘ ist voller Adrenalin und Angstgefühlen.

Das Rudel hat die beiden Menschen erreicht. Es überrennt sie und der Rudelführer schnappt dabei kurz zu. Dann stoppen die Tiere und schauen zurück. Nun verströmt der Mensch, der auf ihr gelegen hat, ebenfalls Angst. Er rappelt sich auf und rennt kopflos davon.

Während der Rudelführer sich ‚Wolfskind‘ vorsichtig nähert, hetzt das Rudel den Menschen durch den Wald. Er rennt kopflos auf eine Schlucht zu und fällt rutschend und Purzelbäume schlagend die steile Wand hinunter. Am Fuß der Schlucht fließt ein Wildbach. Dort bleibt er liegen und rührt sich nicht mehr. Das Rudel schaut ihm vom Rand der Schlucht hinterher.

Der Rudelführer hat ‚Wolfskind‘ erreicht und legt sich neben der Menschin ab. Er drückt sich an sie. Bald wendet sie sich ihm zu und streicht ihm zwischen den Ohren über den Kopf. Er genießt es und auch ich fühle große Zuneigung für ‚Wolfskind‘. Dann ist das Rudel wieder heran und der Rudelführer erhebt sich, um die unterbrochene Jagd mit dem Rudel wieder aufzunehmen.

Irgendwann verliebt sich ‚Wolfskind‘ in einen jungen Mann und im Laufe mehrerer Sommer bekommen sie drei Welpen. Bei Menschen dauert es viele Sommer, bis die Welpen so selbständig sind wie unsere Jährlinge. Dann schenken sie ‚Wolfskind‘ Enkel. Ihre Mutter ist inzwischen heimgegangen. Vorher hat sie ihrer Tochter ihr Wissen über die Kräuter der Natur und die Geisterwelt weitergegeben.
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Mo Nov 21, 2022 10:14 am

Nach vielen Sommern stirbt auch ‚Wolfskind‘ als altgewordene Menschin. Nun bin ich frei, mir einen anderen jungen Wolf zu suchen, der noch im Mutterleib heranwächst, um ein neues Leben zu beginnen. Ich werde noch viele Male wiedergeboren. Die Welt um uns verändert sich rasch. Die Wälder werden kleiner. Die Menschen bewegen sich neuerdings in lauten und stinkenden Untieren fort.

Wir halten uns in den Sommern von ihnen fern. In den Wintern kommen wir ihnen zwangsläufig näher, bleiben aber immer vorsichtig auf Abstand.

*

Wieder einmal habe ich mit einer Wölfin eine Familie gegründet. Unser Rudel umfasst meine Gefährtin und mich, sowie vier überlebende Jährlinge. Zwei unserer Welpen sind im Laufe des Sommers verstorben. Jetzt ist es wieder Winter und der Schnee reicht uns bis zum Bauch. Die Menschen halten ihre Wege mit großen stinkenden Ungetümen vom Schnee frei.

Wir streifen durch die Landschaft auf der Suche nach Beute, als starker Schneefall einsetzt. Gleichzeitig frischt der Wind auf und verweht den Schnee, der die Landschaft bedeckt.

Wir hören in einiger Entfernung auf dem Weg der Menschen solch ein stinkendes und lautes Untier mit vier glühenden Augen näherkommen. Also unterbrechen wir die Nahrungssuche für den Moment und ducken uns in den Schnee. Das Untier rutscht plötzlich seitwärts und seine Gliedmaßen wühlen sich tiefer in die Schneeverwehung.

Einen kurzen Moment passiert nichts mehr. Nur das Glühen der Augen erlischt. Dann klappt ein Flügel nach vorne auf und eine Menschin kommt zum Vorschein. Sie entfernt sich von dem Untier und versucht den Weg zu Fuß weiter zu gehen. Ich schnüffele und spüre, dass sie hochgradig erregt ist. Gleichzeitig ist sie äußerst besorgt.

In mir ist eine große Vertrautheit und tiefe Dankbarkeit gegenüber der Menschin. Warum das so ist, weiß ich im Augenblick nicht. Aber es ist ungewöhnlich genug, da wir uns sonst misstrauisch gegenüber verhalten. Ich will meine Gefühle erkunden, deshalb erhebe ich mich und trabe so gut das geht durch den Schnee, parallel zu dem Weg, den die Menschin nimmt. Meine Gefährtin und die Jährlinge folgen mir.

Plötzlich erspüre ich den Geruch von Schmerz. Die Menschin schaut sich um. Der Wind hat an einer Stelle am Wegesrand den Schnee fast vollständig fortgeweht. Dorthin wendet sie sich jetzt. Schmerz kann ich nun keinen mehr spüren. Der Geruch von Angst ist jetzt stärker. Dann bricht die Menschin zusammen und ist nicht mehr sichtbar.

Sofort ändere ich meine Richtung und laufe hüpfend durch den tiefen Schnee dorthin, wo die Menschin zuletzt sichtbar gewesen ist. Ich sehe sie im flachen Schnee auf der Seite liegen. Sie scheint zu schlafen. Ich beuge meine Läufe, mache mich klein und krieche nahe an ihren Kopf heran. Hier versuche ich ihren Kopf zu stützen. Meine Gefährtin und die Jährlinge umringen die Menschin und versuchen, sie vor dem kalten Wind zu schützen.

Bald darauf spüre ich wieder diesen Schmerz in der Menschin. Sie erwacht davon, dreht sich auf den Rücken und zieht die Hinterläufe an. Als ich vor langer Zeit ‚Wolfskind‘ als ihr Totemtier durch ihr Leben begleitet habe, habe ich dieses Verhalten immer wieder gesehen. So gebären Menschinnen ihre Welpen. Da ihr Rumpf auch sehr dick ist, wird mir klar, was hier geschieht. Ich wende meinen Kopf zu meiner Gefährtin, die stoßartig ausatmet. Sie hat die Situation ebenfalls erkannt.
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Di Nov 22, 2022 9:26 am

Meine Gefährtin schiebt sich langsam zwischen die Beine der Menschin. Da ist schon der Kopf des neugeborenen Welpen zu sehen. Kurz darauf ist der Welpe vollständig zur Welt gekommen. Bis dahin hat die Menschin immer wieder aufgestöhnt und dann gehechelt. Meine Gefährtin beißt behutsam die Nabelschnur durch. Sie und meine Tochter lecken den Welpen sauber.

Dann kommt die Nachgeburt aus der Menschin. Sofort frisst es meine Gefährtin auf. Es muss unbedingt verhindert werden, dass jemand hier draußen das Blut riecht! Die Menschin versucht währenddessen, ihren Welpen mit den Vorderläufen zu erreichen. Sie müht sich verzweifelt ab. Meine Gefährtin stupst nun den Welpen an und es gibt Laut.

Endlich hat die Menschin ihren Welpen zu fassen bekommen. Sie wiegt es mit einem Vorderlauf und versucht sich mit dem anderen ihr Fell zu öffnen. Dann legt sie ihren Welpen an und beginnt es zu stillen. Ich setze mich an ihre Seite und versuche, sie zu beruhigen, indem ich ihr über die Wangen lecke. Meine Familie rückt noch näher an die Menschin, um sie und ihren Welpen zu wärmen.

