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 Katamaran der Lüfte

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BeitragThema: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Fr Mai 26, 2023 9:37 am

Ich lese zufällig einen Artikel über die Schweizer Design-Schmiede Elasar Ltd. Sie forscht an einem vollelektrischen Doppelrumpf-Luftschiff. Interessiert schreibe ich ihnen eine E-mail und frage an, ob sie für die spätere Erprobung eines Prototyps einen Segelflieger gebrauchen können. Luftschiffmannschaften gibt es ja heute keine mehr und die Einzelaufgaben von Steuerleuten, Navigatoren und Luftschiffkapitänen übernimmt heute nur ein Luftschiffpilot, unterstützt von Wettersoftware und der modernen Technik.

Segelflieger kennen sich mit Wetterkarten aus und sind mit den Luftströmungen vertraut. Ein Luftschiff bietet dem Wind eine große Angriffsfläche und bewegt sich majestätisch langsam durch die Luft. All das dürfte meine Anfrage plausibel erscheinen lassen, denke ich mir.

Wenig später werde ich zu einem Gespräch eingeladen und erhalte tatsächlich den ersehnten Job als Testpilot. Dabei tauche ich tiefer in die Geschäfte des Design-Büros ein. Sie wollen eine riesige Luft-Yacht für zahlungskräftige Kunden bauen, die in der Lage sind 550 Millionen Dollar dafür auszugeben. Dafür haben sie einen ‚kleinen‘ Prototypen in Auftrag gegeben, der in der Hauptsache aus Karbon und kohlefaserverstärkten Kunststoffen besteht, um Gewicht zu sparen.

Die beiden Auftriebskörper des Prototyps sind schon 80 Meter lang bei 16 Metern Durchmesser und fassen etwa 32.000 Kubikmeter Helium. Dadurch kann der Prototyp inklusive Eigengewicht bis 35 Tonnen Gewicht anheben. Das Eigengewicht beziffert die Werft mit etwa 19 Tonnen, so dass 16 Tonnen Zuladung möglich sind.  

Zwischen den Auftriebskörpern ist eine vier Meter breite Gondel aufgehängt. Sie ist mit ungefähr fünf Metern Höhe doppelstöckig ausgelegt und 20 Meter lang. Die Verbindung zu den beiden Auftriebskörpern stellen zwei 4 Meter breite und 8 Meter tiefe Verbindungselemente her, die Stummelflügeln ähneln. Angetrieben wird der Prototyp von je zwei Triebwerken rechts und links außen, die als Doppel-Mantelschrauben konzipiert und drehbar aufgehängt sind.

Acht Elektromotoren treiben sie an, die ihre Energie aus Batterien beziehen, die von Solarkollektoren an der Oberseite der Auftriebskörper gespeist werden. Weitere Elektromotore helfen mir, die Taue zum Festmachen bei Starts und Landungen aus- und einzufahren, sobald ich reguläre Landeplätze ansteuere. In den anderen Fällen drehe ich die Mantelschrauben so, dass sie das Luftfahrzeug zu Boden drücken. Auf einer Wasseroberfläche, wie einem schweizerischen Bergsee kann ich jetzt Wasser in Tanks pumpen und so das Gewicht soweit erhöhen, dass ich die Motoren ausschalten kann.

Die treibende Kraft im Design-Büro heißt Julia Elasar. Sie hat Design studiert und über Crowdfunding Geld für ihr Projekt gesammelt. Aber auch ihr Vater und ihr Bruder beteiligen sich an der dafür gegründeten Gesellschaft mit beschränkter Haftung (auf Englisch ‚Ltd.‘).

*

Ich, Julia Elasar, freue mich heute Morgen Lukas zu treffen. Er ist 8 Jahre alt und der Sohn meines Bruders Peter. Wir wollen ins Connyland im Thurgauischen Lipperswil fahren. Nach dem Frühstück fahre ich zu Peter und werde dort schon freudig begrüßt.

„Grüessech, Tante Julia!“ strahlt er mir entgegen.

Ich gehe noch zu Peter ins Haus und spreche mich mit ihm ab, dann fahren wir los. Wir parken eine Stunde später auf dem Parkplatz des Freizeitparks in Lipperswil und gehen zur Kasse. Nachdem ich unseren Eintritt bezahlt habe, betreten wir das 70 Hektar große Gelände von Connyland. Hier darf Lukas entscheiden, in welcher Reihenfolge wir die Attraktionen besuchen.

Leider ist mein Ex-Freund Gerhard nicht mit von der Partie, aber das ist auch irgendwie besser so! Lukas führt mich zuerst zu den Seelöwen. In der Lagune des Geheges kann man die Tiere den ganzen Tag beobachten. Wir gehen aber zur Arena, nachdem ich uns je einen Eisbecher gekauft habe, setzen uns und schauen der Show zu.

Nach einer halben Stunde möchte Lukas zur Cobra. Dabei handelt es sich um eine Achterbahn von 220m Länge mit einem Looping und zwei ‚Kamelhöckern‘. Ich kenne sie, habe sie schon oft mit Gerhard genutzt, aber diesmal vergeht mir die Lust nach einer Runde, obwohl Lukas sich gerne noch öfter angestellt hätte. Ich möchte ihn in seinem Alter aber noch nicht alleine fahren lassen.
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Sa Mai 27, 2023 9:03 am

Seine Enttäuschung ist schnell vorüber, als wir den 5D Space Trip Simulator erreichen. Es ist eine Indoor-Attraktion. Die Außenfassade der Halle erinnert an die Mondoberfläche. Wir betreten die Halle und gelangen durch einen Gang in das ‚Space Terminal‘. Hier müssen die Besucher auf eine freie Simulator-Kabine warten. Nachdem wir sie betreten, treffen wir bekannte Charaktere aus den Star-Wars-Filmen.

Weiter geht es mit einem Lift, in dem die Fahrt in das 3000. Stockwerk simuliert wird. Am Ende der Fahrt betreten wir eine Simulator-Kabine, in der man den Eindruck eines langen Weltraumfluges erhält. Anschließend verlassen wir den Space Trip Simulator durch einen mit Nebel gefluteten Gang.
Lukas meint draußen:

„Ich habe Hunger!“

Also gehen wir in ein Restaurant in der Connyland Stadt, das Pomfrit und Hamburger verkauft. Darauf fährt Lukas ab.

Den Nachmittag vertreiben wir uns auf einer Riesenrutsche, einer Schiffschaukel und der Luftseilbahn. Danach lasse ich ihn im Cobralino alleine fahren. Das ist eine Mini-Achterbahn für Kinder und wir gehen zum Jungle Adventure, einem Indoor Kletterpark. Ich setze mich daneben mit einer Cola an einen Tisch und warte auf ihn. Nach dem Space-Drop, einem Kiddy Free Fall Tower, gehen wir langsam zu meinem Auto zurück. Die Abenddämmerung hat schon eingesetzt und ich will nicht, dass sich Peter und meine Schwägerin Sorgen machen.

Danach fahre ich nachhause. Morgen muss ich mich wieder um unser neues Projekt kümmern, aus dem einmal eine Luftyacht für Multimillionäre werden soll. Wir haben eine Werft gefunden, die einen Prototypen baut und seit kurzem auch einen Testpiloten eingestellt, da der Prototyp kurz vor der Fertigstellung steht.

*

Mein Name ist Hannes. Ich gehe langsam durch den Ort. Er liegt in der Schweiz. Imposante Berggipfel fassen das Tal ein, in dem der Ort liegt. Ich bin gerade in einer etwas melancholischen Stimmung, denn vor wenigen Tagen erst habe ich mich von meinem Freund getrennt. Aber Trennungen gehören nun einmal zum Leben dazu. Danach trifft man jemand anderes und lernt so neue Freunde kennen.

Zurzeit sind gerade Schulferien und viele Kinder spielen lärmend in den Wohngegenden. Irgendwie bin ich aber auch froh, wieder hier zu sein. In diesem Ort habe ich vor vielen Jahren meine Aufgabe begonnen. Dann bin ich lange Zeit in anderen Weltgegenden unterwegs gewesen. Dabei habe ich festgestellt, dass viele meiner verflossenen Freunde Träume gehabt haben. Ob sie sie nun verwirklichen konnten oder nicht, immer haben sie dabei einen ‚besten Freund‘ gebraucht, ganz gleich wo.

Ich wandere ziellos durch das Wohngebiet des Ortes. Es gibt hier die verschiedensten Häuser. Einige haben spitze Dächer, andere laufen weniger spitz aus. Einige haben Pultdächer, andere sind flach. Einige Häuser haben zwei Stockwerke, andere drei oder mehr. Jedes Haus ist mit einer Hecke oder einer niedrigen Mauer eingefasst. Manche Häuser haben auch beides als Begrenzung.

Das Wetter ist heute sonnig und trocken. Daher läuft hier und da ein Rasensprenger, bevor die Mittagshitze das verbietet. Die meisten Menschen haben gute Laune. Die Kinder spielen Fangen, Dosenwerfen und anderes Zeug. Einige kommen mir fahrradfahrend entgegen. Man hört sie jauchzen und lachen. Aber so nett sie auch zu sein scheinen, fühle ich mich nicht besonders zu ihnen hingezogen. Ich kann mich halt nicht mit jedem anfreunden! Das ist nicht meine Berufung.

In einer Hauseinfahrt spritzt ein Mann mit dem Gartenschlauch den Schaum von seinem Auto. In der Nähe auf dem Rasen steht ein aufblasbares Becken, in dem zwei kleine Mädchen in ihren Badeanzügen sitzen. Ab und zu spritzt er sie nass. Das Kichern erfreut mich. In vielen Gärten sehe ich spielende Kinder, aber keines nimmt mich wahr und lädt mich ein, mitzuspielen.

Nach einer Weile setze ich mich auf eine Gartenmauer. Ich denke darüber nach, ob ich hier wirklich in der richtigen Gegend bin, denn keines der Kinder in den Gärten oder auf der Straße würdigt mich eines Blickes. Sie sind entweder mit sich selbst beschäftigt oder mit anderen Kindern. Oder sie flitzen mit ihren Fahrrädern, Rollern und Skateboards an mir vorbei, als sei ich ihnen gleichgültig.
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1So Mai 28, 2023 9:49 am

Plötzlich öffnet sich die Haustür. Ein Junge kommt heraus. Die Tür fällt mit Getöse hinter ihm ins Schloss. Bestimmt hat er sich über irgendetwas aufgeregt. Er läuft auf die Wiese und knickt in den Knien ein. Auf den Knien rutscht er ein Stück über die Wiese. Dann lässt er sich nach vorn fallen, fängt sich mit den Ellbogen auf und trommelt mit den Fäusten in das Gras.

Danach hat er sich wohl soweit beruhigt. Er setzt sich in das Gras, stützt seine Ellbogen auf seine Knie und seinen Kopf in seine Hände. Ich grüße ihn mit „Hi.“

Er schaut zu mir auf und sieht mir direkt in die Augen. Ich drehe mich auf der Mauer so, dass meine Beine in das Grundstück baumeln und lächele ihn schüchtern an. So gern ich neue Freundschaften schließe, ich bin dabei immer zuerst einmal ein wenig gehemmt.

Der Junge schaut mich prüfend an, als überlege er, sich mit mir abzugeben. Schließlich antwortet er ebenfalls mit einem „Hi.“

„Wie heißt du?“ frage ich nun und gebe mich zu erkennen: „Ich bin der Hannes.“

Er lächelt und antwortet:
„Ich heiße Lukas.“

„Hi, Lukas,“ grüße ich noch einmal und lächele ihn freundlich an.

„Hi, Hannes,“ antwortet er grinsend.

Nun springe ich von der Mauer in den Vorgarten und vergrabe meine Hände in meinen Hosentaschen. Dabei mache ich meine Arme ganz steif, so dass sich meine Schultern fast bis zu meinen Ohren anheben.

„Willst du mit mir spielen?“ fragt er nun. „Wir haben im Garten hinten ein schönes Trampolin!“

„Klar, gern!“ bestätige ich grinsend. „Ich spiele am liebsten immer!“

„Wie alt bist du eigentlich?“ fragt er nun und schaut mich mit schief gelegtem Kopf an. „Du siehst aus, als wärst du genauso alt wie meine Tante! Und die spielt überhaupt nicht gern meine Spiele mit mir.“

„Naja,“ meine ich. „Dann ist deine Tante ein Langweiler.“

Ich lege meine Stirn in Falten und frage:
„Zeigst du mir nun dein Trampolin?“

Er dreht sich um und geht einen schmalen Weg entlang, zwischen Hauswand und Gartenmauer. Unterwegs frage ich ihn jetzt:

„Wie alt bist denn du? Du siehst nämlich aus wie MEINE Tante.“

Er bleibt stehen, dreht sich zu mir um und erklärt lachend:
„Ich bin 8 und schon in der Schule! Außerdem bin ich ein Junge und kein Mädchen.“

„Oh.“

In Wirklichkeit habe ich keine Tante. Ich habe ihn bloß ein bisschen aufziehen wollen.

Als wir um die Hausecke biegen, sehe ich das Trampolin mit einem großen Netz zur Absturzsicherung mitten auf dem Rasen stehen. Wir gehen darauf zu und Lukas öffnet mir eine Lücke im Netz, durch das wir auf das Trampolin klettern. Dann beginnen wir zu hüpfen. Ich lasse mich abrollen und mache weitere Kunststückchen, die zumeist misslingen. Lukas lacht sehr gerne und laut. Nach einer Weile klettern wir vom Trampolin herunter und spielen Nachlaufen. Ich muss Lukas fangen. Er ist sehr flink und kennt einige Finten.

*

Ich wandere ruhelos über den Parkettboden in meinem Büro auf und ab. Mein Handy klemmt zwischen meinem Ohr und der hochgezogenen Schulter. Endlich nimmt die Gegenseite das Gespräch an.

„Hallo, Bootswerft Durant. Bernardine Durant hier!“

„Hallo Madame Durant. Ich habe gerade ihre Rechnung für den Juni erhalten. Kann man da vielleicht noch etwas machen? Sie wissen ja, wenn unser gemeinsames Projekt ein Erfolg wird, hat ihre Werft auf Jahre ausgesorgt. Selbst wenn sich nur ein Interessent finden sollte!“ eröffne ich das Gespräch.