*

Es ist früher Morgen. Mein Wecker klingelt. Ich erhebe mich mühevoll aus dem Bett. In ein paar Tagen soll unsere Tochter geboren werden. Heute habe ich meinen letzten Untersuchungstermin. Vor einer Stunde ist mein Mann Clyde zu seiner Arbeit aufgebrochen. Er ist bei den Firefighters. Sie besitzen auch mehrere dieser riesigen Schneefräsen. Bei der jetzigen Wetterlage ist jeder Mann gefragt. So hat er mich nicht begleiten können. Aber da wir zwei Autos besitzen, komme ich auch selbst zu meinem Frauenarzt.

An diesem Morgen kann ich nicht viel essen. Also ziehe ich meinen Parka an, verlasse das Haus und gehe zum Auto. Ich setze mich hinter das Steuer, was mit der riesigen Kugel, die ich mit mir herumtrage, nicht leicht ist. Gedankenverloren streiche ich mir zärtlich über den Bauch. Dann schnalle ich mich an, starte den Wagen und schalte die Scheinwerfer ein. Clyde hat die Einfahrt gewissenhaft freigeräumt, bevor er weggefahren ist. Ich liebe ihn dafür.

Um diese Zeit ist nicht viel los auf der Straße. Ich lasse den Wagen rückwärts vom Grundstück rollen und lenke ihn in den Straßenverlauf. Dann fahre ich los und verlasse unseren Ort. Mein Frauenarzt hat seine Praxis in der Kleinstadt etwa zwanzig Meilen entfernt.

Ich fahre langsam über die Country-Road, denn kaum habe ich unseren Ort verlassen, rüttelt der Wind am Auto. Er trägt den in der Nacht gefallenen Schnee mit sich fort und behindert deshalb meine Sicht. Ich schalte zusätzlich die Nebelscheinwerfer ein und die Scheibenwischer.

Über eine halbe Stunde bin ich nun schon über die Country-Road ‚gekrochen‘, darauf achtend, dass ich wegen der Schneeverwehungen nicht von der Straße abkomme. Mein Stress scheint sich auf mein ungeborenes Mädchen zu übertragen. Es wird aktiver in meinem Bauch. Da rutscht der Wagen seitwärts weg und eines der vorderen Antriebsräder wühlt sich am Straßenrand tiefer. Ich will nicht auf freier Strecke liegenbleiben. Nicht in meinem Zustand! Also schalte ich das Differential hinzu und versuche mit dem Vierradantrieb frei zu kommen. Aber da rutscht der Wagen auch hinten in den Graben. Das war es also…
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Mi Nov 23, 2022 10:28 am

Ich schalte den Motor aus und öffne die Tür. Zu Fuß brauche ich noch zwei Stunden zu meinem Arzt. In der Hoffnung, dass ich das schaffe, quäle ich mich mit dem großen Bauch aus dem Auto. Ich schalte die Warnblinkanlage ein und schließe die Fahrertür, dann gehe ich los. Der Wind ist ziemlich stark und der Schnee, den er mit sich führt, kriecht mir in alle Ritzen.

Mein ungeborenes Mädchen ist unruhig. Beruhigend streiche ich mir über den Bauch. Dies ist unser erstes Kind. Clyde hat mir versprochen, bei der Geburt dabei zu sein. Wenn das Wetter nicht bald besser wird, wird daraus wohl nichts. Ich schicke ein Stoßgebet gen Himmel und empfehle unser Mädchen in Gottes Hände. Er möge mir Schutzengel schicken.

Plötzlich fühle ich einen stechenden Schmerz. Nur das nicht! Nicht schon jetzt, meine Kleine! Nicht hier!

Ich schaue mich um, und sehe in der Nähe in dem grauen Dämmerlicht eine leichte Anhöhe am Straßenrand. Der Wind hat hier den Schnee fast vollständig fortgeweht. Meine Schritte führen mich dorthin. Es fällt mir zunehmend schwerer zu gehen. Jetzt hätte ich meine Skistöcke gut gebrauchen können.

Endlich habe ich die kleine Anhöhe erreicht und setze mich straßenseitig auf den flachen Hang. Kaum habe ich mich niedergelassen und eine gewisse Erleichterung macht sich in mir breit, als mir schwarz vor Augen wird und ich bewusstlos werde.

Wieviel Zeit vergangen ist weiß ich nicht zu sagen, als ich erwache. Es ist noch genauso grau. Eine weitere Wehe hat mich aus der Bewusstlosigkeit geholt. Ich finde mich auf der Seite liegend, eng umringt von graubraunen Pelzen, die mich vor dem kalten Wind schützen. Ein Grautier hat sich so an meinen Kopf gelegt, dass er gestützt wird. Als ich realisiere, in welcher Situation ich mich befinde, bekomme ich einen Riesenschreck und denke spontan:

‚Oh, hail Mary help!‘

Der Wolf, der meinen Kopf stützt, wendet seinen Kopf mir zu, lässt seine Zunge hervorschnellen und zieht sie mir über das Gesicht. Dabei wischt er feinen Schnee fort. Wieder spüre ich eine Wehe. Ich drehe mich und setze mich halb auf, auf meine Ellbogen gestützt. Meine Beine stelle ich auseinander und ziehe die Knie an. Dann beginne ich zu hecheln und versuche die Wölfe um mich herum gedanklich auszublenden, mich stattdessen auf mein Mädchen zu konzentrieren, das sich diesen ungewöhnlichen Ort für seine Geburt ausgesucht hat.

Um mich abzulenken, lasse ich meine Gedanken wandern. Meine Großmutter hat mir als kleinem Mädchen erzählt, dass unsere Familie zu den First Nations gehört. Unser Volk nennt sich Tlingit und unsere Familie gehört zu den Laxgibuu -Wolfs-Clan-. Sie ist noch die Schamanin des Clans gewesen, bevor die Whites unser Land durch Straßen erschlossen und sie sich hier angesiedelt haben.

Unser Totemtier ist der Wolf gewesen. Es hat einige Begegnungen mit den Raubtieren gegeben, die sie in unseren Augen als nicht gefährlich erscheinen lassen. Jedenfalls, wenn man sie selbst auch respektvoll behandelt und mit Achtung vor der Kreatur gegenübertritt.

Die Wehen kommen in immer kürzeren Abständen. Plötzlich kriecht einer der Wölfe zwischen meine Beine. Er macht das fast wie in Zeitlupe und schiebt dabei seinen Bauch über die Erde. Dann spüre ich, dass ‚Gibaa Mary‘ -Wölfin Maria-, meine Tochter, das Licht der Welt erblickt hat. Ich krümme den Rücken, um mit den Armen an meine Tochter zu kommen, bin im Moment aber zu schwach. Der Wolf zwischen meinen Beinen stupst meine Kleine vorsichtig an. Ein Schrei entfährt ihrer Brust und sie beginnt zu weinen. Ein weiterer Wolf schiebt sich unter meiner Kniekehle näher und nun lecken beide Wölfe mein Mädchen sauber. Dann rutscht die Nachgeburt heraus. Der erste Wolf schnappt sie sich und frisst sie auf, während der jüngere Wolf weiter mein Mädchen leckt.
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Do Nov 24, 2022 10:42 am

Inzwischen habe ich geschafft, mich aufzusetzen und mein Mädchen aufzunehmen. Ich öffne meinen Parka, schiebe meinen Pullover und den BH hoch und lege mein Mädchen an die Brust. Sofort beginnt es zu trinken. Alle Wölfe rücken noch näher an mich heran und schützen mich mit ihren Körpern vor dem kalten Wind. Der Wolf, der anfangs meinen Kopf gestützt hat, setzt sich auf und wäscht mir mit seiner Zunge von Zeit zu Zeit den Schnee aus dem Gesicht. Ich habe inzwischen die Kapuze des Parkas über den Hinterkopf ziehen und ihn vorne weitgehend wieder schließen können.

Jetzt höre ich, wie ein anderes Auto aus unserem Ort näherkommt. Der Fahrer hat wohl meinen Wagen gesehen, dessen Warnblinkanlage immer noch arbeitet. Er hält vor meinem Wagen und zwei Männer steigen aus. Sie sehen, dass mein Wagen unbesetzt ist und schauen sich um. Danach folgen sie der Straße in meine Richtung und schauen immer noch, ob sie jemanden oder etwas entdecken können.

Als sie nah genug sind, erkenne ich zwei Police-Officer. Sie ziehen ihre Revolver. Ich rufe ihnen entgegen:

„Nicht schießen! Bitte, nicht schießen!“

Aber schon ertönen Schüsse. Ich lasse mich nach hinten fallen und die Wölfe flüchten ins Hinterland. Bei mir angekommen, helfen sie mir auf und fragen mich:

„Hello, Lady. Are you okay?“

Ich bestätige es ihm und erkläre gleich, dass dem wohl nicht so wäre, wenn mich das Wolfsrudel nicht gewärmt hätte. Auch bemerke ich, dass die Alphawölfin Hebamme für meine neugeborene Tochter gespielt hat. Zur Bestätigung öffne ich den Parka ein Stück weit und zeige ihnen meine Tochter.

Während wir zu den Autos gehen und sie mich dabei stützen, fragen sie mich, was mit meinem Auto los ist. Ich erkläre ihnen meine Panne. Daraufhin bieten sie mir an, mich mit meinem Mädchen ins nächste Krankenhaus zu bringen. Gerne sage ich zu und setze mich in den Streifenwagen.

*

Irgendwann hören wir wieder das typische Geräusch eines anderen Untiers. Dann sehen wir dessen leuchtende Augen. Normalerweise hätten wir jetzt Abstand genommen. Aber ich werde die Menschin nicht alleinlassen! Ich weiß jetzt, wer sie ist: Ich spüre den Lebenshauch von ‚Wolfskind‘ in ihr, der Menschin, die mich vor langer Zeit getötet hat, damit ich nicht elendig verhungere, weil ich kein Beutetier mehr jagen kann. Sie hat mich erlöst, wofür ich sie ihr Leben lang beschützt habe. Nun haben wir uns also in einem anderen Leben wieder getroffen und ich werde sie erneut beschützen.

Zwei Menschen steigen aus dem Untier und untersuchen das tote Untier von ‚Wolfskind‘. Dann folgen sie dem Weg und kommen näher, während sie sich immer wieder umschauen. Schließlich haben sie uns entdeckt. Sie rufen sich gegenseitig etwas zu. Ich spüre große Erregung. Dann zeigen sie mit ihren Vorderläufen in unsere Richtung. Nun blitzt es an der Spitze ihrer Vorderläufe auf und gleichzeitig ertönen knallende Geräusche.

Wir erheben uns und laufen hüpfend durch den tiefen Schnee davon. Nach einer Weile bleibe ich stehen und schaue zurück. Mit mir beobachten die übrigen Mitglieder meiner Familie was sich bei ‚Wolfskind‘ tut. Die beiden Menschen haben sie inzwischen erreicht und helfen ihr aufzustehen. Sie hat ihren Welpen in ihrem Fell verborgen und hält es warm.
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Fr Nov 25, 2022 10:12 am

Die Menschen nehmen ‚Wolfskind‘ in ihre Mitte und stützen sie. So gehen sie zu ihrem Untier zurück. Dort kriechen sie ins Innere und das Untier bewegt sich auf dem Weg an uns vorbei.

*

Clyde besucht mich im Krankenhaus und kann uns auch gleich mit nachhause nehmen. Die Ärzte in der Neugeborenen-Station haben Gibaa Mary untersucht und sie als völlig gesund diagnostiziert. Auch hat mich ein Gynäkologe besucht und mich ebenfalls untersucht. Auch er hat nichts gefunden, was einen Klinikaufenthalt rechtfertigen würde. Ich musste den Hergang der Geburt erzählen und alle sind erstaunt über das professionelle Abnabeln der Wölfin. Eine Infektion hat man nicht feststellen können.

Auf der Heimfahrt lässt Clyde sich von mir die Stelle zeigen, wo ich entbunden habe. Er legt einen Arm beschützend über meine Schulter. Kurz darauf sehe ich die Stelle, an der mein Wagen in den Graben gerutscht ist. Der Schnee ist aufgewühlt, aber mein Auto ist nicht zu sehen. Ich schaue fragend zu Clyde neben mir. Er spürt meinen Blick und erklärt:

„Ich bin benachrichtigt worden. Daraufhin hat mich ein Kumpel hergefahren. Wir haben den Wagen auf die Country-Road gezogen und nachhause geschleppt. Dort haben wir den Wagen durchgecheckt und kein Problem gefunden. Du bist wohl auf einer Eisplatte unter Flugschnee weggerutscht.“

Ich atme einmal tief durch. Zum einen bin ich erleichtert, dass wir den Wagen nicht in eine Werkstatt geben müssen. Zum anderen auch, weil dabei die Erinnerung an meinen Schreck wieder hochsteigt.

„Ich werde irgendwann hierher zurückkommen und mich bei den Wölfen bedanken!“ sage ich mit fester Stimme. „Ich werde Gibaa Mary ihren Rettern vorstellen. Sie soll an die tiefe Verbindung der Vorfahren mit ihren Totemtieren anknüpfen können.“

„Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist?“ fragt er unsicher zurück.

*

Zwei Sommer später hält so ein Untier genau dort am Wegesrand, wo wir ‚Wolfskind‘ bei der Geburt ihres Welpen beigestanden haben. Es ist Jagdzeit, denn der neue Tag dämmert gerade. Eine Menschin verlässt das Untier und hebt einen Welpen heraus. Sie hält ihren Welpen am Arm, der schon auf seinen Hinterbeinen gehen kann, wie die erwachsenen Menschen. Eines meiner Rudelmitglieder hat sie kommen gesehen und mich informiert.

Ich laufe zu dem Ort am Wegesrand und mein Rudel folgt mir. Wir sind inzwischen auf neun Köpfe angewachsen. Als ich ‚Wolfskind‘ erschnüffele, hat sie sich am Wegesrand niedergelassen und ihr Welpe sitzt auf ihren Hinterläufen.

Ich nähere mich den Beiden wie in Zeitlupe und nehme einen Zweig auf, gegen den ich im hohen Gras stoße. Den Zweig lege ich vor den Beiden ab und lasse mich neben ihnen nieder. Mein Rudel ist inzwischen ebenfalls herangekommen. Meine Gefährtin nähert sich vorsichtig ‚Wolfskinds‘ Welpen und stößt es mit der Nase an.
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Sa Nov 26, 2022 12:37 pm

Der Welpe verströmt widerstreitende Gefühle. Ich rieche Furcht und Neugier. Es klammert sich an seine Mutter und schaut uns aus den Augenwinkeln an. ‚Wolfskind‘ küsst ihren Welpen zwischen die Augen und streckt ihre Hand nach mir aus. Sie beginnt, mich zwischen den Ohren zu streicheln. Ich lege meinen Kopf auf meinen Vorderpfoten ab und genieße die Nähe und Zuwendung.