„Hallo, Madame Elasar. Das sehe ich genauso. Aber bis es soweit ist, brauche ich Geld für Material und Personalkosten. Auch ein kleiner Gewinn sollte erzielbar sein, aus dem wir unsere Privatentnahme ziehen können. Wir haben ja schon einer Reduktion von 10 Prozent gegenüber unseren anderen Kunden zugestimmt.“

„Da ist wirklich nichts zu machen, Madame Durant?“ frage ich und lege meine Stirn in Falten.

„Ich kann Ihnen weitere 2,5 Prozent entgegenkommen, Madame Elasar. Da liegt dann aber unsere Grenze!“
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Mo Mai 29, 2023 8:47 am

„Okay, vielen Dank, Madame Durant!“ antworte ich erleichtert.

Ich trenne das Gespräch wieder und setze mich zurück an meinen Schreibtisch. Ich habe das kaufmännische Programm auf dem Bildschirm und trage die neuen Werte ein.

Meine Gedanken schweifen dabei ab. Das Bild meines Ex-Freundes Gerhard taucht vor meinem inneren Auge auf. Ich schüttele den Kopf, um die Erinnerung zu vertreiben. Es ist vorbei! Ich habe geliebt und bin sicher anfangs auch geliebt worden. Danach habe ich erlebt, wie es ist, wenn man mit einem dumpfen Schlag aus den Wolken fällt und auf der Erde aufkommt. Das hat mich gelehrt, nie mehr die Kontrolle über meine Gefühle aufzugeben.

Plötzlich höre ich die Haustür laut ins Schloss fallen. Direkt darauf trappeln kleine Füße durch die Halle in Richtung Treppe.

„Lukas?“ rufe ich.

„Was’n?“ fragt er mit unschuldigem Gesichtsausdruck, als er nun in der Tür zu meinem Büro auftaucht.

In dem Moment hätte ich ihn in meine Arme schließen mögen. Dem Jungen kann ich niemals ernsthaft böse sein! Trotzdem verbessere ich ihn jetzt streng:

„Das heißt ‚Ja, bitte?‘!“

„Ja, bitte?“ wiederholt mein Neffe brav.

Vorhin hat er mich gestört, als ich das gerade geführte Telefonat vorbereitet habe. Es tut mir ja selbst leid, dass ich ihn unfreundlich gestoppt habe, so dass er nach draußen gelaufen ist. Zuhause bei seinen Eltern hat er es nicht leicht, so dass er lieber nach der Schule zu mir kommt, um seine Hausaufgaben zu machen.

„Was machst du jetzt?“ frage ich ihn.

Lukas betritt nun vollends mein Büro. Ich bemerke die Grasflecke an seinen Knien und will ihm anbieten, die Hose in die Waschmaschine zu stecken, als er antwortet:

„Ich und Hannes spielen bloß mit der Playstation.“

„Hannes und ich!“ korrigiere ich ihn.

Lukas schaut zu mir auf und schiebt sich durch die Tür zurück in die Halle. Da erst registriere ich die Bedeutung von Lukas Worten. Ruckartig erhebe ich mich vom Schreibtisch, drehe mich und stoße gegen das Tischbein. Ich stoße eine Verwünschung aus und gehe schnell zur Tür in die Halle. Lukas ist inzwischen schon auf dem Treppenabsatz nach oben in sein Zimmer.

Nachdem ich die Treppe bewältigt habe und meinen Kopf in sein Zimmer strecke, sehe ich ihn auf dem Boden sitzen, das Steuergerät in der Hand und die Augen starr auf den Monitor gerichtet.

„Lukas, wer ist Hannes?“ frage ich ihn. „Du weißt doch, dass du mich vorher informieren sollst, wenn du Fremde mitbringst.“

„Hannes ist mein neuer Freund!“ informiert er mich nun, ohne die Augen vom Monitor zu nehmen.

„Du weißt, ich bestehe darauf, deine Freunde kennenzulernen, bevor sie mein Haus betreten. Ich habe eine Firma!“ erinnere ich ihn und öffne die Tür weiter, um in das Zimmer zu treten.

Hoffentlich ist dieser Freund anders als sein Letzter. In der Rückschau kann ich den anderen Jungen nur als kleine Nervensäge betiteln. Büroarbeit ist bei dessen Anwesenheit kaum möglich gewesen. Lukas‘ Zimmer ist außer meinem Neffen und mir leer. Irritiert frage ich ihn:

„Wo ist Hannes denn?“

„Da drüben,“ meint Lukas, und nickt mit dem Kopf in Richtung des Fensters, aber nimmt die Augen immer noch nicht vom Monitor.

Ich gehe zum Fenster und schaue hindurch. Im Garten sehe ich das Trampolin stehen. Aber es ist verwaist. Kein Kind hüpft darauf herum. Also frage ich:

„Versteckt sich Hannes?“

Lukas drückt die Pausetaste und dreht sich zu mir um. Grinsend antwortet er:
„Er sitzt doch direkt vor dir, Tante Julia!“

Dabei deutet er auf das Kissen auf dem Boden. Ich schaue verblüfft auf das Kissen und frage:
„Wo?“

„Direkt vor deinen Füßen!“ wiederholt Lukas.

Ich starre das Kissen an und drehe mich zu Lukas um, ratlos die Schultern anhebend.

„Auf dem Kissen!“ präzisiert Lukas.

Er starrt auf das Kissen, als will er seinen Freund mit purer Willenskraft dazu bewegen, in Erscheinung zu treten.
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Di Mai 30, 2023 9:38 am

„Siehst du ihn jetzt?“ fragt er mich.

Angespannte Stille tritt ein. Lukas legt das Steuergerät beiseite und erhebt sich. Ich gehe in die Knie, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein und spreche ihn leise an:

„Außer uns ist niemand hier im Zimmer.“

Lukas Brust hebt und senkt sich. Seine Wangen röten sich. Er sieht in dem Moment total hilflos aus. Seine Schultern hängen. Mein Herz schlägt wild in meiner Brust. Ich weiß nur zu gut, wie leicht die Welt der Fantasie jemand in seinen Bann schlagen kann. Fantasie ist schließlich ein Baustein beim Designen.

Nachdem wir einige Minuten schweigsam verbracht haben, bricht es aus Lukas heraus. Laut ruft er:
„Hannes, sag‘ doch was zu ihr!“

Schweigen. Lukas starrt weiter in Richtung des Fensters und des Kissens davor auf dem Boden. Jetzt kichert er hysterisch. Er schaut mich grinsend an, aber schnell wird er wieder ernst, als er merkt, dass ich nicht reagiere.

„Siehst du ihn echt nicht? Und kannst ihn auch nicht hören?“ fragt er ungläubig. Dann setzt er ärgerlich nach: „Warum siehst du ihn bloß nicht?“

„Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde…“ setze ich an und erhebe mich wieder.

Ich gehe zur Zimmertür und drehe mich dort noch einmal um, um mich zu vergewissern, dass ich diesen Hannes nicht doch irgendwie übersehen habe. Aber da ist niemand sonst. Lukas setzt sich achselzuckend wieder vor den Monitor und nimmt sein Spiel wieder auf. Ich trete den Rückzug an, indem ich verkünde:

„Ich schiebe gleich eine Pizza in den Ofen!“

In diesem Moment sagt Lukas „Was?“ und schaut zum Fenster.

„Ich sagte, ich schiebe…“ beginne ich.

„Ich habe mit Hannes geredet,“ erklärt Lukas. „Er möchte gern auch etwas. Er hat gesagt, dass Pizza sein Lieblingsessen ist.“

„Oh,“ mache ich. Ratlos, was ich sonst antworten soll, schiebe ich hinterher:
„Sie ist in zwanzig Minuten fertig.“

„Mit Oliven,“ ergänzt Lukas.

„Aber Lukas, du hasst Oliven!“ erinnere ich ihn.

„Ja, aber Hannes mag Oliven am liebsten!“

„Oh…“

„Danke,“ sagt er zu mir, reckt seinen Daumen in die Höhe, lächelt und schaut triumphierend in Richtung Fenster. Dann vergräbt er sich wieder in sein Spiel. Langsam ziehe ich mich zurück und gehe die Treppe hinunter und in die Küche.

*

Als die Pizza fertig ist und Lukas‘ Tante sie geteilt hat, ruft sie von unten:
„Lukas, die Pizza ist fertig!“

Mein Magen knurrt und ich freue mich auf die Pizza. Gemeinsam laufen wir die Treppe hinunter und in die Küche. Als ich sie hinter Lukas betrete, fühle ich mich sofort heimisch. Sie ist wirklich gemütlich und zum Garten hin hat sie eine Fensterwand. Daher hat man das Gefühl auf der Terrasse zu sitzen. Ich bemerke, dass der Tisch für zwei Personen gedeckt ist. Höflich warte ich nun erst einmal ab, bis man mir sagt, wohin ich mich setzen darf.

Mitten auf dem Tisch steht eine Schüssel mit Salat und eine Flasche mit einem Erfrischungsgetränk. Tante Julia hat sich einen Jogginganzug angezogen und setzt sich an den Tisch. Lukas setzt sich über Eck an den Tisch. Die Tante nimmt das Salatbesteck in ihre Hände und schaufelt sich Salatblätter, halbierte Kirschtomaten und Oliven in ein Schälchen.

Lukas schaut ihr zu und runzelt die Stirn. Auf seinem Teller liegt ein Stück Pizza Margherita. Keine Oliven. Ich stopfe meine Hände in die Hosentaschen und tänzele nervös von einem Fuß auf den anderen.

„Wo ist Hannes Platz?“ fragt Lukas.

Seine Tante hat sich gerade Dressing über ihren Salat gegossen. Sie antwortet:
„Also Lukas! Seien wir nicht albern!“

Sie schaut ihren Neffen dabei nicht an.

„Ich bin nicht albern!“ erwidert Lukas. „Du hast doch gesagt, dass Hannes zum Essen bleiben kann.“

„Ja, schon. Aber wo ist Hannes denn?“ fragt sie, während sie sich ein Löffelchen geriebenen Käse über ihren Salat streut.

„Er steht direkt neben dir!“
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Mi Mai 31, 2023 8:34 am

Tante Julia knallt ihr Besteck so heftig auf den Tisch, dass Lukas zusammenzuckt. In diesem Augenblick klingelt es. Die Tante erhebt sich und geht zur Haustür. Lukas geht zum Buffet und holt einen Teller und Besteck. Dann lädt er ein zweites Stück Pizza darauf, angelt ein paar Oliven aus dem Salat und stellt den Teller mitsamt Besteck neben sich auf den Tisch. Nun füllt er zwei Gläser aus der Flasche und stellt eins neben meinen Teller.

„Hier ist dein Platz!“ sagt er fröhlich und setzt sich wieder.

Nun nimmt er sein Stück Pizza in die Hand und beißt davon ab.

„Guten Appetit,“ wünscht er mir.

Ich beginne nun ebenfalls zu essen. Seine Tante betritt nun die Küche, sieht Lukas‘ Arrangement und nickt. Ohne ein weiteres Wort setzt sie sich an ihren Platz und beginnt zu essen. Ich betrachte sie mir während des Essens genauer. Sie hat traurige Augen, meine ich. Bestimmt mache ich sie glücklich, wenn ich alles aufesse. Also beeile ich mich mit dem Essen. Tante Julia schaut während des Essens nicht auf.

*

Als ich meine Schale Salat aufgegessen habe, schaue ich über den Tisch. Zu meiner Überraschung ist der Teller auf dem Platz neben Lukas leer.

„Lukas?“ frage ich deshalb.

Er schaut mich an und antwortet:
„Was’n?“

„Ja, bitte!“ korrigiere ich ihn zum wiederholten Mal. „Was ist mit dem zweiten Stück Pizza passiert, auf dem Teller neben dir?“

Lukas schaut auf den leeren Teller und dann mit gerunzelter Stirn auf mich. Dann nimmt er einen großen Bissen von seiner Pizza und erklärt kauend:

„Das hat Hannes gegessen.“

„Mit vollem Mund spricht man nicht!“ ermahne ich ihn.

Ich habe das Gefühl, Kopfschmerzen zu bekommen. Was ist bloß in meinen Neffen gefahren?

„Und die Oliven?“ frage ich, mich zur Ruhe zwingend.

„Die hat er auch gegessen,“ erklärt er, nachdem er den Bissen Pizza hinuntergeschluckt hat. „Ich habe dir doch gesagt, dass er Oliven am liebsten mag.“

Seufzend nehme ich das Geschirr auf und stelle alles in die Spülmaschine.

„Danke, Julia.“

„Gern geschehen, Lukas,“ antworte ich automatisch.

„Häh?“ macht Lukas.

Er ist aufgestanden und schaut an der Küchentür zurück.

„Lukas, ich habe dir oft genug gesagt, das heißt ‚Wie bitte?‘ und nicht ‚Häh?‘“

„Wie bitte?“

„Ich habe gesagt, ‚Gern geschehen‘.“

„Aber ich habe doch noch gar nicht ‚Danke‘ gesagt.“

„Doch, hast du. ‚Danke, Julia‘, hast du gesagt.“

„Nein, habe ich nicht,“ beharrt Lukas und runzelt seine Stirn.

„Lukas!“ sage ich in strengem Ton. „Hör‘ auf mit diesen Spielchen. Okay?“

„Nein, es war Hannes, der sich bedankt hat,“ erwidert er mir mit ärgerlichem Gesicht.

Mir läuft in diesem Moment ein Schauer über den Rücken. Lukas ruft jetzt:
„Hannes, nun komm endlich! Du darfst diesmal auch ‚The Rock‘ sein, wenn du möchtest.“

Ich ziehe automatisch den Reißverschluss meiner Jogging-Anzugjacke ganz hoch. Dann zapfe ich mir einen Espresso aus der Maschine und gehe ins Wohnzimmer. Dort setze ich mich auf die Couch, stelle den Espresso vor mich auf den Couchtisch und nehme die Fernbedienung für den Fernseher in die Hand. Ich zappe durch die Programme und plötzlich schalte ich den Fernseher wieder aus. Lauschend lege ich den Kopf schief. Habe ich da nicht schon wieder etwas gehört?

*
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Do Jun 01, 2023 9:01 am

Lukas ruft mich, Hannes, ihm in sein Zimmer zu folgen. Ich stehe allerdings wie angewurzelt neben dem Küchentisch. Julia hat mich sprechen gehört! Einige Zeit später gehe ich näher an sie heran und mache einige Faxen. Sie reagiert nicht.