Nach wenigen Augenblicken überwiegt die Neugier des Welpen und es wendet sich mir zu. ‚Wolfskind‘ sagt etwas und zeigt auf meine Gefährtin. Nun wendet sich der Welpe meiner Gefährtin zu. Es streckt seine kleinen Vorderläufe ihr entgegen und krault sie zwischen den Ohren. Da meine Gefährtin nun auch ihren Kopf auf ihre Vorderläufe ablegt, löst sich der Welpe von seiner Mutter und nähert sich meiner Gefährtin. Es küsst meine Gefährtin auf die Stirn, geht auf alle Viere und legt sich eng an sie.

‚Wolfskind‘ hat einen Hohlraum neben sich stehen, den sie jetzt öffnet. Sie nimmt Keulen heraus, die wunderbar nach Sitka-Rehen riechen. Jedes Rudelmitglied erhält von ihr solch ein nahrhaftes Geschenk. Wir fressen an Ort und Stelle. Nachdem wir ihr Geschenk verspeist haben, erhebt sich ‚Wolfskind‘ wieder und ruft ihren Welpen zu sich. Sie klettern wieder in das Untier und kurz darauf wendet es und läuft den Weg zurück. Wir entfernen uns ebenfalls langsam vom Weg. Sicher werde ich ‚Wolfskind‘ noch öfter treffen. Wir kennen nun ihren und den Geruch ihres Welpen.

*

Als meine kleine Mary etwa zweieinhalb Jahre alt ist, mache ich in aller Frühe zehn Rehkeulen fertig. Ich habe sie spätabends aus der Gefriertruhe genommen und auftauen lassen. Clyde muss noch im Dunkeln zur Arbeit. Wir haben also gerade kurz nach drei Uhr, als ich mit ihm am Kaffeetisch sitze und ihn verabschiede. Was ich heute vorhabe, weiß er nicht. Ich habe ihm nichts erzählt, damit er sich keine Sorgen macht.

Nachdem er seinen Kaffee ausgetrunken und sich von mir verabschiedet hat, gieße ich mir noch eine Tasse voll und brate mir ein Rührei, dass ich mit Weißbrot und Ahornsirup zum Kaffee esse. Anschließend mache ich Mary ihr Fläschchen und wecke unser Mädchen. Nachdem auch sie satt ist, gehen wir zum Auto. Ich setze sie auf den Kindersitz, schnalle sie an und setze mich hinter das Steuer.

Ich verlasse den Ort auf der Country-Road und halte auf den kleinen Hügel am Straßenrand zu, Marys Geburtsort. Dort angekommen stoppe ich den Wagen am Straßenrand, schalte vorsorglich die Warnblinkanlage ein und hebe Mary aus dem Sitz. Sie hält sich in meiner Nähe, während ich die Türen schließe. Danach nehme ich ihr Händchen in meine Hand und zusammen wandern wir in ein paar Schritten den flachen Hügel hinauf. In der anderen Hand habe ich die gefüllte Kühlbox mit meinem Willkommensgeschenk an das Rudel hier.

Auf dem höchsten Punkt des Hügels lasse ich mich im Schneidersitz auf dem Boden nieder, stelle die Box neben mich und nehme Mary auf meinen Schoß. Der Morgen dämmert gerade. Wir erleben einen wundervollen farbenprächtigen Sonnenaufgang. Ich bin voller Vorfreude.

Nach kurzer Zeit spüre ich die Annäherung von Tieren. Den Kopf wendend, erkenne ich ein großes Rudel in einigem Abstand, aus dem sich ein Tier gelöst hat und langsam mit gesenktem Kopf näherkommt. Sofort wende ich mich wieder ab. Der Wolf soll sich nicht provoziert fühlen.
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1So Nov 27, 2022 11:12 am

Neben mir angekommen, legt er sich ab und lässt etwas aus seinem Maul fallen. Ich sehe, dass er mir einen Zweig mitgebracht hat. Ich streiche ihm zärtlich über die Stirn und kraule seine Ohren. Nun nähern sich auch die anderen Wölfe. Minuten später sind Mary und ich von einem großen Rudel umringt. Dem Alpharüden gegenüber hat sich ein Wolf niedergelassen und sich leicht auf die Seite gedreht, so dass man zwei Reihen Zitzen auf dem Bauch sehen kann. Sie reckt sich und stupst Mary sanft mit der Nase an.

Mary drückt sich furchtsam an mich, schaut aber neugierig auf die Tiere um uns herum, die sich vollkommen friedlich verhalten. Ich habe fast den Eindruck, dass wir in ihren Augen zu ihrem Rudel dazu gehören. Ich versuche ihr die Furcht zu nehmen, indem ich sie auf die Stirn küsse. Wieder strecke ich meine Hand nach dem Rüden aus und streichele ihn.

Meine Kleine schaut interessiert zu und streckt dann auch ihr Händchen nach dem Rüden aus. Ich lächele und schlage ihr vor:

„Liebes, schau! Hier liegt auch deine Hebamme. Sie hat bei deiner Geburt liebevoll geholfen.“

Ich zeige auf die Wölfin auf der anderen Seite. Mary dreht ihr Köpfchen und schaut die Wölfin an. Meine Kleine erhebt sich, macht einen Schritt auf die Wölfin zu, beugt sich zu ihr hinunter und umarmt sie mit ihren kurzen Ärmchen. Dann legt sich Mary eng an die Wölfin.

Nun öffne ich die Kühlbox und verteile die Rehkeulen an das Rudel. Ich warte, bis die Wölfe mein Geschenk verspeist haben. Danach erhebe ich mich, streiche dem Alpharüden und seiner Gefährtin noch einmal über den Kopf und nehme Mary auf den Arm.

Ich gehe zum Auto zurück und setze Mary in ihren Kindersitz. Anschließend setze ich mich auf den Fahrersitz, drehe das Seitenfenster herunter und heule kurz wie ein Wolf. Das Rudel hat sich erhoben und antwortet mir. Danach wende ich den Wagen und fahre in unseren Ort zurück.

*

Jahre danach kommt Gibaa Mary in die Primary School von Clearwater. Eine der Lehrerinnen begleitet die Lieder der Kinder im Musikunterricht mit einer Geige. Irgendwann zeigt sie den Kindern was die Geige alles kann und ahmt damit Geräusche der Natur nach. Täuschend echt hören die Kinder den Wind pfeifen, Vogelstimmen und Wölfe heulen.

Das fasziniert unsere Kleine so sehr, dass sie uns in den Ohren liegt, ihr ebenfalls eine Geige zu kaufen, damit sie darauf üben kann. Clyde ist nicht sehr erbaut von Marys Wunsch, denn eine Konzertgeige ist nicht billig. Natürlich pflichte ich ihm bei, aber ich erkläre ihm:

„Sie braucht in ihrem Alter erst einmal eine Schülergeige. Für ihre Größe ist eine ½ Geige gerade richtig. Die ist nicht so teuer. Vielleicht können wir für Mary auch eine gebrauchte Geige bekommen. Lass‘ ihr doch die Freude!“

„Freude? Das ist zuerst einmal harte Arbeit, bis vernünftige Töne zu hören sind!“ meint er.
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Mo Nov 28, 2022 8:46 am

Ich nicke und gebe ihm einen Kuss. Man soll einem Kind keine Entwicklung verbauen, meine ich. Ob Mary früher oder später die Lust an dem Instrument verliert, soll sie selbst entscheiden dürfen. Wir erstehen also solch ein Schüler-Instrument und schenken es ihr zu Nikolaus, nachdem wir es professionell stimmen gelassen haben.