Nach ein paar Minuten des Bemühens, ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, stelle ich fest, dass ich enttäuscht darüber bin, dass sie meine Anwesenheit nicht spüren kann. Aber sie hat mir vorhin geantwortet!

Nun befinde ich mich hinter ihr und überlege, was ich als Nächstes machen soll. Da ich zu keinem Ergebnis komme, seufze ich tief. Sofort schauert Julia, versteift sich und zieht den Reißverschluss ihrer Jacke ganz zu. Sie hat gespürt, dass ich geseufzt habe. Sie kann meinen Atem fühlen!

Jetzt erhebt sie sich und geht zur Espressomaschine auf der Arbeitsplatte. Sie füllt Wasser und Pulver nach und schaltet die Maschine ein. Schließlich zapft sie sich einen Espresso in eine kleine Tasse und trägt sie hinüber ins Wohnzimmer.

Dort setzt sie sich auf die Couch, stellt den Espresso vor sich auf den Couchtisch und nimmt die Fernbedienung in die Hand. Sie beginnt durch das aktuelle Programm zu zappen. Ich setze mich zu ihr auf die Couch, halte aber Abstand. Dabei gibt das Leder der Couch einen quietschenden Ton von sich.
Julia schaltet den Fernseher wieder aus und lauscht. Sie muss mich also irgendwie hören können! Sie schaut sich ängstlich im Zimmer um. Ich rutsche ganz an das Ende der Couch.

Julia erhebt sich und geht zum Kamin. Dort nimmt sie den eisernen Schürhaken in die Hand und schleicht durch das Zimmer, darauf bedacht, selbst kein Geräusch zu verursachen. Ihre Augenlider flattern. Man spürt regelrecht ihre Angst.

Wieder quietscht meine Hose auf dem Leder der Couch. Sofort stürzt Julia heran. Den Schürhaken wie eine Lanze vor sich haltend. Mit einem Sprung bringe ich mich in Sicherheit.

Ich verstecke mich hinter dem Vorhang aus Brokat und linse dahinter hervor. Julia wendet jedes Couchkissen. Nach erfolgloser Untersuchung macht sie wieder Ordnung an der Couch, nimmt ihre Espresso-Tasse auf und geht zurück in die Küche.

Ich folge ihr dichtauf, nicht wirklich begreifend, was mich an Julia so fasziniert. Zwar ruft mich Lukas von Zeit zu Zeit, aber ich bin von Julia seit dem Pizzaessen am Mittag immer stärker fasziniert. Anfangs nur, weil ich herausfinden will, inwieweit sie mich hören und spüren kann. Aber je länger ich mich mit ihr beschäftige, desto mehr berührt sie mich.

Sie grübelt unglaublich viel, was man ihr vom Gesicht ablesen kann. Auch schaut sie gern in den Garten hinaus. Vielleicht hat die Küche deshalb diese Fensterwand. Mir fällt ebenso die Stille auf, mit der sich Julia umgibt. Kein Radio läuft. Keine Musikanlage spielt. Lukas und seine Tante sprechen wenig miteinander, eben nur das Nötigste.

Am Abend bringt Julia Lukas zu seinen Eltern. Normalerweise würde ich mitfahren und dann mit Lukas zusammen bei dessen Eltern leben und spielen. So habe ich das bei meinen früheren Jobs immer gemacht. Hier jedoch habe ich mich hinter der Gardine versteckt bis die Beiden das Haus verlassen haben und auf die Rückkehr von Julia gewartet.

In den darauffolgenden Tagen folge ich Julia auf Schritt und Tritt. Abends sitze ich auf der Couch und schaue mit ihr eine romantische Seifenoper. Wir lachen und stöhnen beide an den gleichen Stellen, scheinen tatsächlich völlig im Einklang miteinander zu sein. Nur dass Julia nicht weiß, dass ich bei ihr bin. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie von Tag zu Tag nervöser wird.

Heute Abend verlässt sie wie immer das Wohnzimmer, um ins Schlafzimmer zu gehen. An den letzten Tagen habe ich sie vom Sessel aus beim Schlafen beobachtet.

Diesmal bleibt sie aber so abrupt stehen, dass ich beinahe in sie hineingelaufen wäre. Mein Herz klopft. Hat sie mich bemerkt?

Langsam wendet sie sich um und lächelt mich an.

Ich grüße mit „Hi,“ und fühle mich in diesem Moment nicht wohl in meiner Haut.

Müde reibt sie sich die Augen und schaut mich wieder an.

„Hey, Julia, du wirst wohl verrückt!“ redet sie mit sich selbst.

*


Zuletzt von hermann-jpmt am Fr Jun 02, 2023 10:01 am bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Fr Jun 02, 2023 10:01 am

Zu Beginn der Woche tätige ich, Julia Elasar, verschiedene Telefonate, um ein Meeting im Hinterzimmer des nahen Gasthofes zu organisieren. Ich leite die Versammlung und neben mir nehmen noch zwei Designer, ein Physiker der Hochschule aus der nahen Stadt und meine Sekretärin daran teil. Da der Gasthof fußläufig entfernt in einer Nebenstraße liegt, gehe ich kurz vor dem Termin dorthin. Ich will mit meinen Leuten über den Brief der Werft reden und bin gespannt, welche Themen den anderen Beteiligten auf den Herzen liegen.

Ich begrüße also die Leute, nachdem der Gasthof eine Brotzeit auf dem Besprechungstisch serviert hat. Sofia, meine Sekretärin, führt das Protokoll. Das Ergebnis dieser Brotzeit ist, dass wir den Jungfernflug des Prototyps abwarten und dann analysieren wollen, bevor wir fiskalische Entscheidungen treffen. Also hebe ich das Meeting nach einer Stunde wieder auf.

Ganz so harmonisch ist das Meeting leider doch nicht abgelaufen. Es beginnt damit, dass ich mich zu Anfang mit Sofia besprechen will. Ich muss vielleicht vorausschicken, dass der Gasthof ein typisches Besprechungszimmer im Industrielook besitzt. Es liegt im oberen Bereich, wo sich kein Tourist hin verirrt. Dort steht ein cremefarbener Tisch, um den sich drehbare Bürostühle gruppieren.

Bevor die anderen Teilnehmer des Meetings eintreffen stehen wir neben dem Tisch und reden. Die Mitarbeiter des Gasthofes sind damit beschäftigt, das von mir georderte Frühstück auf den Tisch zu stellen. Plötzlich hält Sofia inne und deutet mit aufgerissenen Augen auf einen der Drehstühle. Er rotiert mit hoher Geschwindigkeit. Ich halte die Luft an und versuche, sie von dem Stuhl abzulenken.

Als der nächste Teilnehmer zur Tür hereinkommt und wir ihn begrüßen, wird die Drehbewegung langsamer und hat aufgehört, nachdem alle Leute am Tisch sitzen. Bei der Vorstellung der Themen, die die Leute gerne besprochen haben wollen, schenkt die Kellnerin Kaffee aus und stellt die Kanne auf einen kleinen Nebentisch.

Während der Diskussion kommt es des Öfteren zu kleinen Irritationen, als Brezeln zu verschwinden scheinen. Aber das Meeting lässt den Leuten keine Zeit sich zu wundern. Schließlich verabschiede ich die Leute freundlich und verlasse den Gasthof. Die Rechnung erhalte ich wie immer online und begleiche sie auf dem gleichen Wege.

Zurück in meinem Haus gehe ich in mein Büro. Ich öffne die Rolle mit den DIN-A3-Blättern auf denen eine Berglandschaft zu sehen ist, mit einem kleinen Bergsee. Die Zeichnung wird von einem doppelrümpfigen Luftschiff beherrscht. Etwa zehn dieser Zeichnungen stecken in der Rolle. Nun nehme ich eine Schale mit 24 Buntstiften aus einer Schublade meines Schreibtisches und beginne die Zeichnung vor mir zu kolorieren. Dabei kann ich wunderbar entspannen.

Ich beginne von unten. Mir einen abgeernteten Acker vorstellend, nehme ich einen braunen Stift. Nach einer Weile habe ich eine Eingebung und wechsele zu dem hellgrünen Stift, um eine Wiese darzustellen. Der See erhält eine mittelblaue Farbe und für die Berghänge wähle ich dunkelgrün mit grauen Einsprengseln. Der Himmel über dem Luftschiff muss hellblau werden, mit weißen Wolken dazwischen. Das Luftschiff selbst, das einzige technische Gerät in der Landschaft, erhält Abstufungen verschiedener Grautöne, die ich mit Bleistiften verschiedener Härtegrade erreiche. Für Bereiche im Schatten an der Unterseite wähle ich Schwarz.

*

Als Julia heute Morgen aus dem Haus geht, folge ich ihr, neugierig darauf, was sie vorhat. Zuvor hat sie nur schnell einen Espresso getrunken. Sie geht durch den Ort und klingelt an dem Nebeneingang einer Gaststätte. Drinnen geht sie eine Treppe hoch und betritt einen Raum, der genauso gut in einer Firma als Konferenzraum dienen könnte. Er wird von einem großen Tisch dominiert. Am Rand steht ein Buffet. Eine Kellnerin deckt den Tisch für Frühstück.

Als sie geht, kommt eine Frau im Business-Outfit herein. Sie trägt einen Laptop bei sich und Julia begrüßt sie. Im Verlauf des Gespräches erfahre ich, dass die andere Frau Sofia heißt und Julias Bürokraft ist. Allmählich wird es mir langweilig. Ich setze mich auf einen der Bürostühle und hampele ein wenig darauf herum. Dabei stelle ich fest, dass man mit diesen Stühlen wunderbar Karussell fahren kann. Karussellfahren ist meine Lieblingsbeschäftigung! Also beginne ich, mich zu drehen. Die Drehungen werden bald immer schneller und wilder. Dabei quietscht der Stuhl wahnsinnig schön.

Irgendwann wird mir schwindelig. Ich will absteigen, schaffe bei der Drehgeschwindigkeit aber nur einen Absprung und rolle mich auf dem Boden ab, bis meine Sneaker gegen das Buffet stoßen und ich liegen bleibe. Da nun Kellnerinnen mit Tabletts voller Speisen hereinkommen, unterbrochen von einigen Männern in Anzügen, laufe ich zum Fensterbrett und setze mich darauf. Von hier hat man einen guten Überblick.
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Sa Jun 03, 2023 9:45 am

Die Brezeln lassen mir das Wasser im Mund zusammenlaufen, denn auch ich habe heute Morgen noch nicht gefrühstückt. Ich warte aber noch etwas, bis die Leute begonnen haben zu frühstücken und dazwischen über irgendetwas langweiliges miteinander reden. Dann greife auch ich zu. Das ist sicher nicht unhöflich von mir, denn ich gehöre ja gewissermaßen dazu.

Nach einer Weile hebt Julia die Tafel auf. Anscheinend ist inzwischen alles Wichtige besprochen worden. Nachdem alle gegangen sind, geht sie die Treppe hinunter und betritt den Schankraum. Zu dieser Tageszeit befindet sich noch kein Gast hier. Julia wechselt noch ein paar Worte mit der Frau hinter dem Schanktresen, dann verlässt sie die Gaststätte und geht nach Hause.

Nachdem sie ihre Haustür aufgeschlossen hat, geht sie als erstes in die Küche und kocht sich einen Espresso. Davon trinkt sie viele über den Tag verteilt, habe ich schon festgestellt. Mit der Tasse in der Hand betritt sie ihr Büro und setzt sich an ihren Schreibtisch. Ich setze mich ihr gegenüber, um sie genau beobachten zu können.

Sie setzt sie Tasse auf Armlänge weit von sich und nimmt eine Rolle aus Karton mit einem metallenen Schraubdeckel in die Hand. Diesen schraubt sie ab und entnimmt der Rolle ein Blatt Papier mit Linien darauf. Sie streicht das Blatt vor sich glatt und schraubt die Rolle wieder zu. Die Rolle wird neben dem Schreibtisch in einem Korb deponiert und anschließend wirft sie einen kurzen Blick auf das Blatt Papier. Nun öffnet sie eine Schublade und holt eine Blechkiste daraus hervor, die sie neben das Blatt legt und öffnet.

Ich mache große Augen: Sie hat Buntstifte hervorgeholt, Buntstifte in allen Farben! Gebannt schaue ich zu, was sie als nächstes macht.

Sie wählt als erstes eine braune Farbe und beginnt damit, etwas im unteren Bereich des Bildes auszumalen. Um besser sehen zu können, erhebe ich mich und gehe um den Schreibtisch herum. Von meinem neuen Platz, hinter ihr, habe ich den besseren Überblick und kann sehen, ob sie mit dem Stift innerhalb der Linien bleibt.

Ausmalen mag ich auch sehr gerne. Ich sehe, Julia geht es ähnlich. Sie scheint ganz in ihre Arbeit versunken zu sein. Ihre Stirn bleibt glatt und ihre Lippen ziehen sich im Wechsel sanft zusammen und entspannen sich wieder. Dabei summt sie leise vor sich hin.

Eine Weile habe ich sie beobachtet, dann wandert mein Blick zu ihren Händen. Mit der linken Hand fixiert sie das Blatt vor sich und mit der rechten Hand führt sie den braunen Stift. Meiner Meinung nach, ist die braune Farbe nun ausreichend auf dem Papier. Ich habe mich zu ihr gebeugt und atme tief ein. Julia hört einen Moment auf zu Kolorieren, schließt die Augen, lächelt und holt ebenfalls tief Luft.

Sie hebt den Kopf und ich spüre ihre Haut an meiner Wange. Mein ganzer Körper kribbelt. Das kenne ich bisher nicht von mir, aber ich empfinde es als angenehm. Mir wird leicht und auch ein bisschen schwindelig im Kopf. Ein paar Sekunden kann ich das Gefühl festhalten, dann öffnet sie die Augen wieder und schaut auf das Blatt vor sich.

„Julia,“ stöhne ich, „nicht schon wieder braun! Komm‘ schon, nimm das helle Grün hier!“

Die Finger ihrer rechten Hand schweben unschlüssig über dem Kästchen mit den Buntstiften, dann nimmt sie den Hellgrünen auf und malt weiter. Dabei lächelt sie.

„So ist es viel besser!“ flüstere ich stolz.