Zuerst kommen tatsächlich nur klägliche Töne aus dem Instrument. Zu Weihnachten haben wir auf meine Vermittlung ein 20jähriges Mädel von der Musikschule engagiert. Sie zeigt Mary verschiedene Griffe und wie man den Geigenbogen optimal hält. Nun kommen schon bessere Töne aus dem Instrument. Mary lernt durch nachahmen. Sie mag am liebsten moderne Musikstücke. Zwischendurch geht sie immer mal wieder vor die Tür, hinaus in die Prärie und fährt mit ihrem Rad in den nahen Wald, um Naturgeräusche zu hören und nachzuahmen.

Gegen Ende der Primary School empfiehlt uns ihre Lehrerin, sie auf der Musikschule in der nahen Stadt anzumelden. Ich bin dafür. Leider ist Clyde dagegen.

Eines Tages bekomme ich starke Bauchschmerzen. Mary ist in der Schule und Clyde ist arbeiten. Ich lege mich ins Bett und versuche, eine Position zu finden, bei der die Schmerzen erträglich sind. Da mir das nicht gelingt, rufe ich die 999 an und erkläre dem Dispatcher welches Problem ich habe. Er verspricht mir, dass in wenigen Minuten Hilfe kommt. Also quäle ich mich wieder aus dem Bett und öffne die Haustür. Dann wird mir schwarz vor Augen.

Als ich wieder zu mir komme, hat sich ein fremder Mann über mich gebeugt und Wiederbelebungs-Maßnahmen angewandt. Nun legen sie mich auf eine Trage. Ein anderer Mann fragt nach meiner Krankenversicherungskarte. Ich erkläre ihm mit schwacher Stimme, wo ich meine ID-Card und die Health-Card aufbewahre, dann werde ich in den Krankenwagen geschoben und ein Zugang für das Schmerzmittel wird gelegt.

"Schreiben Sie bitte eine Notiz für meine Tochter und meinen Mann, damit sie Bescheid wissen, wenn sie nachhause kommen," flüstere ich noch.

Der zweite Mann verspricht es mir. Kurz darauf geht die Fahrt los. Unterwegs habe ich das Gefühl, über mir zu schweben und auf mich herabsehen zu können. Der Mann, der neben mir sitzen geblieben ist, beginnt erneut mit Wiederbelebungs-Maßnahmen.

Ich möchte noch nicht sterben! Ich möchte meine Kleine aufwachsen sehen! Obwohl diese Wünsche so stark in mir werden, entferne ich mich weiter von meinem Körper. Jetzt schwebe ich schon über dem Krankenwagen. Ein Stoßgebet formt sich in meinen Gedanken. Ich bitte Gott um einen Aufschub irgendeiner Art. Gleichzeitig beginne ich uralte Gebete zu rezitieren, die ich von meiner geliebten Großmutter oft gehört habe, der Schamanin der Laxgibuu, des Wolfs-Clans der Tlingit.

Mein Geist lässt nun den Krankenwagen unter mir davonfahren. Er schwebt zu dem Wäldchen, in dem sich das Wolfsrudel aufhalten muss, das mir sehr verbunden ist. Irgendwie habe ich das Gefühl, von einem der Wölfe angezogen zu werden. Vom Alpharüden, etwa? Es dauert nicht lange, da sie ich sie aneinander gekuschelt in einer Höhle unter einem Baumriesen liegen. Sie haben wohl das Wurzelwerk des Baumes freigeräumt und sich einen Unterschlupf geschaffen.
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Di Nov 29, 2022 11:38 am

Ich lasse mich bei ihnen nieder und berühre den Alpharüden mit meiner Hand. Das heißt, ich will ihn berühren und ihm über den Kopf streicheln. Ohne Körper ist mir das allerdings nicht möglich. Aber allein der Wille, das zu tun, scheint seine Wirkung nicht zu verfehlen. Der Wolf öffnet die Augen. Sicher kann er mich nicht sehen, aber ich habe den Eindruck, dass er mich spüren kann. Ein Gefühl grenzenloser Zuneigung überschwemmt mich. Ich sinke in ihrer Mitte zu Boden. In der Folgezeit achte ich auf die neugeborenen Welpen, während die Eltern in der Morgen- und Abenddämmerung jagen. Die vier ältesten Welpen sind inzwischen abgewandert, um irgendwo neue Rudel zu gründen.

*

Als Dad am Spätnachmittag von der Arbeit kommt, unterbreche ich mein Geigenspiel, lege sie zur Seite und laufe ihm entgegen. Im Livingroom umarme ich ihn und informiere ihn:

„Mama ist krank!“

„So? Was hat sie denn?“ fragt er zurück.

„Ich weiß es nicht!“ antworte ich und drücke mich an ihn. „Als ich aus der Schule gekommen bin, hat dieser Zettel an der Haustür geklebt…“

Ich gebe Dad den Zettel. Er liest laut:
„Dear Clyde. This is Jake. We’ve got an emergency call from Liz und found her laying unconscious on the floor. We did the resuscitation and are now taking her to the St.Johns Hospital.“

„Hm,“ macht Dad. „Komm, wir fahren ins Krankenhaus.“

Er dreht um und ich folge ihm zum Auto. Ungefähr eine halbe Stunde später parkt Dad auf dem Parkplatz vor St.Johns. Wir sind beide unruhig, als wir an die Rezeption herantreten und die Angestellte ansprechen.

„Hello, we are Clyde Smit and daughter. Did a patient come in here today by the name of Elizabeth Smit?“

Sie tippt den Namen in ihren Computer. Dann schaut sie auf und fragt:
„Bitte, wann war das heute?“

Dad schüttelt bedauernd den Kopf und antwortet:
„Leider weiß ich das nicht. Sie wurde von einem Krankenwagen aus Clearwater hergebracht.“

Wieder tippt sie etwas ein und schaut auf den Bildschirm. Dann meint sie:
„Setzen Sie sich bitte dort! Ich rufe jemand, der Sie führen kann.“

Die Angestellte telefoniert. Wenige Minuten später kommt ein Mann in einem weißen Kittel. Er schaut sich um und fragt:

„Mister Smit?“
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Mi Nov 30, 2022 11:11 am

Dad erhebt sich und macht einen Schritt auf den Mann zu. Ich stehe ebenfalls von meinem Stuhl auf und stelle mich neben Dad. Die beiden Männer haben sich gerade mit Handschlag begrüßt. Nun schaut der Arzt auf mich und fragt:

„Du bist die Tochter?“

Ich nicke eifrig und bestätige es ihm. Er legt die Stirn in Falten und meint:
„Darf ich dich bitten, hier zu warten? Ich möchte deinem Vater etwas zeigen. Es dauert nicht lange.“

„Okay,“ gebe ich zurück und gehe zu meinem Stuhl. Dad geht mit dem Mann davon.

Nach einiger Zeit kommt Dad zurück. Er winkt mir stumm. Es scheint, als blickt er durch mich hindurch. Wir verlassen das Krankenhaus und fahren nach Clearwater zurück. Die ganze Fahrt über sagt Dad kein Wort und ich wage es nicht, ihn nach Mummy zu fragen. Dad fährt zum Haus meiner Großeltern. Grandma ist eine geborene Tlingit, gehört also zu den First Nations. Er klopft an die Tür und Grandpa öffnet. Ich falle ihm um den Hals und laufe zu Grandma. Beide haben im Diningroom beim Dinner gesessen.