Julia lächelt und atmet tief und langsam ein und aus beim Ausmalen. Dann legt sie den Stift zurück und nimmt einen blauen aus dem Kästchen. Dabei reckt sie sich. Das kommt für mich so unerwartet, dass ihre Schulter meine Brust berührt. Sie schaut sich um und betastet ihre Schulter. Aber da ist nichts, das sie in diesem Moment sehen kann.

Sie wendet sich wieder ihrem Bild zu und murmelt:
„Wie Nuss neben Limone… Wie bin ich bloß darauf gekommen?“

Sie atmet tief durch und schließt die Augen. Ihre Miene wird weicher. Sie murmelt nun:
„Ich weiß auch nicht. Es ist mir einfach plötzlich in den Sinn gekommen.“
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1So Jun 04, 2023 9:58 am

Nun wechselt sie den Stift und nimmt den Blauen für den Bergsee. Der ist schnell fertig. Für die sichtbaren Berghänge wählt sie dunkelgrün und wechselt virtuos mit einem Bleistift, um graue Felsen zu betonen.

Anschließend nimmt sie sich mit einem hellblauen Stift den Himmel vor, bevor sie mit Bleistiften verschiedener Härtegrade aus einer anderen Schachtel die beiden Zeppeline auf dem Bild in verschiedenen Grautönen ausmalt.

Darüber ist es früher Nachmittag geworden. Julia hat nun keine Lust lange am Herd zu stehen. Sie holt eine Tiefkühl-Lasagne aus dem Gefrierschrank und schiebt sie in der beschichteten Verpackung in den Backofen. Zehn Minuten später holt sie sie heraus, stellt sie auf einen Kuchenteller und teilt sie in der Hälfte. Sie hebt ihre Hälfte auf ihren Teller und schiebt den Rest in die Richtung, in der ich sitze.

Mich leise erhebend, schleiche ich zum Buffet und ziehe ebenso leise die Besteckschublade auf. Ich nehme mir mein Besteck heraus und setze mich ebenso leise wieder auf meinen Stuhl. Dann beobachte ich Julia. Aber sie schaut nicht auf, sondern beschäftigt sich mit ihrer Lasagne. Also esse ich die andere Hälfte und beeile mich dabei wieder.

*

Ich habe heute Morgen einen Anruf von der Werft erhalten. Frau Durant hat mich informiert, dass am frühen Nachmittag der Start des Prototyps geplant ist. Also mache ich mir wieder etwas Schnelles in der Mikrowelle und bin schon gegen 12 Uhr fertig um loszufahren. Längst habe ich mir angewöhnt, so viel Essen zuzubereiten, als ob Lukas zu Besuch wäre. Jedenfalls ist immer alles aufgegessen und ich nehme trotzdem nicht zu.

Gegen 13 Uhr erreiche ich die Werft, parke am Straßenrand und gehe auf das Verwaltungsgebäude zu. Ich klingele und Frau Durant öffnet mir mit einem Lächeln.

„Grüessech!“ sagt sie und fragt: „Wollen Sie sich den Start aus sicherer Entfernung vom Boden aus anschauen, oder wollen Sie dem Piloten über die Schultern schauen, Frau Elasar?“

„Den richtigen Eindruck gewinnt man sicher von Bord aus,“ antworte ich und lächele freundlich zurück. „Sie filmen doch den Start vom Boden aus, habe ich Recht?“

Frau Durant nickt lächelnd. Ich ergänze:
„Dann kann ich mir das Video auch später noch anschauen und Ihnen dabei meine Eindrücke schildern.“

Danach gehen wir zu der Montagehalle des Prototyps. Die Werft hat hinter den Bootshallen am Ufer des Sees eine riesige Halle in den Hang bauen lassen. Was die Bulldozer am Hang abgeräumt haben, haben sie vorne aufgeschüttet, damit die Halle einen ebenen Boden erhält. Dann wurde die Bodenplatte gegossen mit Stahlträgern, die tief ins Erdreich gerammt worden sind. Die Betonwand, die den Hang bei Regen vor dem Abrutschen schützen soll, ist ebenfalls verstärkt worden.

Dafür hat man die Seiten zum großen Teil in Leichtbauweise errichtet. Das Dach der Halle besteht aus zwei Elementen, die man zur Seite fahren und aufklappen kann. So kann das Luftschiff senkrecht starten und landen.

Wir treffen den Piloten und steigen gemeinsam mit vier weiteren Werftarbeitern die Treppe zur Halle hinauf. Frau Durant öffnet den Eingang und ich kann zum ersten Mal das Projekt in seiner vollen Größe bewundern, das ich bisher nur auf Zeichnungen und Fotos gesehen habe.

Was ich vor mir sehe, ist schon überwältigend, obwohl es nur halb so groß ist, wie die Air-Yacht, die wir an zahlungskräftiges Publikum vermarkten wollen. Herr Wyss, der Testpilot, holt mich aus der Betrachtung, indem er mich anspricht:

„Darf ich bitten, Frau Elasar?“

Er weist mit der Hand auf die Gondel, die zwischen den beiden Auftriebskörpern aufgehängt ist. Während die Werftarbeiter an den vier Seilen Aufstellung genommen haben und Frau Durant am Eingang stehenbleibt, nähern wir uns der Gondel. Ich bemerke, dass dort eine ‚Planke‘ angestellt ist, durch die wir schräg aufwärts ins Innere der Gondel kommen.

Ich schaue mich um und Herr Wyss lächelt. Er erklärt:
„Die endgültige Yacht soll ja fünf Kabinen in jedem Auftriebskörper bekommen. Während die Gondel äußerlich einer Yacht ähnelt und auch auf dem Wasser landen kann. In der Yacht wird es die Aufenthaltsräume und das Cockpit geben, sowie Küche und Vorratsräume.
Der Prototyp beherbergt das Cockpit und eine Wohnung für eine Handvoll Mitfahrer mit allen Annehmlichkeiten. Die Gondel ist vier Meter breit, etwas über fünf Meter hoch und zwanzig Meter lang. In der oberen Etage hat sie das Cockpit und drei Kabinen. Unten, also auf dieser Ebene, befindet sich die Lounge mit Panoramafenstern, die Küche und die Vorratsräume.“
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Mo Jun 05, 2023 9:37 am

„Ah,“ mache ich, „und Antrieb, Motore, Energieerzeugung und Batterien befinden sich auf und in den Auftriebskörpern?“

„Genauso ist es!“ bestätigt der Pilot nickend.

„Wie haben sie die Batterien in den vergangenen Tagen gefüllt?“

„Wir haben zwei Wallboxen in der Halle eingebaut,“ erklärt Herr Wyss. „Würden Sie mir dann bitte nach oben folgen?“

Ich nicke lächelnd und er führt mich eine schmale Treppe hinauf, die auf halber Höhe an einem Treppenabsatz die Richtung ändert. So müssen wir oben wenden und an der Treppe vorbei nach vorne gehen. Herr Wyss öffnet eine Tür und ich sehe mich in einem Raum mit vielen Monitoren und Steuerpanels. Ab etwa Tischhöhe ist er rundum verglast. Vier Sitzplätze wie in einem SUV stehen im vorderen Bereich. Wir setzen uns nebeneinander. So kann ich am Besten beobachten, was der Pilot macht.

Rechts und links sehe ich die Werftmitarbeiter an den Tauen stehen. Plötzlich fällt mir etwas ein.

„Ist die Planke abgezogen worden? Wo kann man das kontrollieren?“

Herr Wyss lächelt mich zuversichtlich an.

„Die ‚Planke‘, wie sie es nennen, kann man direkt daneben per Knopfdruck auf und zu fahren. Ich habe eben den Mechanismus betätigt, als wir die Treppe hochgegangen sind. Aber, damit sie beruhigt sind: Hier die beiden Lämpchen zeigen den Zustand an.“

Er deutet auf das Panel vor sich. Nun drückt er einen anderen Knopf, holt ein Schwanenhalsmikrofon vor seinen Mund und fragt:

„Alles klar bei den Tauen?“

„Alles klar!“ schallt es mehrfach aus einem Lautsprecher.

Der Pilot manipuliert an seinen Kontrollen und drückt einen Knopf. Sogleich beginnt die Gondel zu vibrieren. Nun kommandiert er:

„Los!“

Ich kann die beiden Werftmitarbeiter sehen, die am Bug der Auftriebskörper stehen. Sie lösen die Taue von fest im Boden verankerten Tonnen. Herr Wyss drückt nacheinander vier Knöpfe. Nun sehe ich, dass die Taue vorne immer kürzer werden und schließlich in den Auftriebskörpern verschwinden. Während sich die Werftmitarbeiter entfernen, regelt Herr Wyss an einer Stellschraube und der Prototyp hebt sich langsam aus der Halle. Er erklärt:

„Wir haben gerade Windstille. So ist ein gefahrloser Start aus der Halle möglich, denn wir werden nicht gegen eine Hallenwand gedrückt, wenn der Wind angreift.“

„Oh,“ mache ich und habe große Augen.

Nachdem wir ein gutes Stück über der Halle schweben, ist sie dennoch aus dem Sichtfeld gerückt. Ich frage Herrn Wyss deshalb:

„Wo sind wir jetzt?“

Er weist auf die Bildschirme vor uns. Einer davon zeigt die Landschaft unter uns. Der andere Bildschirm zeigt eine Computeranimation einer Karte, in der die Höhenlinien dreidimensional zu Bergen und Tälern umgewandelt wurden. In der Mitte dieser 3D-Karte steckt so etwas wie eine Stecknadel mit dickem rotem Kopf. Er erklärt dazu:

„Wir haben schwachen Wind aus Südwest, etwa ein Knoten nur. Dieser versetzt uns ganz allmählich. Das sehen Sie daran, dass die Landschaft unter dem Bezugspunkt langsam weg wandert.“

„Aber dort liegt das Horn -Bergspitze-!“ meine ich.

„Keine Angst, Frau Elasar. Wir sind ein Luftschiff und kein Fesselballon!“ antwortet er mir lächelnd.

Nun nimmt er zwei Hebel in seine Hände und drückt einen davon etwas nach vorne. Die Landschaft auf den Bildschirmen dreht sich etwas. Dann drückt er auch den anderen nach vorn und der Berggipfel -das Horn- wandert langsam nach hinten aus dem Bild. Gleichzeitig wird der Kartenausschnitt größer und das Kamerabild auf dem anderen Bildschirm zeigt, dass wir noch weiter steigen. Nach ein paar Minuten ist der Aufstieg beendet. Der Pilot erklärt:

„So, jetzt haben wir die Reiseflughöhe erreicht. In der Richtung, in die uns der Wind jetzt bläst, liegt Bayern. Die Behörden sind informiert und halten uns einen Korridor frei. Trotzdem gibt es hier einen Annäherungsalarm. Ertönt das Zeichen, muss ich schnellstens ins Cockpit zurück. Der Computer ist so eingestellt, dass die Triebwerke das Luftschiff herunterdrücken. Mit Glück überfliegt uns das Kleinflugzeug.“

Nach den Worten erhebt er sich aus dem Pilotensitz und fragt:
„Darf ich Ihnen das Schiff zeigen?“

Ich höre wieder ein quietschendes Geräusch beim Aufstehen. Wie erwartet ist Hannes wieder mit von der Partie. Der Pilot geht vor, um mir die Räumlichkeiten zu zeigen. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Nicht auszudenken wäre, was geschehen würde, wenn Hannes allein im Cockpit zurückbliebe und er an den Knöpfen und Hebeln herumspielt.
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Di Jun 06, 2023 10:23 am

Wir gehen an der Treppe vorbei nach hinten. Hier führt ein schmaler Gang seitlich mit Fenstern vom Boden bis zur Decke und einem Handlauf in angenehmer Höhe nach hinten. Herr Wyss öffnet eine der Kabinen auf dieser Ebene. Ich kann in einen knapp drei Meter breiten und 4,5 Meter langen Raum blicken.

Ein schmales Doppelbett wird sichtbar und darüber ein weiteres Bett, in das man mit einer Leiter kommt. Dahinter folgt gleich der Kleiderschrank und ein runder Tisch mit drei Sesseln steht davor. Im hinteren Bereich unterbricht eine Tür die Wand. Herr Wyss geht ins Zimmer und öffnet mir die Tür. Dort erkenne ich ein Duschbad mit WC und eine weitere Tür. Herr Wyss deutet auf die Tür und erklärt:

„Aus Platzgründen haben zwei Kabinen ein Bad gemeinsam. Damit man erkennt, dass besetzt ist, gibt es über der Tür eine Lampe, die Rot leuchtet, solange besetzt ist. Auch ist die Tür dann gesperrt.“

Er verlässt das Bad wieder und zeigt mir die Lampe über der Tür. Sie leuchtet im Augenblick, geht aber nach kurzer Zeit aus.

„Jetzt hat der Bewegungsmelder im Bad erkannt, dass niemand mehr drin ist,“ kommentiert er das.

Ich will ihn gerade etwas fragen, da beginnt sich einer der Sessel zu drehen. Bevor sich das Spiel aus dem Besprechungsraum wiederholt, sage ich laut:

„Hannes, hier bitte nicht! Diese Spielchen sind in einem Luftschiff zu gefährlich!“

„Och, schade!“ höre ich und die Drehbewegung wird langsamer.

Herr Wyss schaut den Stuhl an und danach mich. Er grinst und fragt:
„Haben wir einen Kobold an Bord?“

Ich lächele entschuldigend und meine:
„Man könnte ihn manchmal wirklich einen Kobold nennen. Haben Sie Kinder?“

„Leider nein,“ gibt Herr Wyss zu. „Ich bin Single.“

„Oh, okay,“ antworte ich. „Aber, was ich eben fragen wollte: Wie bekommen Sie fließendes Wasser in die Leitungen?“

„Sie meinen, weil unser Wassertank sicher, wie alle Versorgungseinrichtungen, in der Ebene unter uns sind?“

„Ja, das war meine Überlegung,“ gebe ich zu.

„Damit haben Sie Recht, aber eine Pumpe hält den Druck in den Leitungen aufrecht und ein Sensor misst laufend den Druck…“

Ein Seitenblick aus dem raumhohen Kabinenfenster lässt ihn sich unterbrechen. Schnell ist er aus der Kabine und nach vorne ins Cockpit gespurtet. Wir sind einem Grat -beidseitig steil abfallende Felswand- ziemlich nahegekommen. Wie ich aus dem Fenster sehe, lässt unser Pilot das Luftschiff schnell steigen und hat auch den Kurs angepasst.