Sie bieten uns an, uns hinzu zu setzen, nachdem Grandma gefragt hat, ob wir schon gegessen haben. Grandma geht an den Schrank und holt noch zwei Gedecke für uns an den Tisch. Sie füllt mir den Teller und ich beginne mit Heißhunger zu essen, habe ich doch seit heute Vormittag in der Schule nichts mehr gegessen. Dad sitzt vor dem leeren Teller, stützt plötzlich seinen Kopf in die Hände und beginnt haltlos zu weinen. Vor ihm liegt der Zettel, der bei uns an der Tür geklebt hat.

Grandpa lässt Dad in Ruhe. Er nimmt sich nur den Zettel, liest und gibt ihn dann an Grandma weiter. Ich schaue verstört von Dad zu Grandma, die jetzt den Zettel neben ihren Teller legt und aufsteht. Sie umrundet den Tisch und legt Dad ihre Hände von hinten auf seine Schultern.

Dad versteift sich und wendet sich zu Grandpa.

„Gott hat eure Tochter zu sich geholt,“ sagt er mit rauer Stimme. „Er hat sie einfach so aus ihrer Familie gerissen!“

Grandma fasst fester zu. Sie antwortet ihm:
„Es war ihre Bestimmung, euch ab heute in einer anderen Wesensform zu begleiten! Clyde, sie ist nicht fort. Vielleicht sitzt sie gerade dort im Sessel am Kamin und schaut, wie wir reagieren. Danach wird sie ihr weiteres Handeln ausrichten.“

„Aber sie ist tot!“ begehrt er auf. „Sie wird sich nie mehr an mich kuscheln, mir keinen Kuss mehr geben, mich nicht mehr aufrichten können!“

Mit diesen Worten steht Dad auf und stürmt aus dem Haus. Er setzt sich in unser Auto und fährt davon. Grandma setzt sich neben mich und legt mir ihren Arm auf meine Schultern.

*
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Do Dez 01, 2022 10:00 am

Als der Doktor im St.Johns Hospital gesagt hat, Mary soll an der Anmeldung warten, führt er mich in einen klimatisierten Raum. Auf einer Seite sehe ich viele große Schubfächer. Der Doktor zieht an einem der Griffe und eine lange Box fährt aus der Wand. Darinnen liegt Liz wie schlafend in einem durchsichtigen Kunststoffsack. Ich schaue den Mann entgeistert an und frage, was hier passiert ist. Er beteuert, dass sie schon verstorben war, als sie im Krankenwagen das Hospital erreicht hat. Seine Kollegen von der Frühschicht haben nur noch den Tod festgestellt.

In meinem Kopf dreht sich alles. Meine Gedanken kreisen um die beiden Worte ‚Was jetzt?‘. Keiner der Gedanken lässt sich festhalten. Ich gehe zur Anmeldung zurück und winke Mary heran. Mit ihr im Auto fahre ich zurück in unseren Wohnort und halte vor dem Haus meiner Schwiegereltern. Dort setze ich mich an den Esstisch und kann mit einem Mal nicht mehr an mich halten. Meine Welt ist zusammengebrochen. Meine Schwiegermutter versucht mich zu trösten. Doch ihre Worte erreichen mich nicht.

In meinem Kopf formt sich der Name ‚Jake‘. Mein Kumpel von den Firefighters ist wohl die Person, die Liz als Letzter lebend gesehen hat. Dort muss ich hin! Ich erhebe mich und verlasse das Haus meiner Schwiegereltern. Es dauert nur wenige Minuten bis ich vor Jake’s Haus angekommen bin und an der Tür klopfe. Ann, seine Frau, öffnet mir und macht mir stumm Platz, damit ich eintreten kann. Ich sehe Jake am Kamin im Sessel sitzen, mit dem Kopfhörer auf den Ohren. Mich neben ihn setzend, schaue ich Jake an. Seine Frau ist in die Küche gegangen und bringt mir eine Tasse Tee.

Jake schaut auf und sieht mich. Er zieht die Stirn in Falten, atmet tief ein und legt den Kopfhörer zur Seite.

„Clyde, ich habe alles versucht…“ sagt er.

„Kannst du mir berichten, wie das heute abgelaufen ist?“ frage ich.

Wieder atmet Jake tief ein.

„Ich habe mir angehört, was zwischen dem Dispatcher und deiner Frau gesprochen wurde. Ich dachte, da ergibt sich vielleicht ein Indiz…“

„Ja, und?“

„Um 10:12 hat der Dispatcher ein Gespräch angenommen. Deine Frau sagte ihren Namen und ihre Adresse. Sie sagte, dass sie unter starken Leibschmerzen leidet, wie eine plötzliche Kolik. Sie weiß nicht, wie sie sich hinlegen soll, um eine möglichst gute Position zu haben, mit möglichst geringen Schmerzen.
Der Dispatcher alarmierte die Besatzung des Krankenwagens. Das sind Mike und ich heute Morgen gewesen. Er hat Liz dann geraten, die Haustür zu öffnen. Wir haben bei Nennung von Namen und Adresse sofort gewusst, wo wir hinfahren müssen und sind mit der Sirene losgefahren.
Bei dir angekommen, sehen wir Liz hinter der Haustür am Boden liegen. Sie war bewusstlos. Wir haben die Tür aufgeschoben, uns durch den Spalt gedrückt und ich habe sofort die Wiederbelebungs-Maßnahmen eingeleitet. Ich habe es auch geschafft. Sie wollte, dass ich eine Nachricht hinterlasse. Danach haben wir sie in den Krankenwagen getragen und einen Zugang gelegt. Du kennst das Procedere ja auch. Ich habe sie interviewt und oberflächlich untersucht. Ihre Bauchdecke erschien verhärtet.
Mike ist dann losgefahren, während ich neben ihr sitzengeblieben bin. Wir haben ihr Schmerzmittel über den Zugang gegeben. Auf dem Weg ins Krankenhaus fällt ihr Kopf zur Seite. Wieder beginne ich mit Wiederbelebungs-Maßnahmen, aber wir haben sie verloren bis wir das Hospital erreicht haben.
Wir sind noch dort geblieben und haben den Ärzten zugeschaut, die schließlich den Tod festgestellt haben.“
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Fr Dez 02, 2022 10:50 am

Wir starren beide eine Weile vor uns hin. An der Situation ist nichts mehr zu ändern. Schließlich erhebe ich mich. Draußen dämmert es bereits. Ich gehe stumm zur Haustür. Jake folgt mir und drückt mir zum Abschied die Hand, die freie Hand auf meine Schulter gelegt. Anschließend fahre ich nachhause, lege mich ins Bett und falle in einen unruhigen Schlaf. Wenn ich wachliege, habe ich den Eindruck, dass Wölfe in der Nähe heulen.

*

Ich bin bis Mummys Beerdigung bei den Großeltern geblieben und von dort aus zur Schule gegangen. Dann ziehe ich wieder bei Dad ein. Er hat sich in den vergangenen Wochen stark verändert. Aus dem liebevollen Dad ist ein harter Mann geworden. Er macht zwar morgens das Frühstück, aber statt eines Dinners fährt er mit mir zu McDonalds, wenn er von der Arbeit kommt.

Eines Tages erwischt er mich dabei, wie ich mit meiner Geige Naturgeräusche nachahme. Ich glaube, er kommt gerade von der Arbeit, als ich das Heulen von Wölfen mit dem Geigenbogen imitiere. Er kommt in höchster Erregung in mein Zimmer gestürmt und zerstört die Geige. Sein Gesicht ist wutverzerrt. Ich bin in höchstem Maße erschrocken. Anschließend stürmt er nach draußen und fährt weg.

Jetzt erst beginne ich zu weinen. Ich fühle mich am Boden zerstört.

Dann packe ich ein paar Sachen in meinen Rucksack, lege meine Schultasche in den Korb auf meinem Fahrrad und fahre zu den Großeltern. Dort angekommen klage ich ihnen mein Leid. Grandma beruhigt mich. Sie sagt, sie würde mir eine neue Geige schenken. Vorher will sie aber noch einmal mit Dad darüber reden. Leider lässt Dad nicht mit sich reden. Also ziehe ich dauerhaft bei den Großeltern ein.

An Father Christmas bin ich zwar wunderbar abgelenkt. Leider habe ich keine eigene Geige bekommen. Aber meine Musiklehrerin erlaubt mir mit einer Schülergeige weiter zu üben. Das Instrument muss aber in der Schule bleiben.

Dann rückt mein Geburtstag heran. Wieder ist die Landschaft tief verschneit.

„Mary!“ ruft Grandma.

Ich laufe die Treppe hinunter in den Diningroom. Noch steht kein Geburtstagskuchen auf dem Tisch. Es ist auch noch viel zu früh für die Party. Grandma steht dort. Sie hat Stiefel und einen Fellparka an, mit Stickereien der Tlingit.

„Zieh dir etwas Warmes an, Mary. Ich möchte mit dir einen Spaziergang machen,“ fordert sie mich auf.

Ich laufe wieder nach oben und sehe in meinem Outfit bald so aus wie sie. Als wir das Haus verlassen, trägt sie eine Kühlbox in der Hand. Wir spazieren quer durch den Ort, bis wir die Country-Road erreichen, über die wir in die nahe Kleinstadt kämen.

Grandma hält sich am Straßenrand und ich folge ihr. Ich weiß, dass wir zu meinem Geburtsort unterwegs sind. In der Kühlbox hat Grandma ganz sicher Fleisch für unser Wolfsrudel. Wir müssten allerdings etwa 15 Meilen zu meinem Geburtsort wandern. Ob wir soweit kommen?
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Sa Dez 03, 2022 10:10 am

Wir sind zwei Stunden unterwegs und vielleicht vier Meilen weit gekommen, als wir einen Wolf heulen hören. Grandma hat einen Reisigbesen dabei und befreit ein Stückchen des Straßenrandes vom Schnee. Nun setzen wir uns in den Straßengraben und schnell sind wir von einem ganzen Rudel Wölfe umgeben. Eine Wölfin mit weißer Schnauze drückt sich durch die Leiber der Anderen.

In ihrer Schnauze trägt sie einen Geigenkasten an seinem Griff. Sie legt den Kasten vorsichtig vor mir ab und drückt sich an mich. Ein weiblicher Jährling kommt näher, stützt sich mit den Vorderpfoten auf dem Rücken der Alphawölfin ab und leckt mir durch das Gesicht.

Grandma sagt leise und schmunzelt dabei:
„Gibaa Mary, darf ich dir Gibaa Liz vorstellen?“

In diesem Moment hüpft der weibliche Jährling über sein Muttertier und landet in meinem Schoß. Ich beginne sofort die junge Wölfin zu streicheln. Zu Grandma gewandt, die nun das Fleisch aus der Kühlbox verteilt, frage ich:

„Sie heißt wie Mum?“

„Sie ist deine Mum, Liebes! In ihr lebt der Geist deiner Mum weiter.“

Die junge Wölfin reibt ihren Kopf an meiner Brust. Ich schaue Grandma erstaunt an und frage:
„Wie ist das möglich?“

„Hast du schon einmal von Seelenwanderung gehört, Mary?“

„Ja, aber ob es das wirklich gibt?“

„Es gibt viel mehr zwischen Himmel und Erde, als sich der Mensch je ausmalen kann, Mary. Man muss es einfach akzeptieren und daran glauben. Schau dir doch einmal das Geschenk an, das dir die Wölfe gebracht haben.“

Ich öffne den Geigenkasten und mache große Augen. Zum Vorschein kommt eine ¾ Schülergeige.

Lächelnd bemerkt Grandma:
„Du brauchst inzwischen ja eine Größere.“

Ich falle Grandma um den Hals. Sie meint:
„Bedanke dich bei deinem Rudel, Mary, und besonders bei Gibaa Liz.“

Ich kraule die Alphawölfin nun hinter dem Ohr. Sie legt sich auf die Seite und ich streiche zart über ihren Bauch. Gibaa Liz in meinem Schoß bekommt auch ihre Streicheleinheiten ab. Grandma kümmert sich derweil um den Alpharüden. Auch er bekommt Streicheleinheiten ab. Dann meint Grandma:

„Zeig deinem Rudel doch einmal, dass du mit der Geige umzugehen verstehst.“

Ich nehme sie auf, halte den Geigenbogen daran und ziehe eine weinerliche Miene. Nun stimme ich erst einmal die Saiten. Nachdem ich zufrieden bin, lasse ich ein paar zarte Melodien hören. Nach einigen Minuten fordert mich Grandma auf:

„Und jetzt lass den Wind sprechen und das Rauschen der Blätter im Herbst.“

Ich stoppe und beginne nun mit der Intonation verschiedener Naturgeräusche. Das Rudel hört andächtig zu.
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1So Dez 04, 2022 11:17 am

Grandma legt ihren Arm über meine Schultern und schlägt mir vor:
„Du solltest auf die Musikschule gehen. Zuhause übst du die Klänge der Natur. Nach dem Abschluss der Musikschule bewirbst du dich bei einer Film-Produktionsfirma als Sound Creator. Das wird deinen Dad zum Umdenken zwingen, Liebes.“

Ich schaue sie prüfend an. Sie nickt mir aufmunternd zu und erhebt sich. Dabei nimmt sie den Geigenkasten vom Boden auf. Ich setze den weiblichen Jährling auf den grasbewachsenen Boden vor mich und erhebe mich ebenfalls. Durch eine spontane Eingebung beflügelt, lasse ich auf der Geige Wolfsgeheul erklingen. Nun erhebt sich das Rudel auch. Köpfe recken sich gen Himmel und die Wölfe antworten mit mehrstimmigem Heulen.

Danach gehen wir den Weg nach Clearwater zurück. Von den zwei Stunden des Weges bleibt der weibliche Jährling - Gibaa Liz, wie Grandma sie genannt hat – etwa anderthalb Stunden an meiner Seite. Unterwegs habe ich Grandma die Geige gegeben und wir haben sie gemeinsam in den Geigenkasten gesteckt.

Kurz vor dem Ort springt mich Gibaa Liz an, legt mir ihre Vorderläufe auf meine Schultern und leckt mir kurz übers Ohr und die Wange. Dann verlässt sie mich. Sie läuft zu ihrem Rudel zurück. Nach einigen Minuten ist sie nur noch ein stecknadelgroßer Punkt in der weiten Schneelandschaft. Ich höre sie kurz aufheulen.

„Was wohl aus ihr werden wird,“ sinniere ich.