Ich gehe nun auch wieder nach vorne ins Cockpit, nicht ohne Hannes unterwegs zu loben:
„Ich bin stolz auf dich, Hannes. Weißt du, an Bord muss man sich immer benehmen, auch wenn es einem schwerfallen sollte. Wenn der Flug ohne besondere Vorkommnisse verläuft, lade ich dich in einen Kletterpark ein. Magst du so etwas?“

„Au ja, gerne!“ ertönt es aus der Luft.

Inzwischen habe ich das Cockpit erreicht und gehe hinein, um mich dort wieder auf meinen Platz zu setzen.

„Wie haben Sie so schnell an Höhe gewonnen?“ frage ich Herrn Wyss.
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Mi Jun 07, 2023 9:36 am

„Die vier Triebwerke außen sind drehbar aufgehängt,“ erklärt er mir geduldig. „Sie lassen sich auf ihrer Achse um 360° drehen. So kann ich vorwärts und rückwärts machen. Lasse ich eine Seite vorwärts machen und die andere Seite rückwärts, kann ich auf der Stelle drehen. So kann ich sie auch senkrecht stellen und damit schnell an Höhe gewinnen oder umgekehrt das Luftschiff an den Boden oder die Wasseroberfläche drücken.“

„Ah, da hat sich der Ingenieur aus der Hochschule in meinem Team etwas Wunderbares einfallen lassen!“ bemerke ich.

Herr Wyss nickt lächelnd. Dann meint er:
„Jetzt dürften wir wieder eine Zeitlang Ruhe haben, bevor ich wieder sprinten muss. Dann können wir uns auch einmal die untere Ebene anschauen.“

Wieder erhebt er sich. Er geht zur Cockpit-Tür und ich folge ihm, denn was hätte ich auch ohne ihn an den Kontrollen machen können. Auch diesmal quietscht es, als Hannes sicher aus einen der Sessel hinter uns aufgestanden ist. Herr Wyss scheint Hannes nicht hören zu können. Der sich drehende Sessel in der Kabine ist allerdings zu verräterisch gewesen.

Wir gehen nun die Treppe in den unteren Bereich der Gondel hinunter. Vor der Treppe befindet sich der Bereich, wo sich der Boden absenken kann. Ich vermeide, dorthin zu gehen. Herr Wyss geht auch hier nach hinten. Zuerst stehen wir in der Lounge der Gondel. Sie hat beidseitig raumhohe Fenster, was in beiden Ebenen nicht mehr als vielleicht 2,3 Meter bedeutet.

Die Lounge ist mit vier Metern so breit wie die Gondel und besitzt eine Couchecke mit Tischchen und herunterklappbarem TV, das jetzt unter der Decke arretiert ist. Man kann auch nahe an die Fenster gehen. Sie haben beidseitig einen Handlauf, wie oben im Gang zu den Kabinen.

Dahinter gibt es eine Esstischgruppe mit 12 Stühlen und ein Geschirr- und Besteckschrank. Daran schließt sich die Küche an. In der Küche suche ich den Herd vergeblich. Ein schmaler Backofen und eine Mikrowelle ist alles. Daneben stehen auf der Arbeitsplatte festgeschraubt verschiedene Küchenmaschinen, darunter auch eine Multiküchenmaschine.

„Wo werden die Lebensmittel aufbewahrt?“ frage ich.

Herr Wyss öffnet mit einem feinen Lächeln eine schmale Tür. Er lässt mich hindurch und schließt sie hinter mir wieder. Hier ist es deutlich kühler als im Rest der Gondel.

„Das ist unser Kühlraum. Hinter dieser abgedichteten Tür liegt die Tiefkühlware. Sie können selbst kochen oder einen Koch einstellen, der ihre Gesellschaft bekocht. Koch und Pilot teilen sich dann eine der Kabinen.“

Er zeigt auf eine weitere schmale Tür und ergänzt:
„Dahinter liegt die Technik. Zur Antriebstechnik kommen Sie über die beiden Stege rechts und links, die in die Auftriebskörper führen.“

„Ah, okay,“ meine ich lächelnd und ziehe mich in die Lounge zurück.

Draußen scheint alles okay zu sein. Herrn Wyss‘ erster Blick geht auch aus dem Fenster, aber er bleibt ruhig.

„Wie gestaltet sich eigentlich eine Wasserlandung mit diesem Luftfahrzeug?“

„Wir brauchen wie bei einer Bodenlandung Poller, an denen wir die Taue festmachen können. Bei der projektierten Airyacht später übernehmen dann Motorboote die Shuttle-Dienste und bei einer Bodenlandung wären das ganz profane Taxis.“

„Aha,“ meine ich.

Letzteres ist mir schon klar gewesen.

„Bei einer Wasserlandung brauchen wir mindestens zwei Poller an Land, die ungefähr 30 Meter auseinander stehen sollten,“ setzt er nach. „Damit das Luftschiff dann nicht in die Senkrechte klappt, wenn ich die Motoren ausschalte, hängt am Ende der Gondel ein Anker, den ich als dritten Haltepunkt fallenlassen kann oder ich Pumpe Wasser in spezielle Tanks in den Auftriebskörpern.“

Herr Wyss fährt mit dem Luftschiff einen weiten Kreis. Gegen Abend sind wir wieder an der Werft zurück. Ich bitte ihn, jetzt einmal eine Wasserlandung durchzuführen. Er geht über dem See tiefer, an dem die Werft liegt und schaltet dann die Motoren hoch. Sie drücken das Luftschiff gegen die Wasseroberfläche.

Dann lässt er den Anker fallen. Es vibriert ziemlich, bis er draußen ist. Probeweise verringert er den Schub der hinteren Triebwerke. Bald hat der Anker Widerstand am Seegrund gefunden. Zwei Männer kommen aus dem Werftgebäude gelaufen. Unser Pilot gibt die vorderen Taue frei, damit die Männer das Luftschiff festmachen können. Anschließend lässt er die Planke herunter. Leider reicht sie nicht ganz bis zur Spuntwand.
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Do Jun 08, 2023 9:33 am

Nun verholen die Männer von der Werft einen flachen breiten Ponton dorthin. Darauf kann die Planke abgesenkt werden. Eine weitere Planke wird von der Spuntwand auf den Ponton geschoben.

Anschließend kommt Frau Durant an Bord. Sie lächelt mir zu und fragt:
„Na, wie war die Rundfahrt?“

„Es war alles so neu für mich,“ erkläre ich und erwidere ihr Lächeln. „Ich hatte eine Menge Fragen und habe mir die Einrichtung zeigen lassen. Darüber kann man die Fahrt mit dem Luftschiff nicht wirklich genießen. Dazu müssen wir mal eine Fahrt an die Adria machen, denke ich.“

„Wenn Sie sich aber in die Rolle des Eigners versetzen, Frau Elasar… Könnten Sie sich vorstellen, dass Sie solch eine Yacht genießen könnten?“

„Oh ja! Ich denke schon, dass solch eine Yacht Interessenten findet, Frau Durant. Wie gesagt, durch solch einen nachmittäglichen Rundflug lernt man das Luftschiff kennen. Eine Fahrt zu einem touristischen Ziel lässt die Leute aufmerksam werden. Das ist besser, als Journalisten und Besucher einer Luftfahrtausstellung in das Luftschiff zu lassen. Letzteres kann man natürlich zusätzlich machen,“ erläutere ich ihr meine Ansicht über den Nachmittag.

„Okay,“ antwortet sie, und erinnert mich: „Sie wollten doch ein Video vom Start sehen.“

Ich nicke lächelnd. Sie geht in die Lounge und klappt den Bildschirm von der Decke herunter. Nun schaltet sie ihn ein und sucht kurz den Karten-Slot. Als sie ihn gefunden und die SD-Card hineingeschoben hat, zeigt der Bildschirm die SD-Card in einer Ecke an. Sie klickt ein paar Mal auf die Tasten der Fernbedienung, die den Cursor bewegen, dann drückt sie die OK-Taste. Sofort erkenne ich das Innere der Halle.

Frau Durant ist am Eingang stehengeblieben. Ihre Männer gehen zu den vier stählernen Pollern, die im Beton der Bodenplatte eingelassen sind. Ich gehe mit dem Piloten Herrn Wyss die Planke hoch und kurz darauf wird sie angehoben und in der Karosserie der Gondel verankert. Man kann zwei Klammern sehen, die einrasten.

Nun ist Frau Durant an eine Seite der Halle gegangen und betätigt einen Schalter. Von diesem Standort aus sieht man, wie sich die Hallendecke teilt und nach beiden Seiten öffnet. Die beiden Triebwerke auf dieser Seite der Auftriebskörper drehen sich in die Vertikale und die Männer beginnen wie auf ein Kommando die Taue zu lösen. Anschließend steigt das Luftschiff senkrecht in die Höhe und die Taue werden eingezogen. Nun geht Frau Durant vor die Halle und verfolgt noch die Abfahrt des Luftschiffes.

Ich nicke und meine:
„Das Video ist als Werbevideo vorzüglich gelungen. Jetzt müsste man noch eine Animationsfirma finden, die statt des Prototyps die Air-Yacht in das Video einfügen könnte…“

Frau Durant zuckt mit den Schultern und holt die SD-Card aus dem Karten-Slot heraus. Danach verlassen wir das Luftschiff und ich fahre nach Hause.

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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Fr Jun 09, 2023 10:02 am

Tags darauf, an einem Montag, kommt Sofia, um Julia ihre Mitschrift des Meetings auszuhändigen. Sie bedankt sich bei Sofia. Da mir langweilig ist, setze ich mich auf Julias Bürostuhl und beginne Karussell zu fahren. Erst langsam, dann immer wilder.

Plötzlich reißt Sofia ihre Augen auf, wie vor dem Meeting im Hinterzimmer der Gaststätte. Sie schaut auf den Bürostuhl hinter dem Schreibtisch. Julia folgt ihrem Blick und sieht ihren Stuhl mit irrwitziger Geschwindigkeit Karussell fahren. Sie sagt mit gepresster Stimme:

„Kümmere dich nicht weiter um solche Kleinigkeiten, Sofia. Bleib ruhig. Schau einfach nicht hin.“

Ich stoppe die Fahrt des Stuhles und sage zu Julias Bürokraft:
„Weißt du, Sofia, sie kann mich nicht sehen, weil sie einfach zu viel Angst hat, daran zu glauben. Ist es nicht so, Julia?“

„Was?“ fragt Julia.

„Ich hab‘ nichts gesagt,“ beteuert Sofia.

„Doch, du hast ‚Ist es nicht so, Julia‘ gesagt!“

„Nein, habe ich nicht!“

„Weißt du, Sofia, ich glaube, Julia kann mich hören. Sie kann mich ganz genau hören. Stimmt’s Julia?“ meine ich.

Julia schaut verwirrt. Ich lege mich quer über den Schreibtisch und sage:
„Tja, Julia. Ich bin real! Und ich bewege mich hier nicht weg, bis du die Augen aufmachst und mich ansiehst.“

Wie in Trance starrt sie ins Nichts. Sie fühlt sich von Wärme und Geborgenheit eingehüllt.

„Okay,“ meint Sofia. „Wenn weiter nichts ist, kann ich ja wieder gehen. Wenn du etwas brauchst, rufst du einfach an.“

Julia nickt. Also verlässt Sofia das Haus, setzt sich in ihr Auto und fährt heim.

Nachdem Sofia gegangen ist, starrt Julia noch eine Weile in den Raum. Ich setze mich wieder auf den Bürostuhl und drehe ihn mit langsamer Geschwindigkeit. Ich sehe, wie sie um den Schreibtisch herumkommt und sich mir ganz langsam nähert. Als sie neben mir steht, stoppe ich die Drehbewegung.

„Feigling,“ flüstert Julia daraufhin.

Sie greift die Armlehnen und setzt sich auf mich. Natürlich sinkt sie durch mich hindurch und landet auf der Sitzfläche. Nun hüpft sie ein paar Mal auf dem Stuhl. Dann will sie aufstehen. In dem Moment beginne ich wieder, den Stuhl in Drehung zu versetzen. Zuerst noch langsam. Sie bleibt sitzen. Dann beginne ich eine immer schneller werdende Karussellfahrt.

Anfangs zeigt sie eine nervöse Miene. Sie stemmt sich aus der Sitzfläche hoch, als will sie abspringen. Aber sie traut sich wohl nicht. Dann lässt sie sich wieder auf die Sitzfläche zurücksinken und lehnt sich gegen die Rückenlehne. Ihr Gesichtsausdruck wird zunehmend entspannter. Sie beginnt zu kichern wie ein kleines Mädchen.

Der Stuhl nimmt immer mehr Fahrt auf und je wilder er sich dreht, desto lauter lacht sie. Nach ein paar Minuten bremse ich das Karussell langsam ab und bringe den Stuhl wieder zum Stehen. Julia schnappt nach Luft. Allmählich verblasst ihr Lächeln im Gesicht. Ich habe sie in ihre Kindheit zurückgeführt. Sie muss sich jetzt wohl an irgendetwas Schlimmes erinnern, denn plötzlich beginnt sie zu schluchzen. Zuerst ist nur ein leises Wimmern zu hören. Dann bricht sich aber ein jämmerliches Weinen Bahn.

Jede Träne, die nun über ihre Wangen läuft, stellt sich mir wie ein Hilferuf dar, auf den in der Vergangenheit nie jemand reagiert hat. Plötzlich spürt sie etwas auf der Haut. Jemand trocknet ihre Tränen und geht dabei ganz sanft vor. Sie lässt es geschehen.

„Hannes?“ flüstert sie fragend. „Weißt du, wie es ist, seine Mama zu verlieren?“

„Schsch,“ hört sie und sie meint einen Schatten neben sich zu sehen.