Grandma meint:
„Oh, sie wird einmal ein neues Rudel anführen, zusammen mit einem starken Rüden. Dabei wird sie hier in deiner Nähe bleiben. Das jetzige Alphapaar ist ja schon ziemlich alt und wird irgendwann sterben. Die Geschwister werden in andere Gegenden abwandern.“

„Aber was ist, wenn ich tatsächlich eine Stelle in einer Filmproduktions-Gesellschaft bekomme. Die haben ihre Studios doch weit entfernt in einer großen Stadt!“

„Dann musst du halt deine Urlaube immer in Clearwater verbringen, Mary. Ganz besonders um deinen Geburtstag herum.“

*

Eine ältere Menschin, in ethnische Winterkleidung gehüllt, kommt mit einem Aststück in der Hand zu uns in den Wald. Ich bin einer der Brüder unserer einzigen Schwester aus dem Wurf des letzten Jahres. Eine Weile beobachte ich sie aus sicherer Entfernung, dann laufe ich zu unserer Höhle zurück, um das Rudel zu informieren.

Meine Schwester, die sich unerklärlicherweise schon immer stark zu Menschen hingezogen fühlt, ist sofort neugierig und drängt Mama, der Menschin entgegen zu gehen. Mama weist sie zurecht, aber ist wohl auch neugierig geworden. Papa jagt gerade und zeigt zweien meiner Brüder, wie man dabei erfolgreich vorgeht.
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Mo Dez 05, 2022 11:30 am

Mama verlässt die Höhle im Wurzelwerk eines uralten großen Baumes. Sie wittert. Dann schlägt sie die Richtung ein, aus der wir alle die Menschin riechen können. Sie trabt langsam und bedächtig. Wir folgen Mama im Abstand einer Rumpflänge.

Bald erspähen wir die Menschin zwischen den Bäumen des Waldes. Sie hat uns auch gesehen und lässt sich an Ort und Stelle auf dem Waldboden nieder. Das kurze dicke Aststück legt sie neben sich. Mama nähert sich der Menschin schnüffelnd in Zeitlupe.

Als sie die Menschin erreicht hat, hebt diese ihre Vorderpfote und legt sie Mama auf den Kopf. Mama leckt das Vorderbein der Menschin und legt sich unmittelbar vor ihr ab. Meine Schwester steigt auf ihre Hinterbeine und legt der Menschin ihre Vorderbeine auf deren Schultern. Sie leckt die Menschin ebenfalls ab, was großes Vertrauen beweist. Ich nähere mich bis auf Rumpflänge, lege mich ab und beobachte.

Inzwischen hat meine Schwester von der Menschin abgelassen, die sie so überschwänglich begrüßt hat und legt sich auf deren andere Seite auf dem Waldboden ab. Die Menschin redet nun im ruhigen Ton auf Mama und Schwester ein, dabei streicht sie immer wieder über den Ast und hebt so etwas wie einen Zweig dabei an.

Nach einer Weile erhebt sich die Menschin wieder und entfernt sich zwei Schritte, bevor sie sich umwendet. Meine Schwester und Mama erheben sich ebenfalls. Mama greift mit ihrem Fang den Zweig an dem Aststück und trägt es zurück zu unserer Höhle. Dort angekommen legt sie es in den hintersten Winkel der Höhle und legt sich davor.

Als ich mich neugierig nähere, knurrt sie mich an und fletscht die Zähne. Erschrocken weiche ich zurück und lege mich so weit wie möglich entfernt von Mama in der Höhle ab. Kurz darauf kommt Papa mit meinen Brüdern von der Jagd. Nun werde ich aufgefordert, zusammen mit meiner Schwester die Höhle zu verlassen und mit Papa auf die Jagd zu gehen.

Als wir zurückkehren ist es schon dunkel geworden. Papa riecht das Aststück und nähert sich. Mama knurrt leise und Papa legt sich zu Mama schlafen. Am nächsten Tag jagen wir in der Morgendämmerung, während Mama das Aststück bewacht. Papa würgt später etwas von seiner Beute für Mama hervor. Dann sollen wir einzeln über das flache Land zwischen dem Wald und den Behausungen der Menschen patrouillieren.

Einer meiner Brüder kommt nach einer Weile zurück. Er hat Menschen gesehen. Nun lässt sich Papa von ihm führen. Papa scheint sie zu kennen. Er reckt seinen Hals zum Himmel und heult kurz. Dann legt er sich ab und wartet. Bald ist unser Rudel vollzählig. Mama trägt das Aststück in ihrem Fang.

Nun nähert sie sich den Menschen und wir anderen folgen ihr alle. Bei den Menschen angekommen setzt sie das Aststück vorsichtig ab. Wir umringen die beiden Menschen, die überhaupt keine Angst ausströmen. Mama sucht die Nähe der jüngeren Menschin. Unsere Schwester stützt sich auf Mamas Rücken, die sich vertrauensvoll abgelegt hat und reckt sich der jungen Menschin entgegen, um ihr durch das Gesicht zu lecken.
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BeitragThema: Re: -Wolfskind-   -Wolfskind- Icon_minitime1Di Dez 06, 2022 1:58 pm

Die ältere Menschin gibt leise Töne von sich. Jetzt hüpft unsere Schwester über Mama und dreht sich im Schoß der jungen Menschin zusammen. Sie fährt nun sanft über das Fell meiner Schwester.

Beide Menschen geben Töne von sich und unsere Schwester räkelt sich auf den Hinterläufen der jungen Menschin. Die ältere Menschin öffnet währenddessen einen Hohlraum und gibt jedem von uns Fleisch, das sie daraus hervorholt.

Die ältere Menschin macht die junge auf das Aststück aufmerksam. Sie greift danach, ohne dass Mama knurrt oder die Zähne fletscht. Dann nimmt die junge Menschin das Aststück auseinander und holt ein anderes Aststück hervor, das sie sich an den Hals hält und mit einem Zweig darüber streicht.

Nun hören wir zuerst komische Töne. Danach macht die Menschin was am dünnen Ende des Aststückes und streicht noch einmal mit dem Zweig darüber. Das macht sie mehrere Male, während Mama und unsere Schwester ihr interessiert zuschauen.

Die junge Menschin streicht zart über Mamas Fell und zwischen den Ohren unserer Schwester. Sie schließen dabei genüsslich ihre Augen. Mama dreht sich auf die Seite. Die ältere Menschin streicht nun zärtlich über Papas Fell. Dann kommen wieder Töne aus deren Mund.

Nun streicht die junge Menschin mit dem Zweig über das Aststück und eine Folge harmonischer Klänge liegen in der Luft. Etwas später kommen aus dem Aststück Töne, wie vom Wind und dem Rauschen der Blätter im Wald. Wir hören der jungen Menschin gerne zu.

Nach einer Weile erheben sich beide Menschen. Die ältere Menschin verschließt den mitgebrachten Hohlraum, dann wenden sich beide zum Gehen. Die junge Menschin zieht den Zweig über den Ast und schon hören wir ein Wolfsheulen aus dem Aststück. Wir antworten ebenfalls mit Wolfsgeheul.

Danach steckt sie das Aststück und den Zweig in den hohlen Ast und verschließt ihn. Sie gehen in Richtung der Behausungen der Menschen davon. Wir erheben uns ebenfalls und bleiben zurück, weil Papa und Mama stehenbleiben und hinter den Menschen herschauen. Nur unsere Schwester folgt den Menschen.

Wir traben zu unserer Wohnhöhle zurück und bald darauf stößt auch unsere Schwester wieder zu uns.
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