„Hannes? Ich glaube, ich kann dich sehen! Einen Schatten zwar erstmal nur…“

„Wunderbar, Julia! Du bist auf einem guten Weg. Bald wirst du lieben können. Deine Mama wünscht sich das so sehr für dich!“

„Wie soll das gehen?“

„Freu dich wie ein Kind, trauere wie ein Kind. Lass‘ Gefühle in dein Leben, Julia!“

„Meine Mama ist schon viele Jahre tot! Es gibt sie nicht mehr!“
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Sa Jun 10, 2023 11:32 am

„Oh doch, Julia! Es gibt sie noch und sie wacht über dich. Sie wünscht sich so sehr, dass du glücklich wirst. Verschließe deine Augen nicht vor möglichem Glück, das auf deinem Weg liegt und du nur aufzuheben brauchst!“

„Hilfst du mir?“

„Wenn ich kann, helfe ich dir gerne, Julia!“

*

Es ist wieder Abend geworden. Ich habe mich mit einem Becher Tee auf die Veranda gesetzt. Dort steht ein Gestell, in das ein Netz eingehängt ist, auf das ich das Polster einer Gartenliege gelegt habe. Mein Garten geht nach Westen hinaus, so dass ich oft des Abends wunderschöne Sonnenuntergänge beobachten kann.

So auch heute. Die Sonne steht am Horizont und taucht den Himmel in Pastellfarben. Ich atme die kühle Abendluft ein und höre eine Stimme sanft sprechen:

„Wunderschönes Abendrot!“

Ich ergänze leise:
„Abendrot, Gut-Wetter-Bot. Morgenrot mit Regen droht.“

Ich seufze. Eine ganze Stunde sitze ich jetzt schon hier auf der Veranda und versuche abzuschalten. Ich habe versucht, meine Gefühle in Schach zu halten, denn in der Geschäftswelt ist Rationalität gefragt. Ich habe das Gefühl, immerzu kämpfen zu müssen, um etwas zu erreichen. Jetzt darf ich mich endlich etwas gehen lassen, aber es will mir nicht leichtfallen.

Mit dem Fuß schubse ich mich wieder an und denke über den heutigen Tag nach. Ich bin immer allein. Seit Mamas Tod bin ich immer allein gewesen. Nie hat es jemand lange bei mir ausgehalten. Irgendwann sind sie alle abgehauen. Ich schließe die Augen und beginne leise zu schluchzen. Schon zum zweiten Mal am heutigen Tag.

Irgendwann sind sie alle abgehauen. Jeder Mensch, der es jemals geschafft hat zu meiner Seele vorzudringen und mein Leben schöner zu machen, hat mich irgendwann alleine zurückgelassen.

Meine Mama hat das Gleiche getan, wie die Sonne heute Abend auch. Sie hat mich verlassen, hat Licht und Wärme aus meinem Leben genommen. Onkel und Tanten sind gekommen, um eine Weile auszuhelfen – und irgendwann wieder gegangen. Freunde habe ich gefunden, aber entweder entwickelten wir uns unterschiedlich, oder ich habe umziehen müssen, weil mein Vater eine neue Frau gefunden hat. Dort neue Freunde zu finden, ist mir kaum möglich gewesen. Die Altersgenossen haben sich, wie ich, auf der Suche nach sich selbst befunden.

Ich beuge mich vor, schlinge die Arme um meine Knie und weine still in mich hinein. Ich fühle mich wie ein kleines Mädchen, das hingefallen ist und sich die Knie aufgeschlagen hat. Nun wünschte ich mir, meine Mama würde kommen, mich in die Arme nehmen, in die Küche tragen, auf den Küchentisch setzen und Pflaster auf meine Wunden kleben. Anschließend würde sie mich an den Händen nehmen, mit mir Ringelreihen tanzen und singen, bis die Schmerzen vergessen und die Tränen getrocknet sind.

Je mehr ich mich nach alledem sehne, desto mehr weine ich, weil mir klar wird, von welchen Menschen ich im Moment umgeben bin. Da ist mein Vater, der mich kaum ansehen möchte, aus Angst, an seine erste Frau erinnert zu werden. Da ist mein Bruder mit seiner Frau und mein Neffe, Lukas, mit seinen hoffnungsvollen blauen Augen, die praktisch darum betteln, ihn, Lukas, in den Arm zu nehmen. Leider habe ich selbst nicht genug Liebe bekommen, um sie jetzt mit anderen teilen zu können.
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1So Jun 11, 2023 10:34 am

„Hilfe!“ schluchze ich leise.

Ein leichtes Knarren von der Verandatür lässt mich hochfahren. Ich richte mich in der Schaukel auf und schaue dorthin, wo das Geräusch eben erklungen ist. An der Tür steht ein Mann in meinem Alter.

„Oh!“ mache ich.

Ich schlucke und mein Herz klopft wild, weil jemand mich in dieser Verfassung erwischt hat. Dann erhebe ich mich. Mit gesenktem Kopf nähere ich mich der Tür. Mein Gegenüber soll meine rotgeweinten Augen nicht sehen.

Als ich die Verandatür erreiche, sehe ich daher nur ein paar Sneakers auf den Platten stehen und darüber eine reichlich verwaschene Jeans.

„Tut mir leid, dass Sie mich im Garten in so schlechter Verfassung erwischt haben,“ entschuldige ich mich und schaue dem Besucher in die Augen. „Normalerweise passiert mir so etwas nicht.“

„Ist schon okay,“ erwidert der Fremde. „Wir haben alle einmal einen schlechten Tag.“

Ich gehe an dem Mann vorbei, betrete die Halle und frage:
„Möchten Sie vielleicht einen Moment Platz nehmen? Was darf ich Ihnen anbieten?“

Wir haben in der Halle eine Sitzecke, bestehend aus einem Bistrotisch mit vier Bistrostühlen für Besucher, die einen Moment warten müssen, bis ich Zeit für sie habe. Ich gehe schnell in die Küche und komme kurz darauf mit einem Glas Cola für den Mann und einer frischen Tasse Espresso für mich zurück. Erstaunt erkenne ich, dass er nicht dort sitzt. Stattdessen höre ich ein andauerndes Quietschen aus dem Büro.

Ich eile dorthin und an der Tür trifft mich der Schlag. Der Mann hat sich in meinen Bürostuhl gesetzt und benutzt ihn als Karussell. Bei seinem Anblick muss ich unwillkürlich grinsen.

Als er mich grinsen sieht, stoppt er die Karussellfahrt, kommt auf mich zu und nimmt mir das Glas Cola aus der Hand. Er geht hinüber ins Wohnzimmer und setzt sich dort auf die lederne Couch. Ich folge ihm und setze mich an das andere Ende der Couch.

„Tut mir leid, ich weiß gerade nicht, wie Sie heißen,“ meine ich.

„Ich heiße Hannes,“ antwortet der Mann.

Ich verschlucke mich an meinem Espresso und beginne heftig zu husten. Sofort ist Hannes bei mir und tätschelt mir sanft den Rücken. Seine besorgten Augen schauen direkt in meine, als ich aufschaue, und seine Stirn liegt in Falten.

Als das Husten nachlässt, presse ich zwischen meinen Lippen hervor:
„Danke, geht schon wieder.“

Dann beuge ich mich vor und frage ihn:
„Was machen Sie denn so, wenn ich fragen darf, Hannes?“

Er hat wieder Platz genommen und antwortet:
„Man könnte sagen, ich beschäftige mich mit Freundschaft, Julia.“

Ich nicke verständnisvoll.

„Machen wir das nicht irgendwie alle, Hannes?“ setze ich ein Statement.

Er überlegt. Also frage ich weiter:
„Von welcher Firma kommen Sie?“
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Mo Jun 12, 2023 9:21 am

Der grüblerische Gesichtsausdruck verschwindet und seine Augen beginnen zu leuchten. Er antwortet:
„Ist ‘ne Superfirma. Ich liebe meinen Job wirklich!“

„‚Superfirma‘?“ frage ich zurück. „Nie gehört! Hat die auch in Zürich eine Filiale?“

„Oh,“ meint Hannes blinzelnd. „Uns gibt es praktisch überall, Julia!“

Interessiert schaue ich mein Gegenüber an.

„Also ein international tätiges Unternehmen? Womit hat ihre Firma denn zu tun?“

Hannes nickt und trinkt einen Schluck Cola, bevor er antwortet:
„Mit Kindern. Abgesehen von meiner Kollegin Rike, die mit alten Menschen arbeitet. Aber ich hatte bisher immer mit Kindern zu tun. Ich helfe ihnen, wissen Sie. Ich habe den Eindruck, dass ich zurzeit meinen Wirkungskreis erweitere. Aber ich empfinde das als positiv!“

Er verstummt wie einer, der sein Pulver verschossen hat. Denn er trommelt mit den Fingernägeln gegen sein Glas und schaut dabei in die Ferne, die Stirn in Falten gelegt.

„Das ist beachtlich,“ kommentiere ich ihn und meine: „Wenn man eine Marktlücke entdeckt, dann sollte man sie unbedingt nutzen, finden Sie nicht auch?“

Er beginnt zu erzählen, aber ich kann nicht verhindern, dass meine Gedanken abschweifen. So schrecke ich plötzlich aus meinen Gedanken, als er mich fragt:

„Geht es Ihnen gut, Julia?“

Ich blicke von meinem Espresso auf. Warum liegen meine Stimmungen diesem Mann so am Herzen? Wer ist dieser sanfte Fremde, in dessen Gegenwart ich mich so wohlfühle? Warum stellt dieser Mann mir eine Frage, die nicht einmal meine Familie mir stellt?

‚Geht es Ihnen gut?‘ Und? Geht es mir gut? Seit Jahren hat mir niemand mehr diese Frage gestellt. Wenn ich versuche, darauf eine Antwort zu finden, heißt sie einzig: Nein, mir geht es nicht gut! Ich bin es müde, immer nur mein Kissen zu umarmen. Ich arbeite, bezahle Rechnungen und gehe ins Bett. Jeden Morgen wünsche ich mir, es möge möglichst schnell Abend werden, damit ich mich wieder in mein Bett verkriechen und mein Kissen an mich drücken kann.

Ich schaue den freundlichen Fremden an, dessen Augen mich mustern. In ihnen liegt mehr Aufmerksamkeit als in den Augen irgendeines anderen Menschen, den ich kenne. Ich möchte ihm erzählen, was ich empfinde. Ich hoffe, dass er mir versichert, dass alles gut werden würde, dass ich nicht allein wäre, dass ich mein Glück finden würde.

Und - ich stoppe mich in Gedanken. Träume, Wünsche und Hoffnungen sind keine Produkte der realen Welt. Ich darf meine Gedanken nicht so ausufern lassen. Ich habe einen guten Job und bin gesund. Mehr brauche ich nicht. Wieder schaue ich Hannes an und überlege, wie ich seine Frage beantworten soll. Geht es mir gut?

Er trinkt einen großen Schluck Cola. Endlich ringe ich mich zu einer Antwort durch:
„Ja, danke, Hannes. Mir geht es gut.“

Er betrachtet mich nun eine Weile, bevor er fragt:
„Sie sind also Designerin? Nicht Modedesign, sondern… Na, sagen wir Industriedesign, oder so…“

„Ja, woher wissen Sie das?“ stelle ich ihm die Gegenfrage.

Hannes Augen blitzen schelmisch.

„Ich weiß alles!“ behauptet er.

„Ja, das ist bei Männern immer so!“ entgegne ich ihm augenzwinkernd.

Er lehnt sich auf der Couch nach vorn, stützt sich mit einer Hand auf seinem Knie ab. Dabei mach die Couch ein quietschendes Geräusch. Irgendwie muss ich das schon einmal gehört haben, mir fällt es momentan nur nicht ein.

„Wissen Sie was?“ fragt er nun. „Sie sind wunderschön. Ein Elend, dass Sie noch Single sind!“

Ich schaue ihn verblüfft an. Dann werde ich rot wie ein Teenager. Was sollte das jetzt? Warum sagt dieser Mann so etwas? Wieder schweigen wir uns an. Ich frage mich, ob ich beleidigt sein soll oder doch nicht. Es kommt eher selten vor, dass mir jemand Komplimente macht. Daher weiß ich gerade nicht, wie ich jetzt reagieren soll.
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Di Jun 13, 2023 8:48 am

Ich werfe Hannes einen verstohlenen Blick über den Rand meiner Espressotasse zu. Er wirkt überhaupt nicht verlegen, sondern eher so, als wäre er es gewohnt, solche Feststellungen zu treffen. Er ist wahrscheinlich ein Schmeichler-Typ, denke ich. Aber irgendwie passt die Charakterisierung doch nicht wirklich.

Dieser Mann kennt mich kaum zehn Minuten, sagt, ich sei schön, und bleibt doch in meinem Wohnzimmer sitzen, als wäre er mein bester Freund. Dabei schaut er sich im Zimmer um, als fände er den Raum höchst interessant.

Er hat eine solch freundliche Ausstrahlung. Man kann sich wunderbar mit ihm unterhalten und ihm ganz entspannt zuhören. Obwohl er gesagt hat, dass ich schön bin in meinen Schmuddel-Klamotten, in denen ich mich nach Feierabend wohlfühle, mit meinen rotgeränderten Augen, fühlt er sich nicht im geringsten unangenehm berührt.

„Danke, Hannes,“ antworte ich deshalb höflich.

„Sie erhalten nicht oft Komplimente, oder?“

Ich seufze.
„Nein, Hannes. Ich bekomme so gut wie nie Komplimente.“

„Na, dann ist das jetzt das Erste in einer langen Reihe,“ meint er lächelnd.

Wieder stockt das Gespräch. Ich beobachte ihn verstohlen weiter. Wie alt er wohl ist? Er besitzt einen jungenhaften Charme und er bringt mich ganz durcheinander. Ich frage ihn nun direkt heraus:

„Hannes, in Ihrer Gegenwart bin ich ein wenig verwirrt! Darf ich Sie fragen, wie alt Sie sind?“

Hannes lächelt. Er sagt:
„Nun, sagen wir einfach, dass mir eine bestimmte Person ein Alter zugewiesen hat, dass Ihrem ähnelt.“

Ich lache auf. Daraufhin erklärt er:
„Kinder halten einen jung, Julia! Mein Job ist es, mich um Kinder zu kümmern, ihnen zur Seite zu stehen und für sie da zu sein.“

„Sind Sie in der Jugendfürsorge tätig?“ frage ich nun.

Hannes denkt nach. Nach einer Weile antwortet er:
„So könnte man es nennen. Ich bin sozusagen ein professioneller bester Freund, ein Mentor…“

Er richtet sich auf der Couch auf. Wieder dieses Quietschen, das mir so vertraut erscheint. Dann redet er weiter:

„Kinder wissen immer ganz genau, was in der Welt vorgeht, wissen Sie. Sie sehen mehr als Erwachsene, sie glauben mehr als sie. Sie sind ehrlich und man weiß immer, woran man bei ihnen ist.“

Ich nicke bei jedem vorgetragenen Aspekt. Es ist offenbar, dass Hannes seine Arbeit liebt.

„Interessanterweise,“ fährt er fort, „lernen Kinder viel mehr und viel schneller als Erwachsene. Wissen Sie auch, warum?“

Ich schüttele den Kopf.

„Weil sie offen sind,“ ergänzt er. „Weil sie lernen WOLLEN. Erwachsene denken meistens, sie wüssten schon alles. Aber, Julia, es sind die EXTRAS, die das Leben ausmachen.“

„Die das Leben wie machen,“ flüstere ich fast.

Er lächelt mich an.

„Die das LEBEN machen!“ wiederholt er.

Ich schlucke und versuche damit, den Kloß im Hals loszuwerden.

„Und das ist alles?“ frage ich gebannt zurück.

Hannes lächelt mir weiter zu und stellt mir eine Gegenfrage:
„Was ist denn mehr als das Leben? Das Leben ist ein Geschenk. Das Leben ist ALLES, und man lebt nicht wirklich, bevor man beginnt daran zu glauben.“

„An was glauben?“

Ich habe anscheinend eine Denkblockade. Hannes rollt die Augen und erklärt lächelnd:
„Ach, Julia! Das werden Sie schon noch herausfinden.“

Ich lasse mein bisheriges Leben Revue passieren. Extras, die das Leben ausmachen, hätte ich gerne auch endlich. Da erhebt sich Hannes und sagt mit sanfter Stimme:

„Julia, ich möchte mich jetzt gerne für heute verabschieden. Es war mir eine Freude, Ihnen Gesellschaft leisten zu dürfen.“

Er streckt mir seine Hand entgegen und ich nehme sie, nachdem ich mich erhoben habe. Wir schütteln sanft die Hände und ich bringe ihn zur Haustür.

Später liege ich im Bett. Durch das Fenster schaut der Mond herein. Ich umarme das Kissen ganz fest. Ich drehe mich im Bett und schaue zum Mond empor. Es ist derselbe Mond, den ich schon als Kind beobachtet habe, und dieselben Sterne am Nachthimmel.

*
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Mi Jun 14, 2023 9:48 am

Im Frühjahr bevor die Luftfahrtmesse AERO in Hannover und die BOOT in Düsseldorf, sowie die ILA in Berlin stattfinden, regt die Werftchefin Frau Durant eine kamerabegleitete Fahrt nach Nizza an. Ich sage sofort zu.

Am Tag der Abreise bin ich schon am Vormittag in der Werft. Im Besprechungsraum gibt es ein Mittagessen, an dem Kamerafrau Arlene Dittrich und ihr Mann teilnimmt, der den Bericht schreibt. Ansonsten nehmen nur bekannte Personen teil, wie Frau Durant, der Pilot Herr Wyss und meine Wenigkeit, Julia Elasar, Chefin des federführenden Designbüros.

Wir lernen uns kennen, freunden uns mit dem Ehepaar Dittrich an und gehen zur Halle mit dem Luftschiff hinüber. Frau Dittrich filmt schon diesen Weg und das Öffnen der Dachhälften. Dann fragt sie, ob es möglich wäre, den Start des Luftschiffes von hier unten zu filmen, und sie später an Bord zu nehmen. Frau Durant und Herr Wyss schauen sich an. Herr Wyss nickt kurz und so sagt die Werftchefin:

„Okay, Frau Dittrich. Das arrangieren wir. Herr Wyss startet aus der Halle und landet kurz darauf am Ufer des Sees, dort wo wir unsere Boote festmachen.“

Während Herr Wyss und ich an Bord gehen, bleiben die Anderen zurück. Die vier Mitarbeiter der Werft warten bis der Pilot die Triebwerke auf Vertikalschub verstellt und laufen lässt, so dass das Luftschiff am Boden gehalten wird. Danach lösen sie auf Kommando des Piloten gleichzeitig die vier Taue von den stählernen Pollern in der Halle.

Nun fährt Herr Wyss die Triebwerke herunter. Während die Auftriebskörper sich vom Boden lösen und die Halle nach oben verlassen, dreht der Pilot die Triebwerke in die Waagerechte, macht auf einer Seite Voraus und auf der gegenüberliegenden Seite Zurück. Das Luftschiff dreht nun mit dem Heck in Richtung des Sees. Anschließend schwebt es langsam zum See, um dort tiefer zu gehen. Wieder drückt Herr Wyss das Luftschiff mit Hilfe der Triebwerke auf die Wasseroberfläche.

Zwei Männer der Werft stehen schon bereit, um die Taue in Empfang zu nehmen und das Luftschiff an der Spuntwand der Werft zu vertäuen. Die anderen Männer verholen den Ponton zwischen die Auftriebskörper und vor die Gondel. Herr Wyss lässt die hinteren Triebwerke weiterhin laufen und lässt die Planke der Gondel auf den Ponton herunter. In der Zwischenzeit haben die Männer an Land schon eine Planke auf den Ponton geschoben.

Frau Dittrich hat das ganze Manöver gefilmt und nähert sich nun mit ihrem Mann und Frau Durant dem Luftschiff. Frau Durant verabschiedet sich von den Kamera-Journalisten, die jetzt über die Planken an Bord kommen. Ich begrüße die Leute, die einen Werbefilm für uns drehen sollen.

„Willkommen an Bord, Herr und Frau Dittrich. Darf ich Ihnen als Erstes ihre Kabine für die nächsten Tage zeigen?“

„Ja, gern,“ antwortet Herr Dittrich.

Ich führe sie also die Treppe hinauf und öffne ihnen die letzte der drei Kabinen. Die Vorderste hat Herr Wyss für sich reserviert, um schnell im Cockpit zu sein, wenn nötig. Also bleibt mir selbst nur die mittlere Kabine. Unsere Passagiere setzen ihre Reisetaschen auf dem Bett ab und wollen wieder zurück an die Planke, um den Start diesmal von innen zu filmen.
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Do Jun 15, 2023 9:50 am

Herr Wyss hat unsere Gespräche über die Bordkommunikations-Anlage verfolgt und wartet nun darauf, dass ich den Start freigebe. Inzwischen sind wir wieder vor der Planke angekommen und ich betätige den Knopf im Panel an der Wand, der die Planke einfahren lässt.

Sie hängt an zwei Tauen, die die Planke nun elektrisch anheben, bis sie sich rundum in den Rahmen einpasst. Man hört ein Klicken und die LED neben den Knöpfen springt von gelb auf rot. Jetzt haben zusätzlich noch Klammern die Planke gesichert. Entsprechende Fragen von Herrn Dittrich beantworte ich gerne.

Durch die Fenster können wir beobachten, dass die Männer die Taue von den Pollern lösen. Die Taue werden eingezogen, indem sie auf eine Rolle gedreht werden. Danach schwebt das Luftschiff immer höher in den Luftraum über der Werft.

Nun zeige ich den Gästen den unteren Bereich der Gondel mit den Aufenthaltsräumen. Besonders beeindruckt sie die Küchenmaschine. Ich erkläre ihnen dazu:

„Hier an Bord ist Elektrizität begrenzt, Herr und Frau Dittrich. Ein Großteil davon wird für die acht Triebwerke gebraucht. Also verzichten wir auf elektrische Großverbraucher, wo es möglich ist. Offenes Feuer mittels Gases ist auch keine Option, da das Material schmelzen könnte, aus dem das Luftschiff besteht. Wir haben heutzutage zum Glück keine Probleme an Helium als Auftriebsmittel zu kommen. Das ist unbrennbar. Dadurch brauchen Sie keine Angst haben, dass wir einmal enden würden wie die Hindenburg.“

„Ah, okay,“ meint Herr Dittrich, während seine Frau mit der Kamera immer den jeweils Sprechenden einfängt. „Oben sind dann die Gästezimmer und das Cockpit. Dürfen wir da auch einmal hinein?“

„Gerne,“ bestätige ich, und wir steigen wieder die Treppe hinauf.

Oben angekommen, öffne ich die Tür zum Cockpit und lasse die Beiden eintreten. Während Frau Dittrich mit der Kamera einen Schwenk vollführt, schließe ich die Tür und erkläre:

„Wir haben hier vier Sitzplätze. Gerne dürfen Sie sich also setzen, solange sie sich im Cockpit aufhalten.“

Mit diesen Worten lasse ich mich hinter dem Piloten an einem Fenster-Sitzplatz nieder. Die Kamerafrau setzt sich neben den Piloten und filmt sein Tun, während ihr Mann sich hinter ihr am anderen Fensterplatz niederlässt.

Nach einer Weile fragt Herr Dittrich Herrn Wyss:
„Wie muss man sich ihre Arbeit als Pilot eines Luftschiffs eigentlich vorstellen, Herr Wyss?“

„Ja,“ meint dieser. „Die Frage ist irgendwie berechtigt. Seit 100 Jahren gibt es keine Luftschiffe mehr. Nur noch wenige Blimps fahren für wenige Stunden durch die Luft und führen meist wissenschaftliche Aufgaben im Bereich der Meteorologie und der Erdbeobachtung durch.
Stellen Sie sich einfach vor, Sie befänden sich auf einer modernen Segelyacht. Dort finden Sie auch meteorologische Anzeigen, wie diesen Bildschirm hier. Anhand der Isobaren darauf und den Angaben von Windrichtung und Windgeschwindigkeit einiger bezeichneter Messstationen kann ich berechnen, wie ich das Luftschiff in den Wind drehen muss, um zum Beispiel von A nach B zu kommen.“

„Sie sind also vom Wind abhängig?“

„Nicht direkt,“ schränkt Herr Wyss ein. „Ich wollte damit nur sagen, dass ich mich bei der Navigation am Wind orientieren muss. Das Luftschiff hat eine große Angriffsfläche für den Wind, genau wie eine Segelyacht unter vollen Segeln. Daneben nutzen wir natürlich Mantelschrauben, die von Elektromotoren angetrieben werden. Aber nur bei absoluter Windstille könnte ich das Luftschiff damit wie ein Flugzeug fortbewegen. Ich will es ihnen einmal verdeutlichen…“

Unser Pilot nimmt ein paar Einstellungen vor. Die Karte auf einem Bildschirm macht einer schwarzen Fläche Platz. Im unteren Drittel des Bildschirms erscheint eine Zeichnung des Prototyps in Draufsicht. Er dreht die Zeichnung und drückt einen Knopf. Nun erscheint eine gelbe Linie, die die Zeichnung in Längsrichtung durchschneidet.
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Fr Jun 16, 2023 10:17 am

„Dies sei unser Luftschiff und die Kurslinie, die wir halten wollen,“ erklärt er.

Nun nimmt er eine weitere Einstellung vor und unten links erscheint ein breiter hellblauer Pfeil, der aussieht wie ein auf der Seite liegendes Haus, dessen Dachfirst auf das Luftschiff zeigt.

„Das soll Windstärke und Windrichtung symbolisieren.“

Er drückt einen Knopf und auf dem Bildschirm erscheint ein Parallelogramm, dessen zwei Seiten gelb und blau sind. Zwei weiße Hilfslinien vervollständigen das Parallelogramm und eine rote Linie verbindet dessen äußere Ecken.

„Die rote Linie zeigt nun den tatsächlichen Kurs. Ich kann jetzt das ganze Luftschiff im Wind drehen, um ihm einen anderen tatsächlichen Kurs zu geben. Und ich kann mit Maschinenkraft schneller werden, um meinem ursprünglich geplanten Kurs näher zu kommen.“

„Das ist also ‚Navigation mit dem Wind‘!“ meint Herr Dittrich.

Herr Wyss nickt und schaltet das Bild auf dem Bildschirm wieder auf die Darstellung einer Karte.

„Genauso ist es,“ bestätigt er.

„Wie lange werden wir unterwegs sein?“ fragt Frau Dittrich nun.

„Ich habe 15 Stunden veranschlagt, aber das ist unsicher, da noch nicht alle Winddaten von unterwegs vorliegen. Je mehr ich hereinbekomme, desto genauer kann der Computer den Kurs bestimmen.“

„Okay,“ meint Herr Dittrich. „Das wäre nach meiner Uhr Morgenfrüh um 5:30 Uhr.“

Herr Wyss nickt und meint:
„Wie gesagt, mit Vorbehalt. Es könnten durchaus auch drei Stunden später sein.“

„Das ist aber ein Riesenunterschied,“ meint Herr Dittrich. „Damit würden Sie jeden Flugplan sprengen!“

„Nun,“ meint Herr Wyss grinsend. „Wir sind nicht an An- und Abfahrtszeiten anderer Verkehrsteilnehmer gebunden. Die Mitfahrer wissen das und richten sich danach. Auch die Hindenburg, genauso wie die Louisiana, frühere Luftschiffe und Ozeandampfer hatten ihre Abfahrtszeit und kamen an, wann sie ankamen…“

Ich fühle mich bemüßigt, einen Satz in die Unterhaltung einzuwerfen. Ich behaupte:
„Unsere potentielle Klientel sind keine Verkehrsunternehmen, sondern finanzkräftige Privatpersonen, die im Luftschiff Urlaub machen möchten. Denen dürfte es egal sein, wann sie ankommen. Hauptsache, sie genießen das überwältigende Panorama. Entschleunigung, heißt das Stichwort.“

„Okay, okay,“ meint der Mann neben mir auf der anderen Seite des Cockpits und grinst mich an.

„Wenn Sie möchten, lade ich Sie zu Kaffee und Kuchen in die Lounge ein,“ gebe ich lächelnd zurück. „Oder mögen Sie lieber Tee?“

Ich möchte nicht stundenlang herumsitzen und die Landschaft unter mir vorbeiziehen sehen. Lieber möchte ich mich mit irgendetwas beschäftigen. Also erhebe ich mich und gehe zur Cockpittür. Das Ehepaar Dittrich hat sich mit Blicken verständigt und folgt mir. Wir gehen die Treppe hinunter und ich lasse die Beiden an der Essbar Platznehmen. Frau Dittrich legt ihre Kamera auf den nahen Couchtisch der Sitzlandschaft und kommt dann ebenfalls an die Essbar.

In der Zwischenzeit habe ich die Kaffeemaschine eingeschaltet und einen Kuchen aus dem Kühlraum geholt. Nun verteile ich unseren Kaffee, schneide den Kuchen auf und teile den Gästen je ein Stück auf einem Kuchenteller zu. Einen Kuchenteller mit zwei Stück und einen Becher Kaffee stelle ich auf ein Tablett und bringe es Herrn Wyss ins Cockpit.

Er bedankt sich lächelnd:
„Herzlichen Dank, Frau Elasar!“
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Sa Jun 17, 2023 10:04 am

Auch ich schenke ihm ein freundliches Lächeln und gehe wieder zu unseren Gästen hinunter. Mit ihnen spreche ich über meine Idee einer Air-Yacht und zeige Grafiken. Immer wieder bewundern die Beiden die Berglandschaft unter uns.

Gegen Abend biete ich ihnen an, Salate zu machen und frage nach persönlichen Vorlieben. Sie loben meine Küchenkünste und ziehen sich bald in ihre Kabine zurück, als gegen 20 Uhr die Abenddämmerung einsetzt. Ich koche eine große Thermoskanne voll Kaffee und bringe sie zu Herrn Wyss ins Cockpit. Er bedankt sich mit freudigem Lächeln für meine Aufmerksamkeit, um mich anschließend zu fragen, ob ich ihm nicht Gesellschaft leisten könne, damit er trotz Kaffee nicht einschläft.

Ich setze mich gerne zu ihm, runzele dann aber die Stirn. Mir ist ein Gedanke in den Sinn gekommen:
„Wollen Sie die ganzen 15 bis 18 Stunden der Fahrt hinter den Steuerelementen sitzen und achtgeben? Sind Sie danach noch in der Lage eine gefahrlose Landung durchzuführen?“

„Das werde ich wohl müssen Frau Elasar,“ antwortet er mir. „Es gibt keinen zweiten Piloten an Bord, mit dem ich tauschen könnte, damit jeder unterwegs eine Mütze Schlaf bekommt.“

„Sie sind jetzt schon sechs Stunden ununterbrochen am Steuer, Herr Wyss. Wie lange dauert es, mich kurz einzuweisen, damit ich in der Lage bin, den Prototyp zu fahren?“

„Hm,“ macht er da. „Sie trauen sich zu, anstatt meiner hier zu sitzen?“

„Nach einer Unterweisung durch Sie bestimmt!“

„Okay,“ macht Herr Wyss.

Er erläutert mir die einzelnen Felder auf dem Armaturenbrett und was die jeweiligen Armaturen anzeigen, beziehungsweise die Betätigung der Tasten und Schalter bewirken. Danach zeigt er mir den anliegenden Kurs und erläutert mir, wie er die Triebwerke steuert, damit der Kurs auch weiterhin anliegt. Die Berge werden immer niedriger. Bald haben wir die Alpen überwunden und überfahren die Po-Ebene.

Herr Wyss lässt mich auf seinem Platz sitzen und schaut mir eine gute Stunde über die Schultern. Gegen halb zehn Uhr verlässt er mich, um in seiner Kabine schlafen zu gehen. Nun bin ich alleine im Cockpit und frage mich, was mich da wohl vorhin geritten hat, nun den Prototyp ganz allein zu steuern und mir die Verantwortung für uns Vier selbst auf die Schultern zu laden.

Mit der großen Thermoskanne halte ich mich wach. Im Laufe der Nacht, in der das Luftschiff durch seine Rundum-Beleuchtung für jedermann sichtbar ist, ich selbst aber nur anhand des Navigations-Bildschirms weiß, wo ich bin und welche Geländeformation ich passiere, nehme ich mir vor, neben Herrn Wyss noch einen zweiten Piloten einzustellen.

Ich sehe am frühen Morgen in der ersten Morgendämmerung unser Ziel aus dem Bildschirm wandern. Also drehe ich das Luftschiff in den Wind und erhöhe die Triebwerksleistung. Bisher haben wir ‚halbe Kraft‘ anliegen gehabt. Da nun der Wind von vorne kommt, verringert sich die Angriffsfläche beträchtlich. Also reduziere ich die Triebwerksleistung wieder, da ich nicht zu früh ankommen will.

Kurz vor fünf Uhr kommt Herr Wyss wieder zu mir. Er schaut prüfend überall drüber. Meine Kursänderung übergeht er mit einem Lächeln und bedankt sich höflich. Danach bietet er mir an, mich nun schlafen zu legen.
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1So Jun 18, 2023 9:57 am

„Gehen Sie jetzt auch gerne schlafen, Frau Elasar. Sie sind übrigens eine wunderbare Co-Pilotin, muss ich ehrlich gestehen!“

Lob hört jeder Mensch gerne. Leider weiß ich gar nicht, wann ich das letzte Mal ehrlich gelobt worden bin. Ich bin wirklich müde, aber zuerst bringe ich die Kaffeekanne in die Küche, leere sie aus und koche frischen Kaffee. Anschließend fülle ich die Thermoskanne und bringe sie ihm ins Cockpit.

„Sie schlafen ja immer noch nicht, Frau Elasar!“

Höre ich da einen leichten Vorwurf? Er lächelt mich gleichzeitig an. Seine Bemerkung entspringt sicher einem gewissen Verantwortungsgefühl. Ich antworte grinsend:

„Sofort, Herr Kommandant!“ und verkrümele mich in meine Kabine.

*

Als ich erwache, schaue ich auf meine Armbanduhr, die ich vor dem Einschlafen neben das Bett gelegt habe. Ich bekomme einen Riesenschreck, als ich darauf halb elf Uhr lese. Vor zwei Stunden sollten wir spätestens Nizza erreicht haben, hat Herr Wyss bei der Abfahrt gesagt.

Ich gehe schnell ins Bad, mache mich frisch und ziehe mir die Oberbekleidung wieder an. Danach gehe ich nach vorn. Ich höre Stimmen aus der Lounge und gehe zuerst einmal die Treppe hinunter. Dort treffe ich das Ehepaar Diettrich, die das Mittelmeer filmen. Ab und zu sieht man Schulen von Delfinen und hier und da fahren Schiffe unter uns.

Nachdem ich sie erreicht habe, begrüßt mich Frau Dittrich:
„Guten Morgen, Frau Elasar. Ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich die Küche genutzt und das Frühstück gemacht habe. Wir haben Ihnen auch etwas übriggelassen. Setzen Sie sich ruhig erst einmal hin und frühstücken.“

Ich nicke dankbar und setze mich auf einen Barstuhl. Dann hebe ich die Deckel von den Lebensmitteln und nehme mir etwas zum Frühstücken. Dabei frage ich:

„Hat Herr Wyss eine Änderung des Flugplans bekanntgegeben?“

Herr Dittrich nickt lächelnd.

„Ja, Herr Wyss war der Meinung, dass wir uns Nizza gerne von oben anschauen dürfen. Danach hat er einen Abstecher auf das Mittelmeer hinaus gemacht. Er hat uns davon berichtet, dass Sie eine wunderbare Copilotin sind, die uns die halbe Nacht sicher gefahren hat.“

„Und wie soll es nun weitergehen?“ frage ich, nachdem ich den Bissen hinuntergeschluckt habe.

„Ich denke, Herrn Wyss Vorschlag ist sehr vernünftig,“ meint er. „Wenn Sie sich gestärkt haben, könnten Sie Herrn Wyss wieder ablösen. Meine Frau kennt sich mit der Küchenmaschine aus und wird uns allen ein Mittagessen zaubern. Gegen 16 Uhr wird Herr Wyss Sie wieder ablösen. Bis dahin dürfen Sie gerne der Küstenlinie folgen und über den Küstenstädten Kreise drehen.“

‚Ohkaay,‘ denke ich und gehe nach dem Frühstück zu Herrn Wyss ins Cockpit.

„Ah, einen wunderschönen guten Morgen!“ werde ich von unserem Piloten begrüßt. „Schauen Sie hier!“

Er zeigt mir auf dem Navigationsbildschirm, wo wir uns befinden, und meint:
„Folgen Sie der Küstenlinie in kleiner Fahrt, so wie jetzt anliegt. Bei jeder Stadt verlassen Sie dien Kurs und drehen eine Runde über Hafen und Altstadt für unsere Gäste. Dann gehen Sie wieder auf Kurs bis ich Sie ablöse. Anschließend wollen wir die Heimreise antreten.“

Nun erhebt er sich und lässt mich im Pilotensitz Platz nehmen. Wieder schaut er mir eine Zeitlang über die Schultern, bevor er mich alleine lässt. Laut der Anzeigen haben wir auflandigen Wind, also von Süden kommend. Das Luftschiff treibt aber nach Westen. Das hat er erreicht, indem er die Auftriebskörper schräg in den Wind gestellt hat und die Triebwerke nur mit kleiner Kraft laufen lässt. Die Ruder stabilisieren die Lage soweit.
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BeitragThema: Re: Katamaran der Lüfte   Katamaran der Lüfte Icon_minitime1Mo Jun 19, 2023 11:18 am

Zwei Stunden später bringt er mir ein Mittagessen hoch und setzt sich selbst an die Kontrollen, während ich Frau Dittrichs Kreation genieße. Danach bin ich weitere drei Stunden alleine. In dieser Zeit schaffe ich es tatsächlich, einen Halbkreis über Hafen und Altstadt der Ansiedlung unter uns zu fahren.

Gegen 16 Uhr löst mich Herr Wyss wieder ab und nimmt die heimatliche Werft wieder zum Ziel. Ich gehe zu unseren Gästen und organisiere einen Nachmittagskaffee mit Kuchen. Frau Dittrich hilft mir dabei und fragt mich über die Versorgungs- und Küchentechnik in der Gondel aus. Ich gebe ihr bereitwillig Auskunft darüber und erkläre den Beiden, dass die Umorganisation an Bord meinen Sicherheitsüberlegungen gestern entsprungen ist. Es sollten sich bei längeren Fahrten immer zwei Piloten abwechseln können. Daher möchte ich mich nach unserer Rückkehr um die Einstellung eines weiteren Piloten kümmern. Sie pflichten mir bei.

Anschließend verabschiede ich mich von dem Ehepaar Dittrich. Ich möchte bis zum nächsten Schichtwechsel im Cockpit noch eine Mütze Schlaf nehmen. Frau Dittrich erklärt sich bereit, in meiner Abwesenheit gerne den Koch an Bord zu geben. Nun gehe ich also in meine Kabine, lege mich gegen 17:30 Uhr angezogen auf mein Bett und nehme mir ein Buch, um herunter zu schalten. Gegen 22 Uhr will ich wieder das Cockpit übernehmen.

Als ich zu Herrn Wyss ins Cockpit gehe, erklärt er mir, wie ich in seiner Abwesenheit den Aufstieg in die Alpen schaffe, ohne gegen einen Berg zu fahren. Wir haben in den Auftriebskörpern Gasflaschen mit Helium gelagert. Über ein elektrisches Ventil lassen sie sich öffnen und den Auftrieb vergrößern. Genauso hätte er am Morgen den Abstieg aus den Alpen eingeleitet, während ich geschlafen habe. Nur, dass er heute Morgen Ventile in der Außenhaut der Auftriebskörper geöffnet und Helium abgelassen hat. Zurück in der Werft müssen daher die leeren Heliumflaschen gegen volle ausgetauscht werden.

Er hat die Ventile an den Flaschen moderat geöffnet, so dass wir bisher nur allmählich steigen. Ich lasse erst einmal die Einstellung so. Weiter öffnen kann ich die Ventile immer noch. Dann verabschiedet sich Herr Wyss in seine Freiwache. Um halb fünf Uhr morgens übernimmt er wieder und ich gehe in meine Kabine. Kurz darauf bin ich eingeschlafen.

Wieder wache ich viel zu spät am Morgen auf. Meine Uhr zeigt schon 10:30 Uhr. Schnell mache ich mich frisch und kleide mich an. Aus dem Fenster blickend, sehe ich, dass wir uns auf einer Wasseroberfläche befinden. Ich laufe die Treppe hinunter und sehe die Planke heruntergelassen. Wir dümpeln vor einer Spuntwand und der Abstand der Gondel zum Ufer wird von einem Ponton verkürzt. Mir wird klar, dass wir zuhause sind. Wir haben im See vor der heimatlichen Werft festgemacht.

Eine Stimme weckt mich aus meinen Betrachtungen:
„Guten Morgen, Frau Elasar. Herzlich willkommen zuhause!“

Mich umwendend, erkenne ich Herr Wyss an der Frühstücksbar sitzen.

„Kommen Sie!“ meint er lächelnd. „Ich habe Ihnen extra etwas vom Frühstück aufgehoben.“

Ich gehe also in die Lounge und setze mich neben ihn an die Bar, nur einen leeren Sitz als Sicherheitsabstand zwischen uns. Das Angebot überschauend, bedanke ich mich und greife zu. Er bleibt bei mir sitzen und trinkt seinen Kaffee, während ich frühstücke.

Nach einer Weile frage ich ihn:
„Wann sind wir angekommen?“

„Oh,“ meint er. „Das mag so gegen 8:30 Uhr gewesen sein. Die Werftmitarbeiter hatten gerade mit ihrer Arbeit begonnen und sich sofort um uns gekümmert, als ich über dem See aufgetaucht bin. So hat das Ehepaar Dittrich eine weitere Wasserung miterlebt und von Bord aus filmen können.“

„Da habe ich aber eine Menge verschlafen,“ stelle ich fest. „Wo sind unsere Gäste jetzt?“

„Ich denke, sie sind zu ihrem Studio unterwegs, um ihr Filmmaterial zeitnah zu bearbeiten. In ein paar Wochen beginnen ja schon die Luftfahrt-Messen, die Frau Durant damit besuchen will.“

Ich nicke. Das ist nur konsequent und entspricht auch unseren Absprachen.

Nach einer Weile, ich habe mein Frühstück fast beendet, fragt Herr Wyss:

„Darf ich Sie für heute Abend zu einem Essen einladen? Wäre Ihnen 20 Uhr im Restaurant ‚Seeblick‘ angenehm?“

Ich schenke ihm einen verführerischen Augenaufschlag und sage gerne zu. Unsere gemeinsame Reise bietet jedenfalls genug Gesprächsstoff während des Essens.

*
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